Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P719
DOI: 10.1055/s-2007-987989

Fatigue und Aktimetrie bei Patienten mit Multipler Sklerose

S Merkelbach 1, H Schulz 1, HW Kölmel 1, G Gora 1, J Klingelhöfer 1, R Dachsel 1, F Hoffmann 1, U Polzer 1
  • 1Erfurt, Hildburghausen, Chemnitz, Halle, Stadtroda

Fragestellung: Das Fatigue-Syndrom bei Multiple Sklerose (MS)-Patienten wird bejaht, sobald Grenzwerte in Selbstbewertungsskalen überschritten werden. Unterschiedliche Skalen erfragen aber differente Domänen und die Interkorrelation der Skalen ist nur gering. Inhaltlich und pathophysiologisch wird Fatigue weiter kontrovers diskutiert. Wir testeten, inwieweit ein Hauptaspekt der Fatigue Severity Skala (FSS), die Einschränkungen der motorischen Aktivität, bei MS-Patienten mit aktimetrischen Methoden objektiviert werden kann.

Methoden: Es wurden 69 Patienten (51 Frauen, Alter 43±10 Jahre) mit MS untersucht. Die EDSS betrug 3,0±1,5, die Erkrankungdauer 8±7 Jahre. Alle Patienten erhielten Interferon beta 1b als Dauertherapie. Die Bewegungsaktivität wurde aktimetrisch durch eine Actiwatch (Cambridge Neurotechnology; piezoelektrischer Aufnehmer, Gewicht 18g), getragen am nicht-dominanten Handgelenk, für 7 Tage und Nächte kontinuierlich gemessen. Gespeichert wurde die Anzahl der Bewegungsimpulse in 30-Sek.-Abschnitten. Die Bewegungsdaten wurden durch einen Algorithmus in Tagesabschnitte mit höherer und Nachtabschnitte mit geringer Aktivität unterteilt. Die Mittelwerte der Bewegungsaktivität über 7 Messtage wurden mit FSS und EDSS verglichen. Für statistische Prüfungen (Chi2-Test, ANOVA) wurden Aktimetrie- und FSS-Werte jeweils in drei Gruppen mit niedrigen, mittleren oder hohen Werten eingeteilt.

Ergebnisse: Patienten mit niedriger EDSS und kürzerer Erkrankungsdauer hatten höhere Werte für die Tagesaktivität als Patienten mit höherer EDSS (r=-0,34; p<0,05) und längerer Erkrankungsdauer (r=-0,26; p<0,05). Patienten mit höheren Fatiguescores zeigten eine reduzierte Tagesaktivität (Chi2=9,8, p<0,05). Auf der Item-Ebene korrelierten 5 von 9 FSS-Items signifikant mit der motorischen Tagesaktivität (Tabelle). Es handelt sich dabei entweder um globale Angaben zur Erschöpfung (Items 3, 5 und 7) oder um spezifische Angaben zur körperlichen Erschöpfung (Items 2 und 4).

FSS-ltem

p-Wert

3: Ich bin schnell erschöpft

0,003

5: Die Erschöpfung verursacht häufig Probleme für mich

o,014

7: Die Erschöpfung behindert mich bei der Ausübung bestimmter Aufgaben und Pflichten

0,019

2: Körperliche Betätigung führt zu vermehrter Erschöpfung

0,021

4: Die Erschöpfung beeinflusst meine körperliche Belastbarkeit

0,028

6: meine Erschöpfung verhinder körperliche Betätigung

0,107 (n s)

9: Die Erschöpfung hat Einfluss auf meine Arbeit, meine Familie, mein soziales Leben

0,110 (n s)

8: Erschöpfung gehört zu den drei mich am meisten behindernden Beschwerden

0,138 (n s)

1: Ich habe weniger Motivation, wenn ich erschöpft bin

0,164 (n s)

Schlussfolgerung: Das Ausmaß der selbstbewerteten Erschöpfung (FSS) kovariiert mit der gemessenen Aktivitätsverminderung. Die Aktimetrie ermöglicht eine objektive und valide Messung von Teilaspekten des komplexen Konstrukts Fatigue. Dabei muss der klinische Schweregrad (EDSS) als weitere relevante Einflussgröße korreliert werden. In der vorliegenden Untersuchung wurden nur Tagesmittelwerte der Bewegungsaktivität berücksichtigt, nicht aber die zeitliche Verteilung von Aktivität und Ruhe am Tage und über 24 Stunden.