Aktuelle Neurologie 2006; 33 - P613
DOI: 10.1055/s-2006-953437

Ein vermeintliches Mediaischämiesyndrom als Akutmanifestation einer Neurolues

R. Werner 1
  • 1Koblenz

Der 58-jährige LKW-Fahrer im europaweiten Fernverkehr wurde wegen einer akut aufgetretenen Sprachstörung bei arterieller Hypertonie und Hyperlipoproteinämie als vaskulären Risikofaktoren unter der Verdachtsdiagnose eines Mediaischämiesyndroms auf unsere Stroke Unit aufgenommen. Von der Ehefrau wurde eine seit ca. 6 Monaten zunehmende Vergesslichkeit und Affektinkontinenz des Patienten berichtet. Klinisch-neurologisch fielen bei dem ängstlich wirkenden Rechtshänder neben einer globalen Aphasie beidseits enge Pupillen mit träger Lichtreaktion bei unauffälligem Konvergenzverhalten auf. Die initiale CCT zeigte eine mäßige zerebrale Mikroangiopathie, keine intrazerebrale Blutung und keine Frühzeichen eines Territorialinfarkts, so dass nach unserem damaligen Therapieregime vier Stunden nach Symptombeginn eine Behandlung mit Tirofiban erfolgte.

Doppler- und duplexsonographisch ergaben sich extra- und intrakraniell unauffällige Befunde. Eine kardiale bzw. aortale Emboliequelle wurde mittels transösophagealer Echokardiographie ausgeschlossen.

Am dritten Krankheitstag ließ sich bei fortbestehender Symptomatik in der MRT keine Diffusionsstörung im Sinne eines frischen ischämischen Hirninfarkts nachweisen. Im EEG zeigte sich ein ausgedehnter linkshemisphärischer Herd mit PLEDs. Liquordiagnostisch lag zu diesem Zeitpunkt bei normaler Zellzahl und normaler Schrankenfunktion eine 80%-ige intrathekale IgG-Synthese mit Nachweis von oligoklonalen Banden vor, so dass unter der Verdachtsdiagnose einer Enzephalitis eine antibiotische und antivirale Therapie erfolgte.

Erst der positive TPHA-Test im Serum und die Bestätigungsreaktion im Immunoblot erbrachten am fünften Tag den entscheidenden Hinweis auf eine floride Infektion mit Treponema pallidum. Unter der Diagnose einer Neurolues wurde dann die Behandlung allein mit Ceftriaxon fortgeführt, worunter sich die Aphasie bis zur Verlegung in eine Rehabilitationsklinik besserte; für die ersten zwei Wochen des Krankenhausaufenthalts blieb eine Amnesie bestehen.

Eine MRT-Kontrolle im Abstand von einer Woche zeigte in der Flair-Sequenz eine erhöhte kortikale Signalintensität frontotemporoparietal links mit Beteiligung des Hippocampus.

Der Fall ist deshalb interessant, weil im Rahmen der möglichst schnell durchzuführenden Akutversorgung von Patienten mit Verdacht auf Hirninfarkt bzw. bei Anwendung standardisierter Lyseprotokolle die Gefahr besteht, seltene Differenzialdiagnosen wie die Neurolues zu übersehen.