Aktuelle Neurologie 2006; 33 - P305
DOI: 10.1055/s-2006-953131

Prospektives Gedächtnis bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma: Performanz und Selbsteinschätzung

J. Louda 1, S. Wenzel 1, T. Rommel 1, R. Mielke 1
  • 1Köln

Hintergrund: Der Begriff „prospektives Gedächtnis“ beschreibt die Fähigkeit, sich zur richtigen Zeit an zuvor gefasste Handlungsabsichten zu erinnern. Grundlegende Fähigkeiten wie z.B. das Einhalten von Terminen oder die Einnahme von Medikamenten zu bestimmten Tageszeiten sind von prospektiven Gedächtnisleistungen abhängig. Beeinträchtigungen des prospektiven Gedächtnisses gefährden die Selbständigkeit im Alltag. Obgleich Gedächtnisbeeinträchtigungen nach Schädel-Hirn-Trauma (SHT) gut dokumentiert sind, ist der Bereich des prospektiven Gedächtnisses hierbei noch vergleichsweise wenig erforscht. Auch im klinischen Alltag gehört die Untersuchung des prospektiven Gedächtnisses nicht überall zur Routinediagnostik.

Methode: 30 Patienten mit einem SHT vom Ausmaß eines Kontusionssyndroms (mittleres Alter=34,93, SD=10,17) und 30 gesunde Kontrollpersonen (mittleres Alter=35,43, SD=11,83) wurden mit einer neuropsychologischen Testbatterie, die 8 Aufgaben zum prospektiven Gedächtnis enthielt, untersucht. Hierbei sollten die Probanden zu bestimmten Zeitpunkten oder beim Eintreten bestimmter Ereignisse von alleine daran denken, eine vorher definierte Reaktion zu zeigen. Nachdem die Instruktionen zu den jeweiligen prospektiven Gedächtnisaufgaben gegeben worden waren, sollten die Probanden zusätzlich einschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie zum richtigen Zeitpunkt an die Ausführung der Reaktion denken.

Ergebnisse: Die Patienten lösten weniger prospektive Gedächtnisaufgaben als die Kontrollpersonen (63,71% vs. 79,17% richtig gelöste Aufgaben; p<.01). Darüber hinaus konnten die Patienten schlechter abschätzen, ob sie eine Aufgabe bewältigen werden oder nicht (57.52% vs. 70,26% korrekte Einschätzungen; p<.05).

Diskussion: Die vorliegende Studie zeigt, dass SHT-Patienten im Vergleich zu gesunden Personen prospektive Gedächtnisdefizite haben und dass sie sich hinsichtlich ihrer prospektiven Gedächtnisfähigkeiten unrealistisch einschätzen. Aufgrund der hohen Alltagsrelevanz des prospektiven Gedächtnisses lässt sich aus den vorliegenden Ergebnissen die Forderung nach weiteren Studien und nach einer routinemäßigen Untersuchung der prospektiven Gedächtnisfähigkeiten im klinischen Alltag ableiten. Insbesondere aufgrund der fehlerhaften Selbsteinschätzung ist die diagnostische Abklärung wichtig, da die Patienten vermutlich weder in der Anamnese über prospektive Gedächtnisdefizite berichten werden, noch von alleine Hilfsmittel (z.B. Terminkalender) benutzen werden.