Die Wirbelsäule 2023; 07(01): 9-10
DOI: 10.1055/a-1519-8107
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Lumbale Instabilität: Fusion versus dynamische Stabilisierung

Bastian Stemmer
1   Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Augsburg, Augsburg, Deutschland
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Auch die Wirbelsäule unterliegt einem Alterungsprozess. Aufgrund multipler Risikofaktoren kann sich dieser individuell unterscheiden. Bandscheibenprotrusion und Höhenabnahme des Bandscheibenfaches führen zu osteochondrotischen Veränderungen der Deck- und Grundplatten angrenzender Wirbelkörper. Diese Veränderungen bedingen zusammen mit einer Überbelastung der entsprechenden Facettengelenke neben der Spinalkanalstenose auch eine relative Segmentinstabilität.

Genau hier beginnt das Dilemma des Chirurgen. Auf der einen Seite möchte er den Eingriff z.B. durch eine reine mikrochirurgische Dekompression so klein wie möglich halten – auf der anderen Seite muss aber eine zunehmende degenerative Instabilität ebenfalls chirurgisch adressiert werden.

Die Spondylodese mit intervertebralem Cage ist üblicherweise die Methode der Wahl. Jeder Wirbelsäulenchirurg kennt aber genau diese desaströsen Verläufe, die ganz harmlos mit 4 Schrauben und einem Cage begonnen haben: Anschlussinstabilitäten, Implantatversagen, Durotomien, längere OP-Zeiten, höherer Blutverlust, aber auch längere Krankenhausaufenthalte in Verbindung mit Komorbiditäten.

Eine erhöhte Inzidenz von peri- und postoperativen Komplikationen bei komplexeren Wirbelsäuleneingriffen konnte bereits gezeigt werden (siehe z.B. [1]).

Vor diesem Hintergrund könnte die dynamische Stabilisierung zur Behandlung der degenerativen lumbalen symptomatischen Instabilität durchaus eine relevante Therapieoption darstellen.

Die dynamische Stabilisierung ermöglicht eine Restbeweglichkeit des instrumentierten Wirbelsäulensegmentes unter gleichzeitiger Verhinderung unphysiologischer Translations- und Rotationsbewegungen. Auch wenn es bereits einige Arbeiten zur dynamischen Pedikel-basierten Stabilisierung gibt, fehlte bisweilen tatsächlich eine multizentrische, prospektive und doppelt verblindete Studie. Die vorliegende Studie versucht nun diese Lücke zu schließen.

Eingeschlossen wurden Patienten mit einer mono- oder bisegmentalen Hypermobilität aufgrund einer degenerativen lumbalen Wirbelsäulenerkrankung mit und ohne Spinalkanalstenose. Die Spondylolysis oder Spondylolisthesis > Meyerding I° wurden ausgeschlossen.

Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich auf 24 Monate. Das klinische „Outcome“ wurde durch ODI, VAS und SF-36 Fragebögen erhoben. Interessanterweise zeigte sich hier im Verlauf der 2 Jahre zu keinem Zeitpunkt ein signifikanter Unterschied zwischen einer Fusion und einer dynamischen Stabilisierung.

Das heißt aber auch im Umkehrschluss, dass die dynamische Stabilisierung der herkömmlichen Spondylodese nicht unterlegen ist.

Darüber hinaus erbrachte die Analyse der chirurgischen Parameter sogar 2 signifikante Vorteile zugunsten der dynamischen Stabilisierung bez. der OP-Dauer und des Blutverlustes. Diese Vorteile führen laut Studie auch zu einer signifikanten Senkung der Krankenhausbehandlungskosten für die dynamische Stabilisierung.

Inwieweit die überwiegend minimalinvasivere Dekompressionstechnik in der Gruppe der dynamischen Stabilisierung (42% Laminektomie/58% Fensterung in der Spondylodese-Gruppe vs. 27% Laminektomie/73% Fensterung bei der dynamischen Stabilisierung) Einfluss auf diese Studienergebnisse hat bleibt leider unklar.

Aufgrund der erhaltenen Restbeweglichkeit, im Rahmen der dynamischen Stabilisierung, erhofft man sich eine Reduktion der Anschlussdegenerationen als regelmäßige Komplikation der Fusion. In der vorliegenden Studie konnte allerdings im 2-jährigen Beobachtungszeitraum kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt werden.

Die vorliegende Studie zeigt in jedem Fall, dass die dynamische Stabilisierung der herkömmlichen Fusion, in der Behandlung einer lumbalen degenerativen Instabilität, auf keinen Fall unterlegen ist. Es gibt sogar Hinweise, dass die dynamische Stabilisierung aufgrund ihrer geringeren Invasivität der Fusion gegenüber überlegen sein könnte. In den Fällen, in denen Sorge besteht, dass eine klassische Dekompression eine vorbestehende degenerative Instabilität zusätzlich begünstigen könnte, scheint die dynamische Stabilisierung ein sehr guter Kompromiss zur Fusion zu sein.

Dabei sollte jedoch m.E. ein besonderes Augenmerk auf die Indikationsstellung (z.B. Pseudolisthesis < Meyerding II°) gelegt werden.

Inwieweit die dynamische Stabilisierung zur Reduktion der Anschlussdegeneration tatsächlich beitragen kann, muss in Studien mit längeren Beobachtungszeiträumen geklärt werden und bleibt weiter spannend.



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Article published online:
27 February 2023

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