Aktuelle Dermatologie 2019; 45(06): 288-290
DOI: 10.1055/a-0881-7949
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alopecia syphilitica diffusa − eine seltene Manifestationsform der Frühsyphilis

Alopecia syphilitica diffusa − a Rare Clinical Manifestation of Secondary Syphilis
K. Kaliebe
1   Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
2   Interdisziplinäres HIV Zentrum (IZAR) am Klinikum rechts der Isar, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
,
C. D. Spinner
2   Interdisziplinäres HIV Zentrum (IZAR) am Klinikum rechts der Isar, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
3   Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
,
T. Biedermann
1   Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
,
A. Zink
1   Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
2   Interdisziplinäres HIV Zentrum (IZAR) am Klinikum rechts der Isar, Fakultät für Medizin, Technische Universität München
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

PD Dr. Dr. med. Alexander Zink, MPH
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein
Fakultät für Medizin
Technische Universität München
Biedersteiner Str. 29
80802 München

Publication History

Publication Date:
05 June 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Die Syphilis wird als das Chamäleon der Medizin bezeichnet, da sie viele Organe befallen und insbesondere an der Haut viele Erkrankungen imitieren kann. Weniger bekannt sind die durch die Syphilis bedingten Formen des Haarausfalls. Dabei ist die diffuse Form der syphilitischen Alopezie besonders selten und kann leicht übersehen werden.

Hier berichten wir über einen jungen, HIV-positiven Mann mit der klinischen Präsentationsform einer Alopecia syphilitica diffusa. Nach erfolgreicher Therapie mit 2,4 Millionen Einheiten Benzylpenicillin i. m. zeigte sich innerhalb weniger Monate eine vollständige Normalisierung des Haarwuchses. Die Alopecia syphilitica präsentiert sich klinisch typischerweise als diffuser Haarverlust, als umschriebener Haarausfall mit fleckig imponierendem, sog. Mottenfraßmuster oder durch eine Kombination von beidem. Dabei kann die syphilitische Alopezie das einzige klinische Symptom einer Syphilisinfektion sein und sowohl klinisch als auch in der Histopathologie eine Alopecia areata imitieren. Die Dermatoskopie oder der immunhistochemische Nachweis von Treponema pallidum im Haarfollikel können weitere hilfreiche Methoden zur Diagnostik des syphilitischen Haarausfalls sein, entscheidend ist jedoch die serologische Diagnostik.


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Abstract

Syphilis is also referred to as the chameleon of medicine and can imitate many skin diseases. Less known is the circle spotted and diffuse loss of hair caused by syphilis (alopecia syphilitica). The diffuse form of alopecia syphilitica is rare and can easily be overlooked. Here we present a young HIV-positive male patient with alopecia syphilitica diffusa. A treatment with a single intramuscular injection of 2.4 million units of bencylpenicillin led to complete resolution of symptoms within a few months. Syphilitic hair loss typically presents in a diffuse or moth-eaten pattern with multiple patches of non-scarring alopecia, or in a combination of both. Alopecia syphilitica can be the only clinical symptom of syphilis infection and mimics alopecia areata clinically as well as in histopathological findings. Dermatoscopy or immunohistochemical stainings of Treponema pallidum in the hair follicle can be helpful in the diagnosis of alopecia syphilitica, essential however is the serologic testing.


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Einleitung

Die Alopecia syphilitica kann klinisch und histopathologisch das Bild einer Alopecia areata oder auch einer diffusen Alopezie imitieren und wird daher in der Häufigkeit ihres Auftretens unterschätzt.


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Kasuistik

Ein 27-jähriger, HIV-positiver Mann (CDC-Stadium A2, WHO-Stadium I) unter stabiler antiretroviraler Therapie (= cART) mit FTC/TDF/RPV (Eviplera®), einer Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze und einer CD4-Zellzahl von 679 pro Mikroliter EDTA-Blut stellte sich mit fortschreitendem diffusen Haarausfall am Kapillitium innerhalb nur weniger Wochen vor. Auf Nachfrage berichtete er von einem seit 6 Wochen bestehenden schmerzlosen Ulkus am oberen harten Gaumen. Weitere Hautveränderungen im Verlauf wie bspw. ein generalisiertes Exanthem am Stamm, den Extremitäten oder den Hand- und Fußflächen wurde verneint. In den Wochen vor Erscheinen der Schleimhautläsion am Gaumen war mehrfacher ungeschützter Oralverkehr mit einem männlichen Sexualpartner vorausgegangen.

Bei der körperlichen Untersuchung fand sich neben einem diffusen Effluvium am Kapillitium ([Abb. 1]) bei dermatoskopisch unauffälligem Haarfollikelbefund ein ca. 1 cm großes Ulkus am harten Gaumen sowie eine zervikale Lymphadenopathie, das restliche Integument war frei von Hautveränderungen. Laboruntersuchungen zeigten einen reaktiven Treponema pallidum-Hämagglutinationstest (TPPA) und einen Venereal Disease Research Laboratory (VDRL)-Test von 1:256. Ein negativer TPPA-Test 5 Monate vor der aktuellen Vorstellung lag ebenso vor, da der Patient sich im Rahmen eines jährlichen STI (sexual transmitted infections)-Screenings auch hinsichtlich Syphilis untersuchen hatte lassen. Folglich konnte die Diagnose einer Frühsyphilis im Sekundärstadium mit Alopecia syphilitica diffusa gestellt werden. Eine Behandlung mit einer einzelnen glutealen, intramuskulären Injektion von 2,4 Millionen Einheiten Benzylpenicillin [1] mit vorangegangener Verabreichung von 60 mg Prednisolon per os zur Prophylaxe einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion, welche durch die Wirkung von Penicillin bei massivem Zerfall von Treponema pallidum in Form grippeähnlicher Symptome auftreten kann, führte rasch zur Symptomfreiheit. Auch der Haarausfall sistierte nach erfolgter Therapie, und innerhalb von 6 Monaten zeigte sich eine vollständige Normalisierung des Haarwuchses mit klinisch deutlicher Verdichtung der Kopfbehaarung im Vergleich zum Ausgangsbefund.

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Abb. 1 Klinischer Befund mit diffuser Alopezie bei Erstvorstellung von rechts lateral (a) und okzipital (b) betrachtet. Quelle: Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags. Zink A, Kaliebe K, Spinner CD. Alopecia syphilitica diffusa. Infection 2015; 43: 783. [rerif]

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Diskussion

Die Syphilis gilt als der große Imitator einer Vielzahl anderer (Haut-)Erkrankungen. Neben den bekannteren klinischen Zeichen der sekundären Syphilis (z. B. generalisiertes Exanthem oder palmoplantare erythematöse Makulae) kann sie auch einen syphilitischen Haarausfall (Alopecia syphilitica) verursachen [2]. Dieser findet sich meistens am Kapillitium, kann aber ebenso im Bartbereich, axillär, an den Augenbrauen, den Wimpern, den Armen und Beinen sowie im Genitalbereich auftreten [3]. Die syphilitische Form der Alopezie ist eine seltene und weniger bekannte Manifestationsform der Syphilis, die typischerweise 8 – 12 Wochen nach Beginn des Sekundärstadiums auftritt. Die Prävalenz variiert stark, und ihr Auftreten wird je nach Literatur bei 2,9 % – 22,2 % aller Syphiliserkrankten angegeben [4] [5] [6]. Klinisch werden typischerweise 3 Formen unterschieden: eine diffuse Alopezie mit flächiger Ausdünnung des Haarkleids (Alopecia syphilitica diffusa), eine Alopezie mit einem kleinfleckig imponierenden Muster (Alopecia syphilitica areolaris) oder eine Kombination von beiden Präsentationsformen [7]. Das kleinfleckige Muster wird aufgrund seiner typischen Klinik auch als mottenfraßartig beschrieben und ist die häufigste Manifestationsform der syphilitischen Alopezie. Die diffuse Form ist deutlich seltener [8]. Beide Formen treten akut auf, sind nach erfolgreicher Syphilisbehandlung vollständig reversibel und beginnen oft am Hinterkopf. Atypische und seltenere Verlaufsformen der Syphilisinfektion sind in der Literatur insbesondere im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion, wie im vorliegenden Fall, beschrieben.

Die Alopecia syphilitica diffusa ist nicht vernarbend und bis auf den sichtbaren Haarverlust klinisch meist völlig unauffällig. Histologisch lässt sich jedoch immer eine Entzündungsreaktion mit lymphozytärem Infiltrat nachweisen. Weitere histologische Kriterien können der Nachweis von Plasmazellen und Eosinophilen in der peribulbären Region sowie eine sog. Klumpenbildung von Melanozyten in der follikulären Matrix sein, die sich jedoch nicht in allen Fällen zeigen und somit nicht immer als diagnostisches Kriterium herangezogen werden können [7] [8]. Vielmehr kann die syphilitische Alopezie ebenso wie klinisch auch histologisch eine Alopecia areata imitieren [10]. Eine weitere diagnostische Methode der syphilitischen Alopezie kann die dermatoskopische Untersuchung der betroffenen Haarfollikel sein, für die Tognetti et al. [5] verschiedene Kriterien herausarbeiteten. Dabei beschrieben die Autoren neben unspezifischen gelben und schwarzen Flecken sowie Vellusbehaarung insbesondere konisch geformte, in sich gekrümmt wachsende Haare als Charakteristikum bei gemischter, diffus- und kleinfleckiger, syphilitischer Alopezie. Die Kombination aus Krümmung und konischer Form in jeweils ein und demselben Haar sahen sie sogar als beweisend an und machten die durch Treponema pallidum hervorgerufene lymphozytäre Entzündungsreaktion dafür verantwortlich. Kritisch zu beurteilen ist jedoch die Fallzahl von lediglich einem Patienten und das Fehlen einer entsprechenden Evaluation in größeren Patientengruppen. Auch im vorliegenden Fall wurden die beschriebenen Charakteristika bspw. dermatoskopisch nicht gesehen. Treponema pallidum kann ferner mithilfe immunhistochemischer Färbungen im Haarfollikel selbst nachgewiesen werden [8]. Zusätzlich zur serologischen Diagnostik ermöglicht dies eine Unterscheidung von syphilitischer diffuser Alopezie und Alopecia areata diffusa anderer Ursache.

Letztlich bleibt jedoch die Serologie der Goldstandard der Syphilis-Diagnostik. Dies erfordert allerdings eine Berücksichtigung der Syphilis in den differenzial-diagnostischen Überlegungen einer Alopezie. Dementsprechend verdeutlicht die vorgestellte Kasuistik, dass auch die diffuse syphilitische Alopezie trotz deren Seltenheit routinemäßig bei der Differenzialdiagnostik von Alopezien berücksichtigt werden muss.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Janier M, Hegyi V, Dupin N. et al. European guideline on the management of syphilis. J Eur Acad Dermatol Venereol 2014; 28: 1581-1593
  • 2 Vafaie J, Weinberg JM, Smith B. et al. Alopecia in association with sexually transmitted disease: a review. Cutis 2005; 76: 361-366
  • 3 Piraccini 1 BM, Broccoli A, Starace M. et al. Hair and Scalp Manifestations in Secondary Syphilis: Epidemiology, Clinical Features and Trichoscopy. Dermatology 2015; 231: 171-176
  • 4 Bi MY, Cohen PR, Robinson FW. et al. Alopecia syphilitica-report of a patient with secondary syphilis presenting as moth-eaten alopecia and a review of its common mimickers. Dermatol Online J 2009; 15: 6
  • 5 Tognetti L, Cinotti E, Perrot J. et al. Syphilitic alopecia: uncommon trichoscopic findings. Dermatol Pract Concept 2017; 7: 55-59
  • 6 Hernandez-Bel P, Unamuno B, Sanchez-Carazo JL. et al. Syphilitic alopecia: a report of 5 cases and a review of the literature. Actas Dermosifiliogr 2013; 104: 512-517
  • 7 Lee JY, Hsu ML. Alopecia syphilitica, a simulator of alopecia areata: histopathology and differential diagnosis. J Cutan Pathol 1991; 18: 87-92
  • 8 Nam-Cha SH, Guhl G, Fernández-Peña P. et al. Alopecia syphilitica with detection of Treponema pallidum in the hair follicle. J Cutan Pathol 2007; 34 (Suppl. 01) 37-40
  • 9 Jordaan HF, Louw M. The moth-eaten alopecia of secondary syphilis. A histopathological study of 12 patients. Am J Dermatopathol 1995; 17: 158-162
  • 10 Ye Y, Zhang X, Zhao Y. et al. The clinical and trichoscopic features of syphilitic alopecia. J Dermatol Case Rep 2014; 8: 78-80
  • 11 Zink A, Kaliebe K, Spinner CD. Alopecia syphilitica diffusa. Infection 2015; 43: 783

Korrespondenzadresse

PD Dr. Dr. med. Alexander Zink, MPH
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein
Fakultät für Medizin
Technische Universität München
Biedersteiner Str. 29
80802 München

  • Literatur

  • 1 Janier M, Hegyi V, Dupin N. et al. European guideline on the management of syphilis. J Eur Acad Dermatol Venereol 2014; 28: 1581-1593
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  • 11 Zink A, Kaliebe K, Spinner CD. Alopecia syphilitica diffusa. Infection 2015; 43: 783

Zoom Image
Abb. 1 Klinischer Befund mit diffuser Alopezie bei Erstvorstellung von rechts lateral (a) und okzipital (b) betrachtet. Quelle: Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags. Zink A, Kaliebe K, Spinner CD. Alopecia syphilitica diffusa. Infection 2015; 43: 783. [rerif]