Die Wirbelsäule 2021; 05(03): 147
DOI: 10.1055/a-1366-4257
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Operationsreihenfolge bei degenerativen Knie- und Wirbelsäulenschäden

Stefan Zwingenberger
1   UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfall- & Plastische Chirurgie, UniversitätsWirbelsäulenzentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
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Patienten mit degenerativen Erkrankungen der Lendenwirbelsäule leiden häufig auch an Arthrosen im Bereich der Hüft- und Kniegelenke. Entsprechend haben die Patienten auch Beschwerden, die auf ihre Wirbelsäulenerkrankung, Hüft- oder Knieerkrankung zurückzuführen sind und zum Teil eine sehr ähnliche Beschwerdesymptomatik verursachen können [1]. Zur richtigen Indikationsstellung ist es notwendig eine gründliche körperliche Untersuchung durchzuführen. Aufgrund der immer weiter zunehmenden operativen Spezialisierung behandeln Chirurgen häufig nur noch eine der 3 anatomischen Regionen operativ, müssen aber für die anderen beiden mitentscheiden. Da es keine klare Leitlinie gibt, welche der Pathologien bei gleichzeitigem Vorliegen zuerst versorgt werden sollte, liegt die Entscheidung immer individuell bei dem Spezialisten, bei dem sich der Patient gerade vorstellt. Während es zum Zusammenhang zwischen Hüft- und Wirbelsäulenpathologien bereits einige wissenschaftliche Artikel, Studien und auch Konferenzen gibt [2] [3] [4], ist der Zusammenhang zwischen Knie- und Wirbelsäulenpathologie bisher weit weniger beachtet. Goodman et. al befragten in ihrer Untersuchung sehr erfahrene Knie- und Wirbelsäulenchirurgen mit im Median jeweils 26 Jahren Erfahrung auf ihrem Fachgebiet, um eine starke Expertenmeinung zum Vorgehen bei gleichzeitigem Vorliegen von degenerativen Knie- und Wirbelsäulenerkrankungen zu erhalten. Die sehr erfahrenen Knie- und Wirbelsäulenchirurgen entschieden in ihrer Empfehlung sehr ähnlich, aber von Fall zu Fall signifikant unterschiedlich. Es ist anzunehmen, dass eine Untersuchung bei weniger erfahrenen Kolleginnen und Kollegen häufiger die Tendenz zur Indikationsstellung im Bereich der eigenen Spezialisierung gehabt hätte. Außerdem wurde den Chirurgen mit dieser Studie von vornherein präsentiert, dass Knie- und Wirbelsäulenpathologie gleichzeitig vorlagen. Wird der Patient mit hochgradiger Spinalkanalstenose mit aktuellem MRT der LWS zum Wirbelsäulenchirurgen überwiesen, besteht ein erhebliches Risiko, dass eine symptomatische, instabile Valgusgonarthrose übersehen wird. Gleiches gilt für Patienten, die mit ausgeprägter Gonarthrose und vorhandenen Röntgenbildern des Kniegelenkes dem Kniechirurgen vorgestellt werden. Eine möglicherweise zugleich vorliegende symptomatische lumbale Spinalkanalstenose oder ein L3 bzw. L4 Schmerzsyndrom könnten einfach übersehen werden. Es ist daher von größter Bedeutung sich selbst und seine Kolleginnen und Kollegen anzuhalten, jeden Patienten vor der Indikationsstellung über das eigene Spezialgebiet hinaus gründlich zu untersuchen und sein Fachwissen auch über den eigenen Spezialbereich hinaus aktuell zu halten, um für den Patienten die richtige OP-Indikation zu stellen. Die Untersuchung von Goodman et. al hat aufgrund der Ergebnisse basierend auf Expertenmeinungen nur Evidenzklasse IV. Um das Wissen im Bereich des „Hip-Knee-Spine Syndrome“ zu verbessern, ist es notwendig, entsprechende Patienten auch prospektiv zu untersuchen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
23. August 2021

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