Pneumologie 2022; 76(07): 467-469
DOI: 10.1055/a-1867-6595
YoungDGP im Dialog

Vereinbarkeit von Beruf und Wissenschaft

Unstrittig besteht eine enge Verzahnung zwischen dem ärztlichen Beruf und der Wissenschaft. Forschung stellt den „Motor“ der modernen Medizin dar – schließlich basieren der Zuwachs an medizinischem Wissen und der technologische Fortschritt auf wissenschaftlicher Innovation und Forschungsergebnissen, die Therapeutika verbessern und Handlungsroutinen bestimmen. Zuletzt hat uns die durch SARS-CoV-2 ausgelöste Pandemie vor Augen geführt, wie notwendig (und zeitkritisch) Wissenschaft und Forschung für die Bewältigung medizinischer Herausforderungen sind.

Zum täglichen ärztlichen Handeln gehört es, Therapieentscheidungen zu treffen, die sowohl die individuellen Bedürfnisse der Patient*nnen berücksichtigen als auch evidenzbasiert sind, also einer wissenschaftlichen Rationale folgen. Nicht ohne Grund benennt die Bundesärztekammer die „Wissenschaftlichkeit als konstitutionelles Element des Arztberufes“ (Deutsches Ärzteblatt 2020; 117: 4, 138). Die medizinische Ausbildung von angehenden Ärzt*innen findet in Deutschland, mit Ausnahme weniger privatwirtschaftlich organisierter Institutionen, an Universitäten statt – Institutionen, die, ausgestattet mit Mitteln der öffentlichen Hand, zur Forschung und Lehre im Interesse der Allgemeinheit verpflichtet sind. Der Erwerb von Wissenschaftskompetenz gehört im Rahmen dessen fest zum akademischen Curriculum, was sich unweigerlich bis in die ärztliche Weiterbildung nach der Approbation fortsetzt: Leitlinien- und evidenzbasierte Therapie ist schließlich nur mit Kenntnis der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Methoden und Prozesse möglich.

Wissenschaftlichkeit ist also eine notwendige Voraussetzung für und Bestandteil des ärztlichen Berufes. Schafft der Beruf in seiner aktuellen Ausgestaltung aber umgekehrt hinreichende Bedingungen und Anreize für wissenschaftliche Tätigkeit und Forschung?

Absolut gesehen werden in der Medizin jährlich deutschlandweit die meisten Promotionen erfolgreich abgeschlossen. Gemessen an allen jährlich verzeichneten Abschlüssen auf dem jeweiligen Fachgebiet befindet sich die Medizin (63 % Promotionen) jedoch hinter der Physik, Chemie und dem Spitzenreiter Biologie (86 %) (Centrum für Hochschulentwicklung; Gütersloh, 2019: Promotionen als Indikator für die Leistung von Hochschulen). Obwohl die medizinische Promotion als Einstieg in und Voraussetzung für eine wissenschaftliche Tätigkeit als Ärzt*in gesehen werden kann, ist offensichtlich, dass weit weniger als 63 % der klinisch tätigen Ärzt*innen tatsächlich berufsbegleitend wissenschaftliche Tätigkeiten ausüben. Dabei ist die Fähigkeit zum Schlagen einer Brücke zwischen Klinik und Wissenschaft wichtig für bedarfsgetriebene Innovation in einem sich ständig weiterentwickelnden Feld, nicht zuletzt in der Pneumologie. Die Frage nach dem „Warum“ ist durchaus erlaubt – warum streben nicht mehr Ärzt*innen nach dem Bild des/der forschenden Ärzt*in bzw. des/der Clinician Scientist? Welche Herausforderungen und Hürden stellen sich jungen Kolleg*innen auf ihrem Weg? Und wie kann es gelingen, die Bedingungen für wissenschaftliche Tätigkeit im ärztlichen Beruf, im Speziellen der Pneumologie, zu verbessern?

Die AG YoungDGP führte im Herbst 2019 eine Umfrage unter jungen Pneumolog*innen durch, deren Ergebnisse in der Oktober-Ausgabe der „Pneumologie“ (Pneumologie 2021; 75: 761–775) veröffentlicht wurden.

Dort gaben 40 % der Befragten an, aktuell wissenschaftlich tätig zu sein; eine Quote, die in Zusammenhang mit der Verbreitung der Umfrage über Kanäle der DGP und des BdP (Berufsverbands der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner e. V.) und somit vornehmlich an verbandspolitisch Interessierte bewertet werden muss. Die wissenschaftlich Aktiven waren mit den ihnen gebotenen Bedingungen zu 33 % eher oder sehr zufrieden, zu 67 % indes jedoch eher bis sehr unzufrieden. Die mit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nicht vollends zufriedenen Befragten gaben als häufigste Begründung an, dass ein Großteil der Forschung außerhalb der Arbeitszeit bzw. in der Freizeit erfolge (92 %), gefolgt von zu wenig erhaltener Unterstützung/Anleitung durch Vorgesetzte/Betreuer und mangelnder materieller/personeller Unterstützung der Forschung durch die Klinik/Abteilung.

Die hingegen nicht wissenschaftlich tätigen Befragten begründeten dies am häufigsten mit fehlender Zeit für wissenschaftliche Tätigkeit oder anderer Priorisierung der Arbeitszeit (69 %). Als weitere Gründe hierfür wurden die fehlende Möglichkeit in der jeweiligen Klinik (16 %) und nur zu geringerem Anteil fehlendes Interesse an wissenschaftlicher Tätigkeit (8 %) oder die fehlende Bedeutung für die eigene berufliche Entwicklung (5 %) genannt.

Die in der klinischen Versorgung zunehmende Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung (siehe hierfür auch die Auswertung der Umfrage), die eine Bearbeitung komplexer wissenschaftlicher Fragestellungen parallel zur oder gar während der klinischen Tätigkeit zunehmend bis gänzlich erschwert, hat bereits ein strukturelles Umdenken in Gang gesetzt. An den meisten deutschen Universitätsklinika, gemeinsam mit involvierten Stiftungen und einigen Fachgesellschaften, wurden strukturierte Clinician Scientist-Programme ins Leben gerufen, die Rahmenbedingungen und Unterstützung für die wissenschaftliche Tätigkeit als klinisch tätige Ärzt*innen schaffen, z. B. in Form geschützter Forschungszeiten und bereitgestellter Forschungsmittel. In Ausrichtung, Konzept und Laufzeit unterscheiden sich diese je nach Standort und klar ist, dass nicht für jede*n wissenschaftsmotivierte*n Ärzt*in eine Clinician Scientist-Position verfügbar ist. Eine „one-for-all“-Lösung sind Clinician Scientist-Programme bislang also nicht, zumal derartige Angebote fast ausschließlich an Universitätsklinika verfügbar sind und spezialisierte, nicht-universitäre Zentren/Kliniken meist keinen Zugang besitzen.

In der vierten Ausgabe im Dialog mit Verantwortungsträgern in Weiterbildung, Forschung und klinischer Versorgung in der Pneumologie stellen wir Fragen an Prof. Dr. Christian Taube, Direktor der Klinik für Pneumologie der Ruhrlandklinik (Universitätsmedizin) Essen:

Herr Prof. Taube, welche besonderen Hindernisse sehen Sie aktuell für die wissenschaftliche Tätigkeit/Weiterentwicklung als junge*r Ärzt*in? Bis zu welchem Grad gehört wissenschaftliche Tätigkeit „nach Feierabend“ einfach „dazu“?

Die Förderung wissenschaftlich interessierter Ärzt*innen ist wichtig für die Weiterentwicklung des Faches Pneumologie, aber auch eine der herausfordernden Aufgaben. Dieses gilt sowohl für experimentelle, translationale und klinische Forschung. Durch die zunehmende Ökonomisierung im Gesundheitssystem spielt die Forschung, insbesondere außerhalb einer universitären Einrichtung, nur eine untergeordnete Rolle. Außerhalb von akademischen Einrichtungen fehlen häufig die Ressourcen, um junge interessierte Ärzt*innen für Forschungstätigkeiten freizustellen. Eine erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit ist nur schwer neben einem Vollzeitjob als Ärzt*in zu realisieren. Daher sind Freiräume für eine erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit notwendig. Mit den bereits genannten Clinician Scientist-Programmen wird an verschiedenen Standorten versucht, diesen jungen Kolleg*innen genügend Freiraum für wissenschaftliche Tätigkeiten zu ermöglichen. Dafür steht aber nur eine limitierte Anzahl von Stellen zur Verfügung. Wenn solche Möglichkeiten nicht bestehen, gibt es für junge Kolleg*innen vielfach nur die Möglichkeit, neben der klinischen Vollzeitarbeit zusätzlich noch wissenschaftlich zu arbeiten. Dieses erfordert erhebliche Motivation und Durchhaltevermögen. Diese zusätzliche Belastung führt aber zunehmend dazu, dass viele junge Kolleg*innen diese zusätzliche Arbeit nicht mehr auf sich nehmen.

Welche Instrumente und Änderungen sind Ihrer Ansicht nach notwendig, um Bedingungen für wissenschaftliche Tätigkeit weiter zu verbessern?

Wissenschaftliche Entwicklung ist nach meiner Meinung nur mit genügend Freiraum und guter Begleitung möglich. Dazu gibt es Möglichkeiten des Arbeitgebers oder auch von Fachgesellschaften Forschung zu fördern.Der Arbeitgeber kann für ein wissenschaftliches Umfeld an der Arbeitsstelle sorgen, so etwa mit einer entsprechenden Infrastruktur sowie mit den benötigten Geräten. In dieses Umfeld gehört auch ein gutes Mentoring. Gerade noch nicht so erfahrene Forscher*innen müssen am Anfang Entscheidungen treffen, z. B. über Thematiken, Fragestellungen, zu verwendende Techniken als auch rechtliche und ethische Rahmenbedingungen, die sehr schwierig sein können. Dabei kann man sehr von den Erfahrungen einer*s Mentor*in profitieren. Auch sollten frühzeitig entsprechende Kurse, wie z. B. über Good Clinical Practice (GCP) besucht werden. Insbesondere ist aber für die klinisch tätigen Kollegen wichtig, dass genügend Freiraum für wissenschaftliches Arbeiten besteht.Fachgesellschaften können durch das Ausloben von Stipendien und Forschungsförderungen wissenschaftliche Tätigkeiten fördern. Sehr gut ist natürlich auch die Vernetzung, wie z. B. in der YoungDGP, um dort andere Kolleg*innen mit ähnlichen Berufssituationen, Herausforderungen und Problemen zu treffen und sich auszutauschen.

Welche Angebote zur Wissenschaftsförderung in der Pneumologie gibt es bereits? Wie kann die Wissenschaft speziell in der Pneumologie weiter gefördert werden?

Die Förderung vor Ort ist natürlich immer von den lokalen Gegebenheiten abhängig. An akademischen Einrichtungen gibt es teilweise die Möglichkeit an Clinican Scientist-Programmen teilzunehmen, die eine Forschungstätigkeit strukturiert im Rahmen der Facharztweiterbildung erlaubt. Diese sind aber begrenzt und meist kompetitiv mit anderen Fachdisziplinen. Sonst besteht natürlich auch die Möglichkeit einer Förderung durch öffentliche Geldgeber, wie z. B. die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Diese Mittel sind auch sehr kompetitiv und erfordern nicht unerhebliche Vorarbeiten. Andere Förderer können Stiftungen sein oder Projekte, die durch Industrieunternehmen, wie z. B. pharmazeutische Unternehmen, gefördert werden. Preise und kleine Förderungen werden auch durch Fachgesellschaften wie der DGP oder Stiftungen wie der deutschen Lungenstiftung oder der Atemwegsliga zur Verfügung gestellt.

Braucht es eine stärkere Verankerung von Wissenschaft früh in der Ausbildung (Studium), z. B. in Form der verpflichtenden (Mit-)Arbeit an einem Forschungsprojekt?

Die frühen Möglichkeiten mit Forschung in Berührung zu kommen, wären sehr zu begrüßen. Fraglich ist, ob eine verpflichtende Aktivität sinnvoll ist. Dies bleibt zu diskutieren. Sicherlich ist eine tiefere Einsicht in Rolle und Möglichkeiten der Forschung hilfreich, auch wenn nur ein kleiner Teil der Studierenden sich aktiv mit eigenen Forschungsprojekten befassen werden. Interessierte haben natürlich auch heute schon die Möglichkeiten, im Rahmen von Doktorarbeiten und Promotionen sich tiefer mit Forschung zu beschäftigen.

Wie sehen Sie die Situation in Deutschland im Vergleich zum Ausland? Sind ausschließlich innerdeutsche wissenschaftliche Karrierewege international kompetitiv oder gehören wissenschaftliche Auslandsaufenthalte nach wie vor für eine akademisch-wissenschaftliche Karriere „dazu“?

Früher war bei vielen Kolleg*innen der wissenschaftliche Aufenthalt im Ausland, insbesondere in den USA, ein wichtiger Entwicklungsschritt in der wissenschaftlichen Laufbahn. Prinzipiell sind Forschungsaufenthalte in entsprechenden Einrichtungen im Ausland aber auch in Deutschland eine tolle Möglichkeit, sich wissenschaftlich weiterzuentwickeln. Die Tätigkeit in anderen Einrichtungen oder Instituten ermöglicht dabei eine komplett andere Perspektive auf die Forschungsthemen und ist meist sehr lehrsam. Wichtigere Parameter für eine wissenschaftliche Karriere sind aber die Fähigkeit, wissenschaftliche Projekte erfolgreich durchzuführen, Drittmittel einzuwerben, Ergebnisse in Fachzeitschriften zu publizieren und in der weiteren Entwicklung sich eine eigene Forschungsgruppe aufzubauen.

Welchen Rat können Sie jungen Kolleg*innen geben: Welche Eigenschaften/Voraussetzungen sollten er/sie für die wissenschaftliche Tätigkeit mitbringen? Nach welchen Voraussetzungen sollte er/sie am Arbeitsplatz Ausschau halten?

Am wichtigsten ist sicherlich Interesse, Neugier und der Wille, sich wissenschaftlich mit Fragestellungen auseinander zu setzen. Für eine solche Aufgabe sollte man sich begeistern können. Gerade in der Forschung sind Kreativität, teilweise unkonventionelle Herangehensweisen und Offenheit für manchmal nicht erwartete Resultate wichtig. Man braucht aber auch eine gewisses Durchhaltevermögen, eine hohe Frustrationstoleranz und manchmal auch ein dickes Fell. Gerade in der experimentellen Forschung kann es immer wieder zu Rückschlägen kommen. Diese Unvorhersehbarkeit macht aber den Reiz der Forschung aus. Forschungserfahrung hilft sicherlich jeder*m Kolleg*in in der Arbeit als Arzt, da diese Erfahrung bei der Bewertung von medizinischen Studien und Ergebnissen hiflt und auch fordert, sich systematisch und strukturiert einem (medizinischen) Problem oder einer Fragestellung zu nähern.

Die Fragen stellte Dr. med. Espen E. Groth, Großhansdorf.



Publication History

Article published online:
22 July 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany