Gesundheitswesen 2019; 81(10): 822-830
DOI: 10.1055/a-0664-0470
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Da kann man sich ja totklingeln, geht ja keiner ran“ – Schnittstellenprobleme zwischen stationärer, hausärztlicher und ambulant-fachspezialisierter Patientenversorgung aus Sicht Dresdner Hausärzte

Interface Problems Between Inpatient, GP and Outpatient Specialist Care: Viewpoint of General Practitioners in Dresden
Caroline Lang
1   Medizinische Klinik III, Bereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
Mandy Gottschall
1   Medizinische Klinik III, Bereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
Maik Sauer
1   Medizinische Klinik III, Bereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
Juliane Köberlein-Neu
2   Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsökonomik und Versorgungsforschung, Bergische Universitat Wuppertal Fakultät für Wirtschaftswissenschaft – Schumpeter School of Business and Economics, Wuppertal
,
Antje Bergmann
1   Medizinische Klinik III, Bereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der Technischen Universität Dresden, Dresden
,
Karen Voigt
1   Medizinische Klinik III, Bereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der Technischen Universität Dresden, Dresden
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Publication History

Publication Date:
16 August 2018 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie Ziel der Studie war es, Schnittstellenprobleme zwischen stationärer, hausärztlicher und ambulant-fachspezialisierter Patientenversorgung bei älteren multimorbiden Patienten aus hausärztlicher Sicht aufzudecken.

Methodik Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen der Pilotstudie „Multimedikation und ihre Folgen für die hausärztliche Patientenversorgung in Sachsen“ und umfasste leitfadengestützte Interviews mit 7 Hausärzten. Die Interviews wurden vollständig transkribiert und inhaltlich in Anlehnung an die induktive Kategorienentwicklung nach Mayring analysiert.

Ergebnisse An stationärer zu ambulant-hausärztlichen Schnittstelle zeigten sich v. a. Probleme bei der intersektoralen Kommunikation und Kooperation, dem Entlassmanagement sowie beim Medikationsmanagement. An der Schnittstelle vom Hausarzt zu ambulant-fachspezialisierten Kollegen zeigten sich Probleme hinsichtlich der freien Arztwahl, des Terminmanagements, des ärztlichen Entscheidungsfindungsprozesses, des Medikationsmanagements sowie bei der Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte. Schnittstellenunabhängig wurden die mangelnde Kommunikation und Kooperation als zentrale Herausforderungen herausgearbeitet.

Schlussfolgerung Aus hausärztlicher Sicht gibt es eine Vielzahl von Problemen zu allen angrenzenden Schnittstellen. Auffällig hierbei ist die mangelnde Kommunikation und Kooperation zwischen den verschiedenen Beteiligten. Als mögliche Ursachen zeigen sich die häufig sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen, personellen und materiellen Ressourcen sowie Therapieintentionen und -ansätze zwischen den settingspezifischen Schnittstellen. Ein möglicher Ansatz zur Verbesserung der Situation kann das seit 2016 bestehende Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sein. Es verspricht u. a. einen sicheren und zügigen inter- und intrasektoralen Informationsaustausch von Patientendaten. Übergeordnetes Ziel der Gesundheitsversorgung in Deutschland sollte ein optimiertes und prozessorientiertes Schnittstellenmanagement sein, um Patienten einen sicheren und nahtlosen sektoralen Übergang zu gewährleisten.

Abstract

Objectives The aim of the study was to identify interface problems between inpatient, GP and outpatient specialist care from the perspective of general practitioners in Dresden, especially in older multimorbid patients.

Methods The data were collected in the context of the pilot study “Multimedication and its Consequences for the Primary Care of Patients in Saxony“ and included guided interviews with 7 general practitioners. The interviews were transcribed and analyzed according to the inductive content analysis of Mayring.

Results At the interface of inpatient to outpatient care, several problems regarding discharge management, intersectoral communication and cooperation as well as in the management of medication were found. Concerning the interface between general practitioners and outpatient specialist care, problems were particularly marked with regard to free choice of doctors, appointment management, medical decision-making process, medication management as well as the use of the electronic health card. Regardless of the interfaces, the lack of communication could be worked out as a central challenge.

Conclusion There are several problems with all adjacent interfaces. What is striking here is the lack of communication and cooperation between all parties involved. Possible causes were the often very different working methods and framework conditions, human and material resources and therapeutic intentions and approaches between the different interfaces. One possible approach to improve the situation may be the law regarding secure digital communications and healthcare applications, which exists since 2016. Among other things, it promises a secure and rapid inter- and intrasectoral exchange of patient data. The overall goal of healthcare in Germany should be an optimized and process-oriented interface management in order to ensure a secure and seamless sectoral transition to patients.

 
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