Z Sex Forsch 2019; 32(03): 173-174
DOI: 10.1055/a-0978-8084
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Intersexuelle – gefangen zwischen Recht und Medizin [ 1 ]“? – Konstanze Plett und Jörg Woweries erhalten das Bundesverdienstkreuz

Katinka Schweizer
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Publication Date:
05 September 2019 (online)

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Prof. Dr. iur. Konstanze Plett, LL.M. (Bildquelle: Universität Bremen, Rechtswissenschaft)
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Dr. med. Jörg Woweries (Bildquelle: privat)

Konstanze Plett aus Bremen und Jörg Woweries aus Berlin sind 2019 mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden für ihr außerordentliches Engagement im Feld der Intergeschlechtlichkeit. Das sind gute Nachrichten, denn angeborene Intergeschlechtlichkeit und ihre vielzähligen körperlichen Erscheinungsformen wurden bis vor kurzem in vielen Fächern als sex errors betrachtet; entsprechend wurde versucht, sie mithilfe medizinischer, psychologischer und sexualwissenschaftlicher Möglichkeiten systematisch unsichtbar zu machen und zum Verschwinden zu bringen. Nach der Verleihung des Antidiskriminierungspreises an die Aktivist_in und Erfahrungsexpert_in Lucie Veith im Herbst 2017 sind dies weitere Markierungen der politischen und gesamtgesellschaftlichen Bedeutung, die der Intersex-Debatte nun endlich zukommt. Sie läuten das Ende des über Jahrzehnte anhaltenden Schweigens, Normierens und „Korrigierens“ intergeschlechtlicher Körper ein und plädieren zusammen mit den Ausgezeichneten für die offizielle Anerkennung menschlicher Vielfalt, körperlicher Diversität und Mehrdeutigkeit.

Diese Doppel-Auszeichnung ist bemerkenswert, weil sie zwei unterschiedliche Menschen persönlich, aber auch exemplarisch auszeichnet, deren Fächer, Recht und Medizin, in einem zwiespältigen Verhältnis zueinander stehen. So wurde die Rechtswissenschaftlerin Konstanze Plett für ihr nachhaltiges wissenschaftliches und öffentliches Engagement für die Anerkennung der Rechte intergeschlechtlich geborener Menschen ausgezeichnet, Jörg Woweries dagegen als Arzt für die Anerkennung der Rechtsverletzungen durch die Medizin an intergeschlechtlichen Menschen, an der aber auch Psychologie und Sexualwissenschaft maßgeblich beteiligt waren. In seiner Rede zu Ehren von Dr. Jörg Woweries führte der Berliner Justizsenator Behrendt an: „Meines Wissens sind Sie der erste und bisher einzige Vertreter der Ärzteschaft, der sich zu dieser Mitverantwortung bekennt.“

Weiterhin stellte Behrendt fest: „Wenn es darum geht, Denkmuster aufzubrechen, […] sich gegen die herrschende Meinung zu stellen, und wenn es darum geht, Minderheiten zu schützen, dann braucht es Menschen mit Überzeugung, Mut und Ausdauer.“ Alle drei dieser Eigenschaften haben beide, Woweries und Plett, vielfach unter Beweis gestellt.

Die Volljuristin Professorin Dr. Konstanze Plett hat in Marburg, Tübingen, Hamburg und in Wisconsin/USA studiert. Schon früh hat sie sich mit der Wechselwirkung zwischen Recht und Gesellschaft befasst. Nach vielen Jahren an einem rechtssoziologisch ausgerichteten Forschungsinstitut in Bremen und verschiedenen Gast- und Vertretungsprofessuren wurde sie 2003 Hochschullehrerin am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen und 2007 zur Professorin ernannt. Die Rechte insbesondere intergeschlechtlicher Menschen beschäftigten sie schon davor, und sie hat vielfach zu Geschlecht im Recht, Diskriminierungspotenzialen und verquerem Recht publiziert. Nicht zuletzt hat sie zusammen mit der Rechtsanwältin Katrin Niedenthal und der Professorin Friederike Wapler die Verfassungsbeschwerde der „Dritten Option“ erfolgreich auf den Weg gebracht. Aufgrund der positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Herbst 2017 wurde Ende 2018 eine weitere positiv benannte Geschlechtskategorie gesetzlich verankert. Auch wird Plett nicht müde, am interdisziplinären Gespräch zu partizipieren, das gerade in diesem Feld so wichtig ist. Wir durften sie schon viele Male als Gast in Hamburg am Institut für Sexualforschung begrüßen, erstmals beim ersten interdisziplinären Forum zur Intersexualität im Dezember 2006.

Dr. Jörg Woweries hat ebenfalls in Tübingen studiert und war 25 Jahre als Kinder- und Jugendarzt und als Lehrbeauftragter an der Medizinischen Fakultät der Freien Universität Berlin tätig. Am Krankenhaus Berlin-Neukölln war er viele Jahre in der Betreuung von Neugeborenen tätig, wo ihm bei Erstuntersuchungen Neugeborene begegneten, deren Genitale nicht der medizinischen Norm entsprachen und die häufig genitaloperiert wurden, um ein äußeres unauffällig aussehendes Genitale vorzutäuschen. Er begann, sich mit der aktuellen psychologischen Forschungsliteratur zu befassen, und erkannte, welche langfristigen negativen und teils traumatisierenden Folgen das damals übliche Vorgehen haben konnte. Daher stellte er die Notwendigkeit geschlechtsangleichender medizinischer Eingriffe an intergeschlechtlich geborenen Kindern infrage und engagierte sich politisch für eine umfassende obligate Aufklärung und psychosoziale Betreuung der Eltern.

Die hohe Auszeichnung an Plett und Woweries macht Mut, dass Medizin und Recht doch zueinanderfinden können. Bisher schien dies im Umgang mit Intergeschlechtlichkeit oft unmöglich, ringen doch beide als potente Fächer um die Definitionshoheit, wenn es um ethische Dilemmata, praktischen Handlungszwang, Selbstbestimmung und Fremdbestimmung geht. Mögen die Auszeichnungen in den beteiligten Disziplinen und Selbstvertretungen zur Fortsetzung des begonnenen inter- und transdisziplinären Dialogs ermutigen, zum Schutz der Menschenrechte aller.

Den beiden Geehrten gratulieren wir herzlich!

Fußnote

1 Gleichnamiger Titel des Beitrags von Konstanze Plett in: Koher F, Pühl K, Hrsg. Gewalt und Geschlecht. Konstruktionen, Positionen, Praxen. Opladen: Leske & Budrich 2003; 21 – 41