Aktuelle Neurologie 2006; 33 - P609
DOI: 10.1055/s-2006-953433

Atypischer Botulismus ohne Beteiligung der Okulomotorik und positiven GQ1b Antikörpern

A. Riecker 1, R. Huber 1, H.J. Gdynia 1
  • 1Ulm

Beim nahrungsmittelbedingen Botulismus handelt es sich um eine akute Erkrankung des peripheren Nervensystems, welche in der Regel das motorische und vegetative System betrifft. Krankheitsauslösend ist die orale oder aerogene Aufnahme des Neurotoxins des gramnegativen, anaeroben Stäbchenbakteriums Clostridium botulinum. Die Symptome sind durch Hirnnervenlähmungen, absteigende Paresen sowie zusätzliche Symptome wie Obstipation, Übelkeit und Erbrechen gekennzeichnet. Ein Kardinalsymptom des nahrungsmittelbedingten Botulismus sind Störungen der Okulomotorik, welche in der Regel früh im Krankheitsverlauf auftreten und sich klinisch in Doppelbildern äußern. Wir berichten über eine 51-jährige Patientin, die sich mit einer seit 3 Tagen progredienten Schluckstörung in unserer neurologischen Klinik vorstellte. Anamnestisch war der Genuss von vakuumiertem Rindfleisch zu erheben. Klinisch bestanden isoliert bilateral symmetrische Hirnnervenparesen unter Aussparung der Okulomotorik. Laborchemisch war eine aktive Hepatitis B sowie eine Erhöhung von anti-GQ1b Antikörpern und Antikörper gegen Campylobacter jejuni auffällig, die Röntgenaufnahme des Thorax zeigte einen Zwerchfellhochstand rechts. Im Rahmen der Differentialdiagnostik wurde unter anderem ein Botulismus spezifischer Maus-Bioassay durchgeführt, welcher ein wiederholt positives Ergebnis lieferte. Nach einmaliger Gabe von trivalentem equinem Antitoxin sowie prophylaktischer Penicillin G Therapie kam es nach 3 Monaten zur kompletten Symptomremission. Dieser Fall beschreibt einen atypischen Verlauf eines nahrungsmittelbedingten Botulismus mit bilateralen Hirnnervenparesen ohne Beteiligung der Okulomotorik und weist damit auf eine im Einzelfall eingeschränkte Verwendbarkeit der sogenannten “diagnostischen Pentade“ hin. Die Erhöhung der anti-GQ1b Antikörper könnte im Rahmen der bei der Patientin nachgewiesenen Hepatitis B interpretiert werden, zumal es in der Literatur Fallberichte über deren positiven Nachweis bei autoimmuner Hepatitis gibt. Alternativ wäre ein sekundäres Phämonen im Sinne einer molekularen Mimikri zu diskutieren, wobei es durch eine neurotoxinvermittelte Epitoppräsentation zur Ausbildung von anti-GQ1b Antikörpern kommen könnte.