Aktuelle Neurologie 2006; 33 - P413
DOI: 10.1055/s-2006-953238

Tiefenhirnstimulation bei therapierefraktärem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom

J. Kuhn 1, D. Lenartz 1, W. Huff 1, S.H. Lee 1, A. Koulousakis 1, V. Sturm 1, J. Klosterkoetter 1
  • 1Köln

Fragestellung: Das Tourette-Syndrom (TS) ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durch motorische und vokale Tics gekennzeichnet ist. Es besteht häufig eine Comorbidität mit anderen psychiatrischen Erkrankungen wie Zwangsstörung, ADHD und affektiven Störungen. Dysregulationen in den kortiko-striato-pallido-thalamo-kortikalen Verschaltungen werden unter anderem als pathophysiologische Mechanismen diskutiert, wobei dem dopaminergen System eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Dem folgend stützt sich die medikamentöse Behandlung des TS auf antidopaminerge Neuroleptika. Trotz dieser und anderer zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten verbleibt ein Anteil von Patienten behandlungsresistent. Durch den Einsatz der Tiefenhirnstimulation (THS) erhofft man sich zukünftig eine alternative Therapieoption.

Methode: Wir berichten über einen 26jährigen Patienten mit ausgeprägtem TS, das durch multiple hochfrequente Tics gekennzeichnet ist und das insbesondere mit komplexen autoaggressiven und -mutilitativen Tics, ferner Koprolalie einhergeht. Komplizierend bestehen Symptome einer Zwangs- und Persönlichkeitsstörung, sowie Aufmerksamkeitsdefizite. Die unternommenen pharmakologischen Maßnahmen hatten keine Linderung der Beschwerden bewirkt. Ganz im Gegenteil, der Patient befand sich seit der Pubertät kontinuierlich in stationär psychiatrischer Behandlung und dabei größtenteils in Fixierung zum Schutz vor Selbstverletzungen. Wir sahen die Indikation zum Heilversuch mittels bds. THS des Ncl. accumbens gegeben. 2003 erfolgte die stereotaktisch gestützte Elektrodenimplantation, die der Pat. komplikationslos überstand.

Ergebnisse: In dem zweieinhalb-jährigen Beobachtungszeitraum zeigte der Patient unter der Stimulation (-0,-1,-2,-3 bds. + Gehäuse; 90µs, 130Hz, 7 V) eine signifikante Reduktion seiner Tic-Frequenz (YGTSS: -41%; MRVRS: -50%), wobei insbesondere auch die selbstverletzenden Tics nachließen. Auch kam es zu einer partiellen Regredienz der Zwangssymptomatik. Insgesamt bewirkte die THS eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität, so dass der Patient mittlerweile in einem betreuten Wohnheim leben kann. Unerwünschte Wirkungen traten nicht auf, lediglich mit Entleeren der Impulsgeneratorbatterie stellte sich eine deutliche Verschlechterung der Beschwerden ein.

Schlussfolgerung: Diese Kasuistik bestätigt über einen längeren Beobachtungszeitraum den Ncl. accumbens als erfolgsversprechenden Zielpunkt der THS bei ausgewählten Patienten mit TS.