Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2021; 28(05): 219-220
DOI: 10.1055/a-1520-3957
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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Milbenplage nach Zikadeninvasion

Mit beeindruckender Regelmäßigkeit wird der Osten der USA zum Schauplatz eines ungewöhnlichen Naturphänomens: Alle 17 Jahre schlüpfen hier Milliarden von Singzikaden – bis zu 370 Tiere pro Quadratmeter; so viele, dass sie auch auf dem Wetterradar als Wolken zu erkennen sind. Die folgenden Wochen verbringen die Tiere dann mit der Partnersuche und dem Eierlegen, wobei die Männchen mit über 80 Dezibel lautem Zirpen versuchen, die Weibchen auf sich aufmerksam zu machen – das entspricht in etwa der Laut- stärke eines Rasenmähers. Nach spätestens 2 Monaten ist die Plage dann wieder vorbei, die erwachsenen Tiere sterben und die frisch geschlüpften Larven vergraben sich kurz darauf im Boden, wo sie wiederum die nächsten 17 Jahre verbringen werden.

Juckende und schmerzende Quaddeln durch Milbenbisse

Die letzte Zikadeninvasion war dieses Früh- jahr in 15 Bundesstaaten zwischen New York und Georgia zu beobachten. Das Epizentrum lag in Washington, D.C., wo die Tiere durch ihre schiere Masse u. a. ein Begleitflug- zeug des amerikanischen Präsidenten am Abheben hinderten. Seit Ende Juli – also etwa einen Monat nach dem Absterben der erwachsenen Zikadenpopulation – tritt hier nun jedoch eine neue Plage auf: Zahlreiche Bewohner Washingtons und anderer Ost- küstenstaaten klagen seither über juckende und schmerzende Quaddeln von 0,5 bis zu 2 cm Durchmesser, die sich vor allem auf den Armen, den Schultern und im Nacken- bereich finden. Sie wirken wie ungewöhn- liche Insektenstiche, in den meisten Fällen wurde jedoch kein Verursacher bemerkt.

Hervorgerufen werden diese Quaddeln durch Bisse der Mottenmilbe Pyemotes herfsi. Die Weibchen dieser nur 0,2 mm großen Spinnentiere parasitieren eigentlich an Insekten: Sie injizieren ihren deutlich größeren Opfern – in der Regel Larven von Kleidermotten, Bienen oder Gallmücken – neurotoxinhaltigen Speichel, um sie zu läh-men und sich dann von deren Hämolymphe zu ernähren [1]. Dieses Jahr haben sie in den Milliarden Zikadeneiern und -larven eine perfekte Nahrungsquelle gefunden, so- dass sie sich innerhalb kürzester Zeit stark vermehren konnten: Ein Milbenweibchen gebiert etwa 250 Nachkommen, die sich unmittelbar nach der Geburt paaren und innerhalb einer Woche wiederum Nach- kommen in die Welt setzen. Aufgrund ihrer geringen Größe können sich die Milben auf der Futtersuche von Bäumen fallen und mit dem Wind forttragen lassen und sich so stark ausbreiten. Diese Verbreitungstaktik erklärt auch das gehäufte Auftreten der Bissstellen auf der oberen Körperhälfte.


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Bakterielle Infektionen durch Kratzen möglich

Der Mensch ist dabei lediglich ein Fehlwirt, der allerdings zum Herbst hin – wenn die Zikadenlarven geschlüpft sind, die Baumkro- nen verlassen und sich im Boden vergraben haben – vermehrt aufgesucht wird. Etwa 8–10 h nach dem Biss, der in der Regel unbemerkt erfolgt, bilden sich die bereits beschriebenen Quaddeln. Diese sind unge- fährlich, nur bei mehr als 100 Bissen waren in der Vergangenheit gelegentlich kurze Hos- pitalisierungen nötig. Durch Kratzen kann es jedoch zu bakteriellen Infektionen kommen.


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Vermutlich sehr hohe Fallzahl

Da in den meisten Fällen jedoch kein Arzt aufgesucht wird, ist es natürlich schwierig, das Ausmaß der aktuellen Plage einzu- schätzen. Zahlreiche Posts von Betroffenen auf diversen Onlineplattformen deuten jedoch auf eine sehr hohe Fallzahl hin. Und bei einem ähnlichen Ausbruch im Jahr 2004 (also zufällig vor 17 Jahren, auch wenn hier kein Zusammenhang zu Zikaden hergestellt wurde) litten schätzungsweise 54 % der Einwohner Crawford Countys im äußersten Osten von Kansas unter Milbenbissen [2].

Starker Regen, der die Milben von den Bäumen spült und die Ausbreitung durch die Luft erschwert, könnte die Fallzahlen im Laufe des Herbstes etwas senken. Be- endet wird die diesjährige Milbenplage aber vermutlich erst sein, wenn der Großteil der Blätter von Bäumen geweht wurde oder ein erster Frost aufgetreten ist. Ein ähnliches Phänomen ist dann erst wieder im Jahr 2038 zu erwarten.


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
05. November 2021

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  • Literatur

  • 1 Broce AB, Zurek L, Kalisch JA. et al Pyemo- tes herfsi (Acari: Pyemotidae), a mite new to North America as the cause of bite out- breaks J Med Entomol. 2006; 43: 610-613
  • 2 Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Outbreak of pruritic rashes associ- ated with mites – Kansas 2004 MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2005; 54: 952-955