CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2019; 81(12): 972-976
DOI: 10.1055/a-0881-9499
Kurzmitteilung
Eigentümer und Copyright ©Georg Thieme Verlag KG 2019

Kinderrechte im Gesundheitswesen – die Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaften und der Patientenanwaltschaften in Österreich

Children’s Rights in Health Care: The Views of Ombudsman Offices for Children and Youth and Patient Advocacies in Austria
Lilly Damm
1   Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Stefan Riedl
2   Abteilung für Pädiatrische Pulmologie, Allergologie und Endokrinologie, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Hans-Peter Hutter
1   Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Michael Kundi
1   Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Helmut Sax
3   Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, Wien, Austria
,
Lisbeth Weitensfelder
1   Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
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Dr. Lilly Damm
Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien
Kinderspitalgasse 15
1090 Wien
Austria   

Publication History

Publication Date:
21 May 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Ziel dieser Umfrage war es, eine grobe Einschätzung von Zahl und Art von gemeldeten Verletzungen von Kinderrechten innerhalb der Gesundheitsversorgung sowie eine Einschätzung der Problematik durch die zuständigen Einrichtungen zu erhalten.

Methodik Schriftliche Umfrage bei den Kinder- und Jugendanwaltschaften (KIJAs) und Patientenanwaltschaften (PAs) aller 9 Bundesländer Österreichs mit der Fragestellung nach Zahl und Art von möglichen Kinderrechtsverletzungen und ihrer Bedeutung.

Ergebnisse Beide Anwaltschaften werden nur selten mit den erfragten Belangen konfrontiert. KIJAs haben ein deutlich höheres Problembewusstsein in Bezug auf Kinderrechte, obgleich Gesundheitsagenden gesetzlich bei der PA verankert sind. Diese berichten jedoch seltener von einlangenden Beschwerden in Hinblick auf mögliche Kinderrechtsverletzungen. Eine systematische Zusammenarbeit dieser beiden Einrichtungen scheint nicht vorzuliegen. Kinderrechtlich problematische Bereiche werden insbesondere bezüglich Teilhaberechten und medizinischen Versorgungsdefiziten berichtet.

Schlussfolgerung Ausgehend von den geringen Beschwerdezahlen und der vorliegenden Literatur scheint es ein unzureichendes Bewusstsein über bestehende Unterstützungs- und Beschwerdeangebote bei Kinderrechtsverletzungen in der Bevölkerung zu geben. Verbesserungspotenzial gibt es in der intensiveren Zusammenarbeit der zuständigen Einrichtungen, der Behebung von Versorgungsmängeln, in der Verbesserung der Kommunikation sowie in Bezug auf Aus- und Fortbildung von Gesundheits-Personal.


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Abstract

Aim The aim of the survey was to obtain a rough estimate of the number and type of reported violations of children’s rights in the health care system, as well as an expert evaluation of the problem by the responsible institutions.

Methods A written survey of all Austrian Ombudsman offices for Children and Youth (OCYs) and Patient Advocacy offices (PAs) asked for the number and type of potential violations of children’s rights and their significance.

Results Both institutions are consulted very rarely regarding children’s rights in health care. OCYs report a higher awareness about children’s rights, even though health care issues are legally incorporated in the PA offices. PAs report incoming complaints regarding children's health care even less often. Cooperation between the 2 institutions is insufficient. Participation rights/consent issues and health care service deficiencies have been identified as the main children’s rights problems.

Conclusions The low number of reported complaints as well the available literature indicates an insufficient awareness of supporting services and institutions for children’s rights in health care in Austria. There is room for improvement in this area with more intensive cooperation between the responsible institutions, remediation of deficiencies in care, improved communication, and training and further education of personnel.


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Einleitung

In Österreich sind seit 2011 zentrale Rechte der internationalen Kinderrechte-Konvention (KRK) der Vereinten Nationen in der Verfassung verankert [1]. In Deutschland sieht der Koalitionsvertrag der derzeitigen Regierungsparteien vom Februar 2018 vor, die Kinderrechte (KR) in das Grundgesetz aufzunehmen [2].

Das österreichische Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern – in erster Linie das dort verankerte „Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip“ (Art. 1) – ist ein verbindlicher Orientierungsmaßstab für die Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung sowie für die Leistungen staatlicher und privater Einrichtungen [3].

Im Artikel 4, der den Artikeln 12 und 13 der KRK entspricht, wird Folgendes formuliert: Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise. Gesundheit und Krankheit von Kindern sind zweifellos solche Angelegenheiten.

Etwa zeitgleich mit der Implementierung der KR in die Verfassung wurde eine Umfrage zur Beachtung der Kinderrechte an allen Kinderabteilungen österreichischer Spitäler durchgeführt, wobei diese so wenig Rücklauf erhielt (5 von 40 Abteilungen), dass eine Auswertung nicht möglich war [4]. Dies scheint die gesellschaftliche Haltung gegenüber den Rechten von Kindern und Jugendlichen in Österreich wider zu spiegeln, die in mehreren Arbeiten als veränderungsbedürftig beschrieben wird [5] [6] [7] [8] [9].

Die KR sind Ärzten und Pflegepersonal meist namentlich bekannt, nicht aber in ihrer inhaltlichen Bedeutung und in ihrer Auswirkung auf die medizinische Betreuung der kleinen Patienten. Diesen Befund bestätigt auch eine rezente pädiatrische Publikation und fordert eine kritische Reflexion [10].

Abseits der rechtlichen Situation beschäftigt sich der vorliegende Kommentar mit einer Darstellung der gesellschaftlichen „Praxis“, nämlich wie häufig und welche Arten an Fällen von Kinderrechtsverletzungen in der Gesundheitsversorgung als solche wahrgenommen und berichtet werden.

Die rechtliche Situation – Wer ist zuständig?

Eine wichtige Rolle im Monitoring der Kinderrechte spielen in Österreich in allen 9 Bundesländern die Kinder- und Jugendanwaltschaften (KIJAs), zudem ist ein Kinder- und Jugendanwalt des Bundes im Bundesministerium für Familien und Jugend eingerichtet. Im aktuellen Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 (B-KJHG 2013) sowie in den entsprechenden Landesgesetzen ist das Kindeswohl in Pflege und Erziehung geregelt, aber gesundheitliche Belange werden nicht ausdrücklich erwähnt. Eine ähnliche Situation besteht in Deutschland, wo ein Kinder-Jugendhilfegesetz (KJHG) bundesweit den Rahmen festlegt, der in Ländergesetzen seine Umsetzung findet.

Die Patientenrechte werden in Deutschland durch gesetzlich geregelte unabhängige Patientenberatungsstellen vertreten, in Österreich hingegen durch die im Landesrecht aller Bundesländer verankerten Patienten- und Pflegeanwaltschaften (PAs), die im Krankenanstalten-Kuranstaltengesetz KAKUG § 5 Abs.1 Z 11e bundesweit gefordert werden. In diesem Gesetz wird bei der stationären Versorgung von Kindern lediglich eine möglichst kindergerechte Ausstattung der Krankenräume verlangt. In einigen Bundesländern wird in der jeweils dort gültigen Landesgesetzgebung (bspw. in Wien) ein Abschnitt „Besondere Bestimmungen für Kinder“ formuliert, der u. a. die entwicklungsgerechte Aufklärung, die Unterstützung durch eine Begleitperson und die altersgerechte Unterbringung und Ausstattung vorschreibt.

An dieser strikt getrennten Aufgabenverteilung der Kinderrechte einerseits vs. Patientenrechte andererseits ist bereits eine grundlegende Zuständigkeitsproblematik erkennbar, die im Zuge der kurzen Umfrage noch deutlicher wird.


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Mögliche Verletzungen der Kinderrechte

Mögliche KR-Verletzungen, die insbesondere für das Gesundheitswesen relevant sein können, betreffen eine Vielzahl an Bereichen, von Diskriminierungen bis hin zum Recht auf Teilhabe. Eine Übersicht bieten Goldhagen et al. [11], einen schwerpunktmäßigen Bezug insbesondere zur Umsetzung der Artikel 3 und 12 der KRK stellt Lansdown [12] dar.

So gehört es als beispielhafte KR-Verletzung in manchen Spitalsambulanzen, Arztordinationen oder anderen medizinischen Einrichtungen noch immer zur Routine, Kinder ohne Vorankündigung oder Erklärung und eventuell gegen ihren Willen zu untersuchen und zu behandeln [4] [13]. Auch Berichte über Fixierungen, die im Erwachsenenbereich streng geregelt sind, sind im Umgang mit Kindern noch immer an der Tagesordnung. In gängigen Lehrbüchern wird bspw. Folgendes bei der Routinehandlung „venöse Blutabnahme“ empfohlen: Kind gut fixieren (evtl. auch Beine!). Kleinkinder müssen immer von mind. einer Hilfsperson gehalten werden. Auch wenn sie ruhig und kooperativ wirken, können sie sich rasch und heftig wehren….Stets fragen, ob Eltern wirklich dabei sein wollen. Manchen Eltern hilft es, das Kind nicht leiden (Fixierung, Gegenwehr) zu sehen, sondern erst beim Trösten wiederzukommen [14]. Auf eine kindgerechte Vorbereitung durch Information und Aufklärung oder auf wirkungsvolle Unterstützungsmöglichkeiten für das Kind wird nicht hingewiesen. Zudem gibt es Anhaltspunkte, dass eine angemessene Anästhesie bei bestimmten Maßnahmen noch nicht in der Routinebehandlung von Kindern verankert ist [4].

Im Sonderbericht der Volksanwaltschaft 2017 „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“ wird u. a. auch auf das zuletzt in der Öffentlichkeit intensiv diskutierte Thema der geschlechtszuweisenden oder geschlechtsverändernden chirurgischen Eingriffe an sehr kleinen Kindern mit Differences of Sex Development (DSD), sog. Intersex-Kinder, eingegangen [9]. Diese werden oftmals auch ohne zwingende medizinische Notwendigkeit und ohne Mitsprachemöglichkeit, aber unter Hinweis auf das Kindeswohl durchgeführt.

Um einen Eindruck über den Status Quo in Österreich zu erhalten und die Problematik zumindest überblicksmäßig zu erfassen, wurde 2016/17 eine Spotlight-Umfrage bei allen KIJAs und parallel dazu allen PAs durchgeführt.

Ziel war die Erfassung konkreter Beschwerden zu Kinderrechtsverletzungen in der medizinischen Versorgung und eine Einschätzung der Situation durch diese Einrichtungen.


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Methode

  1. Zu Jahresbeginn 2017 wurden alle 9 KIJAs und PAs mit denselben Fragestellungen per Mail konsultiert. Mit insgesamt 4 Fragen wurden

  2. die Befassung mit Kinderrechtsverletzungen im Gesundheitswesen erfragt,

  3. die Einschätzung der Problematik sowie

  4. die vorrangige Zuständigkeit für solche Verletzungen und

  5. die konkrete Zusammenarbeit der beiden Institutionen

erhoben.

Alle 18 Einrichtungen beantworteten die Fragen, die Auswertung der geschlossenen Fragen erfolgte deskriptivstatistisch.

Eine Auswertung offener Antworten (Art der KR-Verletzung) und zusätzlicher Kommentare war zunächst nicht geplant, da allerdings ein erheblicher Teil der Befragten offene Angaben machte, wurden diese ex post näher analysiert: Offene Antworten und zusätzliche Kommentare wurden inhaltsanalytisch durch eine Kategorisierung nach Themenbereichen, Paraphrasierung der Aussagen und Zuordnung zu Subthemen ausgewertet.


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Ergebnisse

Frage 1: Befassung mit Kinderrechtsverletzung

KIJAs gaben deutlich häufiger an, mit Fragen zu KR-Verletzungen kontaktiert zu werden (8 der 9 KIJAs, aber nur 4 PAs).

Anfragen beliefen sich zudem auf ein geringes Ausmaß: Es wurden zwischen einem Fall insgesamt und 10 Fällen pro Jahr (als höchste genannte Zahl) angegeben, eine Anwaltschaft schätzte Kinder- und Jugendliche-Meldungen auf etwa 2% aller bearbeiteten Fälle.


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Frage 2: Gewichtung der Problematik

In diesem Bereich zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Einrichtungen: 5 der 9 PAs schätzten die Kinderrechte in der Gesundheitsversorgung als nicht oder nur marginal problematisch ein, die übrigen 4 PAs meinten, dass die Problematik unterschätzt werde. In den KIJAs hingegen gaben alle Befragten an, dass die Problematik wesentlich sei und/oder unterschätzt werde.


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Frage 3: Vorrangige Zuständigkeit

Bis auf eine Ausnahme (eine PA, die die Zuständigkeit eher bei der KIJA sieht) bestand die Auffassung, dass beide Anwaltschaften gleichermaßen zuständig seien. In ergänzenden Bemerkungen äußerten einige Einrichtungen, dass konkrete (Patienten-)Beschwerdefälle bei der PA besser verortet seien, die KIJA sei v. a. für die Systemebene zuständig.


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Frage 4: Bestehende Zusammenarbeit

Bei 4 von 8 KIJAs und 5 von 8 PAs wurde keine konkrete Zusammenarbeit mit der jeweils anderen Einrichtung berichtet.

Nachstehend findet sich eine Übersicht über offene Antworten und Kommentare der Anwaltschaften zu Themengebieten und Verbesserungsmöglichkeiten.


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Zusätzliche Kommentare

Abseits von formalen Erläuterungen machten 8 KIJAs und 5 PAs themenbezogen genauere Erläuterungen, nannten Kinderrechtsverletzungen oder führten Inhalte an, die sie für wichtig erachteten. Die freien Kommentare bezogen sich teilweise auf allgemeine Hinweise und Verbesserungsvorschläge (z. B. hinsichtlich Ausbildungsmängeln von medizinischem Personal oder der Notwendigkeit der Vernetzung), darüber hinaus waren jedoch 3 Bereiche mehrfach angesprochen, die deshalb in eigenen Tabellen etwas detaillierter dargestellt werden: „Teilhaberechte“ ([Tab. 1), „]Versorgung“ ([Tab. 2]) und „allgemeine und sonstige Kinderrechte“ ([Tab. 3]).

Tab. 1 Synopsis ausgewählter Anmerkungen der Befragten zum Bereich „Teilhaberechte“ (Bereich gesamt: von 6 KIJAs und 4 PAs angesprochen).

Konkretes Thema

Beispielhafte Paraphrase(n)

Häufigkeit der Themen-Nennung in den Anwaltschaften (KIJAs;PAs)

Mitsprache

Jugendliche fühlten sich bei der Behandlungs-Entscheidung nicht ausreichend miteinbezogen; Jugendliche […] müssen ebenso in die Behandlung einwilligen

6;3

Information, Aufklärung, Kommunikation

Kinder und Jugendliche haben ein Recht zu verstehen, worum es geht; Besprechungen zwischen Arzt und Eltern/teil [aber nicht mit Kind, Anm.]

6;2

Tab. 2 Synopsis ausgewählter Anmerkungen der Befragten zum Bereich „Versorgung und Zugang zur Versorgung“ (Bereich gesamt: von 7 KIJAs und 3 PAs angesprochen).

Konkretes Thema

Beispielhafte Paraphrase(n)

Häufigkeit der Themen-Nennung in den Anwaltschaften (KIJAs;PAs)

allgemeine medizinische Versorgung

Medizin. Versorgung von Flüchtlingskindern als Kinderrecht?; Zugang zur Versorgung (Verfügbarkeit Kinderärzte)

5;2

Psychiatrische Versorgungsdefizite

Mangel an Kinderärzten und besonders Kinder-Jugendpsychiater; wegen Bettenmangel keine stationäre Aufnahme

4;2

Versorgungsdefizite bei besonderen Bedürfnissen

Versorgung der chronisch kranken Kinder in Schule und Kindergarten; Unterstützung behinderter Kinder

4;2

Tab. 3 Synopsis ausgewählter Anmerkungen zum Bereich „allgemeine und sonstige Kinderrechte“ (Bereich gesamt: von 4 KIJAs und 1 PA angesprochen).

Konkretes Thema

Beispielhafte Paraphrase(n)

Häufigkeit der Themen-Nennung in den Anwaltschaften (KIJAs;PAs)

Allgemeine Kinderrechte

Schulärztliche Untersuchungsmethoden (Verdacht auf sex. Hintergrund); Erkennen von Gewalt an Kindern; Genitalverstümmelung, Beschneidung

3;1

Kontakt zu Eltern

Beschwerden von Elternteilen, dass sie Kind mit Berufung auf medizinische/therapeutische Gründe nicht sehen dürften

2;0

Schweigepflicht

medizinisches Personal ist hier noch zu wenig geschult, etwa bezüglich […] Verschwiegenheit gegenüber Eltern

1;1

Betrachtet man die Nennungen insgesamt, sieht man, dass neben Versorgungsdefiziten Verletzungen der Teilhaberechte von Kindern dominieren (insbesondere der Mitsprache) – obwohl diese ausdrücklich im Art. 4 des BVG in der Verfassung verankert sind.


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Diskussion

Die vorliegenden Ergebnisse machen deutlich, dass die Thematik der Kinderrechte in der Gesundheitsversorgung in der Praxis nur sehr wenig verankert ist. Obgleich Kinder und Jugendliche knapp 20% der österreichischen Bevölkerung stellen [15], betrifft nur ein geringer Teil der Meldungen diese Altersgruppe (geschätzt wurden bis zu 2%). Die geringe Zahl der Meldungen lässt die Frage entstehen, ob Verletzungen der Kinderrechte (noch) nicht als solche bewertet werden.

Diese Annahme wird bestätigt durch andere Untersuchungsergebnisse bspw. zum Gewaltverbot [7], zur Stellung des Kindes bei politischen Entscheidungen in Österreich [8], oder durch eine detaillierte Untersuchung in einer kleineren Region, die einen großen Handlungsbedarf für die Bewusstseinsbildung der Bevölkerung aufzeigt [5].

In unserer Befragung der beiden Anwaltschaften zeigte sich, dass KIJAs häufiger als PAs mit diesbezüglichen Beschwerden betraut werden und diese gleichzeitig die Kinderrechtsproblematik in der Gesundheitsversorgung als deutlich schwerwiegender einschätzen.

Dass v. a. die KIJAs mit Beschwerden konfrontiert werden, muss verwundern, denn konkrete Einzelfälle fallen eher in die Expertise der PAs, wohingegen Aufklärung und Bewusstseinsbildung in Bezug auf die KR eine Aufgabe der KIJAs ist. Möglicherweise sind Betroffene sich der Möglichkeit ihrer Rechtsvertretung sowie der richtigen Ansprechstelle nicht bewusst.

Trotz der Einschätzung, dass beide Anwaltschaften für die Thematik zuständig seien, berichtet nur die Hälfte über eine konkret erfolgte Zusammenarbeit.

Die befragten Anwaltschaften äußerten von sich aus viele Möglichkeiten zur Verbesserung im System, v. a. in Bezug auf Schnittstellen z. B. zwischen dem Gesundheitsbereich und Kinder- und Jugendhilfe, sowie auf spezifische Aus- und Fortbildungsangebote für medizinisches Personal.

Tatsächlich werden KR und ihre Bedeutung in den Curricula der medizinischen Universitäten nur marginal behandelt und ihre Bedeutung für die ärztliche Tätigkeit, bspw. der Beziehungsaufbau durch professionelle Kommunikation [16] (partnership with children) nicht gelehrt. KR sind deshalb für Angehörige von medizinischen Berufen eher ein Anliegen „der Anderen“ – bspw. der Kinder- und Jugendhilfe.

Solche Ausbildungsdefizite werden ausdrücklich auch in den sog. Abschließenden Bemerkungen des KR-Ausschusses der Vereinten Nationen 2012 u. a. auch für Gesundheitsberufe und Pädagogen kritisiert [17].

Empfehlungen und Möglichkeiten für eine Verbesserung der Situation gibt es durchaus:

In der eingangs erwähnten Arbeit von Goldhagen et al. aus 2015 [11] werden umfassend und sehr konkret Prinzipien, Voraussetzungen und Standards beschrieben, wie sie für eine Umsetzung der KR in der Gesundheitsversorgung wünschenswert sind.

Positive Ansätze sind auch in der EACH-Charta (European Association for Children in Hospital aus 1988) zu finden, die im Wesentlichen auf der KRK beruht [18]. Sie ist in Österreich in Form von Plakaten mit bildlichen Darstellungen der KR zumindest in einigen Abteilungen für Kinder- und Jugendheilkunde präsent, hingegen blieb die Deklaration des Europarates zu Child Friendly Health Care (CFHC) aus 2011 bis heute unbeachtet [19].

„Partizipation in der Kinder- und Jugendmedizin – von der Versorgung zur Teilhabe“ war das Thema der 7. Jahrestagung der Politischen Kindermedizin im Jahr 2013, die allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbeachtet blieb [13]. Die Problematik von intergeschlechtlichen Kindern wird immerhin im Sonderbericht der Volksanwaltschaft [9] und in einer Stellungnahme der Bioethik-Kommission 2017 thematisiert [20].

Es scheint auf höherer, struktureller Ebene Handlungsbedarf zu geben, wie auch die von der Volksanwaltschaft berichteten medizinischen Versorgungsdefizite (z. B. in der Kinder- und Jugendpsychiatrie) zeigen.

Eine breitere Information über Aufgaben und Möglichkeiten der Anwaltschaften könnte zur Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung beitragen, was wiederholt in den eingangs angeführten Studien gefordert wird, um den notwendigen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Kindern und Jugendlichen herbeizuführen [5]. Kinder und Jugendliche sollten ausdrücklich direkt ermutigt und bestärkt werden, sich bei einer möglichen Kinderrechtsgefährdung an eine Anwaltschaft zu wenden [6].

Erwähnenswert sind die durchwegs positiven Reaktionen, die die Befragung selbst bei den zuständigen Anwaltschaften hervorgerufen hat. In mehreren persönlichen Rückmeldungen wurde betont, dass die Befragung ein wertvoller Impuls für die die verbesserte Wahrnehmung dieses Bereiches gewesen sei und den Wunsch nach intensiver Zusammenarbeit gestärkt habe.


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Schlussfolgerungen und Ausblick

Die geringe Gesamtzahl an Fällen, mit denen die Anwaltschaften betraut werden, weist darauf hin, dass es kaum Problembewusstsein in der Bevölkerung gibt.

Informationsaushänge und Flyer in Kinderarztpraxen und Ambulanzen zum Thema der KR basierend auf den Empfehlungen von Goldhagen et al. [15], und entsprechende Rechtsvertretungs-Möglichkeiten könnten zu einer Bewusstmachung bzw. höheren Sichtbarkeit beitragen.

Auch erscheint eine intensivere Kooperation der beiden Einrichtungen empfehlenswert. Möglichkeiten dafür könnten bspw. gemeinsame Fortbildungen, Vernetzungstagungen und die Einigung auf einen Konsultationsmechanismus bei bestimmten Beschwerdefällen darstellen.

Verbesserungen werden von den Anwaltschaften auch hinsichtlich der Versorgungsdefizite in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, bei behinderten Kindern und hinsichtlich der Empfehlung von verpflichtenden Kinderrechte-Beauftragten im Krankenhaus angeregt.

Anregungen betreffen zudem Aus- und Fortbildung von Ärzten und Pflegepersonen zur Beseitigung von Informationsmängeln (Kinderrechte, Erkennen von Gewalt), für die Ausbildung in der Kommunikation mit Kindern, und in Bezug auf die Einhaltung von Aufklärungspflichten.

Die vorliegenden Umfrage-Ergebnisse zeigen deutlich das Verbesserungspotential, das in Österreich zur Umsetzung der Kinderrechte in der Gesundheitsversorgung noch zu bewältigen ist.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Allen Kinder-Jugendanwaltschaften sowie allen Patientenanwaltschaften sei an dieser Stelle besonders für ihre Mitwirkung gedankt.


Korrespondenzadresse

Dr. Lilly Damm
Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien
Kinderspitalgasse 15
1090 Wien
Austria