Z Sex Forsch 2019; 32(03): 178
DOI: 10.1055/a-0977-8948
Buchbesprechungen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Queering Families. The Postmodern Partnerships of Cisgender Women and Transgender Men

Further Information

Publication History

Publication Date:
05 September 2019 (online)

Zoom Image

Carla Pfeffer promovierte 2009 auf dem Gebiet der Soziologie. Davor erhielt sie ihr Diplom in Women Studies an der University of Michigan, wo sie interdisziplinär und multimethodisch in den Sozial- und Geisteswissenschaften ausgebildet wurde. Ihre Forschung befasst sich mit der Kreuzung soziologischer Untersuchungen zu Familien und Geschlechtern sowie dem Umgang mit Stigmatisierungs- und Diskriminierungsprozessen durch soziale Akteure. Der Zweck ihres hier vorgestellten Werkes lässt sich durch die Kernfrage beantworten: „How are post-modern families different from the modern family forms that preceded them such as the nuclear family?“ (S. xxv) Das Buch erhielt 2018 den Distinguished Book Award von der Section on Sex and Gender der American Sociological Association.

Zusammenfassend erzählt das Buch – echte, unbearbeitete – Geschichten aus dem Leben von Trans*Familien aus der Perspektive von Cis-Frauen, die mit Trans*Männern in einer Beziehung leben. Der Begriff Familie ist hier zu verstehen als: „groups of individuals who define each other as family and share a strong emotional and/or financial commitment to each other, whether or not they cohabit, are related by blood, law, or adoption, have children, or are recognized by the law“ (S. xxvi).

Anhand einer Studie mit 50 Cis-Frauen im Alter von 18 bis 51 Jahren (12 % mit Kindern) bringt Pfeffer die Narrative von diesen Cis-Frauen, die in Beziehungen mit Trans*Männern leben, an das Licht unserer hauptsächlich binär gesehenen Welt. Pfeffer bemüht sich, die Besonderheiten und Schwierigkeiten solcher bisher unbeachteten, weder diskutierten noch analysierten Familienkonstellationen im feinsten Detail zu beschreiben – in der Hoffnung, dass wir am Ende eine breitere Definition von Familie entwickelt haben. Deutlich erkennbar besteht ihr Anliegen in erster Linie darin, dieser Art von Beziehungen Anerkennung zu verschaffen – vor allem den dazugehörigen Frauen, die plötzlich in die Welt der Trans*Männer eintreten bzw. den Frauen, deren Alltag plötzlich durch das Thema geprägt ist.

„Queering Families“ ist ein Buch ohne Präzedenz. Geschickt drückt Pfeffer die unartikulierte Bitte an uns als Individuen und als Gesellschaft aus, unsere Augen nicht wegzudrehen, unsere Ohren nicht zuzustöpseln, unsere Herzen angesichts der Diversität unserer Mitmenschen nicht einfrieren zu lassen und in empathischer Akzeptanz miteinander umzugehen. In dieser Hinsicht ist das Buch inhaltlich klar und gezielt, dennoch kommt die Botschaft nie übertrieben herüber.

Die Sprache des Buches ist – als Gegenpol zu Pfeffers Anmerkung bzgl. bisher nicht vorhandener Quellen von Soziolog*innen zu dem Thema – soziologisch ausgerichtet; der Aufbau ist eingängig, die Fragestellung klar formuliert, die thematische Umsetzung präzise und durch die Erfahrungsberichte gut fundiert. Was die verarbeitete Literatur angeht, ist anzumerken, dass Pfeffer hier hohen Einsatz gezeigt hat, denn die Literatursammlung ist weitreichend, obwohl das Thema weltweit bisher fast keine Beachtung gefunden hat.

Die Stärken des Buches liegen daran, dass eine bisher unsichtbare Gruppe die Möglichkeit hat, sichtbar zu werden. Durch die detaillierten Berichte von ihrem Alltag entsteht die Chance auf eine andauernde Präsenz in der Öffentlichkeit – wie alle Gruppen in der Gesellschaft sie sollten haben dürfen. Als Schwäche ist zu nennen, dass sich Trans*Männer, die sich vielleicht in ähnlichen Situationen befinden, möglicherweise nach dem Lesen etwas pauschal angesprochen fühlen, als ob alle „in einen Topf geschmissen“ würden.

Die Autorin fördert mit ihrem Schreiben die Möglichkeit, dass bestimmte non-binäre Menschen eine Anerkennung bekommen und auch die – sonst nie berücksichtigten –Partner*innen von Trans*Männern bewusst wahrgenommen und gehört werden. Als Teil dieser Gruppe von Menschen gilt solchen Versuchen meine höchste Wertschätzung. Meiner Meinung nach zählt das Buch zu den ersten lesenswerten und vertrauenswürdigen Quellen, die in vollem Umfang ein zwar nicht tabuisiertes, aber trotzdem nicht diskutiertes und eher vermiedenes Thema behandeln. Nun gilt es, dieser klaren Einladung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, weiter nachzukommen, die Fäden weiter zu stricken und darüber, was andere ähnlich oder anders bewegt, zu berichten.

Es handelt sich um ein gelungenes Buch, mit dem uns die Autorin animiert, unsere Augen zu öffnen für neue, andere Familienstrukturen. Sie öffnet den Raum, die Diskrepanz der Realitäten zwischen traditionellen und queeren Familienentwürfen mit bisher nicht öffentlich wahrnehmbarer Toleranz zu diskutieren und kritisieren. Dies sollte man loben – und fortfahren mit eigener Erfahrung, kritischer Meinung, geschickter Aufregung, vor allem aber durchschlagendem Respekt.

Raphaël Skå (Hamburg)