Z Sex Forsch 2006; 19(4): 334-358
DOI: 10.1055/s-2006-942334
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Jugendschwangerschaften in Deutschland

Ergebnisse einer Studie mit 1801 schwangeren Frauen unter 18 JahrenGunter Schmidt1 , Elke Thoß1 , Silja Matthiesen1 , Sigrid Weiser1 , Karin Block1 , Svenja Mix1
  • 1Pro Familia Bundesverband
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Publication Date:
21 December 2006 (online)

Übersicht:

Im internationalen Vergleich ist die Rate von 8-9 Schwangerschaften per 1000 15- bis 17-jährige Frauen in Deutschland eher niedrig. Die vorliegende Studie an 1801 minderjährig Schwangeren sollte klären, bei welchen Zielgruppen und in welcher Hinsicht die Prävention ungewollter Jugendschwangerschaften noch verbessert werden kann. Die zentralen Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: (1) Soziale Benachteiligung (niedrige Schulbildung, Arbeitslosigkeit/fehlender Ausbildungsplatz) erhöht die Wahrscheinlichkeit von Jugendschwangerschaften; (2) Anwendungsfehler bei Kondom und Pille sind eine unerwartet häufige Ursache solcher Schwangerschaften; (3) sexuelle und emotionale Unvertrautheit der Partner erhöhen das Risiko ungewollter Schwangerschaften ebenso wie (4) Konstellationen, in denen die sexuelle Selbstbestimmung und die Verhandlungsposition der Frau prekär sind; (5) die „Pille danach” spielt bisher eine zu geringe Rolle in der Prävention von Jugendschwangerschaften; (6) sozial benachteiligte junge Frauen tragen ungeplante Schwangerschaften besonders häufig aus. Konsequenzen der Ergebnisse für die Prävention werden diskutiert.

Literatur

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1 Die Zahl der Schwangerschaften umfasst nicht die Fehlgeburten, da diese statistisch nicht erhoben werden. Nach Henshaw (2004) enden etwa 15 % aller Schwangerschaften von Teenagern mit einer Fehlgeburt.

2 Die für die vorangehenden Jahre vom Statistischen Bundesamt publizierten Zahlen sind „underreported”, sie können mit den heutigen Zahlen nicht verglichen werden.

3 Zwischen 1996 und 2005 stieg die absolute Zahl der Schwangerschaften um 125 %, die Schwangerschaftsrate hingegen um 114 %.

4 In unserem kurzen Fragebogen konnten einige Faktoren, die die Verbreitung von Jugendschwangerschaften beeinflussen können, nicht oder nicht detailliert erfasst werden. Das gilt vor allem für familiäre Verhältnisse (einschl. häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Fremdunterbringung) und für Drogen- und Alkoholkonsum. Zur Bedeutung dieser Merkmalskomplexe für das Risiko von Jugendschwangerschaften vgl. u. a. die Übersichten von Vanwesenbeeck et al. (1999) und Love et al. (2005).

5 Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes zur Schulart besuchten von den 14- und 15-jährigen Mädchen im Jahr 2005 25 % eine Sonder- oder Hauptschule, 28 % eine Realschule, 38 % ein Gymnasium und 9 % eine Gesamtschule. Verteilt man die Gesamtschülerinnen zu gleichen Teilen auf die drei Schultypen, dann ergeben sich Anteile von etwa 30 % (Haupt- oder Sonderschule), 30 % (Realschule) und 40 % (Gymnasium). Danach wäre das Risiko einer Hauptschülerin noch etwas höher, das einer Gymnasiastin noch etwas niedriger als nach der obigen groben Schätzung.

6 Dabei sind „ungeschützte Geschlechtsverkehre” solche, bei denen keine Pille und kein Kondom benutzt wurde oder bei denen es zu Anwendungs- oder Methodenfehlern dieser Verhütungsmethoden kam.

7 Wir danken der BZgA für die großzügige Erlaubnis, die Daten der Jugenduntersuchung 2005 (BZgA 2006) für sekundäre Analysen zu nutzen.

8 Drei Frauen gaben an die „Pille danach” genommen zu haben und trotzdem schwanger geworden zu sein.

9 Bezugsjahre 2001-2005, ohne Fehlgeburten

10 245 (14 %) Befragte konnten nicht eingeordnet werden. Dies sind minderjährige Schwangere, bei denen der Beratungsauftrag nicht eindeutig war oder von denen nur unvollständige Angaben vorliegen.

11 Partialkorrelationen, bei denen das Partneralter bzw. das Alter der Frau herausgefiltert wird, zeigen für das Alter der Frau deutlich schwächere statistische Zusammenhänge als für das Alter des Partners.

12 Die Merkmale Arbeitslosigkeit/fehlender Ausbildungsplatz der Frau bzw. des Partners wurden nicht berücksichtigt, da dann alle Frauen herausfallen würden, die (oder deren Partner) noch zur Schule gehen. Folgende Punktwerte wurden zugrunde gelegt: Hauptschule (Befragte bzw. Partner) jeweils 2 Punkte, Realschule 1 Punkt, Gymnasium 0 Punkte; Arbeitslosigkeit des Vaters bzw. der Mutter jeweils 1 Punkt. Der Punktwert variiert zwischen 0 (Gymnasiastin mit einem Partner mit Gymnasialbildung, weder Vater noch Mutter arbeitslos) und 6 (Hauptschülerin mit einem Partner mit Hauptschulbildung; Vater und Mutter arbeitslos). Die Häufigkeitsverteilung der Skala sieht wie folgt aus: 4 % (0 Punkte), 8 %, 20 %, 24 %, 30 %, 10 %, 5 % (6 Punkte).

13 Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede bei den Gymnasiastinnen: Von ihnen hatten sich 29 % in den neuen, aber nur 5 % in den alten Bundesländern bereits für das Austragen entschieden.

Dipl.-Soz. E. Thoß

Pro Familia Bundesverband

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