ZFA (Stuttgart) 2007; 83(2): 43
DOI: 10.1055/s-2007-970077
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arbeitsteilung, Kooperation und Verantwortung

Heinz-Harald Abholz
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. April 2007 (online)

Arbeitsteilung hat es in der Heilkunst und in der Medizin immer gegeben. Was aufgrund der medizinisch-wissenschaftlichen sowie technischen und dabei beschleunigten Entwicklung der letzten 40 Jahre jedoch geschieht, kann auch als qualitative Veränderung beschrieben werden: Aus einer Arbeitsteilung mit groben Aufteilungen nach Körperregion oder Methoden ärztlichen Tuns ist eine weitere hochdifferenzierte Aufteilung innerhalb dieser Gebiete geworden. Zahlreiche neue Berufsgruppe, ärztlich und nicht-ärztlich, sind hinzugekommen.

Begründet ist dies in der zunehmenden Wissensentwicklung und der Entwicklung technischer Fertigkeiten, die hiermit verbunden sind. Ein Mediziner kann sogar in seinem Gebiet nicht mehr alles beherrschen.

So einleuchtend dieses Argument ist, sowenig stimmt es sogleich in Bezug auf die Problemstellungen in der Praxis. Herr Prof. Brand, Schwindel-Experte in München, hat einmal geschrieben, dass es rund 45 Ursachen für Schwindel gibt, aber nur ganze 5 nach seiner - krankenhauszentrierten - Erfahrung gut 80 Prozent der Schwindel, die Patienten angeben, erklären. Ist man im ambulanten Bereich tätig, so darf man berechtigt und auch auf Studien gestützt annehmen, dass dieser Prozentsatz hier noch höher ist.

Für diese 5 Ursachen kann sehr wohl ein Generalist, ein Hausarzt, weiterhin zuständig bleiben. Dies gilt auch dann noch, wenn man weiß, dass er für weitere Leitsymptome wie Thoraxschmerz, Gewichtsabnahme, Luftnot etc. ebenfalls jeweils 3 bis 10 hauptsächlich erklärende Ursachen im Hintergrund haben muss.

Das, was er aber zusätzlich können muss, ist die Fähigkeit entwickelt zu haben, zu erkennen, wann bestimmte Befunde, Symptome, Verläufe etc. nicht in „das” passen, was durch seine „5 Hauptursachen” gut erklärbar ist. Mit anderen Worten, er muss auf Unstimmigkeiten zu dem, was er kennt, achten können. Dazu gehört nicht nur reine Kenntnis, sondern auch die mentale Fähigkeit, einmal getroffene (vorläufige) Diagnosen immer wieder zu hinterfragen.

Des weiteren gehört zu der Arbeit des Generalisten eine weitere mentale und emotionale Fähigkeit, nämlich die, selbstkritisch die eigenen Grenzen im Auge zu behalten und auch einem Patienten gegenüber darstellen zu können.

Und schließlich gehört dazu, mit der Unsicherheit umgehen zu können, die ja für insbesondere den Generalisten immer verbleibt, wenn man nicht alles bis zum Letzten bearbeitet hat. Gerade letzteres zeichnet die Struktur unserer Tätigkeit - im Vergleich zum Spezialisten - aus.

Mit Kooperation kann man damit eine Zusammenarbeit von Generalisten und Spezialisten bezeichnen, bei der die Generalisten in ihrer breiten Zuständigkeit (für die jeweils „5 Ursachen”) und die Spezialisten in ihrem engen Bereich für das „Seltene” zuständig bleiben. Kooperation wäre hiernach eine besondere Form der Ausgestaltung von Arbeitsteilung. Sie würde sich darin begründen, dass sie kosteneffektiv und - weitaus wichtiger - patientenzentriert ist. Denn sie erlaubt dem Patienten, eine fachliche begründete Begleitung auch in der Entscheidung der Zuständigkeiten für sein Leid anbieten zu können. Und diese Zuständigkeit beinhaltet auch, dass der Generalist den Patienten in seiner Ganzheit interpretiert und daraus die Kontaktaufnahme zum Spezialisten ableitet oder auch unterlässt.

In jüngster Zeit ist jedoch vermehrt zu beobachten, dass Kooperation aufgegeben wird und reine Arbeitsteilung - dann noch im krudesten Sinne - resultiert: Patienten holen ihre Überweisungen und gehen direkt zu Spezialisten; Hausärzte überweisen bei allem, was eine solche Überweisung zulässt - und die anstrengende Arbeit des Abwägens der Zuständigkeit, das Aushalten von Unsicherheit etc. einem abnimmt. Spezialisten, hierzulande reich an der Zahl, behandeln auch das, wozu sie nicht hätten Spezialist werden müssen, den „unselektionierten Ohrschmerz”, den „verspannten Rücken” etc.

Damit wird die Rolle des Spezialisten und die des Generalisten unterminiert. Hintergrund für diese Entwicklung dürfte mehrerlei sein. Da ist die Konkurrenz um die Patienten. Und da ist der allgemeine Glaube (Zeitgeist), dass das Spezielle immer auch das Bessere sei.

Nicht unwesentlich aber dürfte auch sein, dass aufgrund einer zunehmend sehr spezialistischen Ausbildung junge Ärzte sehr verunsichert sind, ob sie alles richtig machen, können sie doch die gesamten Felder der Spezialisten nie überblicken. Dem könnte Abhilfe geschaffen werden, wenn Spezialisten dem Thema der Kooperation auch in der Ausbildung sich zuwenden würden: Dann ginge es vor allem darum, auf die „5 Ursachen” sich zu konzentrieren und die Botschaft zu substanzieren, nach der die Mehrzahl der Patienten vom Generalisten gut und verantwortungsvoll versorgt werden kann. Dazu aber gehört auch, dass die Generalisten in der Aus-, Fort- und Weiterbildung die Thematik des Umgangs mit der Unsicherheit, dem Aufmerksam-werden auf Unstimmigkeiten im Verlauf etc. zur zentralen Botschaft machen.

Und noch etwas - neben gutem Willen - gehört dazu: Die ökonomische Stützung von Kooperation im Bereich der Weiterbildungs-, der Niederlassungs- und der Honorierungssteuerung.

Ihr Heinz-Harald Abholz

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. H.-H. Abholz

Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere Medizin

Abt. Allgemeinmedizin

Heinrich-Heine-Universität

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

eMail: abholz@med.uni-duesseldorf.de