Laryngorhinootologie 2019; 98(01): 60-61
DOI: 10.1055/a-0784-9548
Facharztfragen
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Fragen für die Facharztprüfung


Subject Editor: Dr. med. Gerlind Schneider, Jena
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Publication Date:
08 January 2019 (online)

Pharynx, Oesophagus und Hals

Sprechen Sie über die Pathogenese, Symptomatik und präoperative Diagnostik der Rachenmandelhyperplasie und chronischen Tubenbelüftungsstörung im Kindesalter!

Antwort: Die vergrößerte Rachenmandel (syn. Tonsilla pharyngea, Adenoid, adenoide Vegetationen; im Volksmund „Polypen“) ist eine physiologische Reaktion im Rahmen der Ausprägung der Immunabwehr im Kindesalter ca. zwischen 2. und 6. Lebensjahr. Dabei sind in der Regel alle Anteile des Waldeyerschen Rachenringes (Tonsilla pharyngea, Tonsillae palatina, Tonsilla lingualis) in individuell unterschiedlichem Ausmaß beteiligt. Im Bereich des Nasenrachens kommt es durch die Vergrößerung der Rachenmandel und dem gleichzeitig geringen Platz im Kindesalter häufig zur Entwicklung von Beschwerden. Diese äußern sich in einer behinderten Nasenatmung, daraus resultierender überwiegender Mundatmung, schlafbezogenen Atemstörungen, Dauerschnupfen und rezidivierenden Infekten der oberen Atemwege. Durch die rhinopharyngealen Infekte kommt es häufig zu Mittelohrentzündungen, da bei Kindern die Tuba auditiva noch relativ kurz und weit ist und Erreger aus dem Nasenrachenraum einfacher ins Mittelohr gelangen können. Durch die Vergrößerung der Rachenmandel ist der Abfluss von Sekret aus dem Mittelohr und die Belüftung des Mittelohres durch die Tuba auditiva oft chronisch gestört. Folgen sind ein persistierender Unterdruck oder Paukenerguss, der zu einer andauernden Schallleitungsstörung führen kann. Dadurch kann die Sprachentwicklung der Kinder gestört sein. Die Anamnese sollte deshalb auch immer die Dauer und das Ausmaß einer bemerkten Schwerhörigkeit und die aktuelle Sprachentwicklung im Abgleich zum Lebensalter umfassen. Bis zum 18. Lebensmonat lernt das Kleinkind normalerweise 2–10 Einzelwörter. Damit werden konkrete und sichtbare Dinge benannt. Im Verlauf des 2. und 3. Lebensjahres erweitert sich der Wortschatz auf bis zu 200 Wörter, es werden Zweiwortsätze gebildet, darauf folgen grammatikalisch noch ungeformte Mehrwortsätze. Teilweise werden die Worte noch undeutlich ausgesprochen. Ab dem 4. Lebensjahr kommt es zu einem raschen Anwachsen des Sprachwortschatzes von ca. 1500 Wörtern im 4. Lebensjahr bis 6000 Wörtern im 6. Lebensjahr. Es werden komplexe, grammatikalisch richtige Sätze gebildet und die Zeitformen richtig angewendet.

Da die Ausbildung des Hartgaumens in Form und Größe den Druck der Zunge auf den Oberkiefer benötigt, können bei nicht behandelten vergrößerten Rachenmandeln mit dauerhafter Mundatmung Störungen des Mittelgesichtswachstums und der Zahnstellung resultieren. Typische Spätfolge ist der spitze, hohe („gotische“) Gaumen.

Die Diagnostik erfolgt mittels Rhinoskopie, Inspektion von Mund- und Rachenraum sowie Ohrmikroskopie. Die Hörstörung wird mittels Audiometrie und Tympanometrie verifiziert. Je nach Compliance und Alter erfolgte bis zum ca. 3. Lebensjahr eine Zuwendungsaudiometrie oder Spielaudiometrie. Dabei werden Schallsignale mit visuellen Reizen oder einer spielerischen Belohnung gekoppelt. Aus Lautsprechern seitlich hinter dem Sitzplatz von Mutter und Kind werden kindgerechte Geräusche appliziert und die Zuwendung zur Schallquelle registriert und ggf. visuell oder mit einem Spielzeug belohnt. Die Zuwendung muss reproduzierbar sein und ist bis zu Lautstärken von 50 dB im freien Schallfeld als normal einzustufen. Mit dieser Diagnostik kann eine grobe Einschätzung über ein Normalgehör oder eine Schwerhörigkeit erfolgen. Es ist keine seitengetrennte Diagnostik möglich. Das Tympanogramm kann die Diagnose Paukenerguss als abgeflachte Kurve bestätigen. Dabei sollten immer die Fehlerquellen dieser Untersuchung gerade im Kindesalter (enger Gehörgang, Bewegungsartefakte) beachtet werden. In Zusammenschau der Befunde (Ohrmikroskopie mit Unterdruck oder Paukenerguss, abgeflachtes Tympanogramm, erhöhte Werte in der Zuwendungsaudiometrie) kann bei einem sonst unauffälligen Kind die Diagnose einer Schallleitungsschwerhörigkeit bds. gestellt werden. Sind die Befunde nicht eindeutig, muss eine erweiterte Hördiagnostik (TEOAE, ggf. eine BERA nach erfolgter Parazentese/Paukendrainage) durchgeführt werden, um andere Hörstörungen (kombinierte Schwerhörigkeiten, Innenohrschwerhörigkeit) möglichst frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Bei Kindern ab ca. 3. Lebensjahr ist in der Regel mit etwas Training ein normales Reintonaudiogramm möglich.