Kardiologie up2date 2022; 18(04): 312-313
DOI: 10.1055/a-1958-8498
Studienreferate

Eine „revolutionäre“ Studie zur Behandlung der Hypertonie in der Schwangerschaft

Kommentar zu „Chronische Hypertonie in der Schwangerschaft: Therapie bereits ab 140/90 mmHg?“
Martin Middeke

Diese Studie räumt gleich mit 2 festgefahrenen Leitlinien-Empfehlungen der deutschsprachigen gynäkologischen Gesellschaften auf: 1. den Blutdruck erst bei einer schweren Hypertonieform ab 160/110 mmHg zu behandeln und 2. Methyldopa als Mittel der ersten Wahl neben Labetalol und Nifedipin einzusetzen.

Es gibt insbesondere in Deutschland eine sehr zurückhaltende Einstellung zur Behandlung der Hypertonie in der Schwangerschaft und zum Zielblutdruck. Hintergrund ist die bisher mangelnde Datenlage aus entsprechenden Studien. So empfehlen die aktuellen Leitlinien aus dem Jahr 2019 eine Behandlung erst bei einer schweren Hypertonie. In anderen Ländern empfehlen die Leitlinien dagegen eine Behandlung bereits bei leichteren Formen des Bluthochdrucks. Die deutschen, österreichischen und Schweizer Fachgesellschaften sind gut beraten, ihre Leitlinien rasch zu aktualisieren. Schließlich geht es um jährlich ca. 70000 hypertensive Schwangere allein in Deutschland, die eine adäquate Behandlung erhalten müssen – zum Nutzen für Mutter und Kind. Diese Studie beweist endgültig, dass die antihypertensive Behandlung auch einer milden Hypertonie in der Schwangerschaft erfolgreich und sicher ist. Tatsächlich wird in der klinischen Praxis auch in Deutschland – insbesondere im internistischen Bereich – nicht stets gewartet, bis sich eine schwere Hypertonie entwickelt.

Eine sehr interessante holländische Studie hatte bereits im letzten Jahr gezeigt, dass ein differenzierter Einsatz der wenigen zur Verfügung stehenden Antihypertensiva in der Schwangerschaft erfolgreich die gefürchteten Komplikationen, z. B. eine Präeklampsie, reduzieren kann [1]. Dies ist umso bemerkenswerter, als der differenzierte Einsatz von Labetalol, Nifedipin und Methyldopa nur nach hämodynamischen Parametern (Herzfrequenz, Herzminutenvolumen und peripherer Widerstand) bei Frauen mit noch normalen Blutdruckwerten erfolgte. Die Frauen hatten alle bereits eine Präeklampsie in der Vorgeschichte.

Dies passt sehr gut zur aktuellen CHAP-Studie. Hier wurde die medikamentöse Behandlung bevorzugt mit Labetalol (62%) oder retardiertem Nifedipin (36%) durchgeführt. Methyldopa kam nur selten zum Einsatz. Labetalol ist ein kombinierter Alpha/Beta-Blocker und in Deutschland eigentümlicherweise schon länger nicht mehr erhältlich – wohl aber in Österreich und der Schweiz. In Deutschland kommen bevorzugt Methyldopa und der Betablocker Metoprolol zum Einsatz. Nach der holländischen Studie und nun nach der aktuellen Studie ist ein Umdenken auch beim Einsatz der wenigen Antihypertensiva, die in der Schwangerschaft zur Verfügung stehen, notwendig und wünschenswert. Es gibt gute Gründe, die Kalzium-Antagonisten Nifedipin retardiert oder Amlodipin mit einer 24-Std.-Wirkung einzusetzen. Diese Substanzen senken am besten den zentralen aortalen Blutdruck und führen so zu einer besseren Durchblutung der zentralen Organe. Der Betablocker Metoprolol senkt hingegen nur den brachialen Blutdruck (in der Armarterie). Der Betablocker Metoprolol sollte bevorzugt zum Einsatz kommen, wenn auch die Herzfrequenz deutlich und klinisch relevant erhöht ist.

Die aktuelle Studie entkräftet auch klar das stets vorgebrachte Argument, dass eine medikamentöse Behandlung das Geburtsgewicht der Kinder vermindere oder zur Frühgeburt führen könne. Die Gestationsdauer war nicht unterschiedlich in den beiden Studienarmen und ebenso war kein signifikanter Unterschied in der Häufigkeit von einem Geburtsgewicht unter 2500 g (19% in der Behandlungsgruppe und 23% in der Kontrollgruppe).

Die aktive Behandlung der milden Hypertonie konnte das Auftreten einer Präeklampsie oder eines HELPP-Syndroms signifikant reduzieren. Die gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind wurden insgesamt durch die Behandlung vermindert.

Nach Datenlage dieser Studie besteht eine klare Indikation, den Blutdruck in der Schwangerschaft bereits im Stadium der milden Hypertonie, d. h. > 140/90 mmHg „in der Praxis“ zu behandeln. Eine Nichtbehandlung erhöht das Risiko für Mutter und Kind und kann (argumentativ) nicht mehr begründet werden.



Publication History

Article published online:
06 December 2022

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