Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2020; 27(06): 286-287
DOI: 10.1055/a-1247-2620
Gesellschaft
DFR

Deutsche Fachgesellschaft für Reisemedizin e. V.

Burkhard Rieke

Blitzlichter auf ein interessantes Fach

Werte Kolleginnen und Kollegen, werte Mitstreiter, ich denke, dass wir uns trotz Coronazeiten daran erinnern sollten, dass es neben Corona auch andere Themen im Leben von Reisemedizinern gibt. In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal einige Aspekte der Jahrestagung aufgreifen, nämlich die Themen der Posterpräsentationen. Ich denke, dass hier wieder einmal deutlich geworden ist, wie breit das Fach aufgestellt sein sollte, wie viele Überlappungen es mit Nachbarfächern wie Sport- und Arbeitsmedizin gibt und dass Reisemedizin weit mehr ist als impfen. Das in die Breite zu tragen, da liegt noch einige Arbeit vor uns!

Besonders erfreulich war, dass viele junge Kolleginnen und Kollegen sowie Studenten unserer Einladung nach Coburg gefolgt sind. Das Konzept des Vorstands, für die Teilnahme Studentenstipendien auszuschreiben, muss nach nunmehr 2 Jahrestagungen als erfolgreich und zukunftsweisend bezeichnet werden. So erreichen wir nicht nur eine notwendige „Verjüngung“ der Mitgliederstruktur, sondern es war auch erfreulich zu sehen, wie die jungen Gesichter integriert wurden, Kontakte knüpfen konnten, oder weltbekannte Köpfe wie unseren neuen Ehrenpräsidenten Prof. Steffen kennenlernen konnten. Und dieser hat sich im Kreis der „Jugend“ ganz offenbar sehr wohl gefühlt!

Mit dem Nachwuchs kommt auch neuer Schwung in die Gesellschaft, was an den Postern, die ganz überwiegend vom wissenschaftlichen Nachwuchs gestaltet wurden und deren Forschungsergebnisse darstellten, leicht erkennbar war.

Unfälle beim Bergwandern

Die Innsbrucker Arbeitsgruppe untersuchte die Sturzunfälle beim Bergwandern in den österreichischen Alpen. Insgesamt sind die Unfälle insbesondere auch unter Berücksichtigung, dass die Zahl der Wanderer signifikant zugenommen hat, zurückgegangen. Als oft unterschätztes Risiko bleibt jedoch Ermüdung und damit gerade auch die Phase des Abstiegs. Hier kann durch angemessene Tourenwahl und angepasste Belastungs-Pausen-Strategie sicher Besserung erreicht werden, was in der reisemedizinischen Beratung thematisiert werden sollte.


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Vorakklimatisation für große Höhen

Hier hinterfragte die Arbeitsgruppe um Tannheimer, ob ein derart defensives Höhenprofil wie von manchen kommerziellen Anbietern empfohlen wird, wirklich nötig ist. Am Beispiel seiner Besteigung des Manaslu konnte er zeigen, dass wesentlich kürzere Profile – für den Manaslu mit immerhin 8163 Hm waren das 10 Nächte – gleichsam effektiv sind. Vorakklimatisation in isobarer Hypoxie hat neben dem „Einsparen“ von Akklimatisationstagen vor Ort den entscheidenden Vorteil, dass sie jederzeit abgebrochen werden kann, sollten höhen- bzw. hypoxiebedingte Probleme auftreten. Die grundsätzliche Wirksamkeit der Vorakklimatisation steht heute außer Zweifel, auch wenn das ideale Hypoxieprofil noch nicht gefunden wurde.


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AMS und andere medizinische Probleme beim Trekking

Die Gruppe Haunholder et al. bearbeitete gleich mehrere Fragestellungen im Rahmen von Trekkingreisen und Aufenthalt in extremen Höhen. In einer Untersuchung von 350 Trekkern im Everest-Gebiet fand sich ein erstaunlich hoher Anteil mit einer Vorerkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, jedoch passierten praktisch keine Zwischenfälle, die auf diese Diagnosen zurückzuführen wären. Dies steht im Widerspruch zur Studie von Burtscher et al., der im Alpenraum einen wesentlich höheren Anteil derartiger Zwischenfälle beobachtet hatte. Offenbar profitiert die Gruppe der Trekker vom „healthy worker effect“, während in den scheinbar sicheren Alpen auch schwerer Kranke noch ein Bier und einen Spaziergang im Bereich von Hütten genießen und dort dann Symptome entwickeln.

Ein echtes Problem stellen nach wie vor die Höhenerkrankungen dar. Die Inzidenz hat im Laufe der Jahre zwar abgenommen, aber in hohem Maße wurde Risikoverhalten gerade für die schweren Formen des HAPE und des HACE gefunden bei gleichzeitig hoher Rate an „präventiver“ Selbstmedikation und weniger Akklimatisationstagen. Hier obliegt der Reisemedizin die Aufgabe einer genauen und forcierten Aufklärung vor Antritt der Reise sowie bei organisierten Reisen die Überprüfung des Höhenprofils, von dem eine Gruppe später dann entgegen der Aussagen der Veranstalter nicht mehr abweichen kann.

Bei den untersuchten 350 Trekkern fanden die Studienleiter bei immerhin 79,4 % während der Reise neu aufgetretene Beschwerden. Unter diesen war Schmerz das häufigste Symptom (34,5 %, zumeist Kopfschmerz (= Höhenkopfschmerz als Zeichen mangelnder Akklimatisation?)). Durchfall für 1–2 Tage trat bei 14,3 % auf, Verletzungen waren häufig, aber oberflächlich und fast immer unproblematisch. Die Notfallausstattung der Trekker war besser als erwartet, aber die wenigsten hatten das notwendige Wissen, den Inhalt ihrer Reiseapotheke richtig anzuwenden.

In der zusammenfassenden Betrachtung kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Trekking auch in großen Höhen und trotz Vorerkrankungen eine relativ sichere Art des Reisens ist, dass aber die Aufklärung über Höhenerkrankungen und Akklimatisation sowie über die Anwendung der Reiseapotheke verbessert werden sollte.


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Sightseeingflüge in Coronazeiten?

Mit einer ganz anderen Art der Höhe beschäftigte sich eine Gruppe der FH Aachen: Ist der Sitznachbar in Kleinflugzeugen gefährdet, wenn der jeweils andere infektiös ist? Unter Labor- wie realen Flugbedingungen konnte gezeigt werden, dass – wenn die Belüftung auf „max“ eingestellt wurde – die Luftwechselrate der Kabine ein Vielfaches höher ist als für Räume zur Risikominimierung empfohlen und, vielleicht noch wichtiger, dass es praktisch keinen Luftaustausch in der Querachse, also zum Sitznachbar gibt. Unter Wahrung der üblichen Maßnahmen wären also auch in COVID-Zeiten Sightseeing- und Ausbildungsflüge in Kleinflugzeugen sicher.


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Alpincross – ein Risikosport?

Schreiner untersuchte das Verletzungsrisiko bei der sehr in Mode gekommenen Alpenüberquerung mit dem Mountainbike. Von den 120 Akteuren wiesen 12,5 % Überlastungssymptome insbesondere der Knie auf (Gesamtrisiko 3,02/1000 Stunden). 19,2 % erlitten Verletzungen, fast immer durch Stürze. Sie waren minder schwerer Natur und in den meisten Fällen ermüdungsbedingt und damit potenziell vermeidbar. Das Gesamtrisiko des Alpencross ist somit minimal, allerdings ist durch zielgerichtete Beratung noch Potenzial für weitere Verbesserung vorhanden.


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Arbeitsmedizin als Teilbereich der Reisemedizin

Gleich mehrere Fragestellungen wurden im Rahmen internationaler Arbeitseinsätze präsentiert. Fehrenbacher et al. griffen die Hypothese auf, dass die temporäre Verschiebung der Hörschwelle als Vorstufe der Lärmschwerhörigkeit die Folge einer energetischen Erschöpfung des Ohres ist. In dem Fall und bei relativ großer Diffusionsstrecke im Innenohr müsste das Gehör in der Höhenhypoxie erhöht gefährdet sein. Dies konnte im Rahmen eines Trekkings zum Everest-Basecamp (ca. 5280 Hm) bestätigt werden. Die Autoren schlagen daher vor, dass die Auslöseschwelle, ab der Gehörschutz getragen werden muss, für Arbeiten in großer Höhe von 85 auf 80 dB(A) gesenkt wird. Interessanterweise stellt Akklimatisation keinen Schutzmechanismus für das Ohr dar, eine Erklärung hierfür steht noch aus.

Eine Gruppe um Küpper beschäftigte sich mit dem innerbetrieblichen Notfallmanagement, wenn ein Mitarbeiter im Auslandseinsatz in gesundheitliche Schwierigkeiten geraten sollte. Hier wurde ein System mit 3 Schlüsselpositionen vorgestellt, welche alle sich ergebenden Schnittstellen abdecken. Eine Evaluation anhand von Realfällen ergab, dass das System zu jeder Tages- und Nachtzeit innerhalb weniger als einer halben Stunde voll einsatzfähig ist.

Für den Auslandseinsatz bestehen immer wieder Impflücken, die in letzter Minute geschlossen werden, wenn sie noch rechtzeitig auffallen. Hier stellte die gleiche Arbeitsgruppe einen automatisierten Impfreminder vor: In einer Datenbank sind die Indikation und Auffrischungsfristen hinterlegt. Einmal pro Monat geht an diejenigen Mitarbeiter, bei denen eine Impfung aufgefrischt werden sollte, eine persönliche E-Mail, in der aus Datenschutzgründen nur die Aufforderung steht, mit dem Betriebsarzt wegen Impfung Kontakt aufzunehmen. Innerhalb von einem Jahr konnten so alle Impflücken außer bei den ideologischen Impfverweigerern geschlossen werden (success rate 96 %).


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Insgesamt ein herrlich buntes Bild

Weitere sportmedizinisch-orthopädische Arbeiten (Schöffl et al.), zur Frauenbeschneidung (Nordmann et al.), zur Schadstoffbelastung beim Recycling in Ghana (Kaifie et al.), zur Untersuchung von Stress und Fehlerentstehung bei Privatpiloten (Machado et al.) sowie zum Infektionsgeschehen in der Südsee (Saretzki) rundeten das breite Spektrum ab. Bei der Vielfalt hatten die 3 unabhängigen Juroren richtig Arbeit, die Poster des ausgeschriebenen Posterpreises zu ermitteln!

An dieser Stelle sei schon rechtzeitig, damit man sich Gedanken mache, darum gebeten, mit Ideen für Poster für die Jahrestagung 2021 am 17. und 18. September in Bremerhaven an mich heranzutreten (Deadline für das englische Abstract ist der 30.06.2021, damit die Publikation zur Veranstaltung bereits vorliegt). Die Bitte richtet sich explizit an den Nachwuchs beispielsweise die Doktorarbeiten zu präsentieren, aber auch an andere Kreise wie die Reisebranche oder die Bundeswehr, die ja auch interessante und oft sehr komplexe reisemedizinische Fragestellungen haben.

Ich stelle zusammenfassend fest, dass die Dynamik, die unser Nachwuchs in die Gesellschaft bringt, richtig Spaß macht und mich für vieles entschädigt, was bei der Position des Vizepräsidenten, bei dem auch all' der Kindergarten und der teilweise überflüssige und lästige Kleinkram, den eine Fachgesellschaft üblicherweise auch hat, sozusagen im Preis mit drin ist. Lassen Sie uns alle diese neue Dynamik nutzen, indem wir frei von Neid und Narzissmus den Nachwuchs fördern. Lassen wir ihnen die Freiheit, einiges anders zu machen als wir – schließlich müssen sie irgendwann unser Werk einmal weiterführen in einer Welt, die anders aussieht als die unsere!

Herzlichst!

Euer/Ihr Thomas Küpper

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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. Februar 2021

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