JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2019; 08(03): 94-95
DOI: 10.1055/a-0882-3882
Kolumne
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Das Pflegestärkungsgesetz

Heidi Günther
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Publication Date:
05 June 2019 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

Ein Gesetz ist eine Vorschrift, eine Weisung, auch ein Erlass oder eine Bestimmung, mit dem Ziel, das gesellschaftliche Leben zu regeln. Es ist keine Bitte oder eine Idee oder gar Wunschdenken. In den einschlägigen Medien streiten sich die Gemüter um die Gesamtzahl der in Deutschland derzeit gültigen Gesetze, und eigentlich ist es auch egal, ob es 1.650 oder 2.000 sind. In jedem Kalenderjahr treten etwa 150 neue Gesetze in Kraft. Ob und wie viele dann jeweils ihre Gültigkeit verlieren, entzieht sich meiner Kenntnis. So sollen nun auch seit Anfang dieses Jahres neue gesetzliche Regelungen unter anderem in Sachen Mindestlohn, Rente, Krankenkassenbeiträge, Pflegeversicherung, Brückenteilzeit oder Maut in die Tat umgesetzt werden. Dazu gehört auch das Pflegestärkungsgesetz!

Ich finde ja, mit der Namensgebung und dem vermeintlichen Sinn dieses Gesetzes haben wir ein bisschen Glück. Wo doch die Gesetze und deren Betitelung in diesem Land und in der EU erstaunliche Blüten treiben. So gibt es zum Beispiel ein „Landesseilbahngesetz“, das auch Länder wie Mecklenburg-Vorpommern umsetzen müssen, obwohl es in diesem Bundesland nicht eine einzige Seilbahn gibt – aber die Nichtumsetzung würde empfindliche Strafen mit sich bringen.

Dabei geht es nicht nur unserem Land so, obwohl wir ja als Weltmeister der Bürokratie verschrien sind. In England ist es gesetzlich geregelt, wie Briefmarken mit dem Antlitz der Königin auf einen Brief zu kleben sind, ohne als Landesverräter zu gelten. Also, da liegen wir mit dem Pflegestärkungsgesetz ja ganz gut. Denn tatsächlich liegt die Pflege dieses Landes gewissermaßen am Boden und sollte unbedingt gestärkt werden. Und der Titel hat doch zumindest einen professionellen Klang. Es hätte auch „Gesundheits- und Krankenpfleger dieses Landes, haltet durch“-Gesetz oder so heißen können. Schließlich sind ja auch neuerdings das „Gute-KiTa-Gesetz“, das „Starke-Familien-Gesetz“ und die „Respekt-Rente“ in aller Munde. Und es wäre gar nicht auszudenken, wenn der Gesetzgeber sich ein Beispiel am Titel „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ genommen hätte. Ich weiß immer nicht so genau, was sich die Verantwortlichen dabei denken. Heute sind wir mal so bürgernah, dass auch der Dümmste es versteht? Oder: Heute lassen wir mal ein bisschen Verwirrung aufkommen und Intellekt raushängen?

„Wer weiß, wie Gesetze und Würste gemacht werden, kann nachts nicht mehr ruhig schlafen.“

Otto von Bismarck (1815–1898), deutscher Politiker und Staatsmann

Wie auch immer – jetzt haben wir dieses neue Gesetz. Meine Pflegedienstleitung wurde auch Ende letzten Jahres nicht müde, über das damals noch zu erwartende Gesetz zu referieren, um uns darauf eizustimmen, was uns ab 2019 in Sachen Personal und dessen gesetzlich geregelte Stärkung erwartet. Jetzt, wo ich diese Kolumne schreibe, ist das erste Vierteljahr bereits rum, und – nichts! Ich erwähne an dieser Stelle, wie schon so oft, gern noch einmal, dass ich mich über die Station, auf der ich arbeite, nicht beklagen kann. Aber ich lebe ja nicht im luftleeren Raum und habe Kontakte sowohl in München als auch darüber hinaus zu Kollegen, die mir allerdings auch keine erstaunlichen Neuigkeiten berichten können.

Da gibt es ja zum Beispiel die vom Gesetzgeber ab dem 1. Januar 2019 benannten „pflegeintensiven Bereiche“, wie Altersmedizin, Neurologie, Herzchirurgie, Kardiologie, Unfallchirurgie und Intensivmedizin. Was ist eigentlich „pflegeintensiv“ und wer legt die Definition dafür fest? Das habe ich natürlich versucht zu recherchieren, und durfte erfahren, dass Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beauftragt wurden oder werden, die dann nach stichprobenhaften Prüfungen unter Zuhilfenahme einer mathematischen Funktion den nötigen Personalbedarf errechnen sollen. Na, Prost Mahlzeit!

Ein Beispiel: Meine Mutter (80) lag Anfang des Jahres nach einem endoskopischen Eingriff auf einer gastroenterologischen Station in einem städtischen Krankenhaus meiner Heimatstadt München. Sie war in einem Zimmer, das offensichtlich von der Ausstattung ein Zweibettzimmer war, mit zwei anderen ähnlich alten Damen untergebracht. Meine Mutter war also die frisch operierte Patientin. Ihre Nachbarin rechts von ihr wand sich vor Schmerzen, erbrach sich mehrmals und klingelte entsprechend oft. Sie wurde am nächsten Tag operiert und lag dann wieder in diesem Zimmer. Die Dame rechts meiner Mutter war ausgestattet mit ZVK, Blasenkatheter und permanenter Sauerstoffzufuhr. In den zweieinhalb Tagen, die meine Mutter dort war, habe ich sie nie wirklich wach erlebt. Auf dieser Station gab es bestimmt 20 Zimmer, und wenn nur die Hälfte dieser Zimmer derart belegt waren wie das meiner Mutter, frage ich mich, zu welchem Ergebnis Wirtschaftsprüfer nach mathematischer Prüfung (versteht sich!) kommen würden. Ist das pflegeintensiv? Auf jeden Fall wäre in diesem Zimmer deutlich mehr Pflege nötig gewesen, die nicht geleistet werden konnte.

Ich finde es durchaus richtig, dass festgelegt wurde, dass auf einer Intensivstation eine Pflegekraft im Tagdienst nur zwei Patienten betreuen sollte. Ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch selbst mein halbes Berufsleben auf Intensivstationen verbracht. Daher glaube ich auch zu wissen, dass es einen Unterschied macht, ob es eine Intensivstation in einem Haus der Maximalversorgung oder einer Fachklinik ist. Außerdem erlebe ich selbst täglich, wie schwammig und oft unberechenbar die Indikationsgrenzen sind, ob Intensivpflicht besteht oder nicht. Nur nützt es nicht viel, wenn ich das weiß. Aber weiß das auch ein oben genannter Prüfer?

Vielleicht bin ich wieder einmal viel zu ungeduldig, und wie oft im Leben braucht auch dieses Gesetz seine Zeit.

Außerdem hat Herr Spahn ja vollmundig im Rahmen der Entstehung dieses Gesetzes versprochen: „Es tut sich was in der Pflege – mit diesem Signal wollen wir Pflegekräfte in ihrem Berufsalltag unterstützen, neue Pflegekräfte hinzugewinnen und die pflegerische Versorgung der Patientinnen und Patienten weiter verbessern.“

Na, dann warten wir es mal ab!
In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de