CC BY-NC-ND 4.0 · Laryngorhinootologie 2021; 100(S 01): S1-S43
DOI: 10.1055/a-1349-3824
Referat

Embryologie, Fehlbildungen und seltene Erkrankungen der Cochlea

Article in several languages: deutsch | English
Athanasia Warnecke
1   Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover
2   Deutsche Forschungsgemeinschaft Exzellenzcluster”Hearing4all” – EXC 2177/1 - Project ID 390895286
,
Anja Giesemann
3   Institut für Neuroradiologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Auch wenn die einzelnen Krankheitsbilder selten sind, stellen seltene Erkrankungen der Cochlea in ihrer Gänze eine doch gehäufte Entität dar, die zu Hörstörungen führt. Ein/Das Ziel des vorliegenden Referates war es, unter Berücksichtigung der Embryonalentwicklung der Hörschnecke und einer systematischen Zusammenfassung eine übersichtliche Darstellung der seltenen cochleären Erkrankungen zu ermöglichen. Auch wenn rapide biotechnologische und bioinformatische Fortschritte die Diagnose einer seltenen Erkrankung erleichtern, so kann oft nur im interdisziplinären Austausch der Verdacht einer seltenen Erkrankung erhoben werden. Trotz gleicher zugrunde liegender Mutationen kann der Phänotyp nicht nur bei den genetisch bedingten Hörstörungen sondern auch bei den syndromalen Erkrankungen stark variieren. Schließlich wird deutlich, dass der Phänotyp der einzelnen seltenen Erkrankungen nicht ausschließlich durch die klassische Genetik bestimmt werden kann.


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Einleitung

Die Cochlea ist ein hochkomplexes Mikrosystem. In ihrem vollständig ausgebildeten Stadium besteht sie aus dem Spiralganglion (neuronales Gewebe gestützt von Satellitenzellen), dem Corti-Organ (Neuroepithel zur Sinneswahrnehmung), der Stria vaskularis (hoch vaskularisiertes Epithel, das für den Ionentransport verantwortlich ist) sowie der otischen Kapsel (Knochengewebe). Am Vorgang des Hörens ist das Immunsystem (endolymphatischer Sack) beteiligt, auch wenn die Cochlea zunächst als immunprivilegiertes Organ gesehen wurde. Ähnliches Gewebe wie in der Cochlea ist auch in anderen Organsystemen zu finden: Zum Beispiel besitzen Gehirn, Hirnnerven und periphere Nerven ein ähnlich aufgebautes neurales Netzwerk; ein komplexes und hoch-strukturiertes Sinnesepithel wie im Corti-Organ findet sich ebenfalls in der Retina; die Stria vaskularis und die Nierenkörperchen sind metabolisch hoch aktive Gewebe zur Aufrechterhaltung des Ionengleichgewichts. Diese strukturellen Ähnlichkeiten der Cochlea mit verschiedenen anderen Geweben spiegelt sich in der Tatsache wider, dass viele der Innenohrerkrankungen auch andere Organsysteme betreffen können.

Erkrankungen der Hörschnecke gehen in der Regel mit einer Hörminderung einher. Auch wenn Typ und Grad der Hörstörung sowohl subjektiv als auch objektiv gut gemessen werden können, so bleibt die Ursache der Hörstörung in den meisten Fällen unbekannt. Insbesondere die seltenen Erkrankungen der Hörschnecke bleiben oft undiagnostiziert und stellen eine besondere Herausforderung dar, v. a., weil vielen Allgemeinmedizinern aber auch Fachärzten viele seltene Erkrankungen weitestgehend unbekannt sind.

Für die Cochlea sind zahlreiche Erkrankungen als selten eingestuft (siehe Tabellen). Moderne molekularbiologische Verfahren haben in den letzten Jahren die Ursache der meisten seltenen Erkrankungen aufgedeckt, sodass sich daraus gelegentlich die Pathophysiologie ableiten lässt. Nicht selten hat das Studium einer seltenen Krankheit neue Erkenntnisse zur Funktion und zum molekularen Aufbau der Hörschnecke hervorgebracht oder könnte gar neue Behandlungsmethoden ermöglichen.

Im vorliegenden Referat werden alle den Autoren bekannten seltenen Erkrankungen gelistet und tabellarisch charakterisiert, bei denen primär auch eine Beteiligung der Cochlea vorliegt. Weitere, primär in den anderen Organsystemen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde auftretende seltene Erkrankungen, die auch die Cochlea betreffen können, sind den anderen Referaten dieser Ausgabe zu entnehmen (Seltene Erkrankungen des Mittelohres und der lateralen Schädelbasis: Weiss NM; Seltene Erkrankungen im Kopf-Hals-Bereich Teil III: Speicheldrüsen und Nervus Facialis: Scherl C; Seltene Erkrankungen des vestibulären Labyrinths: von Zebras, Chamäleons und Wölfen im Schafspelz: Dlugaiczyk J.) Bei der tabellarischen Listung wurde versucht, die Erkrankungen anhand ihrer Pathophysiologie oder Pathogenese zu gruppieren und so einen Überblick zu schaffen.

Ein weiterer Ansatz zum Verständnis der seltenen Erkrankungen der Hörschnecke ist die Kenntnis der Embryonalentwicklung. Dies ist insbesondere für die Malformationen und syndromalen Schwerhörigkeiten wichtig. Über die Embryonalentwicklung der Cochlea werden die molekularen Verbindungsglieder zwischen Herz, Niere und Augen, die bekannt sind, deutlich. Insbesondere die syndromalen Erkrankungen können lehrreich solche Verknüpfungen aufdecken.

Anhand der vaskulär bedingten seltenen Erkrankungen der Hörschnecke wird am Beispiel des SUSAC-Syndroms skizziert, wie schwierig die Diagnose sein kann und wie wichtig Interdisziplinarität und auch internationale Vernetzung sind. Vor allem wird deutlich, wie schwierig und langwierig der Weg zur Diagnose v. a. für den Patienten sein kann.

Anhand weiterer Beispiele (CHARGE-Syndrom, X-linked deafness) wird ebenfalls der Stellenwert der Interdisziplinarität gezeigt, insbesondere aber auch die Bedeutung der Bildgebung v. a. im Rahmen einer anstehenden symptomorientierten Versorgung mit einem Cochlea-Implantat.

Schließlich wird in der Zusammenfassung gezeigt, dass die meisten Erkrankungen trotz des gleichen genetischen Defektes eine Variabilität des Phänotyps aufweisen, die den klassischen Ansatz zur Diagnose anhand der Symptome erschwert. Andererseits zeigen sich Überlappungen bei bestimmten Erkrankungen, obwohl unterschiedliche genetische Defekte der Entstehung zugrunde liegen. Diese Beobachtungen stärken den Stellenwert der Elektrophysiologie, der Bildgebung und v. a. der modernen molekularen Diagnostik einschließlich der Proteom-Analysen, die die Basis in der fortschrittlichen HNO-Medizin der Zukunft darstellen könnte.


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1. Embryonalentwicklung und Morphologie der Cochlea

Ein fundamentaler Teil für das tiefe Begreifen eines Organsystems ist das Verständnis der molekularen Evolution der phänotypischen Ausbildung. Die Kenntnis der molekularen Mechanismen, die die Entwicklung des Innenohres bedingen, kann zur besseren Charakterisierung und Klassifizierung der seltenen Erkrankungen und Fehlbildungen beitragen. Daher wird im Folgenden die Embryonalentwicklung des Innenohres skizziert.

Man unterscheidet die Entwicklung von häutigem und knöchernem Labyrinth: während ersteres aus einem vom Ektoderm abgeschnürten Ohrbläschen entsteht, ist das knöcherne Labyrinth ein Derivat des Mesenchyms.

Die Ausbildung des Innenohres erfordert neben der Morphogenese auch die Spezifizierung des Zellschicksals. Die Morphogenese beschreibt die Ausbildung der Otozyste bis hin zu den flüssigkeitsgefüllten Räumen des Labyrinths und der Cochlea, beginnend aus einer flachen Verdickung des Ektoderms. Spezifizierung des Zellschicksals meint die Entwicklung von Neuronen, sensorischen Zellen sowie den zahlreichen nicht sensorischen Zellen des Innenohres. An diesen Prozessen ist eine Vielzahl von Genen und dadurch induzierte biochemische Prozesse beteiligt, die ein hochkomplexes spatiotemporales Expressionsmuster aufweisen. Die genauen Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen, sind bislang nur teilweise geklärt.

1.1 Morphogenese des Innenohres

Die meisten der Zelltypen, die das Innenohr eines Erwachsenen ausmachen, haben einen gemeinsamen Entwicklungsursprung in der otischen Plakode. Die otische Plakode ist der erste Schritt zur Entwicklung des Innenohres ([Abb. 1]; 3. Woche links). Es handelt sich hierbei um eine Verdickung des Ektoderms lateral des Rautenhirns, die sich durch Invagination ([Abb. 1]; 3. Woche) in das darunterliegende Mesenchym zu einer vesikulären Struktur, der Otozyste (Synonyme: Ohrblase, Ohrvesikel), entwickelt [1] ([Abb. 1]; 3. Woche, rechte Graphik). Die Otozyste teilt sich in einen vestibulären und cochleären Anteil ([Abb. 1]; 4. Woche), wobei die vestibulären Kompartimente des häutigen Labyrinths aus dem dorsolateralen und die cochleären Strukturen einschließlich Sacculus aus dem ventromedialen Abschnitt des Ohrvesikels hervorgehen [2].

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Abb. 1 Skizzierung der Morphogenese des Innenohres. Modifiziert nach Gray’s Anatomy, 41. Edition, 2016 [8], und nach Cummings, 7. Edition, 2020 [9]; Copyright Elsevier

Der cochleäre Anteil verlängert sich zu einer tubulären Struktur, dem Ductus cochlearis ([Abb. 1]; 5. Woche). Während des Längenwachstums entwickelt sich der Ductus cochlearis zu einer Spirale, und in der 8. Woche der Embryonalentwicklung sind die 2 ½ Windungen bereits vollständig ausgebildet ([Abb. 1]; 6.+9. Woche). In der 9. Embryonalwoche entwickelt sich das Corti-Organ: anfänglich zeigt es sich als eine Anordnung polygonaler Zellen, von denen alle mit einem Kinozilium und zahlreichen Mikrovilli auf ihrer Oberfläche [3] ausgestattet sind. Die Mikrovilli verschwinden innerhalb der nächsten Wochen zugunsten der Stereozilien [4], wobei diese sich zuerst auf den inneren und später auf den äußeren Haarsinneszellen entwickeln. Die Ausbildung der Stereozilien ist im Bereich der Basis der Cochlea deutlicher ausgeprägt als im apikalen Bereich. Sie ist das erste morphologische Zeichen der Haarsinneszelldifferenzierung. Nun zeigt sich auch die Anordnung der inneren und äußeren Haarsinneszellen: während sich eine einzelne Reihe innerer Haarsinneszellen entwickelt, kann die Anzahl der Reihen der äußeren Haarsinneszellen zwischen 3 und 4 variieren. Parallel dazu, also zwischen der 9. und 13. Embryonalwoche, bildet sich die Tektorialmembran, die sich über dem Corti-Organ ausbreitet. Die Bindung der Tektorialmembran mit den Stereozilien scheint über ein anfänglich unreifes Stadium, gekennzeichnet durch eine lockere Bindung, sich zu einem reiferen Stadium zu entwickeln, wo eine feste Verbindung zwischen äußeren Haarsinneszellen und Stereozillien ausgebildet wird. Bis zur 15. Woche erscheint das Corti-Organ als eine solide Zellmasse, die von einer dünnen Tektorialmembran bedeckt ist.

Alle Haarsinneszellen haben eine Reihe von Stereozillen entwickelt, allerdings erscheinen die inneren Haarsinneszellen reifer als die äußeren, mit einer ausgeprägten U-Form in der Anordnung der Stereozillien. Bis zur 22. Woche ist dieser Prozess abgeschlossen, die Stereozillien sind ausgereift und zeigen das gleiche Verteilungsmuster wie beim Erwachsenen.

Am Ende der 11. Embryonalwoche ist der Ductus cochlearis von Knorpel umgeben und es bilden sich flüssigkeitsgefüllte Räume aus, die sich bis zur 15. Woche in die Scalae tympani et vestibuli entwickelt haben. In der 18. Woche hat sich aus der soliden Zellmasse des Corti-Organs (benannt nach dem italienischen Anatomen Alfonso Giacomo Gaspare Corti, 1822–1876) bereits der Corti-Tunnel (Synonym: innerer Tunnel, Cuniculum internum) ausgebildet. Auch der Nuellsche Raum (Synonyme: mittlerer Tunnel, Cuniculus medius; benannt nach dem belgischen HNO-Arzt Jean Pierre Nuell, 1847–1920) hat sich ausgebildet und durch die Regression des Kölliker‘sches Organs (benannt nach dem deutschen Anatomen und Physiologen Rudolf Albert von Kölliker, 1817–1905), wird die Tektorialmembran frei. Beim Kölliker’schen Organ handelt es sich um eine Struktur (greater epithelial ridge, große epitheliale Leiste), die sich in der entwickelnden Cochlea vorübergehend ausbildet [5]. Sie besteht aus säulenförmigen Stützzellen, die ATP freisetzen. Dieses bindet sich an die ionotropen purinergen Rezeptoren (P2X-Rezeptoren) der inneren Haarsinneszellen und führt zur Depolarisation und zum Kalziumeinstrom. Dadurch wird der Effekt der Depolarisation durch Schall nachgeahmt, was zu einer periodischen Exzitation der Spiralganglienzellen führt. Auch andere Studien haben gezeigt, dass Ca2+-Spikes in neonatalen inneren Haarsinneszellen exzitatorische postsynaptische Ströme in den afferenten Dendriten der Spiralganglienzellen induzieren [6]. Nach Reifung der Cochlea und Einsetzen des Hörvermögens verschwindet diese ATP-induzierte intrinsische Aktivität der inneren Haarsinneszellen. Es wird angenommen, dass diese spontane Aktivität der inneren Haarsinneszellen und der Fasern des auditorischen Nervens auch beim Menschen vor dem Einsetzen des Hörens wesentlich für das Überleben der Neuronen des Nucleus cochlearis, für die korrekte Verschaltung der auditorischen Bahn und für das Ausbilden/Verfeinern der Tonotopie in den auditorischen Nuclei ist. Anders ausgedrückt bedeutet das, dass periphere, nicht sensorische Zellen, die sich im Kölliker’schen Organ befinden, für die Reifung der Hörbahn verantwortlich sind [7].

Zwischen der 20. und 22. Fetalwoche ist der Ductus cochlearis bereits deutlich länger und größer im Durchmesser, die Stria vascularis hat ihre charakteristischen 3 Zelllagen entwickelt und die Tektorialmembran ist deutlich ausgeprägter. Es kommt anschließend nach und nach zu einer Verlängerung der äußeren Pfeillerzellen und der äußeren Haarsinneszellen, und die Deitersschen und Hensenschen Stützzellen bilden sich aus. Am Ende des 2. Trimenons hat die Cochlea eine bereits reife Erscheinung, wobei die Synapsen der efferenten Hirnstammfasern noch nicht komplett ausgebildet sind.

Der N. cochlearis entwickelt sich aus einer Gruppe von Zellen (Neuroblasten), die sich aus dem medialen Abschnitt des Ohrepithels ablösen und in das darunter liegende Mesenchym einwandern. Sie bilden das VIII. (vestibulocochläere) Ganglion, woraus sich der 8. Hirnnerv entwickelt [10]. Die Ganglienzellen, aus denen sich der akustische Teil des Hörnervens ausbilden wird, ordnen sich um den Modiolus an, um das Spiralganglion zu formen. Aus diesen Ganglienzellen bilden sich Axone, die sich zentral zum Hirn und peripher zum Corti-Organ ausrichten. Die Axone bilden während der 5./6. Gestationswoche als Erstes eine Synapse mit den Hirnstammneuronen aus. Die Dendriten erreichen die Basis der Cochlea erst gegen Ende der 9. Embryonalwoche und bilden Kontakte mit den sich entwickelnden Haarsinneszellen zwischen der 10. und 12. Embryonalwoche aus [11]. Bereits Ende der 12. Gestationswoche beginnt die Ausbildung der klassischen afferenten Synapsen zwischen Neuronen und Haarsinneszellen. Dieses zeigt sich durch die Formung von mit Vesikeln umgebenden präsynaptischen Körpern an der Basis der inneren Haarsinneszellen, welche in der 13. Woche auch bei den äußeren Haarsinneszellen zu beobachten sind. In der 14. Fetalwoche sind die Synapsen der Spiralganglienzellen mit den inneren und äußeren Haarsinneszellen von basal nach apikal ausgebildet, wobei die Myelin-formenden Schwannzellen sich erst mit der 15. Fetalwoche nachweisen lassen. In diesem frühen Stadium sind die äußeren Haarsinneszellen ausschließlich afferent innerviert; die Ausbildung axo-somatischer Synapsen mit dem efferenten System entwickelt sich beim Menschen erst mit dem Einsetzen der cochleären Funktion, also erst um die 20. Woche. Diese Beobachtung in der Embryonalentwicklung der Synapsenformung scheint einen evolutionären Prozess widerzuspiegeln. Während die äußere Haarsinneszellen am Anfang durch die Synapsenausbildung rein sensorische Aufgaben übernimmt (die Weiterleitung auditorischer Signale an das Gehirn), können durch die efferente Verschaltung am Ende der Reifung des Corti-Organs spezifische Aufgaben übernommen werden, wie z. B. die Beeinflussung der cochleären Mikromechanik. Dieser Prozess ist in den basalen und mittleren Regionen der Cochlea deutlicher ausgeprägt als in den apikalen Regionen. Dies scheint insbesondere an den wenigen efferenten Fasern zu liegen, die nach apikal auswachsen und den äußeren Haarsinneszellen das Innervationsmuster für eine rein sensorische Funktion erhalten. Betrachtetet man parallel die Ziliogenese, so wird deutlich, dass der apikale Bereich in einem unreiferen Stadium verbleibt, sodass basierend auf der Embryonalentwicklung die Cochlea korrekterweise in einen basalen und einen apikalen Part unterteilt werden sollte. Ab der 22. Fetalwoche zeigt sich eine Myelinisierung innerhalb der Cochlea und dünne Myelinscheiden sind bereits sichtbar [12]. In der 24. Fetalwoche zeigt sich die Ausdehnung der Myelinscheide bis zu dem Austritt des Nervens aus dem Temporalknochen. Ab diesem Punkt erfolgt die Myelinisierung durch Oligodendrozyten, welche sich bereits am Nerven angesiedelt haben. Die zentrale Myelinisierung ist zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erfolgt [13].

Zwischen der 7. und 8. Embryonalwoche sind die Zentren und Bahnen der Hörbahn bereits entwickelt. Die Neuronen des Hirnstamms, die von den unreifen Axonen des Hörnervens Informationen enthalten, lassen sich am Rande des Hirnstammes als Nuclei cochleares identifizieren. Ein Teil davon kreuzt im Hirnstamm und projiziert seine Ausläufer weiter zentral in den kontralateralen Nucleus olivaris superior [14]. Der andere Teil steigt als Lemniscus lateralis in den Colliculus inferior. Im dorsalen Bereich des Thalamus lässt sich in der 8. Embryonalwoche ein Teil als Corpus geniculatum mediale identifizieren, der von den Axonen aus dem Colliculus erreicht wird. Zwischen der 9. und 13. Woche kommt es lediglich zum Größenwachstum im Bereich des Hirnstammes und zu keiner weiteren strukturellen Veränderung. Dennoch sind die Neurone des Hirnstamms noch sehr klein und unreif, obwohl der Zellkern relativ gut entwickelt ist. Im Verlauf des 2. Trimenons kommt es nicht nur zu einer Vergrößerung der Neurone, sondern auch zur Ausbildung von Zytoplasma und Zellorganellen. Gegen Ende der 24. Fetalwoche zeigen sich auch vermehrt Zytofilamente in den auditorischen Neuronen. Auch in den Axonen der Neurone des Hirnstamms kommt es im 2. Trimenon zu einer beschleunigten Reifung. Neurofilament, gegen Ende der 16. Woche nur in wenigen Neuronen des Nervus cochlearis nachweisbar, ist am Ende des 2. Trimenons gebündelt als Faszikel im Bereich des Nervus cochlearis und des Hirnstammes deutlich zu sehen.


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1.2 Molekularbiologie der Embryonalentwicklung

Die otische Plakode, aus der das gesamte Innenohr sich entwickelt, ist Teil einer Reihe von kraniofazialen Plakoden, aus denen sich verschiedene Strukturen entwickeln (z. B. das olfaktorische Epithel, Neuronen verschiedener kranialer sensorischer Ganglien, die Augenlinse). All diese Plakoden entstehen in der prä-plakodalen Region, die durch die Expression eines gemeinsamen Satzes von Transkriptionsfaktoren (Six1, Eya2 und Foxi3) gekennzeichnet ist [15] . Die Ohrblase (Otozyste) entwickelt sich aus der prä-plakodalen Region auf Höhe der Rhombomere 5 und 6 unter Einfluss des FGF-Signalweges [15]. Die Transkriptionsfaktoren Pax2 und Pax8 sind Marker der Ohrblase. Für die Ausrichtung des Innenohres werden Genexpressionsprofile innerhalb der Ohrblase, in dem an der sich entwickelnden Ohrblase angrenzenden Gewebe, innerhalb der Grenzen zwischen otischem und angrenzendem Gewebe sowie innerhalb der Grenzen der Kompartimente, in denen die entwickelnde Ohrblase schematisch eingeteilt werden kann, verantwortlich gemacht ([Abb. 2] und [3]). Das Rautenhirn ist in Segmenten angeordnet, die als Rhombomere bezeichnet werden. Jedes Rhombomer ist in der Lage, spezifische Gene zu exprimieren. Die otische Plakode grenzt an Rhombomer 5 und 6, weshalb diesem Bereich eine bedeutende Rolle in der axialen Organisation sowie in der Spezifizierung der Schicksale der Zellen des Innenohres zugewiesen wird. Mausmutanten, die Defekte des Rhombenzephalons im Bereich der Rhombomere 5 und 6 aufweisen, bei denen allerdings die Grenze zwischen Rhombomer 5 und 6 erhalten ist, zeigen eine normale Ausbildung des Innenohres. Die Grenze zwischen den beiden Rhombomeren entspricht nahezu exakt der Mittellinie der Ohrblase und bedingt womöglich die Spezifizierung der Zellen der Otozyste zum anterioren und posterioren Kompartiment. Da diese beiden Rhombomere sich sehr früh entwickeln, können sie mit unterschiedlichen Signalen die Entwicklung der anterioren und posterioren Otozyste beeinflussen [16]. Für die Signaltransmission zwischen Zellen der Otozyste und Zellen des Rhombenzephalons konnte das Eph/Ephrin System verantwortlich gemacht werden [17]. Während die Zellen des Rhombomers 6 hohe Konzentrationen der Liganden Ephrin B2 und B3, exprimieren, ist in Rhombomer 5 eine hohe Dichte der Rezeptoren EphA4, A7, B2 und B3 vorhanden [18] [19]. Das bedeutet, dass die postero-medialen Zellen der Otozyste, welche sich in direktem Kontakt zu Rhombomer 6 befinden, Ephrin-vermittelte Signale erhalten, hingegen Zellen, die zu Rhombomer 5 benachbart sind, dies nicht tun. Womöglich werden diese Signale direkt an den dorsalen Pol der Ohrblase weitergeleitet, wo die Zellen der otischen Plakode in direktem Kontakt zu Zellen aus dem Neuralrohr kommen, weil es dort zu keiner Abgrenzung durch eine Basallamina kommt. Das würde von Anfang an bedingen, dass in der sich entwickelnden Otozyste sich gegeneinander abgegrenzte Kompartimente ausbilden, nämlich das antero-mediale und postero-mediale Kompartiment [16]. Diese Kompartimente sollen für die Anordnung der Zellen und die innenohrspezifische Ausbildung und Ausrichtung des Organs verantwortlich sein. Sie sind durch ihr Genexpressionsprofil gekennzeichnet und definieren und begrenzen die Zellabstammung. Das bedeutet, dass zum einen Zellen in den entsprechenden Kompartimenten die Lokalisation und Struktur der Cochlea und der Bogengänge, des Utriculus, Sacculus sowie des Ductus endolymphaticus bedingen, zum anderen die Vermengung der Zellen unterschiedlicher Linien nicht oder nur erschwert möglich ist ([Abb. 3]). Darüber hinaus entscheidet wahrscheinlich die Genexpression innerhalb des Kompartiments, welches sensorische Organ (Cortisches Organ, Crista oder Macula) sich ausbilden soll. Lösliche Faktoren sowie Oberflächenmoleküle von Zellen könnten dann durchaus die Zellen entlang der Grenze zwischen den Kompartimenten beeinflussen, allerdings nur solche, die sich in unmittelbarer Nähe der Grenze befinden. Deren Diffusion erscheint zwar möglich, allerdings nur in einem Umkreis von wenigen hundert Mikrometern. Solche Faktoren könnten zum Beispiel Morphogene sein, was bedeuten würde, dass Strukturen, die in die Länge auswachsen, durch die Grenzzone zwischen 2 Kompartimenten induziert werden, hingegen morphologisch punktuell begrenzte Organe wie die Crista sich nur an der Grenze zwischen drei Kompartimenten ausbilden können, damit eine höchst genaue Lokalisation erreicht werden kann.

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Abb. 2 Der Ort der Ausbildung der otischen Plakode entlang der Körperachse wird über die Expression von „fibroblast growth factors(FGF) aus dem Neuralrohr definiert [20]. Durch die Freisetzung von FGF im periotischen Mesoderm kurz vor der Ausbildung der otischen Plakode [21] kommt es zur Expression etlicher Transkriptionsfaktoren, die für Entwicklung des Innenohrs notwendig sind [22] [23]. Die Ausrichtung der anteroposterioren Achse beginnt mit der Expression von FGF10, „lunatic fringe“ (Lfng), Delta 1, Neurogenin1 (Ngn1) und „neuronal differentiation factor“ (NeuroD1) in der vorderen Region der invaginierenden otischen Plakode. Dieses Genexpressionsmuster beschränkt sich auf die vordere Region der Otozyste. Diese Beschränkung wird durch Tbx1 vermittelt, das ausschließlich in der posterioren Hälfte der Otozyste exprimiert wird. Die dorsoventrale Achse ist abhängig von der WNT- und SHH-Expression im Rautenhirn. WNT wird im dorsalen Bereich exprimiert und bedingt die Hochregulierung von Dlx5, Dlx6, Hmx2, Hmx3 und Gbx2, Gene, die die Entwicklung der vestibulären Strukturen in der dorsalen Region der Otozyste verantworten. Demgegenüber steht die Expression von SHH aus dem Notochord, welches das Schicksal (auditorisch) der Zellen im ventralen Teil der Otozyste bestimmt, indem es die Expression der Transkriptionsfaktoren Pax2, Ngn1, Lfng, NeuroD1, Sox2 und Six1 reguliert. BMP („bone morphogenetic protein“) und SHH hemmen sich gegenseitig, sodass BMP eine wesentliche Rolle bei der Morphogenese des Innenohrs zugesprochen wird. (Skizze modifiziert nach [24] [25]).
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Abb. 3 Schematische Darstellung der Kompartimente des sich entwickelnden Innenohres und Lokalisation der verschiedenen Organe (Corti-Organ: OC, Sacculus: S, Utriculus: U, Ductus endolymphaticus: ED, Cristae der Bogengänge: AC, PC und LC) sowie der Achsen (AP: antero-posterior; DV: dorso-ventral; ML: medio-lateral). Die Ausrichtung in der antero-posterioren Achse erfolgt vor der Ausrichtung nach dorso-ventral [26]. Die dorsoventrale Achse ist bis zur Ausbildung der Otozyste noch nicht festgelegt [27]. Die Achsenspezifikation beginnt bereits mit der Ausbildung der otischen Plakode und hängt von Faktoren ab ([Abb. 2]), die von den Rhombomeren 5 und 6 des Rautenhirns exprimiert werden. Sobald ein Rhombomer entlang der dorso-ventralen Achse in ovo rotiert ist, verschiebt die Expression der ventralen Gene Lfng, NeuroD1 und Six1 (siehe Tabelle BOR-Syndrom) in die dorsalen Regionen der Otozyste, wohingegen die Expression dorsaler Gene wie Gbx2 gehemmt ist. Dies bedeutet, dass durch Rotation der Rhombomere ventrale Bezirke des Rautenhirns ventrale Bereiche der Otozyste in dorsales otisches Gewebe transformieren können [26]. Die Ausbildung der Organe des Innenohres nach dem Stadium der Otozyste ist von der Expression von Gata3 (Siehe Tabelle Bakarat-HDR-Syndrom), Eya1 (siehe Tabelle BOR-Syndrom) und FGF3/8 (siehe Tabelle Kallmann-Syndrom) abhängig, wie Untersuchungen an Gata3-, Eya1- und FGF3/8-defizienten Mäusen gezeigt haben [28] [29] [30]. SHH (siehe Tabelle Inkomplette Partition und Carpenter-Syndrom) sowie Pax2 sind cochleäre Gene, da Mutationen in diesen Genen, lediglich die Ausbildung eines kurzen, geraden Ductus cochlearis erlauben. Als vestibuläre Gene werden hingegen Gbx2, Hmx2, Hmx3 sowie WNT bezeichnet, da ein Ausfall einer dieser Gene zu morphologischen Defekten in Sacculus, Utriculus oder den Bogengängen führt. (Zeichnung modifiziert nach Brigande et al., 2000 [16].)

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1.3 Ausbildung der Haarsinneszellen

Verschiedene lösliche Faktoren sind zur Induktion der otischen Plakode notwendig: FGF aus dem Mesoderm und dem Neuroektoderm, SHH vom Notochord und der Bodenplatte des Neuralrohrs, WNT aus dem Rautenhirn sowie BMP aus dem Ektoderm. Der anteriore Bereich der Otozyste, in dem sich die neurosensorischen Zellen des Innenohres entwickeln, ist durch die Expression von Lfng, Sox2 und Eya1 gekennzeichnet [31], während im dorsalen Anteil in der nicht-sensorischen Region Tbx1 und Lmx1a exprimiert werden. Innerhalb der prosensorischen Region wird sehr früh der proneuronale Transkriptionsfaktor Neurog1 hochreguliert. Dieser ist nicht nur für die Ausbildung der Neuronen notwendig, sondern ist ebenso maßgeblich an der Ausbildung des sensorischen Epithels inklusive der Haarsinneszellen beteiligt [32]. Er gehört zu den basischen „helix-loop-helix“ (bHLH)-Transkriptionsfaktoren und wird gemeinsam mit Neurod1 von proliferierenden Vorläuferzellen exprimiert. Für die Ausbildung von Haarsinneszellen ist das bHLH-Gen Atoh1 (Atoh1 (Atonal-homolog-1)/Math1 (murine atonal homolog 1)/ Hath1 (Human atonal homolog 1) notwendig [33] [34]. Darüber hinaus sind zum Erhalt und zur Ausbildung der Haarsinneszellen der Pou-Domänen-Transkriptionsfaktor Pou4f3, der Zinkfingertranskriptionsfaktor Gfi1 und der Homöodomänenfaktor Barhl1 notwendig [32]. Das einzigartige und hochspezifische Muster der Zellanordnung im sensorischen Epithel des Innenohres, wo Haarsinneszellen und Stützzellen alternierend angeordnet sind, lässt vermuten, dass hierbei eher lokale Zellkommunikationsmechanismen eine übergeordnete Rolle spielen und weniger prädeterminierte Zellspezifikation. Der Notch-Signalweg reguliert die Determination des Zellschicksals in zahlreichen Organsystemen [35]. Während der Entwicklung des Innenohrs ist Notch (siehe Tabelle Hajdu-Cheney-Syndrom) anfänglich im gesamten Epithel verbreitet, mit Differenzierung der Haarsinneszellen jedoch wird seine Expression auf die Stützzellen beschränkt. Delta1 und Jagged2 hingegen werden von Haarsinneszellen der Maus-Cochlea etwa einen Tag nach Beginn der Math1-Expression synthetisiert [36]. Hierbei exprimieren die Zellen, die sich zu Haarsinneszellen entwickeln sollen, Jagged1, welches die Notch-Aktivität in den benachbarten Zellen steigert und sie somit zur Adoption eines anderen Zelltyps (den der Stützzelle) zwingt. Dieser Prozess wird laterale Inhibition genannt.

Die Ausbildung der apikalen mechanosensorischen Region (des Ortes, an dem die Stereozillien lokalisiert sind) spielt für die Funktion der Haarsinneszellen eine vitale Rolle. Die mit Aktin und anderen zytoskelettalen Proteinen bepackten Stereozillien der Haarsinneszellen sind V-förmig in Reihen aufsteigender Höhe organisiert. Diese Organisation ist durch das gesamte Corti-Organ uniform, wobei die Spitze des V immer in die Peripherie des Ductus cochlearis zeigt und für die korrekte Funktion unabdingbar ist [37]. Bei der Orientierung der Haarsinneszellbündel spielt der Wnt/planare Zell-Polarität Signalweg eine wesentliche Rolle. Die asymmetrische Verteilung der planaren Zell-Polarität-Proteine Frizzled (Fzd), Dishevelled (Dvl), Van Gogh (Vangl) und Prickle (Pk) führen zur Polarisation der Haarsinneszellen. Es hat sich gezeigt, dass Fzd und Dvl Proteine einen Komplex auf der einen Seite der Zelle formen, hingegen Vangl und Pk sich auf der kontralateralen Seite anordnen [38]. Es wird davon ausgegangen, dass die Untereinheit des Kinesin-II Motor Komplexes, Kif3a, die Haarsinneszellorganisation reguliert. In Kif3a mutanten Mäusen fehlt das Kinozilium, der Ductus cochlearis ist verkürzt und die Form der Haarsinneszellbündel erscheint abgeflacht [39]. Störung der Zilien, sog. Ziliopathien sind das Charkteristikum des Bardet-Biedl- und des Senior-Løken-Syndroms ([Tab. 1]).


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1.4 Ausbildung der Spiralganglienzellen

Bei der Entwicklung des zentralen Nervensystems sind basische „helix-loop-helix“ (bHLH) Transkriptionsfaktoren für die proneuronale Spezifikation von Zellen verantwortlich, wohingegen die laterale Inhibition, bedingt durch das Delta/Notch-System, die neuronale Differenzierung in den Nachbarzellen durch Aktivierung der inhibitorischen Effektorgene Hes und Hey hemmt [40]. Etliche lösliche Faktoren wie Wnt (Wingless), FGF, BMP und Shh (sonic hedgehog) induzieren neuronale Progenitorzellen [41], die proneuronale Gene exprimieren und den Schicksalswechsel zur Gliaformation über Aktivierung des COUP-TF/II Transkriptionsfaktors erlauben [42]. Diese basalen Muster der Embryonalentwicklung des Nervensystems sind auch bei der Ontogenese des Innenohres zu beobachten. Es ist anzunehmen, dass die gesamte Otozyste zur Neuroblastenformation befähigt ist. Bereits kurz nach der Invagination der otischen Placode, erfolgt eine Delamination von Neuroblasten aus der anterioren und ventralen Region, die als neurosensorische Domäne bezeichnet wird und aus der das VIII. kraniale Ganglion (auch als Cochleovestibularganglion bekannt) entsteht [15]. Zur Differenzierung von Spiralganglienzellen wird der proneuronale bHLH Transkriptionsfaktor Neurogenin1 (Ngn1) benötigt. Nach einer initialen Überexpression von Ngn1 findet innerhalb der sich ausbildenden Spiralganglien eine Hochregulierung von Neurod1 sowie Delta- und Notch-Genen statt, während Ngn1 selbst runterreguliert wird [43]. Die Expression von Gata3 scheint ebenfalls bei der Ausbildung der Neuronen eine wesentliche Rolle zu spielen, insbesondere bei der Anbindung nach zentral. Allerdings konnte dies bislang nicht detailliert geklärt werden, da Gata3 bereits frühzeitig in der Embryonalentwicklung wesentlich zur Ausbildung des Innenohrs beiträgt und eine systemische Deletion von Gata zur Einschränkung der Ausbildung des Innenohres führt [44]. Die Entwicklung der Neuronen hängt unter anderem auch von der Expression von Pou4f1 (frühere Bezeichnung Brn3a) ab [45]. Während ihrer Entwicklung migrieren Spiralganglienzellen vom Ductus cochlearis zum Canalis spiralis modiolus (Rosenthal-Kanal). Sie erreichen ihre postmitotische Phase bereits im Ductus cochlearis in einem basoapikalen Gradienten, d. h. erst treten die Neurone der basalen und mittleren Cochleaabschnitte aus dem Zellzyklus, etwas später die der apikalen Abschnitte. Die auswachsenden Dendriten sortieren und retrahieren sich so, dass die inneren und äußeren Haarsinneszellen nach einem entsprechenden Muster innerviert werden. Dieser Prozess scheint über das G-Protein RhoA-GTP und die Rho-assoziierten GTP-bindenden Proteine Rnd2 und Rnd3 reguliert zu sein. Es hat sich gezeigt, dass ektope Haarsinneszellen in der Lage sind, Verbindungen mit den Spiralganglienneuronen auszubilden [46], sodass man davon ausgehen kann, dass die Haarsinneszellen die Dendriten der Neurone anziehen. Dies könnte möglicherweise erklären, warum Patienten mit schweren Fehlbildungen des Innenohres (z. B. inkomplette Partition) dennoch von einer Cochlea Implantation profitieren können.

Die Region, die sich zum Corti-Organ entwickelt, exprimiert neurotrophe Faktoren interessanterweise noch vor der Haarsinneszelldifferenzierung, sodass sich entwickelnde Neuriten in das Corti-Organ auswachsen, auch wenn die Ausbildung der Haarsinneszellen fehlt [47]. Erreichen sie jedoch die Habenula perforata, benötigen sie einen Reiz, der von den Haarsinneszellen ausgeht, damit sie weiter in Richtung der großen epithelialen Leiste bzw. der Haarsinneszellen auswachsen [48]. Solche Faktoren können Semaphorin/Neuropilin1, Eph/Ephrin sowie Slit/Robo sein, deren Expression einen Weg definiert, entlang dessen die Dendriten auswachsen können [49]. Morphogene wie Wnt und Shhs werden so exprimiert, dass sich ein dorso-ventraler Gradient ausbildet, der für die Ausbildung der Cochlea notwendig ist [24]. Ferner werden Wnt und Shh eine wesentliche Rolle beim richtungsorientierten Auswachsen der Axone zugesprochen. Damit die Neuriten der Spiralganglienneurone auswachsen, wirken Wnt und Shh gemeinsam mit den Wachstumsfaktoren FGF und BMP [48]. Typ I und Typ II Spiralganglienneurone leiten Reize aus den inneren und äußeren Haarsinneszellen respektive nach zentral weiter. Wann sich dieses Innervationsmuster, welches sich ganz klar beim Erwachsenen zeigt, ausbildet, ist noch unklar. Allerdings scheint dieser Prozess eng an die Peripherin-Expression der Typ II Spiralganglienneurone gekoppelt [50]. Ein weiteres Protein, das bei der Koordinierung des Auswachsens der Neuriten von Typ II Neuronen nicht nur in den Spiralganglienzellen, sondern womöglich auch in den Stützzellen, an denen die afferenten Fasern entlangwachsen sollen, hochreguliert wird, ist Prox1 [51].

Die Expression der Neurotrophine BDNF und NT3, sowie deren Rezeptoren NTRK2 und NTRK3 regulieren sowohl das Überleben als auch das Auswachsen der sich entwickelnden Spiralganglienneurone. Bei der sich entwickelnden Cochlea bildet sich von apikal nach basal ein BDNF-NT3-Gradient aus [52]. Fehlt BDNF, so kommt es zur Ausbildung einer normalen Cochlea mit einer Reduktion der Neurone um ca. 7–15%. Fehlt hingegen NT3, so fehlt die Innervation der basalen Cochlea komplett und ist im mittleren Abschnitt reduziert [48]. Beim Fehlen der Neurotrophine kommt es jedoch nicht nur zu Aberrationen bei der neuronalen Entwicklung im Innenohr. Auch der Ductus cochlearis ist deutlich kürzer, die Haarsinneszellen bilden multiple, unorganisierte Reihen aus, ähnlich wie bei Neurod1-defizienten Mäusen [43].


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1.5 Regenerative Faktoren

Obwohl die Entwicklung des Innenohrs ein sehr komplexer und multifaktoriell beeinflussbarer Prozess ist, kann die gezielte Modulation einzelner Signalwege einen Ansatz für regenerative Therapien ermöglichen. Die Studie REGAIN (REgeneration of hair cells with a GAmma-secretase-INhibitor) zielt darauf ab, durch Hemmung des Notch-Signalwegs Patienten mit bis zu mittelgradigem Hörverlust zu behandeln. Hierbei soll mit dem Notch-Inhibitor LY3056480 die Regeneration von Haarsinneszellen im Innenohr, die mit zunehmendem Alter verloren gehen, ermöglicht werden [53]. Des weiteren hat die Entdeckung Wnt-reaktiver Vorläuferzellen in der murinen Cochlea, die positiv für LGR5 sind [54], gezeigt, dass Haarzellregeneration durch die Blockierung des Notch-Signals gefördert wird [55] und in der erwachsenen Cochlea auch bei Säugetieren durchaus möglich ist [56]. Im Rahmen der humanen Embryonalentwicklung des Innenohrs steigt die Expression von LGR5 von der 8. bis zur 12. Gestationswoche an [57]. In diesem Zeitraum findet auch die Entwicklung des Corti-Organs statt. Interessanterweise ist der LGR5-Proteinkomplex, der in den apikalen Polen des sensorischen Epithels der Cochlea nachgewiesen wurde, ab der 12. Gestationswoche nur noch auf die Haarsinneszellen begrenzt [57].

Aktuelle Studien zeigen, dass insbesondere auch Proteoglykane der extrazellulären Matrix an der Entwicklung der Haarsinneszellen und Spiralganglienneurone beteiligt sind, indem sie bestimmte Gene hoch- oder runterregulieren [58].


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1.6 Embryonale Entwicklungsprinzipien – Verknüpfung zu anderen Organsystemen

Im Rahmen der Organogenese werden im Rahmen der Embryonalentwicklung organspezifische Gene hochreguliert, während Gene, die an der Zellteilung und der allgemeinen Morphogenese beteiligt sind, herunterreguliert werden [59]. Später werden dann Gene hochreguliert, die organspezifische Funktionen kodieren [59]. Speziesübergreifende und longitudinale Genexpressionsanalysen zeigen eine hohe Überlappung des Transkriptoms über die gesamte embryonale Entwicklungsspanne und insbesondere von Gehirn, Kleinhirn, Leber, Niere, Testis und Ovarien [59].

„Next generation sequencing“ Analysen zeigen auf, dass neben den „house keeping“ Genen, die hauptsächlich den Metabolismus koordinieren, auch spezifische Gene für die Organentwicklung und selektive Gene für einen „Crosstalk“ und Interaktion zwischen den Organen exprimiert und als „organ pattern genes“ zusammen gefasst werden [60]. Die spezifischen biologischen Eigenschaften dieser Organmustergene können mögliche Hinweise auf neue Biomarker oder therapeutische Ziele für eine präzise und effiziente Prognose und die Behandlung komplizierter und v. a. auch seltener Krankheiten liefern [60]. Auch könnten sie erklären, wie ein Gendefekt zur Beteiligung verschiedener Organsysteme führt.

Die obige Skizzierung der Embryonalentwicklung der Cochlea und des Hörnervens zeigt, dass die einzelnen Prozesse deutlich komplexer sind und von vielen verschiedenen Faktoren abhängen. Dies zeigt sich insbesondere auch bei den Malformationen, die häufig nicht, wie initial angenommen, den Arrest der Entwicklung zu bestimmten Zeitpunkten widerspiegeln. Verschiedene Gene und Genfamilien sind für die Entwicklung des Innenohrs verantwortlich und viele dieser Gene und Genfamilien sind ebenso Regulatoren der Organogenese anderer Systeme. Zum Beispiel spielen Forkhead-Box-Transkriptionsfaktoren eine Rolle bei der Entwicklung verschiedener Organsysteme durch Regulierung und posttranslationale Modifizierung verschiedener Gene wie Neurod und Sox2 [61]. Sox2 ebenso wie BMP, WNT und FGF sind in der Kardiogenese [62], Otogenese [63], Skeletogenese [64] sowie in der retinalen [65] Entwicklung involviert. Eine weitere Gruppe von evolutionär konservierten Faktoren, die für die Entwicklung zahlreicher Organe (Augen, Nieren, Herz, Muskel und Innenohr) involviert sind, sind die Eya (eyes absent)-Moleküle [66]. Insbesondere konserviert ist die Karboxyl-Domäne bei den Eya-Molekülen, die Six (Sine oculis) Proteine bindet [66]. Eya4-Mutationen sind z. B. Ursache für eine seltene autosomal dominante vererbbare Hörstörung, die gelegentlich mit einer dilatativen Kardiomyopathie einhergeht [66].


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2. Nicht-syndromale Hörstörungen

Nicht-syndromaler Hörverlust (NSHL) wird vorwiegend autosomal rezessiv (ca. 80%) übertragen, aber auch autosomal dominant (ca. 15%), X-chromosomal (2–5%) sowie mitochondrial (1%) weitervererbt. Einige, aber nicht alle dieser Mutationen sind in den Tabellen wiederzufinden. Trotz der bekannten Genmutation und des Vererbungsmusters ist das vollständige Verständnis der nicht-syndromalen Hörstörungen aufgrund der extremen klinischen und genetischen Heterogenität eine große Herausforderung [67].

Fast 100 Gene sind bislang identifiziert, die zu einer nicht-syndromalen Hörstörung führen können. Eine gelungene Übersicht der bis 2015 identifizierten Gene findet sich bei Vona et al. [67]. Aus den bei den nicht-syndromalen Hörstörungen betroffenen Genen resultiert ein wesentlicher Erkenntnisgewinn zur Funktion der ausgereiften Cochlea. Die bei den seltenen und v. a. nicht-syndromalen Erkrankungen beteiligten Signalwege erlauben insbesondere das Aufdecken neuer pathophysiologischer Vorgänge, die zu einem Hörverlust führen. Variationen in der Genotyp-Phänotyp-Korrelation sind bei Mutationen einzelner Gene bekannt, und trotz autosomal dominantem Vererbungsmuster können Geschwister unterschiedliche Schweregrade der Hörstörung aufweisen [67]. Solche Variationen sind im Rahmen der Recherche auch bei syndromalen Erkrankungen aufgefallen. Hier sind ganze Organsysteme teilweise nicht betroffen (unvollständige oder reduzierte Penetranz), auch wenn die gleiche Genmutation vorliegt [68]. Sekundäre genetische Faktoren oder Umwelteinflüsse könnten z. B. für die Variationen verantwortlich gemacht werden (Epigenetik). Bereits 1941 wurden statistische Methoden eingesetzt, um die Existenz von Modifyer-Genen bei Chorea Huntington nachzuweisen, sodass das Konzept dominanter Modifyer -und Suppressor-Gene für den hohen Grad an Variabilität verantwortlich gemacht wird [69]. Tatsächlich sind 2 Loci für Modifyer-Gene identifiziert worden, die die Variabilität bei bestimmten Hörstörungen bedingen könnten [67].

Trotz der Variationen (z. B. kann das Einsetzen der Hörstörung auch bei gleicher Genmutation sehr variable sein) zeigen die autosomal-dominanten Hörstörungen (DFNA-Loci) häufig ein charakteristisches Audioprofil [70], das sogar bei der Diagnose behilflich sein kann. Obwohl bemerkenswerte Fortschritte zur Identifizierung einer Vielzahl von Genen geführt haben, deren Störung zum Hörverlust führen kann, ist das mechanistische Verständnis insbesondere der nicht-syndromalen Hörstörungen bisher nicht ausreichend, um eine vollständige Aufklärung der Pathophysiologie oder effektive Therapien zu ermöglichen.

Im Zeitalter der modernen molekularbiologischen Methoden, gepaart mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen erscheint nicht nur eine individuelle ursachenorientierte Versorgung von Patienten mit Hörstörungen in greifbarer Nähe. Auch präventive Maßnahmen, z. B. durch Kontrolle der strukturellen, mutationellen und epigenetischen Veränderungen der Hörstörungen sind denkbar. Dies bedeutet, dass neben den klassischen, mittlerweile sehr weit verbreiteten und zugänglichen Omics-Technologien und bildgebenden Verfahren zur Sicherung der Diagnose, eine intensivierte Diagnostik der Patienten zur Sicherung post-translationaler Veränderungen, zur Erfassung einer pathologischen Viruslast oder des Inflammasoms [71] entwickelt werden müsste. Hierbei eignen sich Screening-Technologien, die z. B. neben der Untersuchung von Protein-Protein-Interaktionen [72] auch miRNA-Bestimmungen in der Perilymphe [73] sowie Untersuchungen an Modellzellen oder patienteneigenen Zellen integrieren [74] und so echte personalisierte Medizin ermöglichen könnten.


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3. Fehlbildungen der Cochlea

Berichte über Fehlbildungen des Innenohrs gehen auf post-mortem Untersuchungen zurück, und erste Pioniere wie Carlo Mondini (1729–1803) beschrieben Veränderungen wie ein Fehlen der apikalen Windung und einem erweiterten vestibulären Aquädukt, die unter dem Namen Mondini-Dysplasie bekannt ist [75]. Eugene Michel (1819–1883), der Deutsche HNO-Arzt Arno Scheibe (1864–1937), Gustav Alexander (1873–1932) sowie der Schweizer Neurologe Paul Robert Bing (1878–1956) sind Namensgeber charakteristischer Fehlbildungen des Innenohrs [76]. Im Rahmen der post mortem Untersuchungen sind charakteristische Fehlbildungen des Innenohres sowohl das knöcherne (20%) als auch das membranöse Labyrinth (80%) betreffend erfasst worden. Im Jahr 1974 publizierte der amerikanische Otologe Harold Frederick Schuknecht (1917–1996) sein Standardwerk über die Pathologie des Ohres, indem er auf der Basis histologischer Untersuchungen an einer großen Schläfenbeinsammlung neben den Malformationen auch alle anderen, die Cochlea betreffenden Erkrankungen auflistete.

Basierend auf der Bildgebung mittels Polytomografie und z. T. CT wurde 1987 von Jackler und seinen Kollegen Luxford und House die erste und auch heute noch klinisch verbreitete Klassifikation der kongenitalen Malformationen der Cochlea und des Labyrinths [77] publiziert.

Fast 100 fehlgebildete Innenohren wurden wie folgt klassifiziert:

  1. Komplette Aplasie (Michel-Aplasie)

  2. „Common cavity“

  3. Cochleäre Aplasie mit normal entwickeltem Labyrinth

  4. Cochleäre Hypoplasie

  5. Inkomplette Partition (kleine Hörschnecke mit inkomplettem oder fehlendem interskalarem Septum; Bogengang normal oder malformiert)

Der bis dato revolutionäre Aspekt dieser Klassifizierung war das Konzept des embryologischen Entwicklungsarrests zur Erklärung der verschiedenen Formen von Malformationen [76]. Ein Ausbleiben der Entwicklung des Innenohrs in verschiedenen Stadien der Embryonalentwicklung als Pathomechanismus der Malformationen erklärt jedoch nur einen Teil der beobachteten Veränderungen. Auch Jackler erklärte in seiner Studie bereits, dass auch Malformationen vorkommen, die eher auf eine gestörte und weniger auf eine fehlende Entwicklung hinweisen [77]: die Fehlbildungen wurden entsprechend der Gestationswoche, in der die embryologische Entwicklung anscheinend gestört ist, aufgelistet. Jackler und seine Kollegen begründen dies mit der Ähnlichkeit von polytomographischem Bild und den (gezeichneten) Entwicklungsstadien nach Streeter [78]. Die Reihe beginnt mit der Labyrinthären Aplasie (Michel-Deformität, dritte Gestationswoche). Es folgt die „common cavity“ in der 4. Gestationswoche, die cochleäre Agenesie in der 5. Gestationswoche und die schwere und milde cochleäre Hypoplasie in der frühen und späten 6. Gestationswoche. Die inkomplette Partition, die klassische Mondini-Fehlbildung, stellt die zeitlich letzte Fehlbildung in der 7. Gestationswoche dar. Die Einteilung von Jackler et al. unterscheidet weiter eine Gruppe A mit einer fehlenden oder fehlgebildeten Cochlea (komplette labyrinthäre Aplasie, cochleäre Aplasie, cochleäre Hypoplasie, inkomplette Partition und „common cavity“) und eine Gruppe B mit normaler Cochlea (erweiterter vestibulärer Aquädukt, eine genau beschriebene Bogengangsdysplasie, die aus einem erweiterten Vestibulum und einem kurzen, aber dilatierten lateralen Bogengang besteht). Sennaroglu und Kollegen entwickelten die Jackler-Klassifikation im Hinblick auf die chirurgische Anatomie für die Cochlea Implantation weiter [79]. Als inkomplette Partition Typ I (IPT1) wird eine ausgeprägte Form mit fehlender Partitionierung der gesamten Cochlea mit auffällig erweitertem Vestibulum und nicht nachweisbarem Modiolus bezeichnet. Die äußere Begrenzung der Cochlea ist plump und oft aufgetrieben. Eine begleitende Fehlbildung von Vestibulum und Bogengängen ist zu erwarten, hingegen kommt ein erweiterter vestibulärer Aquädukt nicht vor. Eine klare Abgrenzung von der „common cavity“ gibt es nach den gängigen Definitionen nicht. Der weite Übergang von der Cochlea zum Vestibulum charakterisiert auch die IPT1, was sich in dem Synonym „zystische cochleovestibuläre Fehlbildung“ widerspiegelt [80] [81] [82]. Die „common cavity“ wurde als Fehlbildung mit gemeinsamer Höhle von Cochlea und Vestibulum, die durch einen weiten Übergang verbunden sind, beschrieben. Diese Definition, ursprünglich durch den histologischen Bericht von Edward Cock 1838 geprägt [83], reicht für eine klare Abgrenzung gegenüber der inkompletten Partition Typ I nicht aus. Das Resultat ist eine unscharfe Verwendung in der Literatur. Ähnlich wie beim erweiterten vestibulären Aquädukt, der bei zahlreichen anderen Fehlbildungen begleitend vorliegen kann, ist der Modiolus auch regelmäßig bei der „X-linked deafness“ und der IPT1 nicht in seiner typischen Form im CT abgrenzbar. Als „inkomplette Partition Typ 2“ wird heute die ursprünglich von Mondini beschriebene Fehlbildung verstanden.

Der Aspekt der Klassifikation weg von der „developmental arrest“ Theorie hin zu multifaktoriellen genetischen Defekten wird in einer Übersichtsarbeit über Cochlea Implantation bei Kindern mit cochleovestibulären Malformationen deutlich [84]. Die genetische Codierung der Mäuseotozyste ([Abb. 2] und [3]) schließt nach Papsin et al. die Hypothese des „developmental arrest“ eines einzelnen Entwicklungspfades weitestgehend aus [84]. Stattdessen werden mögliche multiple distinkte Wege der Entwicklung des Innenohres beschrieben. Die Aufdeckung der genetischen Signatur einzelner Fehlbildungen und die Korrelation zu radiologischen Befunden verändert das Verständnis der Pathogenese in diesem Gebiet entscheidend.

3.1 X-chromosomale Schwerhörigkeit (X-linked deafness DFN3, Gusher assoziiert)

Die als X-chromosomale Schwerhörigkeit bezeichnete Ertaubung zeigt ein charakteristisches CT-Bild (IPT3) mit weit offener Verbindung zwischen Cochlea und innerem Gehörgang. Der Fundus des inneren Gehörgangs ist dabei dilatiert ([Abb. 4]). Der Modiolus und die Lamina cribrosa fehlen, sodass hier eine direkte Verbindung zwischen der Perilymphe des Innenohres und dem Liquor im Subarachnoidalraum besteht. Weitere Charakteristika sind die korkenzieherartige Erscheinung der Cochlea, weite Nervenkanäle für den N. Fazialis und den N. ampullaris posterior aus dem N. vestibularis inferior (im Canalis singularis) sowie plumpe Ausstülpungen am Vestibulum. Auffällig ist auch ein kleiner, meist vollständig knöchern umbauter Saccus endolymphaticus.

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Abb. 4 Volume Rendering aus dem T2-Datensatz einer MRT – Untersuchung eines Patienten mit X-chromosomaler Schwerhörigkeit. Typisches korkenzieherartiges Bild der Cochlea (weißer Pfeil auf basaler Windung). Der Fundus (Pfeilspitze) des inneren Gehörganges ist aufgeweitet.

Klinisch präsentiert sich die X-linked deafness zumeist als tiefgreifende gemischte Schalleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits. Nance et al. beschrieben 1971 zuerst eine kongenitale Fixierung der Stapesfußplatte bei X-chromosomaler kombinierter Schwerhörigkeit und Gusher [85]. Die offene Verbindung zum Liquor führt bei einer Stapesmobilisation zum Austritt von Liquor, dem sogenannten Gusher. Weibliche Träger sind beschrieben, weisen aber nur zu einer kleinen Zahl anatomische Auffälligkeiten im CT auf und ihr Hörverlust fällt deutlich geringer aus [86].

In einigen Fällen ist eine Versorgung mit Hörgeräten ausreichend, oft aber besteht eine Indikation für ein CI. Chirurgisch ist hier v. a. das Vorschieben des Elektrodenträgers eine Herausforderung, da es leicht durch die offene Verbindung in den inneren Gehörgang gelangt ([Abb. 5]). Die Anfertigung einer intraoperativen digitalen Volumentomographie ist hier sinnvoll. Das Sprachverstehen nach Cochlea Implantation ist gut und vergleichbar mit Patienten ohne Innenohrfehlbildung [87] [88].

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Abb. 5 Patient mit einer X-chromosomale Schwerhörigkeit. CT Schläfenbein axial in 2 Ebenen (a) Es zeigt sich eine weite, offene Verbindung zwischen dem inneren Gehörgang und der basalen Windung, einer fehlender Modiolus und eine fehlende Lamina cribrosa (schwarzer Pfeil). (b) Links ist der breite Fazialiskanal gut darstellbar (schwarze Pfeilspitze). Nach Cochlea Implantation zeigt sich eine Fehllage des linksseitig eingebrachten CI-Elektroden-Arrays im inneren Gehörgang (weiße Pfeile).

Die Lokalisation auf dem Gen POU3F4 wurde als erstes 1995 von Kok et al. beschrieben [89]. Seitdem wurden über 63 ursächliche Mutationen auf dem POU3F4 (DFNX2) Gen berichtet, darunter 44 Punktmutationen und unterschiedliche Deletionen [90]. POU3F4 wird im sich entwickelnden Neuralrohr exprimiert und später besonders in den Regionen des Großhirns, supraoptisch und paraventrikulär in den Hypothalamuskernen. Bereits 1982 berichtete Myhre et al. über eine rezessive X-chromosomale Störung mit congenitaler Taubheit und Hypogonadismus [91]. Die Patienten aus unserer eigenen Klinik weisen in über 90% Hamartome des Hypothalamus auf, die ungleich der üblichen Klinik bei Hamartomen mit Lachanfällen und einer Pubertas praecox sich durch das Gegenteil, nämlich einen hypogonadotrophen Hypogonadismus auszeichnen [92]. Auch Siddiqui et al. beschreiben hypothalamische Fehlbildungen bei Patienten mit einer X-chromosomalen Schwerhörigkeit und IPT3, womit diese unter den syndromalen Fehlbildungen eingeordnet werden kann [93].

Die X-chromosomale Schwerhörigkeit mit identifiziertem Gendefekt in POU3F4 stellt nicht die einzige mit Mutationen auf dem X-Chromosom identifizierte Hörstörung dar. Zusammen machen diese etwa 1–2% der syndromalen und nicht-syndromalen Hörverluste aus. Es wurden bisher 6 Loki und 5 Gene für den nicht-syndromalen Hörverlust und mindestens 15 für syndromalen Hörverlust identifiziert [94], darunter das Norrie-Syndrom, Cornelia-de-Lange-Syndrom, Fabry-Syndrom, Alport-Syndrom, STAR-Syndrom, PIGA-Syndrom und die X-chromosomale Adrenoleukodystrophie, um nur einige zu nennen, die alle zu den seltenen Erkrankungen zählen.


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3.2 Komplette Bogengangsaplasie und CHARGE-Syndrom

Die komplette Aplasie der Bogengänge stellt ein Hauptkriterium des CHARGE Syndroms dar, kann aber auch isoliert vorkommen und ist in Kombination mit dem Wildervanck, Noonan, Goldenhar oder VACTERL-Syndrom beschrieben [95] [96]. Die erste Beschreibung erfolgte 1979 unabhängig von Hall und von Hittner, das Krankheitsbild ist daher auch unter dem Namen Hall-Hittner-Syndrom bekannt. Das Akronym CHARGE wurde hingegen 1981 von Pagon et al, vorgeschlagen [97]: „Coloboma, Heart defects, Choanal atresia, Retardation, Genitourinary und Ear abnormalities“. Die heute verwendeten Kriterien wurden von Blake et al. 1998 vorgeschlagen und 2005 von Verloes et al. 2005 überarbeitet [98]. Verloes stellt dabei v. a. die drei „C“ als Haupt-Kriterien heraus: Colobom, Choanalatresie und Hypo/Aplasie der Bogengänge (semicircular canals). Abhängig von der Zahl der erfüllten Kriterien wird zwischen typischem, partiellem und atypischem CHARGE unterschieden, wichtig ist aber, dass bereits bei wenigen erfüllten Kriterien eine Diagnose vorliegt. Die phänotypische Ausprägung ist insbesondere beim CHARGE Syndrome sehr breit gestreut. Von den Hauptkriterien wird die Ohrfehlbildung in 95–100%, davon Innenohr 90% beschrieben [99], es folgt das Colobom mit 90% und die Nervenfehlbildungen insbesondere vom N. facialis in 50–90%, je nach Literatur. Die komplette Aplasie der Bogengänge (SCC-Aplasie) ist eine bildmorphologische Diagnose basierend auf der Computer-Tomografie. Sie stellt unter den Innenohrfehlbildungen eine Besonderheit dar, da hier der phylogenetisch ältere Teil des Labyrinths fehlt. Entsprechend tiefgreifende genetische Veränderungen liegen vor, sichtbar an der Vielzahl der beschriebenen assoziierten Malformationen von Auge, Mittellinienstrukturen des Gesichtsschädels, mediastinalen Fehlbildungen (cardiale und ösophageale; Thymusaplasie möglich) und Fehlbildungen der ableitenden Harnwege und Genitalien, die alle unterschiedlichen, nicht aneinander angrenzenden embryonalen Territorien zugehören. Die CT und MRT des Schläfenbeines ist bei bestehenden Hörstörungen die Untersuchung der Wahl zur Abklärung vorliegender Innenohrfehlbildungen. Dabei zeigt das CT des Schläfenbeines ein vollständiges Fehlen der Bogengänge einschließlich des Utrikulus ([Abb. 6]). Das sichtbare Vestibulum ist klein, meist kommaförmig und enthält nur den zur pars inferior gehörigen Sacculus ([Abb. 7]). Die Cochlea weist zumeist eine verminderte Windungszahl (Hypoplasie) auf. Eine fehlende Separierung der Skalen kann begleitend bestehen. Bei häufigen Nervenhypo- und -aplasien ist auch der innere Gehörgang zumeist schmal. Die Darstellung der Nerven erfolgt im MRT mittels einer hochauflösenden T2-Sequenz. Der N. fazialis und N. vestibulocochlearis können vollständig fehlen (4% der Fälle), meistens liegt aber ein N. fazialis vor und die Hypo- und Aplasien betreffen häufiger einen Teil des N. vestibularis als den N. cochlearis. Eine weitere begleitende Fehlbildung im Bereich des Schläfenbeines stellt in bis zu 80% ein persistierender petrosquamöser Sinus dar. Dieser stellt ebenso wie ein fehlendes ovales oder rundes Fenster und ein kleines Mittelohr eine chirurgische Herausforderung bei der Cochlea Implantation dar. Ein aberranter Fazialisverlauf im Mittelohr wird ebenso beobachtet. Der petrosquamöse Sinus kann in seltenen Fällen die venöse Drainage des intrakraniellen Raumes führend vom Sinus transversus übernehmen. Zudem erfolgt in einem kleinen Teil der Austritt der Vene über ein Foramen postglenoidale dorsal des Kiefergelenks. In diesen Fällen findet sich nur noch ein entsprechend kleines Foramen jugulare.

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Abb. 6 Komplette Bogengangsaplasie. Axiale CT des Schläfenbeines bei kompletter Bogengangsaplasie. a Beidseitig hypoplastische Cochlea; b Rechts zeigt sich eine normale Weite der cochleären Apertur, links ist die Öffnung hochgradig eingeengt (Pfeil) – hier kann man eine Hypo- oder Aplasie des N. cochlearis bereits vermuten, beweisend ist dann aber erst das MRT; c Schmale Innere Gehörgänge (schwarze Pfeile) sind ebenso typisch wie das kommaförmig angelegte Vestibulum bds (weißes V); d Es sind keine Bogengänge erkennbar, der Aquäduktus vestibularis (Pfeil) stellt die einzige schmale Struktur dar.
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Abb. 7 Aplasie der Bogengänge. Volume Rendering aus dem T2-Datensatz einer MRT-Untersuchung eines Patienten mit kompletter Bogengangsaplasie und CHARGE-Syndrom. Die Cochlea (Pfeilspitze) ist hypoplastisch und das Vestibulum (Pfeil) enthält nur den Sacculus. Bogengänge sind keine ausgebildet.

In manchen Fällen ist auch ein Colobom des Auges direkt im Bild dargestellt: hier handelt es sich um ein weiteres der „drei C“, den Hauptkriterien nach Verloes 2005. Das Colobom ist eine angeboren Spaltbildung von Iris, Linse oder Augenhintergrund. Im letzteren Fall ist dies im Schnittbild als Ausstülpung des Augenbulbus um oder neben dem N. optikus sichtbar ([Abb. 8]). Es kann eine begleitende Mikroophthalmie bestehen. Das dritte „C“ lässt sich ebenfalls im CT darstellen, es handelt sich um die Choanalatresie. Diese kann einseitig oder beidseitig sowie knöchern oder nur als Weichteilverschluß bestehen. Sie wird allerdings insbesondere bei beidseitiger Ausprägung direkt nach Geburt auffällig und ist bei Diagnostik zur Eignung für eine CI bereits behandelt.

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Abb. 8 T2 gewichtete axiale MRT eines Kindes mit CHARGE im Rahmen einer Cochlea-Implant-Voruntersuchung. Kolobom am rechten (schwarzer Pfeil) und linken Auge.

Die Angaben zur Inzidenz der begleitenden Hörstörung bei CHARGE schwanken für die schwere Hörstörung bzw. Surditas zwischen 50 und 90%. In unserem eigenen Patientenkollektiv mit ausschließlich Patienten mit kompletten Bogengangsaplasien weisen praktisch alle Fälle eine schwere Hörstörung bzw. eine Surditas auf. Hier ist bei vorhandenem N. cochlearis eine Cochlea Implantation die Therapie der Wahl. Die Implantation kann eine Herausforderung darstellen, denn die begleitenden Fehlbildungen erschweren den Zugangsweg zur Cochlea. Daher sollte eine sorgfältige Auswertung des CT für den besten Zugangsweg hier vorausgehen. Das Sprachverstehen nach CI zeigt ein breites Spektrum abhängig von den vorhandenen Fähigkeiten bei möglicher begleitender Retardierung, Blindheit und anderen Behinderungen. Insgesamt ist aber unabhängig von der Ausprägung des CHARGE ein positiver Zugewinn beschrieben. Etwa die Hälfte der implantierten Kinder nutzt eine sprachliche Kommunikation ein Jahr nach Implantation [97].

Die genetische Ursache des CHARGE-Syndroms ist eine Mutation des CHD7, die einen Funktionsverlust zur Folge hat. Patienten, die die diagnostischen Kriterien des CHARGE-Syndroms erfüllen, weisen eine Mutation in bis zu 95% auf. Die meisten Mutationen sind jeweils einmalig und gleichverteilt über die Codierungsregion von CHD7 – es wurden über 500 verschiedene pathologische Veränderungen bis heute beschrieben, 75% davon sind „frameshift“ oder „nonsense“-Mutationen. Nahezu alle Mutationen entstehen de novo, aber ein familiäres Auftreten wurde ebenfalls beschrieben. In solchen CHARGE-Familien zeigt sich eine erhebliche Bandbreite der klinischen Ausprägung, von den sehr mild betroffenen Eltern, die in der Regel kaum die Kriterien erfüllen bis hin zum vollen Spektrum bei den Kindern.

Bei der Ausprägung des CHARGE-Syndroms gibt es Überschneidungen mit dem Kallmann-Syndrom sowie der 22q11.2 Deletion. Anomalien des N. olfaktorius werden sowohl bei Kallmann als auch bei CHARGE gefunden. Immundefekte sind häufig bei 22q11.2 Deletion, können aber auch bei CHARGE auftreten. Wie bei der 22q11.2 Deletion kann eine Thymusaplasie bestehen. Daran sollte man bei rezidivierenden Mittelohrinfektionen bei CHARGE denken, da diese nicht immer allein durch die anatomischen Gegebenheiten bedingt sein können.


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3.3 Cochlea Implantation bei Fehlbildungen der Cochlea

Die Rehabilitation des Gehörs hat nicht nur bei Patienten mit einem im CT normal ausgebildeten anatomischen Labyrinth eine hohe Erfolgsrate, sondern auch bei den Patienten, die eine knöcherne Fehlbildungen im Rahmen der Cochlea-Implant-Voruntersuchung aufweisen (ca. 20%) [100]. Die Versorgung dieser Patienten stellt eine besondere Herausforderung dar. Komplikationen z. B. durch einen aberranten Verlauf des Nervus fazialis oder durch das erhöhte Risiko einer Meningitis beim Vorliegen eines „Gushers“ können bei Anomalien der Hörschnecke besonders häufig auftreten [79] [84] [101] [102] [103]. Gerade deswegen ist eine eingehende Evaluation jedes Cochlea-Implant-Kandidaten und insbesondere von Kindern in erfahrenen Zentren von Bedeutung. Eine Reihe unterschiedliche Beschreibungen der Fehlbildungen des Innenohrs ist in der Literatur zu finden und derselbe Begriff kann je nach Autor ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Nicht nur Lenarz und Kollegen bereits in den 90er Jahren und Sennaroglu et al. 2017 haben daher eine einheitliche Beschreibung der Fehlbildungen gefordert [79] [103] um nicht nur Vergleiche und einen Wissensaustausch zu ermöglichen, sondern v. a. auch um eine Richtlinie bei der Versorgung dieser Patienten erstellen zu können.

Der Ansatz einer einheitlichen Klassifikation insbesondere unter Berücksichtigung der Anatomie wurde durch Jackler im 20. Jahrhundert und Sennaroglu 2002 sowie durch zahlreiche weitere Autoren verfolgt. Nicht nur das gesamte Spektrum der Fehlbildungen wurde hierbei dargestellt, sondern auch einzelne und z.T. auch seltene Untergruppen. So wurden die inkomplette Partition 1 und 2 um atypische Fälle erweitert: z. B. eine IPT2 (ehemals Mondini im klassischen Sinn) ohne einen erweiterten vestibulären Aquädukt [104]. Oder eine IPT1, die genau diese Erweiterung aufweist [104]. Es wurden die Verläufe des N. fazialis im knöchernen Abschnitt näher betrachtet [105]. Die cochleäre Hypoplasie wurde gleich mehrfach genauer eingeteilt [106] [107] [108]. All dies spiegelt die enormen Möglichkeiten wider, in der genetische Faktoren kombiniert werden können, um dieses schier unübersichtliche Spektrum verschiedener Fehlbildungen zu liefern. Allerdings kommen eine ganze Reihe der Fehlbildungen häufiger vor als andere und die sind es, die es sich einzuteilen lohnt.

Am Beispiel des Begriffs „common cavity“ wird klar wie unterschiedlich Begrifflichkeiten verwendet werden und wie inkomplett wir trotz Fortschritten in Genetik und Bildgebung die Entstehung der Innenohrmalformationen verstanden haben. Der Begriff „common cavity“ wird in der Literatur für unterschiedliche Fehlbildungen verwendet, mindestens 3 grundsätzlich verschiedene Gruppen fallen darunter: 1.) Jackler beschrieb mit dem Begriff der „common cavity“ eine Otozyste, die noch die Anlage für sowohl die Cochlea als auch das Vestibulum und die Bogengänge in sich trägt, also eine Fehlbildung auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe. 2.) Andere Arbeiten verwenden die Bezeichnung in dem Sinn, dass die Cochlea und das Vestibulum, beide plump ausgebildet, unpartitioniert und dilatiert eine gemeinsame Höhle bilden, somit zumeist ein breiter Übergang zwischen den beiden besteht. Im Eintrittsbereich der Nerven sind diese in der Regel nicht in N. cochlearis und N. vestibularis zu trennen. Im amerikanischen Sprachgebrauch taucht hierfür teilweise der Begriff „cystic cochleovestibular anomaly“ („figure 8-deformity“) auf [109]. Gleichzeitig weist diese Fehlbildung keine klaren Abgrenzungskriterien zur inkompletten Partition 1 auf, bei der auch die Cochlea dilatiert und unpartitioniert und das Vestibulum stark verplumpt sind. Eine willkürliche Grenze wäre allenfalls in der Weite des Überganges zu setzen, die jedoch funktionell für die Cochlea Implantation keine Konsequenz hat. 3.) Sennaroglu weist darauf hin, dass die cochleäre Aplasie von der „common cavity“ nicht in allen Fällen sicher abgegrenzt werden kann [79]. Er beschreibt dabei eine Fehlbildung, die ovalär und überwiegend dorsal des inneren Gehörganges gelegen ist und sehr wohl eine nervale Anbindung besitzt (im Gegensatz zur Otozystendeformität von Jackler, die diese nicht benötigt). Beide, sowohl die cochleäre Aplasie als auch die „common cavity“ können rudimentäre oder auch z. T. ausgebildete Bogengänge besitzen. Damit ist die „common cavity“ in der Tat CT-morphologisch formell nicht von der cochleären Aplasie zu trennen. Einzig das Kriterium des bei der cochleären Aplasie häufig bestehenden sklerosierten Bereiches ventral/inferior des Inneren Gehörganges wird nicht mit herangezogen zur Unterscheidung ([Abb. 9]). Anhang eigener Beobachtungen ist dieser sklerosierte Bereich aber bei fast allen „common cavites“ und cochleären Aplasien vorhanden. Diese Überschneidungen machen eine Abgrenzung schwierig, eine Entscheidung zur Cochlea Implantation sollte unseres Erachtens auf dem Nachweis des inneren Gehörgangs und der Nerven im MRT basieren. Dieses Beispiel zeigt wie wichtig Schichten auf multiplen Ebenen des Labyrinths zur Beurteilung der jeweiligen Fehlbildungen sind. Wird nur eine Schicht gezeigt, wie dies oft bei Publikationen zu finden ist, sind die für die Fehlbildung benötigten Kriterien nicht immer nachvollziehbar. In Bezug auf die individuelle Beurteilung und Therapie stellt hier die 3-dimensionale Rekonstruktion und die damit ermöglichte individuelle Anpassung der Elektrode die logische Fortsetzung dar [106].

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Abb. 9 Patient mit cochleärer Aplasie. a Die schwarzen Pfeile zeigen den sklerosierten Bereich der otischen Kapsel, wo normalerweise die Cochlea ausgebildet wäre. b und c zeigen weiter dorsal gelegene Bereiche, die das dysplastische Vestibulum erfassen, das in d mit schwarzen Pfeilen beidseits gekennzeichnet ist.

Es gibt Arbeiten, die bei cochleärer Aplasie ein Sprachverstehen nach Cochlea Implantation berichten [100]. Dies sind genau diejenigen cochleären Aplasien, die von anderen als common cavity bezeichnet werden. Das Vorhandensein eines stimulierbaren Spiralganglions ist demnach im CT nicht zu beurteilen. Eine Kombination der CT-Morphologie sowie der nervalen Anlage wie sie im MRT erscheint ist besser geeignet zur Beurteilung der Erfolgschancen einer Cochlea Implantation. Dies hat lange Einzug erhalten in der Cochlea-Implant-Voruntersuchung. Eine Einteilung nach Schweregrad der assoziierten Nervenfehlbildungen wurde von Giesemann et al. 2012 publiziert [110]. Hier wird deutlich, dass schwere Fehlbildungen regelmäßig ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Nervaplasien mit gewissen Wahrscheinlichkeiten aufweisen. Die Auflösungsgrenze des MRT ist hier entscheidend und weitere Verfahren wie z. B. der Promontorialtest und BERA sollten hinzugezogen werden. Bis zu welcher Grenze Hypoplasien des Nervus cochlearis noch zu erfolgreichen Implantationen führen, ist eine der derzeit noch offenen Fragen im Bereich der Fehlbildungsversorgung.

Beispiele einer Einteilung, die die klinisch wichtigsten Fehlbildungen umfasst, die v. a. Bildmorphologisch gut voneinander zu trennen sind, in Relation zum Vorhandensein eines cochleären Nervens können der [Tab. 1] entnommen werden [110].

Tab. 1 Seltene Erkrankungen der Cochlea.

Name

Ursache

Gen

Vererbung

Inzidenz

Therapie

Symptome

Sonstiges

Autoimmun-vermittelte Innenohrerkrankungen

Cogan-Syndrom

Autoantikörper-vermittelte (?) Vaskulitis mit systemischer Manifestation [127]

Ca. 300 Fälle weltweit [127]

Kortikosteroide, Cyclophosphamide, Methotrexat, Mycophenolat Mofetil, Azathioprine, Infliximab [127]

Non-syphilitische interstitielle Keratitis (IK) mit audiovestibulären Ménièriformen Symptomen [127] ; „Typische“ und „atypische“ Formen beschrieben: bei atypischer Form manifestiert sich die Augenbeteiligung mit non-IK inflammatorischen oculären Symptomen

max. 2 Jahre zwischen dem Befall beider Organsysteme (Auge und Innenohr) [127]; wird auch zu den Vaskulitiden gezählt [117]

Muckle-Wells-Syndrom

überschüssige Freisetzung von IL1beta [128]

NLRP3 [128]

aut. dom. [128]

1–3: 1 000 000

Anakinra [128]

Fieber, Hautausschlag, muskuloskelettale Symptome und Bindehautentzündung. Progressive Innenohrschwerhörigkeit und Niereninsuffizienz [128]

Gehört zu der Gruppe der CAPS (Cryopyrin-associated periodic syndrome); Muckle-Wells-Syndrom, FCAS (familial cold auto-inflammatory syn-drome) und NO-MID (neonatal-onset multisystem inflammatory dis-order) haben einen gemeinsamen ursächlichen Gen-defekt (NLRP3)

Neonatal-Onset Multisystem Inflammatory Disease (NOMID)

überschüssige Freisetzung von IL1beta [129]

CIAS1/NLRP3 [129]

aut. dom. [129]

Sehr selten, 100 Weltweit beschrieben [129]

Anakinra [129]

Hautausschlag, chronische Meningitis, Fieber, Gelenkentzündung [129]

Relapsing polychondritis

Autoimmun-vermittelte Entzündung von Knorpel [130]

multifaktorielle Ätiologie [130]

1:285 000 [130]

Glukokortikoide [130]

Knorpelentzündung, Uveitis, Vaskulitis, Hörverlust in 50%, Schwindel [130]

Vogt-Koyanagi-Harada-Krankheit

T-Zell-vermittelte Zerstörung von melaninhaltigem Gewebe [131]

1:400 000 [131]

Glukokortikoide [131]

Uveitis, Alopezie, Meningismus [131]

Vaskulär

Behçet-Syndrom

Vaskulitis, HLA-B51-assoziiert (?)

Regional unterschiedlich 1:100 000 in Deutschland

Symptom-orientiert, Steroide, nicht-steroidale Antiphlogistika [132]

Rezidivierend orale Aphthen, genitale Ulcera, Augen- und Hautläsionen [132]

Niere und peripheres Nervenystem eher sehr selten betroffen

Eosinophilic granulomatosis with polyangiitis (EGPA; früher: Churg-Strauss-Syndrom)

Allergische Granulomatose mit Polyangiitis, antinukleäre zytoplasmatische Antikörper-assoziierte Vaskulitis [133] [134]

2,4:1 000 000

Hochdosierte Glucokortikoide, Cyclophosphamid, Zafirlukast (Leukotriene-Antagonist) [134] [135], Mepolizumab (Anti-Interleukin-5-Antikörper) [136]

Bluteosinophilie, Herzinsuffizienz, allergische Rhinitis, Asthma, Vaskulitis mit Beteiligung der Haut, des Herzens, der Lunge, des Gastrointestinaltrakts, des nervalen Systems [133] [134] [136]

Triphasische Erkrankung, Manifestation Innenohr in der 3. Phase selten möglich[133], EGPA ist einge-ordnet als ANCA-assoziierte Vas-kulitis unter den Kleingefäß-Vaskulitiden

Generalisierte arterielle Verkalkung im Säuglingsalter

Kalziumablagerung in Arterien [137]

ENPP1, ABCC6 [137]

aut. rez. [137]

1: 391 000 [137]

Bisphosphonate [137]

Herzinsuffizienz, Schlaganfall, elatisches Pseudoxanthom [137]

Auch Schalleitungs-schwerhörigkeit[137]

Hereditäre Hemorrhagische Telangiektasie (M. Weber-Osler-Rendu)

Vaskuläre Dysplasie, arteriovenöse Fisteln/ Malformationen [138]

Chromosomen 9q und 12q [138]

aut. dom. [138]

1–2 :100 000 [138]

Vaskuläre Malformation multipler Organe (Niere, Gastrointestinatrakt, Leber, Lunge, Niere, Gehirn), rezidivierend Epistaxis als das häufigste Symptom [138]

Kawasaki-Syndrom

Nekrotisierende Vaskulitis [139] [140]

unbekannt, Coronavirus (?)

>300 000 weltweit Fälle beschreiben [139]

i. v. Immunglobuline, Aspirin

Fieber, Hautausschlag, Konjunktivitis, Herzkomplikationen

Tritt fast ausschließlich bei kleinen Kindern auf

Norrie-Krankheit

Störung der Angiogenese von Augen- und Innenohr [141]

NDP [141]

X-linked

Mehr als 400 Fälle weltweit beschrieben

Netzhautablösung und fortschreitender Hörverlust [141]

SUSAC-Syndrom

CD8-T-Zell-vermittelte autoimmun-mikroangiopathische Endotheliopathie [142]

Etwas mehr als 300 Fälle weltweit beschrieben [142]

Plättchenaggregationshemmer, Antikoagulanzien, Immunosuppressive Behandlung mit z. B. Cyclophosphamid, intravenös Immunoglobuline, Mycophenolate mofetil, Azathioprine, Methotrexat, Natalizumab [142]

Gesichtsfeldausfälle, Sehminderung, neurologische Symptome, Cephalgie [142]

Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher: Wegener-Granulomatose)

Autoimmun-Vaskulitis [143]

1:6400 [143]

Glukokortikoide Rituximab [143]

Sinusitis, Trachealstenose, Niereninsuffizienz, Lungenentzündung, Mastoiditis [143]

ANCA+ [143]

Malformationen

Labyrinthäre Aplasie

komplette Aplasie, wenn die Entwicklung vor oder zu Beginn der 3 Gestationswoche gestört wird; kann auch Thalidomid-induziert sein [144] [145]

Erhöhtes Risiko bei konsanguinen Eltern [146]

2% aller Innenohrmalformationen

ABI

Fazialis-Parese oder Schwäche [146]

Synonym Michel Deformität, Michel Aplasie, knöcherne Kanal der Art. carotis interna kann fehlen [146]

Otozystendeformität

Entwicklungsstopp in der 3. Gestationswoche [146]

Erhöhtes Risiko bei konsanguinen Eltern

1% aller Innenohrmalformationen [146]

ABI

Kongenitale Ertaubung, Fazialis-Parese oder Schwäche möglich [146]

Synonym: Common cavity (nach Jackler)

Cochleäre Aplasie

5% aller Innenohrmalformationen [100]

CI, ABI [100]

Kongenitale Ertaubung

Kann Sprachverstehen mit CI erzielen [100]

Cochleäre Hypoplasie (isoliert)

Kommt beim BOR-Syndrom häufig vor [108]

13% aller Innenohrmalformationen [108]

CI

Ertaubung, hochgradiger Hörverlust

Breites Spektrum, nahezu normale Form bis hin zu einer kleinen Blase basal [108]

Komplette Aplasie der Bogengänge

(beinhaltet eine hypoplastische Cochlea und einem kleinen Vestibulum mit Sacculus) [147]

Oft mit CHARGE assoziiert; Einzelbeschreibungen mit z. B. Wildervanck, Noonan, Goldenhar oder VACTERL* [148]

16% aller Innenohrmalformationen

CI

Ertaubung, hochgradiger Hörverlust [147]

ist das Hauptkriterium für CHARGE

Inkomplette Partition Typ 2 (IPT 2)

21% aller Innenohrmalformationen [149]

CI

Ertaubung, hochgradiger Hörverlust

Mondini Malformation im eigentlichen Sinne [149]

Inkomplette Partition Typ 1 (IPT1)

FOXF2 [150]

9% aller Innenohrmalformationen [149]

CI

Ertaubung, hochgradiger Hörverlust

Synonym: Common cavity (E. Cock); „cystic cochleovestibular malformation“, „figure-8“ Deformität

X-chromosomale Schwerhörigkeit (Innenohr-Fehlbildung als IPT3 bezeichnet)

Unterschiedliche Mutationen von POU3F4 [89]

POU3F4

3% aller Innenohrmalformationen

Hörgeräte, CI [151]

Variabler Hörverlust

Synonym: Gusher, IPT 3 – auch wenn es sich stark unterscheidet von den anderen inkompletten Partitionen; oft mit Harmartomen des Tuber cinereum vergesellschaftet [92]

Aplasie des Modiolus

1% aller Innenohrmalformationen [110]

Hypoplasie oder Aplasie des vestibulocochleären Nervens oder isoliert des cochleären Nervens

Meist in Kombination mit schweren Innenohrmalformationen [110]

VACTERL beschreibt eine Assoziation angeborener Fehlbildungen, die mindestens 3 der folgenden aufweisen: Ösophagusatresien, Nierenfehlbildungen, Herzfehler, Wirbeldefekte, anorektale Malformationen und radiale Extremitätenfehlbildungen

Chromosomal

3p-Deletions-Syndrom

Deletion des kurzen Arms von Chromosom 3 [152] [153]

Chromosom 3 [152] [153]

de novo [152] [153]

sehr selten

Mikrozephalie, dreieckige Gesichtsform, flaches Occiput , Hypertelorismus, Polydaktilie, Kryptorchismus, renale und kardiale Defekte [152] [153]

10p-Deletions-Syndrom

Deletion des kurzen Arms von Chromosom 10 [154]

Chromosom 10 [154]

sehr selten, ca. 50 Fälle bekannt [135]

Kraniofaziale Malformationen, Wachstumsstörung, kongenitale Herzdefekte, Hypoparathyroidismus, Immundefiuienz, mentale Retardation [154]

Haploinsuffizienz 10p15 verursacht auch das HDR1-Syndrom [155]

Cri-du-Chat-Syndrom, 5p-Deletions-Syndrom

Deletion des kurzen Arms von Chromosom 5 [156]

Haploinsuffizienz versch. Gene, z. B. TERT, MARCH6, CTNND2, und SLC6A3 auf Chromosom 5 [156]

de novo [156]

1:15 000–1:50 000 [156]

Hochfrequenter Schrei (Katzenschrei) Mikrozephalie, Gesichtsdysmorpien, Verzögerung des Spracherwerbs, geistige Behinderung [156]

häufigster chromosomaler Defekt [156]; Neurale Schwerhörigkeit [157]

diGeorge-Anomalie [154], Chromosom 22q11.2 Deletion

Haploinsuffizienz des DiGeorge syndrome critical region gene 2 (DGCR2) [155]

DGCR2, zentromere Deletion des Chromosom 10, 2q11.2 deletion [154] [158]

1:4000 [158]

allogene Thymusgewebe-Transplantation [159]

Thymusaplasie, kongenitale Entwicklungsstörung, T-Zell-Defizienz, Hypocalzämie, kardiovasculäre Malformation, Gesichtsdysmorphien [154]

Katzenaugen-Syndrom, Schmid-Fraccaro-Syndrom

Anomalie des Chromosoms 22, 22 [160] [161]

Chromosom 22 [160] [161]

aut. dom. [160] [161]

1:100 000 [160] [161]

Symptomorientiert, experimentell: GNE-886, ein selektiver Inhibitor der CAT eye syndrome chromosome region candidate 2 bromodomain [162]

Kolobom, Analatresie, Herzdefekte, Präaurikularanhänge [160] [161]

Mosaik-Trisomie 9

partielle Trisomie [163] [164] [165]

Chromosom 9 [163] [164] [165]

Wachstumsretardierung, Muskelschwäche, geistige Behinderung, Mikrozephalie, Mikrognathie, charakteristische palpebrale Fissuren, skeletale Anomalien, Mikroophthalmie, Gaumenspalte, Hydrozephalus [163] [164] [165]

teilweise sehr milde Verläufe, die undiagnostiziert bleiben [163]

Mosaik-Trisomie 22

partielle Trisomie [166] [167]

Chromosom 22 [166] [167]

Geistige Behinderung, Wachstums- und Gedeihstörung, Kraniofaziale Asymmetrie, Mikrozephalie, Brachyzephalie, Hypoplasie des Mittelgesichts, Präaurikularanhänge, flache Nase, Mikrognathie, Gaumenspalte [166] [167]

Überlappungen mit dem Katzenaugen-Syndrom?

Pallister-Killian-Mosaic-Syndrom

Chromosomen-Duplikation (12p) [168]

150 Fälle weltweit [168]

Muskelhypotonie und Telekanthus [168]

Smith-Magenis-Syndrom [169]

17p11.2 Deletion [169]

RAI1 [169]

1:15000 [169]

Brachyzephalie, breites, quadratisches Gesicht, Hypotonie, Schlafstörung, Selbstverletzung [169]

Erst Schalleitungsschwerhörigkeit, dann progressive Schallempfindungsstörung >10 Jahre

Trichorhinophalangeales Syndrom Typ II

Chromothripsis, Chromosomen- Deletion (q8) [170]

TRPS1, EXT1 [170]

<60 weltweit [170]

dünnes Haar und Kleinwüchsigkeit [170]

Langer-Giedion-Syndrom [170]

Stoffwechselerkrankung

Acyl-Co-A-Dehydrogenase-Mangel Schindler-Syndrom)

Laktatazidose, mitochondriale Erkrankung den Komplex I der Atmungskette betreffend [171]

ACAD9 [171] [172]

aut. rez. [171]

Sehr selten, 24 Patienten aus 12 Familien bis 2016 beschrieben [172]

Riboflavinsubstitution wirksam in einigen Pat. [171] [172]

neurologische, muskuläre, hepatische und kardiale Manifestation [171] [172]

Alpha-Galactosidase-Defizienz (Fabry-Krankheit)

Lysosomale Speichererkrankung, Glyco- sphingolipid-Katabolismus [173]

X-chromosomal

1:40 000–1:117 000

Agalsidase beta (Enzymsubstitution) [174]

progressive Nierenerkrankung, Kardiomyopathie, zerebrovaskuläre Komplikationen, neuropathische Schmerzen, Apoplex [173]

Atrophie des Corti-Organs, der Stria vascularis und des Spiralligament in 2 post-mortem Analysen [173]

Alpha-Mannosidose

Mangel der lysosomalen Alpha-D-Mannosidase

MAN2B1

aut. rez.

1:500 000 [135]

Velmanase alfa (Lamzede®) von Chiesi [175] [176]

Rezidivierende Infekte, Muskelschwäche, skeletale und Gesichts-Deformitäten, Ataxie, Hepatosplenomegalie, Hydrocephalus, Makroglossie, Prognatismus, Strabismus, Hyperopie oder Myopie; Immunsystemschwäche, Hypersomnie, psychiatrische Erkrankungen, geistige Behinderung [135] [177]

Lysosomale Speichererkrankung; Verschiedene Subtypen, Schweregrade und Alter bei Krankheitsbeginn [135] [177]

Biotinidase-Mangel

Störung aller mitochondrialen Carboxylasen [178]

BTD [178]

aut. rez. [178]

1:50 000 [178]

Biotinsubstitution

Krämpfe, Muskelschwäche, Ataxie, Entwicklungsverzögerung, Sehstörungen, Alopezie, Hautauschlag [178]

Neuromyelitis optica spectrum disorders (NMOSDs) Holocarboxylase synthetase (HCLS) deficiency Inzidenz 1:200 000

Brown-Vialetto-van Laere-Syndrom (Riboflavin-Transporter-Defizienz)

Mangel an Riboflavin Transporterproteine

SLC52A2, SLC52A3 [179]

aut. rez. [179]

Weniger als 100 Fälle bekannt [179]

Riboflavinsubstitution [180]

Progrediente ponto-bulbäre Paralyse, Ateminsuffizienz, Muskelschwäche, Fazialisparese, Ptose, Dysphagie und Ataxie [179]

Camurati-Engelmann-Syndrom, Diaphyseale Hyperostose oder Sklerose

Ständige Aktivität des Transforming growth factor beta-1 und dadurch bedingte erhöhte Densität des Knochens und Verringerung- des Fett und Muskelgewebes [181] [182] [183] [184]

TGFB1 [181] [182] [183] [184]

aut. dom. [181] [182] [183] [184]

> 300 Fälle weltweit beschrieben [135]

Experimentelle Ansätze mit TGF-beta-Rezeptor-Antagonisten [185]

Hyperostose der langen Röhrenknochen, Diffuse Verdickung der Schädelbasis, Opthamopathie, Cephalgie, Vaskulopathie, Schmerzen, Muskelschwäche [181] [182] [183] [184]

Kraniotubuläre Knochenerkrankung, progressive Stenose des inneren auditorischen Kanals [183] [186]

Chanarin-Dorfman-Syndrom

Abhydrolasemangel und mangelnde Aktivierung der Fetttriglyceridelipase [187]

ABHD5 [187]

aut. rez.

Mehr als 128 bekannte Fälle

symptomorientiert, fettarme Diät

Kongenitales ichthyosiformes Erythroderma , Hypothyroidismus, neurologische Symptome, Leberfunktionsstörung, Katarakt, Ektropion [187]

neutrale Lipidspeichererkrankung mit Ichthyose

Craniometaphyseale Dysplasie

Hemmung des regulierten Knochenumbaus durch extrazelluläre Pyrophosphat-Akkumulation [188]

ANKH, GJA1

aut. rez. oder aut. dom.

sehr selten

symptomorientiert

Hypertelorismus, Dolichozephalie, Proptosis, prominenter Unterkiefer, Verdickung der Knochen des Kopfes, retardierte Dentition [188] [189] [190]

Familiäre Hypophosphatämie

Phosphatverlust durch erhöhte Sekretion des phosphaturischen Hormons fibroblast growth factor 23 [191]

X-chrom., seltener aut. rez., aut. dom. [191] [192]

3:100 000 für X-linked

Symptomorientiert, Phosphate und Vitamin D

Rachitis, Abnormes Gangbild, Deformität der unteren Extremitäten, verlangsamtes Wachstum, dentale Abszesse [191]

Farber-Lipogranulomatose

Lysosomale Speichererkrankung, Saure-Keramidase-Magel [193] [194]

ASAH1 [193] [194]

aut-rez. [193] [194]

201 Fälle bekannt in 2018

symptomorientiert

Subkutane Knoten, deformierte Gelenke, progressive Heiserkeit, Sonderform mit spinaler muskulärer Atrophie und progressiver myoklonaler Epilepsie [193] [194]

Fibrodysplasia Ossificans Progressiva

heterotope Ossifikationen [195] [196]

ACVR1/ALK2 [195] [196]

aut. dom. [195] [196]

1:2.000 000 [195] [196]

symptomorientiert [195] [196]

Fehlen der Nägel, progressive heterotope Ossifikation, Hypoplasie der Hirnstamms, kognitive und motorische Entwicklungsstörungen, Gesichtsdeformitäten, Zahnmalformationen, abnormes Haar [195] [196]

Fibröse Dysplasie (Jaffe-Lichtenstein-Syndrom)

Störung der Osteogenese durch Überproduktion von cAMP, Phosphorylierung CREB und Aktivierung von cAMP-abhängiger Proteinkinase (PKA) [135]

GNAS

Nicht hereditär

unbekannt

Bisphosphonate

Austausch des normalen Knochens und Knochenmarks mit fibrösem Bindegewebe und unreifem Trabekelknochen [135]

Oft Schalleitungs-, aber gelegentlich auch Schallempfindungsschwerhörigkeit [135]

Kernikterus

Ablagerung von unkonjugiertem Bilirubin [135]

sporadisch

Kommt häufig bei Frühgeborenen vor

Hyperbilirubinämie [135]

Neurale und zentrale Schwerhörigkeit [135]

Kongenitale Erkrankung der Glykosylierung

defekte Biosynthese der Glykane

Diverse Gene [197]

aut. rez., selten X-chromosomal

Weniger als 100 Fälle pro Typ [198]

Symptomorientiert, Mannose- oder D-galactose-Supplementation [198]

Multisystem-Manifestation; Neurologische Symptome, geistige Behinderung, Kardiomyopathie, Ödeme, Gesichtsdeformitäten [198]

Mehr als 130 Typen beschrieben [198], defekte N-, O-, und kombininierte N- und O-Glykosylation) sowie Lipid-Glykosylierung [199]

Leigh Syndrom (infantile nekrotisierende Enzephalopathie)

Kongenitale Laktatazidose, Mangel an Pyruvat-Dehydrogenase

PDHA, Pyruvatdehydrogenase (E1) a Untereinheit [200] [201]

X-linked [200] [201]

1:40 000–70 000

Hochdosierte Thiaminsubstitution [200] [201]

Periphere Neuropathien, Chorea, Parkinson-ähnliche Symptome, kognitive Defizite, Nekrotische Läsionen im Gehirn, hypertrophe Kardiomyopathie [200] [201]

Mukopolysaccharidose Typ I (ehemals Hurler- oder Scheie-Syndrom)

Lysosomale Speichererkrankung [202]

NEU1 [202]

aut. rez. [202]

1:42 000000 [202]

Ataxie, Myoklonus, fortschreitender Sehverlust [202]

Mukopolysaccharidose Typ II (Hunter)

IDS[203]

X-chromosomal, rezessiv [203]

0,5–1:100 000 [203]

Symptomorientiert, Enzymsubstitutionstherapie

grobe Gesichtszüge, Skelettdeformitäten und Gelenksteifheit, Wachstumsretardierung bei kurzer Statur, Beeinträchtigung der Atmung und des Herzens, einschließlich einer diffusen Valvulopathie, Leisten- und Nabelbrüche, Vergrößerung von Leber und Milz, neurologische Beteiligung in mindestens zwei Dritteln der Fälle, adeno-tonsillare Hypertrophie, obstruktive Schlafapnoe, retinale Degeneration [203]

Lysosomale Speichererkrankung

Niemann-Pick-C-Syndrom [204]

lysosomale Speicherkrankung; gestörter Cholesterin- und Fettsäuretransport [204]

NPC 1; NPC 2 [204]

aut. rez.

1:100 000–250 000 [204]

progressive Neurodegeneration, Hepatomegalie [204]

Leichter bis hochgradiger Hörverlust auch Neuropathie

NGLY1-Defizienz

Unfähigkeit, N-Glykan zu entfernen [205]

NGLY1 [205]

aut. rez.

< 63 Pat.weltweit

Neuropathie, Hornhautulzerationen, Dystonien

Oculo-auriculo-vertebrale Dysplasie (Goldenhar) Syndrom [206]

unbekannt

1:30 000–1–40 000 [206]

einseitige Fehlbildungen von Wangenknochen, Kiefer, Mund, Ohren, Augen und/oder Wirbeln [206]

Teil des Goldenhar-Syndroms Auralatresie, fehlender innerer Gehörgang [206]

Primary Distal Renal Tubular Azidosis (Distale RTA, Typ)

Protonenpump-Untereinheit B1 ist ebenfalls in der Stria vascularis exprimiert [207]; manche Pat. Zeigen auch einen erweiterten vestibulären Aquädukt

ATP6V1B1;ATP6V0A4 [207]

aut. rez.

Korrektur von Stoffwechseldefekten [207]

metabolische Azidose und Knochenerweichung (Osteomalazie) [207]

Hörverlust ist variabel und bildet sich oft nicht unter eine Alkali-Therapie zurück

Pompe-Krankheit (Glykogenose Typ 2)

Glykogenablagerung in Muskeln [208]

GAA [208]

aut. rez. [208]

1:40 000 [208]

angeborene oder fortschreitende Muskelschwäche, respiratorische Insuffizienz [208]

leichter Hörverlust, mögliche Stapediusmuskelschwäche [208]

Refsum-Krankheit

Versagen bei der Verstoffwechselung von Phytansäure [209] [210] [211]

PHYH; PEX7 [209] [210] [211]

aut .rez.

1:1.000 000 [209] [210] [211]

Retinitis pigmentosa, Ichthyose, Anosmie [209] [210] [211]

Eintreten der Symptome im Alter von 10 bis 20 Jahren Leichter bis hochgradiger Hörverlust auch Neuropathie [209] [210] [211] Bamiou et. al.

Rogers-Syndrom; Thiamin-responsive megaloblastäre Anämie

Thiamin-Pyrophospho-kinase-Mangel [212] [213], hochaffinen Thiamintransporter

SLC19A2 [212] [213]

aut. rez. [212] [213]

Weniger als 80 Fälle bekannt [175]

Thiaminsubstitution [212] [213]

Diabetes mellitus, megaloblastische Anämie [212] [213]

Thiamin-Pyrophospho-kinase = hochaffiner Thiamintransporter

Schindler-Syndrom

Lysosomale Speichererkrankung [214]

NAGA [214]

aut. rez. [214]

<1:200 000 [214]

progressive Neurodegeneration mit Hypotonie und Teleangiektasien in der Erwachsenenform [214]

Keratosen und Ichtyosen

Autosomal rezessive kongenitale Ichtyose bis Trichothiodystrophie

Nonsyndomale Keratinstörung durch Mutation von Genen, die die Keratinozyten-Differentierung regulieren

Versch., z. B. TGM1, ALOXE3, ALOX12B, PNPLA1 und CERS3 [215]

aut. rez.

1:100 000

symptomorientiert

Hitzeintoleranz, Pruritus, Wachstumsstörungen, Sehstörungen [215]

Verschiedene Formen, syndromale Formen sind z. B. KID

De Sanctis-Cacchione-Syndrom

Xeroderma pigmentosum; schwere DNA-Reparatur-Störung (defekte Nukleotid-Exzisionsreparatur)

XPA oder ERCC2/XPD [216]

aut. rez. [216] [217]

Etwa 200 Fälle bekannt

symptomorientiert

kutane Photosensitivät, Mikrozephalie, geistige Behinderung, Kleinwüchsigkeit, Hypogonadismus, Spasmus, periphere Neuropathie [216] [217]

Harlequin-Ichtyose

Hyperkeratose bei defektem Keratinozyten-Transmembran-Lipid-Transporter-Protein und Störung des Lipid-Transports an das Stratum corneum [218]

ABCA12 [218]

aut. rez.

1:500 000 [218]

symptomorientiert

verdickte gelbliche Haut mit Fissuren, Ektropion, Eklabium, runder offener Mund, Fehlen der Kopfbehaarung, sowie Wimpern und Augenbrauen [218]

Schwerste Form der kongenitalen Ichtyosen,

Kerotosis-Ichtyosis-Deafness-Syndrom (KID)

Connexin-26 Störung [219]

GJB2 [219]

spor., auch auch aut. dom. und rez. Fälle bekannt [219]

Weniger als 100 Fälle bekannt [219]

Erythrokeratodermische, folliculäre Hyperkeratose, psoriasiforme oder verruköse Plaques, Palmoplantares Keratodermatose, Okuläre Keratits, Konjunktivitis, Hypotrichose [219]

Carakteristische Trias: ichthyosiforme Erythrodermatose, Hochgradide Schallempfindungsschwerhörigkeit, vaskularisierende Keratitis [219]

Hereditäre Palmoplantarkeratose (PKK)

Connxin-26-bedingte Veränderung der Cx43 Gap junctions (erhöhte Halbkanal-Aktivität) [220]

GJB2 (Cx26-H73R, und Cx26-S183F) [220]

aut. dom oder mitoch. [175]

Sehr selten < 1.1 000 000 [175]

Palmare und plantare Hyperkeratose[220]

Trichothiodystrophie

Nukleotid-Exzisionsreparatur

ERCC2, ERCC3, TTDA, TTDN1, GTF2E2

aut. rez.

1:1 000 000

Dermale Ichthyose, mentale und Wachstums-Retardierung Hypogonadismus [221]

Variable Manifestationen, BIDS (brittle hair, impaired intelligence, decreased fertility, and short stature), IBIDS (mit Ichthyose), PIBIDS (mit Photosensitivität), oder Tay-Syndrom [221]

Syndrome

Alström-Syndrom Alström bis Zellweger-Spektrum-Erkrankungen

Ziliopathie [222]

ALMS1 [222]

aut. rez. [222]

1–9:100 000 [222]

CI

Photorezeptordystrophie, Adipositas, Typ-2 Diabetes, Hyperlipidämie, Acanthosis nigricans, Hypogonadismus, renale, pulmonale und hepatische Dysfunktion, dilatative Kardiomyopathie [222]

Arts-Syndrom

Mangel an Phosphoribosyl Pyrophosphat Synthetase 1 [223]

PRPS1 [223]

X-chromosomal

sehr selten

Ataxie, mentale Retardierung, Hypotonie, Opticus-Atrophie, periphere Neuropathie [223]

Barakat-Syndrom

Entwicklungsstörung der Nebenschilddrüse, der Niere und des Innenohrs [135]

GATA3 [224]

aut. dom.

180 Pat. Weltweit [224]

symptomorientiert

Hypoparathyreoidismus, Taubheit und Nierenerkrankungen; variable Phänotypen möglich [224] [225]

Bardet-Biedl-Syndrom

Ziliopathie [135] [226]

21 versch. Gene [226]

aut. rez.

ca. 1:150 000 [227]

symptomorientiert; experimentelle gentherapeutische Ansätze [228]

Adipositas, Pigment-Retinopathie, Nierenerkrankung, Anosmie, Hypogonadismus, Situs inversus [226] [227] [228]

Inzidenz höher in Gegenden mit häufiger Konsanguinität [227]

Bartter und Gitelman Syndrom

Channelopathie [229]

Diverse, z. B. KCNJ1, NKCC, NCCT, BSND, ROMK, IBS, CLCNKB, SLC12A1 SLC12A3 [229] [230]

aut. rez. [229]

Hypokaliämie, hypochlorämische metabolische Alkalose, Polyurie, Polydypsie

Bartter Typ 1–4, Gitelman (SLC12A3) als milde, late onset Form

Björnstad-Syndrom

Chaperonopathie, Störung der ATPase und Mangel des mitochondrialen Komplex III [231]

BCS1L [231]

aut. rez. und aut. dom. [231]

Extrem selten [231]

Pilli torti [231]

Störung des mitochondrialen Respirasomes

Branchio-Oculo-Faziales-Syndrom (BOFS)

Störung des Retinolsäure-induzierbaren Transkriptionsfaktors AP-2 alpha und somit der Regulierung der Morphogenese des Auges, des Gesichts, Haut, Neuralrohrs und Nieren [232]

TFAP2A [232] [233]

aut. dom [232] [233]

< 1:1 000 000 [175]

symptomorientiert

Geringes Geburtsgewicht und Wachtumsretardierung, Branchiale Hautveränderungen (hämangoiomähnliche Erscheinung) am Hals und hinter den Ohren), Mikroophtalmie, Ptosis, Katarakt, Dacryocystitis, Charakteristische Gesichtsveränderungen (weites Philtrum, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, flache breite Nase, tief stehende nach hinten rotierte Ohren) [232] [233]

Hörverlust kann konduktiv, sensorineural oder gemischt sein; klinisch Überlappungen zum BOR-Syndrom [232] [233]

Branchio-Oto-Renales-Syndrom (BOR)

Störung der renalen Anlage und der otischen Plakode [234] [235]; Milde cochleäre Hypoplasia; zweit häufigste Malformation

EYA1 (40% der Pat. mit klinischen Symptomen), SIX1, SIX5 (Gene des EYA-DACH-SIX-PAX Pathways) [234] [235] [236]

aut. dom. [234] [236]

1:40 000 [234] [236]

symptomorientiert

Branchiale Fistel zervikal oder präaurikulär, Hypoplasie, Dysplasie oder Agenesie der Nieren, Aplasien des 8. Hirnnervens [234] [236]

Variable Präsentation und Schweregrad [235]; Radiologisch: unvollständig aufgerollte Cochlea [236]

Boudhina-Yedes-Khiari Syndrom

Neuro-kutane Erkrankung [237]

aut. rez. [237]

3 Pat. Weltweit [237]

symptomorientiert

Wachstumsverzögerung, Mikrozephalie, geistige Retardierung, Epilepsie und Hautläsionen [237]

Carpenter-Syndrom, Acrocephalopolysyndactylie Typ II

Mutation der Guanosin- Triphosphatasen (GTPases) [238] [239] [240]

RAB23 [238] [239] [240]

aut. rez. [238] [239] [240]

extrem selten [175], um die 40 Fälle bekannt

symptomorientiert

Kraniosynostose, kraniofaziale Malformationen, Polysyndactylie, Adipositas, geistige Behinderung, Hypogonadismus [238] [239] [240]

RAB23 = Ras-associated binding protein 23; Negativ-Regulator des Sonic Hedgehog und Fibroblast Growth Factor Signalwegs [238];

CHARGE-Syndrom, Hall-Hittner-Syndrom

Neurocristopathie, Dysregulierte Genexpression und Entwicklung der Neuralleiste, Dysregulation Entwicklung der Neuralleisten-Stammzellen, Dysregulation des alternativen Splicings (Spliceosomopathie) [98] [241]

CHD7 Heterozygote Mutation 8q12 [98] sowie neu identifizierte Gene: PUF60, EP300, RERE, KMT2D und KDM6A [241]

aut. dom. (97% de novo) [98] [241]

0,1–1:10 000 [135]

symptomorientiert, CI

Variable Expression der Symptome; Sehstörungen, Herzanomalien, skeletale, oronasale, gastrointestinale und genitourinale Fehlbildungen, Wachstumsstörungen, craniofaziale Missbildungen, Anosmie, Fazialisparese, Immundefizienz [241] Diagnostische Kriterien [98]: (Typisch: 2 oder 3 Haupt- und 2 Nebenkriterien; Hauptkriterien: Kolobom (ocular), Choanal-Atresie/Stenose Hypo-/Aplasia der Bogengänge Nebenkriterien: Rhombenzephalische Dysfunktion (Hirnstamm und Hirnnerven-Anomalien), hypothalamo-hypophyseale Dysfunktion, Malformation des inneren und/oder äußeren Gehörgangs, der mediastinalen Organe (Herz, Ösophagus), intellektuelle Schwäche

CHARGE = Coloboma of the eye, Heart defects, Atresia of choanae, Retardation of growth, Genital abnormalities, Ear anomalies; Überlappungen mit den Kallmann-, Kabuki-, 22q11.2- und Nager Syndrome sowie mit der Guion- Almeida-mandibulofazialen Dysostose [241]; Fehlen der Bogengänge ist höchst-prädiktiv für eine CHD7 Mutation

Cockayne-Syndrom, Neill-Dingwal-Syndrom

Verzögerte DNA-Reparatur nach UV-Licht-Exposition, mitochondriale Veränderung [242] [243]

ERCC8, ERCC6 [242]

aut. rez.

1:250 000 [242]

symptomorientiert

Zwergwuchs, zerebrale und retinale Atrophie, Gelenkkontrakturen, Photosensitivität und faltige Haut, Artherosklerose und Vaskulopathie, Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzinfarkt, periphere Neuropathie [242]

3 Typen;

Coffin-Lowry-Syndrom

Wachstumsfaktor-regulierte Serin-Threonin-Protein-Kinase [244] [245]

RSK2; Locus Xp22.2 [244] [245]

X-linked [244] [245]

> 100 Fälle bekannt [244] [245]

symptomorientiert

Schwere geistige Behinderung, Kleinwuchs, Hypertelorismus, prominente Stirn, antevertierte Nasenöffnungen, dicke aber an den spitzen schmale Finger, Kyphoskoliose [244] [245]

Coffin-Siris-Syndrom

Mutationen des BRG-1 associated factor (BAF) Komplexes, der Zellwachstum, -teilung, -replikation und –differenzierung sowie in DNA-Reparatur [246] [247]

ARID1A, ARID1B, SMARCA4, SMARCB1, SMARCE1, SOX11 [246] [247]

aut. dom. und aut. rez. [246] [247]

Ca. 100 Fälle bekannt [246] [247]

symptomorientiert

Kognitive und Entwicklungsstörung, hypoplastische Phalangen und Nägel des kleinen Fingers, Hirsutismus, Ptosis, Katarakt, Strabismus, Hypospadie [246] [247]

Cornelia-de-Lange-Syndrom

Kohesinopathie, Störung der Chromatidkohäsion und damit Mitose, Störung der Regulation der Transkription [248] [249] [250]

SMC1A, SMC3, RAD21 or HDAC8 [248] [249] [250]

aut. dom. oder X-linked

Mehr als 400 bekannte Fälle

symptomorientiert

Gesichtsdysmorphien, (gewölbte Augenbrauen mit Synophrie, langes Philtrum, dünne Lippen, behaarte Stirn), pränatale und postnatale Wachstumsretardierung, kognitive Beeinträchtigungen, gastrointestinale Missbildungen, angeborene Herzanomalien und Gliedmaßenfehler [248] [249] [250]

Curschmann-Batten-Steinert-Syndrom, myotone Dystrophie

Gendefekt resultiert Splicingdefekte der pre-mRNAs multipler Gene

DMPK (Typ I), CNBP (Typ II); beide Loci benachbart zum DFNA18 Locus [251] [252] [253]

aut. dom.

Myotonie, Muskelschwund, Insulinresistenz, Herzrhythmusstörungen, Katarakt, Kognitionsstörung und geistige Behinderung

Zwei Typen bekannt, auch subklinisch cochleärer Schaden ohne Hörverlust;

Donnai-Barrow-Syndrom

Okkulo-Auditorisches Syndrom [254] [255]

LRP2 [254] [255]

aut rez. [254] [255]

<50 Pat. Weltweit [254] [255]

symptomorientiert

Zwerchfellhernie, Exophthalmus, Fehlen des Corpus callosum, Myopie, Proteinurie [254] [255]

DOOR-Syndrom

unbekannt

TBC1D24 [256], SMARCB1 [257]

aut. rez. [256] [257]

Etwa 50 Fälle bekannt [257]

symptomorientiert

Onychodystrophie, Osteodystrophie, Retardierung, Krampfanfälle [256] [257]

DOOR= Deafness, Onychodystrophie, Osteodystrophie, Retardierung [256] [257]

Ehlers-Danlos-Syndrom

Störung der Kollagenbiosynthese [258] [259]

B4GALT7, B3GALT6, SLC39A13 u. a. [259]

aut. rez.

1:5 000 [258]

symptomorientiert

Haut- und Gelenkhyperlaxität, Spondylodysplasie, Kyphoskoliose, Aneurysmata und Rupturen von Arterien, Osteopenie/Osteoporose [258] [259]

Versch. Subtypen bekannt

Fountain-Syndrom

unbekannt

unbekannt

aut. rez.

extrem selten

symptomorientiert

Geistige Retardierung, erythhematöse Schwellung im Gesicht, skeletale Veränderungen[260]

Freeman-Burian (Sheldon)-Syndrom

distale Arthrogrypose, Multiple Kontrakturen [261]

MYH3 [261]

Sporadisch, aut. dom. [261]

Ca. 100 Fälle bekannt

symptomorientiert

Mikrostomie, wie zum Pfeifen geschürzte Lippen, H- oder V-förmiger Kinndefekt, prominente Nasolabialfalten und größere Kontrakturen von 2 oder mehr Körperregionen, typischerweise an Händen und Füßen [261]

Kraniofaziales Syndrom

Hajdu-Cheney-Syndrom

Störung des intercellular Notch-Signalweges [262]

NOTCH2 [262]

aut. dom.

mehr als 80 Fälle bekannt [262]

symptomorientiert

kraniofaziale Anomalien, kardiovaskuläre Erkrankung, Nierenzysten [262]

Kraniofaziales Syndrom

HOXA1-Syndrom

Entwicklungsstörungen des Kopfes, des nervalen Systems, Innenohr und des vaskuläres Systems [263]

HOXA1 [263]

aut. rez. [263]

extrem selten [263]

bilaterales Duane Syndrom, cerebrovaskuläre und cardiovaskuläre Malformationen, Autismus; variable Phänotypen möglich [263]

Gemischter Hörverlust

Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom

Verringertes subkutanes Fett, aberrante Lamin A Produktion [264]

LMNA [264]

de novo, aut. dom. [264]

1:4 000 000 [264]

Osteolyse, verzögerte Eruption und verzögerter Verlust der Milchzähne, abnormale Hautpigmentierung, Alopezie, Osteoporose, schwere Atherosklerose, nächtlicher Lagophthalmos [264]

Johanson-Blizzard-Syndrom

Defekt der Ubiquitin Protein Ligase E3 Komponente N-Rekognin 1(UBR1) und somit gestörte Ubiquitination und Degradation der Ubiquitin-assoziierten Proteine; Störung der Zellproliferation, Differenzierung, und Apoptosis [265]

UBR1 [265]

aut. rez. [265]

Sehr selten, ca. 70 Fälle bekannt [265]

exokrine Pankreasinsuffizienz, Hypoplasie der Nasenflügel, Oligodontie, Schädeldefekte, kogni- tive Störung, Kleinwuchs, Hypothyroidismus, Mikrozephalie, intrauterine Wachstumsstörung, kongenitale Herzfehler, urogenitale und anorektal Malformationen, Anomalie der Nieren, late-onset Diabetes mellitus [265]

Juberg-Marsidi-Syndrom

Störung der E3 Ubiquitin Ligase, die Schlüsselfaktoren wie p53 und Mcl1 reguliert [266]

HUWE1 [266]

X-chrom. rez. [266]

6 Familien bekannt [266]

symptomorientiert

Geistige Retardierung, Wachstumsstörung, Hypogonadismus, Hypertelorismus, Mikrozephalie [266]

Hörverlust eventuell bedingt durch rez. Otitis med.?

Kabuki-Syndrom

Gestörte Histonen-Lysin-Methylierung und des Chromatin-Remodellings [267]

KMT2D, gel. auch KDM6A [267]

X-chrom. [267]

1:32 000–86 000 [267]

Neugeborenenhypotonie, Ernährungsschwierigkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter, postnatale Wachstumsstörungen, Skelettanomalien, Störungen des Immunsystems, endokrine Anomalien und angeborene Fehlbildungen von Herz, Niere und Gaumen [267]

Kallmann-Syndrom

Defekte Entwicklung der Gonadotropin-releasing Hormon sekretierenden Neurone und Ausbleiben der Pubertät [268]

SOX10, KAL1, FGFR1, FGF8, FGF17, CHD7 u. a. [268]

X-linked, aut. rez. oder aut. dom.

Sehr selten

Hormonersatztherapie

Hypogonadotroper Hypogonadismus mit Anosmie, Lippen-Gaumen-Spalte, renale Agenesie, kurze Metakarpalknochen, Synkinesie, Bewegungsstörungen der Augen, zerebellare Ataxie und Skoliose [268]

Inzidenz der kongenitalen Hypogonadotropen Hypogonadismus –Syndrome 1:50 000

Kearns-Sayre-Syndrom

Mitochondriopathie, Störung der oxidativen Phosphorylierung [269]

Deletion der mitochondrialen DNA [269]

de novo, selten X-linked [269]

1.6:100 000 [269]

Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie, Retinopathia pigmentosa, Reizleitungsstörungen, endokrine Beteiligung, Schwäche der nicht-occularen Muskulatur, Enzephalopathie [269] [270]

Charakteristische Trias: Erkrankungsbeginn vor dem 20. Lebensjahr, Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie, Retinopathia pigmentosa [269]

Klippel-Feil-Syndrom

Kongenitale Synostose [271]

Verschiedene; GDF6, GDF3, MEOX1

Sporadisch, gel aut. rez oder aut. dom.

1:40 000 [271]

Kongenitale Malformation der Wirbelsäule, extraskeletale Manifestation mit Urogenital- und Herz-Kreislauf-Anomalien, Neuralrohrdefekten und Gaumenspalten [271] [272]

Kniest-Dysplasie

Typ-II-Kollagenose [273]

COL2A1 [273]

aut. dom.,

selten, exakte Inzidenz unbekannt [273]

kurzer Rumpf und Gliedmaßen, Kyphoskoliose und kraniofaziale Anomalien [273]

LADD-Syndrom

FGFR 2, FGFR 3, FGF10 [274]

Sehr selten, weniger als 30 Fälle bekannt [274]

Hypoplasie/ Aplasie der lacrimalen Drüsen/Gangs, Hypoplasie/Aplasie der Speicheldrüsen, dental Anomalien, Malformationen der Ohren und der Finger [274]

Landau-Kleffner-Syndrom

erworbene epileptiforme Aphasie [275]

Unklar, Mutation von GRIN2A, RELN, BSN, EPHB2 und NID2 beschrieben [275]

Keine Angaben in Lit. [275]

Ca. 1:1.000 000 [275]

Antikonvulsive Therapie, Steroide, adrenocorticotrope Hormonsubstitution, ketogene Diät, Immunoglobuline [275]

Epileptische Anfälle, Regression der Sprache, aggressives und hyperaktives Verhalten [275]

abnormes EEG, Autismus-Spektrum-Störungen

Noonan-Syndrom (früher: LEOPARD-Syndrom)

RAS/MAPK Störungen, Entwicklungsstörung Neuralleiste durch Mutationen des „non-receptor protein tyrosine phosphatase“ SHP2 [276]

PTPN11, RAF und BRAF [276]

aut. dom.

Ca. 200 Fälle bekannt [276]

Lentigines, Elektrokardiogramm-Anomalie, okulärer Hypertelorismus, Pulmonalklappenstenose, Mikrognathie, Wachstumsretardierung [276]

Levy-Yeboa-Syndrom

KCNQ1 und KCNE3 [277]

aut. rez.

1 Familie mit 3 Geschwistern bisher beschrieben [277]

kongenital Myopathie, rezidivierende sekretorische Diarrhö, Epidermolysis bullosa, Mikrozephalie [277]

Marshall-Syndrom

gestörte ektodermale Entwicklung [278]

Coll11A1 [278]

aut. dom.

<1:1000000

Gesichtsdysmorphie, Hypoplasie der Nasenknochen und Stirnhöhlen, Skelettanomalien [278]

progressiver Hörverlust

Maternally Inherited Leigh Syndrome (MILS) and NARP Syndrome

mitochondriale Erkrankung [279]

MTATP6 [279]

Maternal [279]

1:12,000–1:40,000

Neuropathie, Ataxie, Retinitis pigmentosa [279]

MILS 90% Mt DNA mutiert; NARP 70–80% Mt DNA mutiert; Rawle et. al.

Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser Syndrom

Hemmungsfehlbildung der Müller-Gänge

1:4000–1:5000 [280]

Ovarial- und Uterus-Agenesie, Nierendysplasie [280]

McCune-Albright-Syndrom

Überschussproduktion von Wachstumsfaktoren und Hormonen [281]

GNAS [281]

Mosaik [281]

1:100 000–1:1.000 000

fibröse Dysplasie, Café-au-lait-Flecken, Hypophysendysfunktion [281]

MELAS-Syndrom

mitochondriale Erkrankung [282] [283]

MT-TL1 u. weitere mitochondriale DNA-Mutationen [282] [283]

Maternal

Myopathie, Enzephalopathie und schlaganfallähnliche Episoden; Laktatazidose [282] [283]

Pathologische Veränderungen in der Stria vascularis post mortem nachgewiesen

MERRF

mitochondriale Erkrankung [284]

MT-TK [284]

Maternal [284]

Myoklonus, epileptische Anfälle, Ataxie, Muskelschwäche und Demenz, Kleinwüchsigkeit, Degeneration des optischen Nervs, periphere Neuropathie, Kardiomyopathie [284]

Möbius Syndrom

Störung der Hirnstammentwicklung [285]

REV3L PLXND1 [285]

de novo

1:250 000 [285]

Fazialis-Parese sowie Parese weiterer Hirnnerven [285]

Hörverlust in ca. 10% der Patienten

Myhre Syndrom

„Gain of functio“-Mutation, Überschießendes TGFbeta Signaling [286]

SMAD4 [286]

aut. dom. [286]

<1:1 000 000

Mikrozephalie, Mittelgesichtshypoplasie, Prognathie und Blepharophimose, Kleinwüchsigkeit [286]

Erweiterter vestibulärer Aquädukt als häufigste radiologische Auffälligkeit

Otospondylomegaepiphysealdysplasie; OSMED-Syndrom

Kollagen-Defekt [287]

COLL11A2 [287]

aut. rez. [287]

<1:1 000 000 [287]

vergrößerte Epiphysen, Skelettdysplasie mit unverhältnismäßig kurzen Gliedmaßen, Wirbelkörperanomalien [287]

Hochfrequenz-Hörverlust Pierre Robbin Sequenz

Pendred-Syndrom

Partielle Störung des Pendrins, eines Anionenaustauschers

SLC26A4, FOX11, KCNJ10 [288]

aut. rez. [288]

7:100 000 [288]

Anomalien des Felsenbeins mit erweitertem vestibulären Aquädukt und gel. hypoplastischer Cochlea, Schwindel, euthyreote Struma [288] [289]

auch hypothyreute Verläufe

Pfeiffer-Syndrom

Verlängertes FGF-Signaling [290]

FGFR1, FGFR2 [290]

aut. dom. [290]

1:100 000 [290]

Kraniosynostose [290]

Schallleitungsschwerhörigkeit und gelegentlich auch Innenohrschwerhörigkeit

PIGA-Syndrom

Glycosylphosphatidylinositol-Defizienz [291]

PIGA [291]

X-chromosomal [291]

Selten [291]

Infantile Spasmen, Epilepsie, mentale Retardierung, Zerebrale Läsionen [291]

Primäre ziliäre Dyskinesie (Kartagener-Syndrom)

DNAI1, DNAH5 DNAH11, CCDC39, CCDC40 [292]

aut .rez. [292]

1:16 000 [292]

Tägl. Husten, Chronische Infektion der Atemwege, Situs inversus, Asplenie, Infertilität [292]

Otitis media + Innenohrschwerhörigkeit (30%)

Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom

Ionenkanalmutation, [293]

KCNE1 oder KCNQ1, SCN5A [293]

aut. rez. oder aut. dom.

1:2 000–1:44 500

Defibrillator, Beta-blocker, CI

Herzrhythmusstörungen, verlängertes QT-Intervall [293]

Rieger-Axenfeld-Syndrom

Irido-Dentale-Dysplasie [294]

FOXC1 [294]

aut. dom.

1–9:1 000 000

Gesicht-, Zahn-, Nabel- und Skelletmalformationen, kongenitale Herzfehler [294]

Russel-Silver-Syndrom

Methylierungsstörung/ Imprinting Störung [295]

aut. dom., aut. rez. [295]

1:15 000 [295]

Entwicklungsverzögerung, Kleinwuchs, Clinodaktylie, Hypoglykämie, Skoliose [295]

Schinzel-Giedion-Syndrom

„Gain of function“ Mutation [296]

SETBP1 [296]

aut. dom. [296]

<1:1 000 000 [296]

Gesichtsdysmorphien, Hydronephrose, schwere Entwicklungsverzögerung, mentale Retardierung, typische Skelettfehlbildungen sowie genitale und Herz-Anomalien, erhöhte Inzidenz neuroepithelialer Neoplasien [296]

Senior-Løken-Syndrom

Ziliopathie [297] [298]

Mehr als 10 Gene [298]

aut. rez. [297]

1:1 000 000 [297]

symptomorientiert

Nephronopthysis, Retinopathie, Diabetes insipidus, zerebelläre Ataxie, hepatische Fibrose [297] [298]

SeSAME-Syndrom

Störung der Entwicklung des Gehirns, der Niere und der Stria vascularis [299]

KCNJ10 [299]

aut. rez. [299]

<1:100 000 [299]

Epilepsie, Ataxie, und Elektrolytstörung [299]

Synonym: EAST-Syndrom

Sotos-Syndrom

Mutation der Histon-Methyltransferase [300]

NSD1 [300]

aut. dom. [300]

1:10 000 [300]

langes, schmales Gesicht, hohe Stirn, gerötete Wangen und ein kleines, spitzes Kinn, ADHS, Hypotonie, übermäßiges Wachstum [300]

Auch Schalleitungsschwerhörigkeit [300]

STAR-Syndrom

Unbekannt [301]

FAM58A (CCNQ) [301]

X-chromosomal [301]

Selten [301]

Telekanthus, Syndaktilie, renale und anogenitale Malformationen [301]

Tietz-Syndrom

Störung der Entwicklung von Melanozyten [302]

MITF [302]

aut. dom.

<50 Pat. Weltweit

CI

Hypopigmentierung und hochgradiger Hörverlust [302]

Auch in Waardenburg Syndrom

Townes-Brocks-Syndrom

Fehlentwicklung der Zilien [303]

SALL1 [303]

aut. dom. [303]

Analatresie, dysplastische Ohren und Daumenfehlbildungen [303]

Usher-Syndrom

Degeneration von Haarzellen und Photorezeptoren [304]

Ush 1: MYOVIIA, CDH23, PCDH15, SANS Ush2: ADGRV1, WHRN Ush3: CLRN1 [288] [304]

aut. rez. [304]

3:100 000 [304]

CI

Ush 1: angeborene Hör- und Gleichgewichtsstörung, Visusverlust vor der Pubertät Ush2: angeborener Hörverlust, Visusverlust nach der Pubertät Ush3: progressiver Hörverlust, variabler Sehverlust und Gleichgewichtsstörung [288] [304]

10% aller Hörstörungen bei Kindern

Vici-Syndrom

globale Entwicklungsstörung [305]

EPG5 [305]

aut. rez. [305]

100 Pat weltweit [305]

symptomorientiert [305]

Agenesie des Corpus callosum, Grauer Star, okulokutane Hypopigmentierung, Kardiomyopathie, eine kombinierte Immunschwäche [305]

Störung der Autophagie

Waardenburg-Syndrom

Störung der Entwicklung von Melanozyten

Pax 3 (Typ I, III) MITF, SNAI2 (Typ II) Sox10, EDN3, EDNRB (Typ IV) [288] [306]

aut. dom. (I, III) aut. rez. (II, IV)

1:40 000

CI [307]

Hypopigmentierung und Hörverlust (Typ II). + dystopia canthorum (Typ I); + Missbildungen der oberen Extremitäten (Typ III); + Hirschsprung-Krankheit (Typ IV) [288] [306]

asymmetrischer und variabler Hörverlust

Wolfram-Syndrom, DIDMOAD

Mitochondriale Funktionsstörung durch Störung der Calcium-Hömeostase und Stress im endoplasmatischen Reticulum [308] [309]

WFS1, WFS2 [308] [309]

aut. rez. [308] [309]

1:55 000 [308] [309]

Insulin

Diabetes insipidus, Diabetes mellitus, Optikusatrophie und Ertaubung (Deafness), daher Akronym DIDMOAD [308] [309]

Progressiver Hörverlust ab der Kindheit, neurologische Symptome

Zellweger-Spektrum-Erkrankungen

Peroxisomale Funktionsstörung [310]

Pex 1,6,10 [310]

aut. rez. [310]

1:50 000 [310]

Gallensäure [310]

abgeflachtes Gesicht, Nieren-und Leberinsuffizienz; Retinitis pigmentosa [310]

Auditorische Neuropathie, „Infant Refsum disease“

Neural/Zentral

Alternierende Hemiplegie des Kindesalters (AHC); Weber-Syndrom, mediales medulläres Syndrom

Kanalopathie, alpha3-Untereinheit der Na+/K+-ATPase (ausschließlich in Neuronen des ZNS exprimiert)

ATP1A3

de novo Mutationen, selten aut. dom.

1:1 000 000 [135]

symptomorientiert

Schwäche- oder Paralyse-Episoden, Choreoathetose, Dystonien, Dyspnoe, Ataxie, Dysfunktion des autonomen Nervensystems, psychomotorische Regression, episodischer Nystagmus [135]

Arnold-Chiari-Malformation

Syringomyelie; Entwicklungsstörung des Hirnstamms und der oberen Rückenmarks [311]

unbekannt

unbekannt

unbekannt

symptomorientiert

Occipitale Cephalgie, Diplopie, Photophobie, Spina bifida, Meningoenzephalozelen, Dysphagie, Dysarthrie, Schlafapnoe [311]

Typ 0-VI

Autosomal dominante hereditäre Ataxien

Spinozerebeläre Degeneration, verschiedene Formen bekannt [312]

Verschiedene Gene

auto. dom., X-linked

1–5:100 000

symptomorientiert

Ataxien, gestörte Hand-Augen-Koordination, Sprechstörungen, Nystagmen, Diplopien, kognitive Beeinträchtigung, Optikusatrophie, Retinitis pigmentosa, Ophthalmoplegie, Diabetes, kardiale oder skelettale Erkrankungen [312]

Canavan-Van Bogaert-Bertrand

Leukodystropie, Aspartoacylase-Enzym-Mangel und Akkumulation von N-Acetylaspartatsäure [313], diffuse spongiforme Degeneration der weißen Hirnsubstanz, Dys- und Demyeliniesierung [314]

ASPA [313] [314]

aut. rez. [313] [314]

1:100 000; häufiger in Ashkenasim [175]

Symptomorientiert, experimentelle Gen- und Zelltherapie, experimentelle und human-getestete Ansätze mit Lithium

Makrozephalie, Muskelschwäche, Dysphagie, Krampfanfälle, nasale Regurgitation, Optikusatropie, schwere progressive Psychomotorische Retardierung

auditorische Neuropathie [314]; Fälle ohne auditorische Neuropathie und post mortem Nachweis von Haarzellverlust [315], kongenitale, infantile und juvenile Formen beschrieben

CAPOS/CAOS

Kanalopathie, alpha3-Untereinheit der Na+/K+-ATPase (ausschließlich in Neuronen des ZNS exprimiert)

ATP1A3 c.2452G > A [316]

de novo Mutation und aut. dom. [316]

< 1:1 000 000 [175]; etwas mehr als 40 Patienten in Literatur [317]

symptomorientiert

Cerebellare Ataxie, Areflexie, Pes cavus, Optikusatrophie [316] [318]

Charcot-Marie-Tooth-Neuropathie

CMT mit Hörverlust [319]

Verschiedene Gene; ABDH12; AIFM1;DNMT1;PRPS1;PTRH2 [319]

aut. rez, dom., X-linked [319]

1:3.300 [319]

symptomorientiert [319]

Progressive Neuropathie, Muskelschwäche, Lähmung der Stimmbänder, Retinitis pigmentosa und Katarakte, geistiger Behinderung mit Demenz [319]

80 Gene; Klassifizierung nach Genotyp; Leichter bis schwerer Hörverlust; „Hidden hearing loss“

(Stilling-Türk-) Duane-Syndrom

kraniale Dysinnervation [320] [321]

CHN1, MAFB, HOXA1, CDH2 [320] [321]

aut. dom und aut. rez. [320] [321]

1:1000 [320] [321]

symptomorientiert

Eingeschränkte horizontale Augenbewegung, Abduzenshypoplasie, skeletale, auriculäre, oculäre, neurale und renale Anomalien [320] [321]

3 Typen bekannt, gelegentlich Schalleitungsschwerhörigkeit [321]

Hereditäre sensorische Neuropathie

axonale Atrophie und Degeneration der sensorischen Neurone, gestörte Sphingolipidsynthese [322] [323]

SPTLC1 [322] [323]

aut. dom. [322] [323]

2:1 000 000

Verlust der distalen Sensorik, schmerzlose Verletzungen, Hautulcus, Knocheninfektionen, teilw. Schwere Infekte, die Amputationen der Zehen oder Füße [322] [323] erfordern, Demenz

Extensive Mikro-gliaaktivierung, könnte auch als inflammatorisch oder metabolisch eingeordnet werden

Superfizielle Siderose

Hämosiderinablagerung als Folge von wiederkehrenden Blutungen in den Subarachnoidalraum [324]

1:1 000 000 [324]

Deferiprone, CI [324]

Progressive bilaterale Schwerhörigkeit, Ataxie, vestibuläre Dysfunktion, Myelopathie mit pyramidalen Zeichen [324]

Sonstige

Cochleäre Dehiszenz („Third Window“-Syndrom)

Erweiterter cochleärer oder vestibulärer Aquädukt, knöcherne Dehiszenz [325]

Operativ

Pseudo-Schallleitungsschwerhörigkeit, Schwindel (Lärm- oder Valsalva-induziert), Autophonie [325]

Intralabyrinthäres Schwannom

Neoplasma

1:100 000 [326]

Operativ [327], CI [328]

Hörverlust, langsam progredient oder fluktuierend, Schwindel, Gangunsicherheit [327]

Progressive myoklone Epilepsie

Gruppe von Störungen mit gemeinsamen Symptomen, Umfasst genetische Krankheiten, mitochondriale Krankheiten und metabolische Syndrome [329]

Myoklonus, Epilepsie, Neurogeneration [329]


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4. Susac – Syndrom

Eine autoimmun-mikroangiopathische Endotheliopathie, die zum Verschluss der präkapillären Arteriolen des Gehirns, der Retina und des Innenohrs führt wird als Susac-Syndrom definiert [111]. Der Neuroophthalmologe John O. Susac (1940–2012) ist Namensgeber der Erkrankung. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2013 fasst die Daten aller bis dahin beschriebenen Fälle dieser seltenen Erkrankung zusammen [111] und Kriterien, anhand derer diese durch facettenreiche Phänotypen gekennzeichnete Erkrankung diagnostiziert werden kann, wurden definiert [112]. Der überwiegende Anteil (nahezu 80%) der Patienten sind Frauen. Da Autoimmunerkrankungen bei Frauen häufiger vorkommen, unterstützt dies die mögliche autoimmune Ursache der Susac-Erkrankung [111]. Auch wenn die Charakteristika der Erkrankung klar definiert sind, so ist die Diagnose oft schwierig und bedeutet einen langwierigen Weg für die Patienten. Schwere neuropsychologische Defizite, Gesichtsfeldausfälle und Hörverlust, aber auch unspezifische Symptome wie Cephalgie können auftreten.

Die Mehrzahl der Patienten entwickelt zuerst neurologische Symptome, sodass sie oft als multiple Sklerose fehldiagnostiziert wird. Innerhalb von 2 Jahren haben ca. 85% der Patienten die charakteristische Trias entwickelt [111]. Auch wurden nicht-klassische Symptome bei Patienten mit Susac-Syndrom beschrieben. Eine kürzlich erschienene Arbeit, die den Hörverlust des bekannten spanischen Malers Francisco Goya (1746–1828) vor dem Gesichtspunkt des heutigen Wissenstandes retrospektiv untersucht, geht von einer uncharakteristischen Manifestation des Susac-Syndroms aus, auch wenn der Maler glücklicherweise keine signifikante Störungen des Gesichtsfelds aufwies [113]. Eine otologische Manifestation der Syphilis, andere Vaskulitiden wie z. B. Churg–Strauss oder Autoimmunerkrankungen wie das Cogan-Syndrom können Symptome verursachen, die denen des Susac-Syndroms ähneln. Ein Charakteristikum der Erkrankung ist der Tiefton-betonte Hörverlust, zunächst einseitig und reversibel, später auch beidseits und bleibend [111] [114]. In seltenen Fällen manifestiert sich der Tiefton-Hörverlust als erstes Symptom, Jahre bevor die Krankheit erkannt wird [115]. Fluoreszenz-Angiographie und Tonaudiometrie sollten so früh wie möglich eingesetzt werden, um bei Verdacht die Diagnose zu sichern [111]. Multiple disseminierte Läsionen, insbesondere schnellballähnliche Veränderungen im Bereich des Corpus callosum und eine leptomeningeale Anreicherung sind charakteristische Veränderungen des Gehirns im MRT [116]. Eine frühe und aggressive Behandlung insbesondere bei neurologischer Manifestation bedingt eine gute Prognose.

Ein interdisziplinäres Vorgehen und eine enge Kommunikation zwischen Neurologen, Ophthalmologen, Neuroradiologen und HNO-Ärzten ist hierbei von wesentlicher Bedeutung und könnte zu einer Beschleunigung der Diagnosesicherung führen. Der tieftonbetonte Hörverlust, so wie er auch als erstes Zeichen einer Susac-Erkrankung auftreten kann, kann auch als ein Zeichen eines M. Menière, eines Tieftonhörsturzes oder eines intracochleären Schwammons sein [117]. Mit einer Prävalenz von ca. 0,2 % gilt auch M. Menière als eine seltene Erkrankung des Innenohrs und wird oft bei Patienten, die sich mit Tiefton-Hörminderung und Schwindel-Symptomatik präsentieren, vermutet. Eine Schwindelsymptomatik allein oder in Kombination mit einer Tieftonschwerhörigkeit kann indes auch bei Patienten mit Susac auftreten. Es ist daher durchaus denkbar, dass Patienten mit Susac zunächst unerkannt bleiben und als Menière-Fälle mit Steroiden behandelt werden. Auch Patienten, die initial mit einem Tieftonhörsturz diagnostiziert werden, könnten u.U. an einem Susac-Syndrom leiden. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet erscheint eine augenärztliche und neurologische Mitbeurteilung aller Patienten, bei denen ein Hörsturz oder ein M. Menière vermutet wird, als sinnvoll.

Die Pathophysiologie beim Susac-Syndrom ist durch eine Okklusion der Lumina der kleinen Gefäße bedingt [114]. Der Verschluss der Lumina wird durch Auto-Antikörper gegen vaskuläre Endothelzellen oder durch ein T-Zellen-vermitteltes Anschwellen der vaskulären Endothezellen erklärt. Auch wurde beim Susac-Syndrom eine Störung der mikrovaskulären Blut-Hirn-Schranke durch entzündliche Veränderungen in der Gefäßwand im MRT nachgewiesen [118].


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5. Schwerhörigkeit und Mikrozirkulation

Die Funktion des Innenohrs basiert auf einer einwandfreien Mikrozirkulation der Gefäße der Arteria labyrithii, die über den inneren Gehörgang in das Organ eintritt. Das Vorliegen einer gestörten Mikrozirkulation im Innenohr wird bei einer Reihe von Erkrankungen vermutet. Die Versorgung des Innenohrs basiert auf einer Endarterie, d. h., es gibt keine Anastomosen mit anderen Gefäßen, die im Falle eines Gefäßverschlusses die Versorgung des Organs übernehmen könnten. Die Arteria labyrinthii entspringt der Arteria cerebellaris anterior inferior und teilt sich im Innenohr in 3 Hauptstämme auf, die A. vestibularis anterior, die A. vestibulo-cochlearis und die A. cochlearis [119]. Eine Störung der mikrovaskulären Blut-Labyrinth-Schranke wird, basierend auf einer vermehrten Gadolinium-Aufnahme der betroffenen Innenohren in MRT-Studien, auch beim M. Menière vermutet [120]. Die Störung der Blut-Labyrinth-Schranke im Rahmen des M. Menière soll indes deutlich ausgeprägter sein als z. B. beim Hörsturz [120]. Tatsächlich zeigten post mortem Analysen an Patienten, die zu Lebzeiten an M. Menière litten, eine erhöhte Expression der induzierbaren Stickstoffmonoxid-Synthase, eine Schädigung der vaskulären Endothelzellen, eine Degeneration der perivaskulären Basalmembran und der extrazellulären Matrix und einen Verlust der Blut-Labyrinth-Schranke und diese Veränderungen sind vereinbar mit erhöhtem oxidativem Stress [120]. Interessanter sind ähnliche molekulare Prozesse (Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine und endotheliale und mitochondriale Dysregulation sowie oxidativer Stress) als zugrundeliegendes und als gemeinsames Kennzeichen beim Multiplen Organversagen identifiziert worden [121], sodass diese Prozesse möglicherweise eher als das Resultat einer Reihe von Insulten und Schäden zu sehen sind und nicht als ursächlich betrachtet werden können. Auf molekularer Ebene zeigen sich bei M. Menière-Patienten eine Hochregulierung von Cochlin sowie eine Herunterregulierung von Kollagen IV und Laminin-beta [122]. Post-mortem-Analysen an Patienten, die am Susac-Syndrom litten, zufolge sind diese indes nicht in der aktuellen Literatur zu finden. Die klassischen Schwindel-Attacken, die von M. Menière-Patienten berichtet werden, fehlen beim Susac-Syndrom. Dennoch ist aus HNO-ärztlicher Sicht neben dem Cogan-Syndrom die akute oder fluktuierende oder (schubweise) progrediente, auf einen endolymphatischen cochleären Hydrops basierende apicocochleäre Schalempfindungsschwerhörigkeit eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen des Susac-Syndroms.

Molekulare Marker im Blut und in anderen Körperflüssigkeiten für bestimmte Innenohr-Erkrankungen zu entdecken, wie z. B. das Cochlin bei M. Menière, könnte einer der Wege sein, die in die moderne Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde führen. Erste Ansätze zur Perilymph-Analyse bei Patienten im Rahmen von chirurgischen Innneonohreigriffen hat die Identifizierung einer Vielzahl von Proteinen ermöglicht, die nicht im Liquor oder im Plasma detektiert wurden [123]. Auch inflammatorische Markerproteine wurden in der humanen Perilymphe nachgeweisen [71], so dass die Erstellung eines Inflammasom-Profils der Perilymphe Aufschlüsse über den Pathomechanismus bestimmter Erkrankungen in Zukunft bedeuten könnte. Vor allem für die Charakterisierung seltener Erkrankungen des Innenohres könnte dies eine wertvolle Methode darstellen. Auch wenn die Perilymph-Entnahme während der Cochlea Implantation keinen Einfluss auf das Restgehörvermögen der Patienten hat [123], also möglichweiser eine zusätzliche Schädigung des Innenohrs anhand dieser Daten als unwahrscheinlich erscheint, steht die Entwicklung einer Perilymph-Entnahme als minimal-invasiver Eingriff unter lokaler Betäubung beim noch signifikanten Restgehör noch aus. Auch die Charakterisierung der Perilymphe einer „normalen“ Cochlea gestaltet sich als schwierig, da bislang nur Untersuchungen an Patienten vorliegen, die an anderen Erkrankungen des Nervensystems, z. B. Meningeom, litten [124].

Eine weitere Entwicklung im Zeitalter der „Big Data“, der künstlichen Intelligenz und des „Machine Learning“ ist die Bereitstellung von Datenbanken, die in spezifischen Konsortien idealerweise die kompletten Daten von Patienten weltweit verfügbar machen, die an einer bestimmten (seltenen) Erkrankung leiden. Auch als Anlaufstelle für Patienten zur Vermittlung an Kompetenz-Zentren und Pateinten-Selbsthilfe-Gruppen, sind Krankheits-spezifische Konsortien insbesondere für seltene Erkrankungen besonders wertvoll. Für das Susac-Syndrom werden solche Aktivitäten über das europäische Susac Konsortium (EuSaC), (EuSaC, http://www. eusac.net) koordiniert.


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6. Seltene Erkrankungen der Cochlea: Weiterführende Betrachtungen und Zusammenfassung

Das Innenohr ist ein anatomisch und histologisch hochkomplexes Organ bestehend aus verschiedenen Gewebearten. Entwicklungsstörung und im Verlauf des Lebens eintretende pathophysiologische Prozesse können alle Gewebearten des Innenohrs betreffen und zum Hörverlust führen. Obgleich Hörverlust statistisch gesehen die häufigste degenerative sensorineurale Erkrankung darstellt mit 16% betroffenen Europäern, ist Hörverlust v. a. auch ein wichtiger Bestandteil vieler seltener Erkrankungen. Insbesondere bei pädiatrischen Patienten können die seltenen Erkrankungen übersehen werden. Auch wenn in der heutigen Zeit der Zugriff zu bioinformatischen Datenbanken und Analyseprogrammen die Diagnostik vieler dieser seltenen Krankheitsbildern erleichtert, ist wegen der stark variierenden Phänotypen eine interdisziplinäre Untersuchung (z. B. Neurologie, Kardiologie, Nephrologie, Rheumatologie, Ophthalmologie sowie Otorhinolaryngologie) obligat.

Aufgrund des spärlichen Vorkommens werden seltene Erkrankungen insbesondere bei der Lehre und Ausbildung junger Ärzte vernachlässigt, da die Wahrscheinlichkeit, solchen Fällen in der täglichen Routine zu begegnen, eher gering ist. Erfolgt indes eine Gruppierung von Störungen (z. B. Augen-Innenohr, muskuloskeletales System-Innenohr, Herz-Niere-Innenohr, Innenohr-Schilddrüse, Innenohr-Gonaden), so wird klar wie, unabhängig vom Mechanismus, diese klinisch tatsächlich gehäuft auftreten können. Es zeigt aber auch, wie wertvoll neben der Embryonalentwicklung auch die klinische Auseinandersetzung mit den selten Erkrankungen eines Organsystems ist, um das Organ in seinem Aufbau, seine Funktionen und seinen Erkrankungen besser begreifen zu können.

Das Humangenomprojekt und die nun verfügbaren „high-throughput“ Sequenzierungsmethoden sowie Analysen des Proteoms, Transkriptoms, Epigenoms, Metaboloms sowie des Mikrobioms bieten uns bereits jetzt die Chance, Krankheitsprofile zu schärfen. Verschiedene Störungen, die ähnliche Symptome (Phänotyp) aufweisen, können sich sehr wohl auf der molekularen Ebene voneinander unterscheiden und müssen daher auch anders behandelt werden müssen (z. B. mitochondriale Erkrankungen versus lysosomale Speicherkrankheiten). Wir erkennen, dass Gene, die mehrere Signale kontrollieren und Chromosomenanomalien, die gleichzeitig zum Verlust mehrerer Gene führen, Breitbandeffekte und schwerwiegende Manifestationen auslösen. So zeigt z. B. das ursprüngliche Klassifikationssystem des Charcot-Marie-Tooth-Syndroms, wie das klinische Denken über seltene Erkrankungen sich in den letzten Jahren verändert hat. Zunächst basierend auf den Phänotypen, wurde das Klassifikationssystem auf der Grundlage der Progression und physiologischer Messungen erweitert, bis schließlich die aktuelle Klassifikation auf der Grundlage des Genotyps (aktuell über 80 Gene) entwickelt wurde. Obwohl gezeigt wurde, dass Krankheitsgene im Allgemeinen dazu neigen, in einer begrenzten Anzahl von Geweben exprimiert zu werden, ist nach wie vor unklar, wie die gewebespezifischen Expressionsmuster von Krankheitsgenen mit ihren pathologischen Manifestationen korrelieren. Proteom-Analysen zeigen, dass die meisten Genprodukte ihre Funktion häufig im Verband als Komplexe mehrerer unterschiedlicher Proteine ausüben [125]. Das könnte erklären, warum Mutationen verschiedener Proteine zu einem ähnlichen Phänotypen führen könnten. Neue Ansätze zeigen, dass beim Charcot-Marie-Tooth-Syndrom Typ 4F eine gewebsspezifische Überexpression von Genen im Rückenmark, im Dorsalganglion und in den Skeletmuskeln, die für bestimmte Proteinkomplexe kodieren, mit der pathologischen Manifestation korreliert [125]. Die zellulären Komponenten, die betroffen sind, sind die Telomerregionen der Chromosomen und die biologischen Prozessen, die gestört sind, gehören zur Mechanosensorik [125]. Solche Klassifikationssysteme bedeuten auch, dass mehrere, bis jetzt unerkannte biologische Prozesse zum Hörverlust führen können: Basalmembran/Kollagendefekte, Überexpression von Wachstumsfaktoren (z. B. TGF Beta/Interleukine) sowie Störungen der Melanozyten, der Autophagie und der Methylierung. Wie wir diese Erkenntnisse nutzen können, um neue Behandlungsmöglichkeiten insbesondere für diejenigen Patienten zu entwickeln, die an seltenen Erkrankungen leiden, könnte Inhalt künftiger Studien sein.

Das Beispiel des Susac-Syndroms zeigt, dass nicht nur andere Innenohrerkrankungen als Differenzialdiagnose zu erwägen sind, sondern auch ophthalmologische und neurologische Erkrankungen. Wichtig ist es, bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit unbekannter Ursache auch an eine (ggf. initiale) audiologische Manifestation einer seltenen Erkrankung zu denken. Eine interdisziplinäre diagnostische Abklärung kann helfen, bisher nicht bemerkte Symptome der Patienten zu erkennen und eine korrekte Diagnose eher zu stellen. Inwiefern Hörverlust in solchen Fällen bereits diagnostiziert werden kann, bevor er sich manifestiert hat, wäre eine prognostisch relevante Frage. Patienten mit einem subjektiv ungestörten Gehör in Ruhe können z. B. Schwierigkeiten beim Verstehen von Sprache im Störgeräusch haben (auch als Synaptopathie oder “Hidden Hearing Loss” bekannt, was v. a. auch als Frühzeichen einer progressiven Neurodegenerationserkrankung vorliegen kann). Oft bleibt diese Störung unerkannt, weil sie dem Patienten selten bewusst ist und mit den in der Routine genutzten diagnostischen Verfahren nicht nachweisbar ist. Gezieltes Testen des Sprachverstehens im Störgeräusch kann hier hinweisend sein. Dies würde bei Erkrankungen wie das Susac-Syndrom die frühzeitige Einleitung der Therapie erlauben. Die Identifikation von Patienten, die an „Hidden Hearing Loss“ leiden [126], ist letztlich auch deswegen relevant, weil zur Zeit 3 klinische Studien neue Therapien zur Behandlung mit vielversprechenden Ergebnissen testen.

Eine Vielzahl molekular und zellphysiologischer Prozesse liegen der Hörminderung insbesondere bei den seltenen Erkrankungen zugrunde. Die Zukunft der (auch der rein symptomatischen) Behandlung von Innenohr-Erkrankungen, die ja oft seltene Erkrankungen darstellen, kann insbesondere vom frühzeitigen Erkennen molekularer Störungen profitieren.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Athanasia Warnecke
HNO-Klinik, MH
Carl-Neuberg-Str. 1
D-30625 Hannover
Phone: 49 (0) 511 / 532 8809   

Publication History

Article published online:
30 April 2021

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Skizzierung der Morphogenese des Innenohres. Modifiziert nach Gray’s Anatomy, 41. Edition, 2016 [8], und nach Cummings, 7. Edition, 2020 [9]; Copyright Elsevier
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Abb. 2 Der Ort der Ausbildung der otischen Plakode entlang der Körperachse wird über die Expression von „fibroblast growth factors(FGF) aus dem Neuralrohr definiert [20]. Durch die Freisetzung von FGF im periotischen Mesoderm kurz vor der Ausbildung der otischen Plakode [21] kommt es zur Expression etlicher Transkriptionsfaktoren, die für Entwicklung des Innenohrs notwendig sind [22] [23]. Die Ausrichtung der anteroposterioren Achse beginnt mit der Expression von FGF10, „lunatic fringe“ (Lfng), Delta 1, Neurogenin1 (Ngn1) und „neuronal differentiation factor“ (NeuroD1) in der vorderen Region der invaginierenden otischen Plakode. Dieses Genexpressionsmuster beschränkt sich auf die vordere Region der Otozyste. Diese Beschränkung wird durch Tbx1 vermittelt, das ausschließlich in der posterioren Hälfte der Otozyste exprimiert wird. Die dorsoventrale Achse ist abhängig von der WNT- und SHH-Expression im Rautenhirn. WNT wird im dorsalen Bereich exprimiert und bedingt die Hochregulierung von Dlx5, Dlx6, Hmx2, Hmx3 und Gbx2, Gene, die die Entwicklung der vestibulären Strukturen in der dorsalen Region der Otozyste verantworten. Demgegenüber steht die Expression von SHH aus dem Notochord, welches das Schicksal (auditorisch) der Zellen im ventralen Teil der Otozyste bestimmt, indem es die Expression der Transkriptionsfaktoren Pax2, Ngn1, Lfng, NeuroD1, Sox2 und Six1 reguliert. BMP („bone morphogenetic protein“) und SHH hemmen sich gegenseitig, sodass BMP eine wesentliche Rolle bei der Morphogenese des Innenohrs zugesprochen wird. (Skizze modifiziert nach [24] [25]).
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Abb. 3 Schematische Darstellung der Kompartimente des sich entwickelnden Innenohres und Lokalisation der verschiedenen Organe (Corti-Organ: OC, Sacculus: S, Utriculus: U, Ductus endolymphaticus: ED, Cristae der Bogengänge: AC, PC und LC) sowie der Achsen (AP: antero-posterior; DV: dorso-ventral; ML: medio-lateral). Die Ausrichtung in der antero-posterioren Achse erfolgt vor der Ausrichtung nach dorso-ventral [26]. Die dorsoventrale Achse ist bis zur Ausbildung der Otozyste noch nicht festgelegt [27]. Die Achsenspezifikation beginnt bereits mit der Ausbildung der otischen Plakode und hängt von Faktoren ab ([Abb. 2]), die von den Rhombomeren 5 und 6 des Rautenhirns exprimiert werden. Sobald ein Rhombomer entlang der dorso-ventralen Achse in ovo rotiert ist, verschiebt die Expression der ventralen Gene Lfng, NeuroD1 und Six1 (siehe Tabelle BOR-Syndrom) in die dorsalen Regionen der Otozyste, wohingegen die Expression dorsaler Gene wie Gbx2 gehemmt ist. Dies bedeutet, dass durch Rotation der Rhombomere ventrale Bezirke des Rautenhirns ventrale Bereiche der Otozyste in dorsales otisches Gewebe transformieren können [26]. Die Ausbildung der Organe des Innenohres nach dem Stadium der Otozyste ist von der Expression von Gata3 (Siehe Tabelle Bakarat-HDR-Syndrom), Eya1 (siehe Tabelle BOR-Syndrom) und FGF3/8 (siehe Tabelle Kallmann-Syndrom) abhängig, wie Untersuchungen an Gata3-, Eya1- und FGF3/8-defizienten Mäusen gezeigt haben [28] [29] [30]. SHH (siehe Tabelle Inkomplette Partition und Carpenter-Syndrom) sowie Pax2 sind cochleäre Gene, da Mutationen in diesen Genen, lediglich die Ausbildung eines kurzen, geraden Ductus cochlearis erlauben. Als vestibuläre Gene werden hingegen Gbx2, Hmx2, Hmx3 sowie WNT bezeichnet, da ein Ausfall einer dieser Gene zu morphologischen Defekten in Sacculus, Utriculus oder den Bogengängen führt. (Zeichnung modifiziert nach Brigande et al., 2000 [16].)
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Abb. 4 Volume Rendering aus dem T2-Datensatz einer MRT – Untersuchung eines Patienten mit X-chromosomaler Schwerhörigkeit. Typisches korkenzieherartiges Bild der Cochlea (weißer Pfeil auf basaler Windung). Der Fundus (Pfeilspitze) des inneren Gehörganges ist aufgeweitet.
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Abb. 5 Patient mit einer X-chromosomale Schwerhörigkeit. CT Schläfenbein axial in 2 Ebenen (a) Es zeigt sich eine weite, offene Verbindung zwischen dem inneren Gehörgang und der basalen Windung, einer fehlender Modiolus und eine fehlende Lamina cribrosa (schwarzer Pfeil). (b) Links ist der breite Fazialiskanal gut darstellbar (schwarze Pfeilspitze). Nach Cochlea Implantation zeigt sich eine Fehllage des linksseitig eingebrachten CI-Elektroden-Arrays im inneren Gehörgang (weiße Pfeile).
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Abb. 6 Komplette Bogengangsaplasie. Axiale CT des Schläfenbeines bei kompletter Bogengangsaplasie. a Beidseitig hypoplastische Cochlea; b Rechts zeigt sich eine normale Weite der cochleären Apertur, links ist die Öffnung hochgradig eingeengt (Pfeil) – hier kann man eine Hypo- oder Aplasie des N. cochlearis bereits vermuten, beweisend ist dann aber erst das MRT; c Schmale Innere Gehörgänge (schwarze Pfeile) sind ebenso typisch wie das kommaförmig angelegte Vestibulum bds (weißes V); d Es sind keine Bogengänge erkennbar, der Aquäduktus vestibularis (Pfeil) stellt die einzige schmale Struktur dar.
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Abb. 7 Aplasie der Bogengänge. Volume Rendering aus dem T2-Datensatz einer MRT-Untersuchung eines Patienten mit kompletter Bogengangsaplasie und CHARGE-Syndrom. Die Cochlea (Pfeilspitze) ist hypoplastisch und das Vestibulum (Pfeil) enthält nur den Sacculus. Bogengänge sind keine ausgebildet.
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Abb. 8 T2 gewichtete axiale MRT eines Kindes mit CHARGE im Rahmen einer Cochlea-Implant-Voruntersuchung. Kolobom am rechten (schwarzer Pfeil) und linken Auge.
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Abb. 9 Patient mit cochleärer Aplasie. a Die schwarzen Pfeile zeigen den sklerosierten Bereich der otischen Kapsel, wo normalerweise die Cochlea ausgebildet wäre. b und c zeigen weiter dorsal gelegene Bereiche, die das dysplastische Vestibulum erfassen, das in d mit schwarzen Pfeilen beidseits gekennzeichnet ist.
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Fig. 1 Illustration of the morphogenesis of the inner ear; modified according to Gray’s Anatomy, 41st edition, 2016 [8], and according to Cummings, 7th Edition, 2020 [9]; copyright Elsevier.
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Fig. 2 The location of formation of the otic placode along the body axis is defined via the expression of fibroblast growth factors (FGF) from the neural tube [20]. The release of FGF in the periotic mesoderm shortly before the development of the otic placode [21] leads to the expression of several transcription factors that are necessary for the development of the inner ear [22] [23]. The orientation of the antero-posterior axis starts with the expression of FGF10, lunatic fringe (Lfng), delta 1, neurogenin1 (Ngn1), and neuronal differentiation factor (NeuroD1) in the anterior region of the invaginating otic placode. This gene expression pattern is limited to the anterior region of the otocyst. This limitation is mediated by Tbx1 that is exclusively expressed in the posterior part of the otocyst. The dorso-ventral axis depends on the WNT and SHH expression in the rhomb encephalon. WNT is expressed in the dorsal area and leads to upregulation of Dlx5, Dlx6, Hmx2, and Gbx2. These genes are responsible for the development of vestibular structures in the dorsal region of the otocyst. On the other hand, there is the expression of SHH from the notochord that determines the fate (auditory) of the cells in the ventral part of the otocyst by regulating the expression of the transcription factors Pax2, Ngn1, Lfng, NeuroD1, Sox2, and Six1. BMP (bone morphogenetic protein) and SHH inhibit each other so that BMP assumes a significant role in the morphogenesis of the inner ear. Illustration modified according to [24] [25].
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Fig. 3 Illustration of the compartments of the developing inner ear and location of the different organs (organ of Corti: OC; saccule: S; utricle: U; endolymphatic duct: ED; cristae of the semicircular canals: AC, PC and LC) as well as the axes (AP: antero-posterior; DV: dorso-ventral; ML: medio-lateral). The orientation in the antero-posterior axis takes place before the orientation in dorso-ventral direction [26]. The dorso-ventral axis is not defined until the formation of the otocyst [27]. The axial specification already starts with formation of the otic placode and depends on factors ([Fig. 2]) that are expressed by rhombomeres 5 and 6 of the rhombencephalon. As soon as a rhombomere is rotated in ovo along the dorso-ventral axis, the expression of the ventral genes Lfng, NeuroD1, and Six1 (see Table, BOR syndrome) is shifted into the dorsal regional of the otocyst, whereas the expression of dorsal genes like Gbx2 is inhibited. This means that by rotation of the rhombomeres ventral areas of the rhombencephalon may transform ventral areas of the otocyst into dorsal otic tissue [26]. The formation of organs of the inner ear after the stage of otocyst depends on the expression of Gata3 (see table, Bakarat-HDR syndrome), Eya1 (see table, BOR syndrome), and FGF3/8 (see table, Kallmann syndrome, which was shown in investigations of Gata3, Eya1, and FGF3/8 deficient mice [28] [29] [30]. SHH (see Table, incomplete partition and Carpenter syndrome) as well as Pax2 are cochlear genes because mutations in these genes allow only the formation of a short, straight cochlear duct. Gbx2, Hmx2, Hmx3, and WNT are considered as vestibular genes because a defect of one of these genes leads to morphological defects of the saccule, utricle, or the semicircular canals (illustration modified according to Brigande et al., 2000 [16]).
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Fig. 4 Volume rendering from the T2 dataset of an MRI of a patients with X-linked deafness. A typical corkscrew-like picture of the cochlea (white arrow pointing to the basal turn). The fundus (arrowhead) of the internal auditory canal is dilated.
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Fig. 5 Patient with X-linked deafness. Axial CT scan of the temporal bone in two levels a A widely open connection between the internal auditory canal and the basal turn is revealed as well as a missing modiolus and missing lamina cribrosa (black arrow). b On the left side, the broad canal of the facial nerve is well displayed (black arrowhead). After cochlea implantation, malposition of the left-sided inserted CI electrode array in the internal auditory canal (white arrows) is observed.
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Fig. 6 Complete aplasia of the semicircular canals. Axial CT scan of the temporal bone with complete aplasia of the semicircular canals. a Bilateral hypoplastic cochlea. b On the right, a normal width of the cochlear aperture is found, on the left, the aperture is severely narrowed (arrow) – hypo- or aplasia of the cochlear nerve can already be assumed but MRI has to provide the evidence. c Narrow internal auditory canals (black arrows) are typical such as the bilateral comma-shaped vestibule (white V). d The semicircular canals cannot be displayed, the vestibular aqueduct (arrow) is the only narrow structure.
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Fig. 7 Aplasia of the semicircular canals. Volume rendering from the T2 dataset of MRI of a patient with complete aplasia of the semicircular canals and CHARGE syndrome. The cochlea (arrowhead) is hypoplastic and the vestibule (arrow) contains only the saccule. The semicircular canals are not developed.
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Fig. 8 T2 weighted axial MRI of a child with CHARGE syndrome in the context of preliminary cochlea implant examination. Coloboma is found at the right (black arrow) and left eye.
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Fig. 9 Patient with cochlear aplasia. a The black arrows show the sclerotic area of the otic capsule where normally the cochlea is found. b and c show further dorsally located areas that comprise the dysplastic vestibule that is marked in d with black arrows on both sides.