JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2021; 10(04): 173-174
DOI: 10.1055/a-1519-3490
BHK-Mitteilungen
Mitteilungen für die Mitglieder des Bundesverband Häusliche Kinderkrankenpflege e.V.

Katastrophaler Ausgang der operativen Behandlung einer hypertrophen Pylorusstenose bei einem frühgeborenen Kind

Der Fall: Mia P. wurde als Zwillingskind im Jahre 2016 in einem kleinen kommunalen Krankenhaus in der 33. Schwangerschaftswoche geboren. Ihr Geburtsgewicht lag bei 1.900 g, das des anderen Zwillingskindes bei 2.100 g. Die Entbindung erfolgte durch Sectio. Beide Kinder wurden in einem unter Berücksichtigung der Frühgeburtlichkeit guten Zustand geboren. Die Apgar-Werte, pH-Werte und sonstige Vitalwerte waren regelgerecht. Die Entwicklung beider Kinder machte in der Folgezeit gute Fortschritte. Die anfangs bei Mia vorgenommene Beatmung konnte am sechsten Lebenstag eingestellt werden. Ab dem neunten Lebenstag war auch keine Teilsondierung mit einer Glukoseelektrolytlösung zur Unterstützung des Nahrungsaufbaus mehr erforderlich, da das Kind nunmehr durch eigene Trinkleistung ausreichende Nahrungsmengen erzielen konnte.

Ab dem 20. Lebenstag kam es bei Mia jedoch zu einer neuen, bis dahin unerwarteten Komplikation. Das Kind behielt die zugeführte Nahrung nicht vollständig bei sich, sondern erbrach sie teilweise beziehungsweise spuckte einen Teil der Nahrung aus. Dies zog sich über mehrere Tage hin. Es blieb allerdings trotzdem bei einer im Rahmen des Normalen liegenden Gewichtszunahme.

Am sechsten Tag nach Beginn der Symptomatik wurde festgestellt, dass bei Mia eine hypertrophe Pylorusstenose vorlag. Diese Erkrankung hing nicht mit der Frühgeburtlichkeit des Kindes zusammen. Sie kommt auch bei reifen Neugeborenen vor. Die Erkrankungsinzidenz liegt bei etwa bei 1 : 500 Lebendgeborenen. Sie tritt im Allgemeinen etwa drei Wochen nach der Geburt in Erscheinung. Die genaue Ätiologie ist unklar. Wahrscheinlich besteht eine genetische Disposition. Das typische Symptom besteht in einem schwallartigen, nichtgalligen Erbrechen des Kindes. Die Kinder wirken hungrig, trinken gierig, bekommen danach jedoch offensichtlich Schmerzen und geben einen Teil der aufgenommenen Nahrung von sich.

Ursache des Phänomens ist eine Verdickung (Hypertrophie) des am Magenausgang sitzenden Pylorus, also des Magenpförtners, der den Übertritt der Nahrung aus dem Magen in den Zwölffingerdarm regelt. Ist die Durchlässigkeit des Pylorus eingeschränkt, so führt dies bei Nahrungsaufnahme rasch zu einer Überfüllung des Magens, auf die dann das Kind mit schwallartigem Erbrechen reagiert. Die Erkrankung ist im Allgemeinen nicht lebensbedrohlich. Die Kinder entwickeln jedoch, wenn die Erkrankung unbehandelt bleibt, eine Gedeihstörung infolge zu geringer Nahrungszufuhr mit Folgeerscheinungen (Dehydratation, Alkalose, Pseudoobstipation).

Eine konservative Behandlung ist möglich. Die Therapie besteht im Wesentlichen in einer Erhöhung der Zahl der Mahlzeiten mit gleichzeitiger Verringerung der jeweiligen Nahrungsmengen. Es bedarf zusätzlich einer Behandlung des dem Kind drohenden Wasser- und Salzverlustes. Die konservative Behandlung der hypertrophischen Pylorusstenose nimmt in der Regel mehrere Wochen in Anspruch. Am Ende kommt es bei konservativer Behandlung zu einer spontanen Rückbildung der Pylorushypertrophie. Daneben ist auch eine chirurgische Therapie möglich. Sie besteht in der Durchtrennung der Ringmuskulatur des Pylorus ohne Verletzung der Schleimhaut (Pyloromyotomie nach Weber-Ramstedt). Sie gilt heute als Therapie der Wahl, da mit ihr ein ausreichender Nahrungsaufbau wesentlich schneller zu erzielen ist. Die Operation hat eine hohe Erfolgsrate. Komplikationen der Operation sind relativ selten.

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Autor dieses Beitrags ist Rechtsanwalt Dr. Roland Uphoff, Fachanwalt für Medizinrecht. (Quelle: privat)

Im Fall Mia entschloss sich der behandelnde Arzt, das Kind nicht in die nahe gelegene Universitätsklinik zu verlegen, die auch über eine kinderchirurgische Abteilung verfügte, sondern die Operation im eigenen Krankenhaus durchzuführen. Dem entsprach die der Mutter des Kindes erteilte Aufklärung. Eine Behandlungsalternative wurde nicht erwähnt. Dies geschah, obwohl das Geburtskrankenhaus über keine kinderchirurgische Abteilung und auch über keinen auf die operative Behandlung von Neugeborenen spezialisierten Chirurgen verfügte. Bedenken gegen die Operation des Kindes im eigenen Krankenhaus ergaben sich auch aus der Beschaffenheit der Intensivstation des Krankenhauses, die in vielerlei Hinsicht nicht den Anforderungen an die Ausstattung von Intensivstationen entsprach.

Die Operation wurde einen Monat nach der Geburt vorgenommen. Zur Vorbereitung auf die Operation erhielt Mia am Vortag zwei zentralvenöse Verweilkatheter. Postoperativ ergaben sich zunächst keine Komplikationen. Am dritten Tag nach der Operation zeigten sich jedoch die Symptome einer Sepsis. Es zeigte sich, dass eine sogenannte Kathetersepsis vorlag. Eine Untersuchung einer Katheterspitze ergab deren Besiedlung mit Staphylococcus haemolyticus, einem typischen Krankenhauskeim, der durch Schmierinfektion übertragen wird; er ist der zweithäufigste Erreger nosokomialer Infektionen.

Das Auftreten der Sepsissymptomatik hat die behandelnden Ärzte zunächst nicht dazu veranlasst, das Kind in ein Krankenhaus höherer Qualifikationsstufe, insbesondere also in das nahegelegene Universitätsklinikum zu verlegen. Infolge der Sepsis trat jedoch nach kurzer Zeit eine weitere Komplikation ein, nämlich eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC). Es kam zu einer großflächigen Entstehung von Mikrozirkulationsstörungen, zunächst vor allem an Armen und Beinen des Kindes (Purpura fulminans). Dieses Krankheitsbild ist lebensgefährlich und führt sehr häufig zum Tod. Bei Mia entstanden im Bereich aller Gliedmaßen, dann auch an der Nase und den Lippen, schließlich auch am Gesäß und den Geschlechtsteilen großflächige Gangräne. Die behandelnden Ärzte erwogen unter dem Eindruck dieser aufsteigenden Symptomatik zunächst, das Kind aufzugeben, das heißt, die Behandlung einzustellen. Sie entschlossen sich jedoch dann aufgrund des Widerstands der Mutter, Mia in das nahegelegene Universitätsklinikum zu verlegen. Die Verlegung erfolgte am sechsten Tag nach der Operation.

Den Ärzten des Universitätsklinikums gelang es, die Sepsis niederzukämpfen. Es erwies sich jedoch als unumgänglich, bei dem Kind großflächige Amputationen des infolge unterbrochener Durchblutung nekrotisierten peripheren Körpergewebes vorzunehmen. Amputiert wurden in mehreren Operationsschritten beide Arme des Kindes oberhalb der Ellenbogengelenke und beide Beine in Höhe der Kniegelenke. Es bedurfte ferner einer Amputation des unteren Teils der Nase, beider Lippen sowie weiterer Amputationen im Bereich des Gesäßes und der Geschlechtsteile. Mia hat alle diese Eingriffe überstanden.

Der Fall beschäftigt inzwischen das zuständige Gericht, da eine außergerichtliche Einigung mit dem Krankenhausträger und seinem Haftpflichtversicherer nicht möglich war. Die Ärzte des Krankenhauses haben sich im Wesentlichen darauf berufen, dass der katastrophale Ausgang der Behandlung auf einer Kette „unglücklicher Zufälle“ beruhe, also als schicksalhaft zu beurteilen sei.

Die Operation bei Mia war sicherlich indiziert, auch wenn insoweit eine Behandlungsalternative bestand. Die sich an diese Operation anschließenden drei Schritte in die Schwerstschädigung von Mia (Katheterinfektion mit einem Krankenhauskeim, Sepsis, disseminierte intravasale Gerinnung mit der Folge einer Purpura fulminans) kann man zumindest auf den ersten Blick als unglückliche Zufälle ansehen, die nicht mit letzter Sicherheit vermeidbar gewesen seien. Eine solche Betrachtungsweise ist allerdings aus der Sicht eines auf Medizinschäden spezialisierten Anwalts einseitig und unzureichend.

Nach meiner langjährigen Erfahrung steht am Anfang einer medizinischen Katastrophe, wie sie sich hier ereignet hat, sehr häufig der Gedanke des behandelnden Arztes: Das kann ich auch! Gegen ärztlichen Ehrgeiz ist im Prinzip selbstverständlich nichts einzuwenden. Er muss aber mit dem notwendigen Maß von Selbstkritik verbunden sein, wobei sich die Selbstkritik nicht nur auf die eigenen ärztlichen Fähigkeiten, sondern auch auf Beschaffenheit und Ausstattung des Krankenhauses erstrecken muss, in dem die Behandlung vorgenommen wird. Das gilt für viele Operationen, ganz besonders aber für chirurgische Eingriffe an Neugeborenen, erst recht an frühgeborenen Kindern. Ein Arzt, der eine solche Behandlung wagen will, muss sich, ehe er sie übernimmt, selbstkritisch fragen, ob die Behandlung des betroffenen Patienten durch ihn nicht nur in seinem beruflichen Interesse, sondern auch im Interesse des Patienten liegt.

Wie gerade der hier geschilderte Fall zeigt, kann eine Behandlung, die, wenn sie von einem Spezialisten vorgenommen wird, fast immer gut ausgeht, bei der Übernahme durch einen anderen Arzt, der sich diese Behandlung nur zutraut, ohne sie wirklich zu beherrschen, und erst recht in einem Krankenhaus mit unzureichenden Behandlungsvoraussetzungen rasch in eine Katastrophe einmünden. Sie dann als „schicksalhaft“ zu bewerten, wird der Sachlage nicht gerecht.

Dr. Roland Uphoff, M. mel.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Kanzlei für Geburtsschadensrecht und Arzthaftung

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Article published online:
06 August 2021

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