Z Gastroenterol 2023; 61(08): 1000-1001
DOI: 10.1055/a-1975-0509
Editorial

Aktualisierung der „Living Guideline“ Colitis ulcerosa 2022

Torsten Kucharzik
1   Klinikum Lüneburg, Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Gastroenterologie, Deutschland
,
Axel Dignass
2   Medizinische Klinik 1, Agaplesion Markus Krankenhaus Frankfurt/Main, Frankfurt am Main, Deutschland
› Author Affiliations

Die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa wurde im Jahr 2017/2018 komplett überarbeitet und im September 2018 publiziert [1]. Um dem raschen Erkenntniszuwachs bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Rechnung zu tragen, hat die DGVS vor einigen Jahren das Konzept der sogenannten „Living Guidelines“ entwickelt. Dieses Konzept beinhaltet, dass relevante aktuelle Literatur zu diagnostischen und therapeutischen Aspekten, die nach Publikation der Leitlinie erschienen ist, von einer Steuergruppe regelmäßig überprüft wird und Empfehlungen ggf. geändert und durch die Konsensusgruppe erneut abgestimmt werden. Auf diesem Weg soll eine verbesserte Aktualität der Leitlinien-Empfehlungen ermöglicht werden. Für die aktuell publizierte und aktualisierte S3-Leitlinie Colitis ulcerosa hat die Steuergruppe 3 wesentliche Neuerungen im Jahr 2021 identifiziert, die nach Diskussion und Abstimmungen in der Konsensusgruppe zu Änderungen bzw. Ergänzungen einzelner Statements geführt haben.

Im November 2021 wurde mit Filgotinib ein weiterer oraler JAK-Inhibitor für die Therapie der mittelschweren bis schweren Colitis ulcerosa bei Versagen der konventionellen Therapie zugelassen. Basierend auf den Daten aus der SELECTION-Studie[2], welche eine signifikante Verbesserung der Ansprech- und Remissionsraten von Patient*innen mit Colitis ulcerosa in der Induktions- und Erhaltungstherapie zeigte, wurde Filgotinib in verschiedene Empfehlungen mit aufgenommen. Filgotinib kann sowohl bei steroidabhängigen als auch bei steroidrefraktären Patient*innen bzw. bei Patient*innen mit Thiopurin- und TNF-Antikörperversagen sowohl in der Induktions- als auch in der Erhaltungstherapie eingesetzt werden. Studien zur Sicherheit von Filgotinib in der Langzeittherapie zeigen vergleichbare Nebenwirkungsraten zwischen Filgotinib und Placebo. Da auch unter der Therapie mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib vermehrt Herpes Zoster-Reaktivierungen beobachtet werden und eine gering vermehrte Rate an Zoster-Reaktivierungen auch unter Filgotinib beobachtet wurden, wird ein Gruppeneffekt der JAK-Inhibitoren diskutiert. Es sollte daher eine Immunisierung mit einem Totimpfstoff gegen Herpes Zoster (Shingrix®) bei diesen Patient*innen erwogen werden. Der Impfstoff ist für Patient*innen ab 18 Jahre zugelassen, wird aber von der STIKO für Patient*innen unter Immunsuppression erst ab 50 Jahren empfohlen.

Bei der zweiten neuen Substanz, die mit dem gleichen Indikationsspektrum in verschiedene Empfehlungen aufgenommen wurde, handelt es sich um Ozanimod, welches im Dezember 2021 für die Therapie der mittelschweren bis schweren Colitis ulcerosa bei Versagen der konventionellen Therapie zugelassen wurde. Ozanimod ist ein Sphingosin-1-Phosphat-Modulator, der primär an S1P1- und S1P5-Rezeptoren bindet und der über eine Internalisierung des S1P-Rezeptors die Migration von Lymphozyten aus den Lymphknoten an dem Ort der mukosalen Entzündung hemmt. Mit Ozanimod liegt ein völlig neuer Wirkmechanismus zur Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen vor. Die Wirksamkeit von Ozanimod bei CED wurde in der TRUE-NORTH-Studie untersucht [3]. Real-World-Daten zum Einsatz von Ozanimod bei Colitis ulcerosa liegen bisher noch nicht vor, lediglich die Langzeitdaten der TOUCHSTONE Phase-2-Studie und Daten in der Indikation Multiple Sklerose, die in einem Zeitraum über 5 Jahre keine relevanten Sicherheitsprobleme identifizierten, wenngleich der Einsatz von Ozanimod häufig mit einer Lymphopenie assoziiert ist [4] [5].

Mit Filgotinib und Ozanimod liegen nun 2 neue Substanzen vor, die das therapeutische Spektrum der Colitis ulcerosa erweitern. In den aktualisierten Empfehlungen sind die Therapieoptionen zur Therapie der Colitis ulcerosa bei Versagen der konventionellen Therapie nun alphabetisch aufgeführt und es wird bewusst keine Reihenfolge für den klinischen Einsatz vorgegeben. Anwender*innen der Leitlinie wünschen sich möglicherweise einen klaren Algorithmus zum Einsatz der zunehmenden Zahl an immunsupprimierenden und -modulierenden Substanzen und eine Priorisierung der vielen Substanzen im klinischen Alltag. Leider ist dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei fehlenden Studiendaten nicht möglich. Sinnvolle Priorisierungen können nur auf der Basis einer eindeutigen Datenlage mit vergleichenden Studien gegeben werden. Die einzige bei Colitis ulcerosa vorliegende Head-to-Head-Studie mit einem direkten Vergleich von Adalimumab und Vedolizumab ergab einen Effektivitätsvorteil für Vedolizumab [6]. Verschiedene jüngere Netzwerkmetaanalysen zeigen ebenfalls Unterschiede bzgl. der Effektivität und Wirkeintritt verschiedener Substanzen auf, die bei der individuellen Auswahl der Therapie eine Rolle spielen können [7] [8]. Die Limitationen des indirekten Vergleichs von Effektivitätsdaten sollten hierbei allerdings berücksichtigt werden. Letztlich sind die Kriterien für die Therapiewahl vielfältig und schließen die persönliche Erfahrung mit Substanzen, das Nebenwirkungspotential, Alter und Komorbiditäten der Patient*innen, die mutmaßliche Geschwindigkeit des Wirkungseintritts sowie Zulassungsbeschränkungen und viele andere Faktoren mit ein. Eine allgemeingültige evidenzbasierte Priorisierung der Substanzen erschien der Konsensusgruppe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll.

Für die Behandlung der fulminanten Colitis ulcerosa liegen bisher weder Studiendaten für Filgotinib noch für Ozanimod vor, sodass hier keine Behandlungsempfehlung gegeben werden kann.

Die dritte Änderung in der Leitlinie bezieht sich auf die Therapie der chronischen Antibiotika-refraktären Pouchitis, die bekanntermaßen ein schwer zu behandelndes Krankheitsbild darstellt und deren Behandlung in der Regel eine Vorstellung in einem geeigneten Zentrum erforderlich macht. Bisher standen für diese therapierefraktäre Situation lediglich Biologika zur Verfügung, deren Wirksamkeit bisher nur in kleinen Fallserien vermutet worden war. In der EARNEST-Studie wurde kürzlich die Wirksamkeit von Vedolizumab bei dieser Indikation in einer kontrollierten Studie untersucht [9]. Alle Patient*innen erhielten eine vierwöchige orale Therapie mit Ciprofloxazin. Randomisiert wurde zusätzlich gegen Vedolizumab und Placebo und die Ergebnisse zeigten nach 14 und nach 34 Wochen signifikante Unterschiede bzgl. der klinischen Remission. Vedolizumab ist für diese Indikation nun auch in Deutschland zugelassen und wurde daher als Empfehlung mit dem entsprechenden Evidenzlevel in die Living Guideline aufgenommen.

Die geänderten Empfehlungen sind in der aktualisierten Leitlinie zur vereinfachten Identifikation farblich markiert. Die Kommentare wurden entsprechend angepasst.

Die aktualisierte Leitlinie ist abrufbar unter: https://www.dgvs.de/wissen/leitlinien/leitlinien-dgvs/colitis-ulcerosa/.

Im kommenden Jahr wird die Colitis ulcerosa-Leitlinie erneut neu überarbeitet werden.



Publication History

Article published online:
11 August 2023

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  • Literatur

  • 1 [Updated S3-Guideline Colitis ulcerosa. German Society for Digestive and Metabolic Diseases (DGVS) – AWMF Registry 021/009]. Z Gastroenterol 2018; 56: 1087-1169
  • 2 Feagan BG, Danese S, Loftus Jr EV. et al. Filgotinib as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis (SELECTION): a phase 2b/3 double-blind, randomised, placebo-controlled trial. Lancet 2021; 397: 2372-2384
  • 3 Sandborn WJ, Feagan BG, DʼHaens G. et al. Ozanimod as Induction and Maintenance Therapy for Ulcerative Colitis. N Engl J Med 2021; 385: 1280-1291
  • 4 Sandborn WJ, Feagan BG, Hanauer S. et al. Long-Term Efficacy and Safety of Ozanimod in Moderately to Severely Active Ulcerative Colitis: Results From the Open-Label Extension of the Randomized, Phase 2 TOUCHSTONE Study. J Crohns Colitis 2021; 15: 1120-1129
  • 5 Cree BA, Selmaj KW, Steinman L. et al. Long-term safety and efficacy of ozanimod in relapsing multiple sclerosis: Up to 5 years of follow-up in the DAYBREAK open-label extension trial. Mult Scler 2022; DOI: 10.1177/13524585221102584.
  • 6 Sands BE, Peyrin-Biroulet L, Loftus Jr EV. et al. Vedolizumab versus Adalimumab for Moderate-to-Severe Ulcerative Colitis. N Engl J Med 2019; 381: 1215-1226
  • 7 Burr NE, Gracie DJ, Black CJ. et al Efficacy of biological therapies and small molecules in moderate to severe ulcerative colitis: systematic review and network meta-analysis. Gut 2021; DOI: 10.1136/gutjnl-2021-326390. . Online ahead of print
  • 8 Lasa JS, Olivera PA, Danese S. et al. Efficacy and safety of biologics and small molecule drugs for patients with moderate-to-severe ulcerative colitis: a systematic review and network meta-analysis. Lancet Gastroenterol Hepatol 2022; 7: 161-170
  • 9 Travis S, Silverberg M, Danese S. et al Efficacy and safety of intravenous vedolizumab for treatment of chronic pouchitis: results of the Phase 4 EARNEST trial. ECCO PO448 2022