ZFA (Stuttgart) 2006; 82(9): 409-414
DOI: 10.1055/s-2006-942188
DEGAM-Nachrichten

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40 Jahre DEGAM: Allgemeinmedizinische Forschung in Deutschland - Entwicklung und aktueller Stand

40 Years DEGAM: Research in General Practice in Germany - Development and Current SituationE. Hummers-Pradier1
  • 1Abteilung Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication Date:
06 October 2006 (online)

Trotz vierzig Jahre DEGAM als wissenschaftlicher Gesellschaft für Allgemeinmedizin stellt sich das Fachgebiet immer noch gern als wissenschaftlich „jung” dar. Vielleicht ist dies aus der Geschichte des Faches zu erklären, das schon immer in der Versorgungsrealität etabliert war, bevor es nach und nach auch ein wissenschaftliches Selbstverständnis entwickelte. Noch 1983 formulierte der Epidemiologe F. W. Schwartz [1]: „Der Rückstand der Forschung in der Allgemeinmedizin ist ein Defizit für die Medizin überhaupt. Er ist nicht das Ergebnis objektiver Unmöglichkeit von Forschung in der Allgemeinmedizin, sondern Ergebnis unterlassener Forschungsinvestitionen. Forschung in der Allgemeinmedizin ist ein gemeinsames Anliegen der medizinisch-wissenschaftlichen Gemeinschaft”.

Erst in den 40er- und 50er-Jahren gab es erste Ansätze deskriptiver Forschung, z. B. die systematischen Erhebungen der Fälleverteilung von R. N. Braun [2] [3]. In den 60er-Jahren entstanden erste wissenschaftliche Strukturen: 1966 wurde die DEGAM gegründet und der erste allgemeinmedizinische Lehrauftrag erteilt (S. Häussler, Freiburg). Zwei Jahre später wurde - fast 30 Jahre parallel dem Praktischen Arzt - der Facharzt für Allgemeinmedizin geschaffen. Eckdaten der weiteren Entwicklung finden sich in Tab. [1].

Tab. 1 Allgemeinmedizinische Forschung: Eckdaten und Entwicklungsschritte 1925 Zeitschrift „Der Landarzt”, später „Zeitschrift für Allgemeinmedizin” 40er-/50er-Jahre Statistik von Beratungsergebnissen in einer hausärztlichen Praxis, „Fälleverteilungsgesetz”, 2 3 vereinzelte deskriptive Forschungsarbeiten 60er-Jahre erste Strukturen, erste Lehraufträge 1966 erster allgemeinmedizinischer Lehrauftrag, S. Häussler, Freiburg 1966 Gründung der DEGAM 1968 Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin 70er-Jahre akademische Verankerung in der Lehre, Verbreitung von Lehraufträgen, erste Lehrstühle 1971 erster Gegenstandskatalog der Allgemeinmedizin 1970 Zeitschrift für Allgemeinmedizin, in Medline gelistet (bis 1989) 1972 Forderung des Deutschen Ärztetages nach Lehrstühlen/Instituten 1973 Gründung der Hochschullehrervereinigung 1973 Verden-Studie, 1. kooperative, prospektive Untersuchung in 13 Praxen 21 1976 erster Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Hannover (KD Haehn) ab 1977 erste Habilitationen (Häussler, Pillau, Fischer, Kochen, Klimm) 1978 erster internationaler Kongress: European General Practice Research Workshop (EGPRW), Marburg 1978 Allgemeinmedizin wird scheinpflichtiges Prüfungsfach 80er-Jahre wachsendes Selbstverständnis als forschendes Fach, Probleme bei der Institutionalisierung 1981 DEGAM formuliert Forschungsziele:klinische Studien, epidemiologische Studien, Untersuchungen zu Praxisorganisation und Qualitätskontrolle 1981, 83, 84, 86 EGPRW-Kongresse in Deutschland erste internationale Publikationen Gründung weiterer Lehrstühle, Ernennung von Honorarprofessoren 90er-Jahre Streben nach akademischer Gleichstellung/Selbstverständlichkeitzunehmender politischer Druck zur Institutionalisierung bei Ressourcenverknappung an den Fakultäten erste größere öffentlich geförderte Forschungsprojekte aus themenbezogenen Ausschreibungen, erste EU-Förderungen ab 1992 Forschungskurse der DEGAM 1993 Kongress der European Academy of Teachers in General Practice (EURACT) in Göttingen 1996 9 habilitierte Allgemeinärztinnen und -ärzte 1998 EGPRW-Kongress in Göttingen 1999 erster allgemeinmedizinischer Gutachter in einem BMBF-Förderprogramm (Kompetenznetze) 1999 Stellungnahme des Wissenschaftsrates zu den Perspektiven des Faches Allgemeinmedizin an den Hochschulen 1999 erstes Allgemeinmedizin-spezifisches BMBF-Förderprogramm: Auf- und Ausbau allgemeinmedizinischer Lehrstühle 2000 plus öffentliche Förderung, zunehmende Sichtbarkeit wachsendes öffentliches Bewusstsein für Versorgungsforschung, gefördert durch den Strukturwandel im Gesundheitswesen seit 2004 BMBF - Förderprogramm für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Allgemeinmedizin 2005 EGPRN-Kongress in Göttingen 2006 erster allgemeinärztlicher DFG-Gutachter (Programm Klinische Studien) 2006 17 habilitierte Allgemeinärztinnen und -ärzte, 13 Universitäten mit institutionalisierter Abteilung oder Lehrstuhl

In den letzten Jahren ist in Deutschland ein steigendes öffentlich-politisches Bewusstsein für die Bedeutung der Primärversorgung einschließlich Qualitätsmanagement und allgemeinmedizinischer bzw. Versorgungsforschung zu bemerken. International gab es teils provokant-kritische [4], überwiegend aber optimistische Stimmen zur Bedeutung der allgemeinmedizinischen Forschung für ein patientennahes, effektives Gesundheitswesen [5] [6] [7] [8] [9] [10]. Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen erfolgreicher allgemeinmedizinischer Forschung wurden 2003 beschrieben [11] [12] (siehe Tab. [2]). Anhand der dort genannten Punkte soll die aktuelle Situation in Deutschland beschrieben werden.

Tab. 2 Voraussetzungen für erfolgreiche allgemeinmedizinische Forschung 11 12 Gesundheitssystem Hausarztsystem mit GatekeeperBevölkerungsnenner (Einschreibung, Sozialversichertendatenbank) akademische Strukturen Universitätsprofessoren universitäre Abteilungen als Initiatoren und Träger Fachstruktur wissenschaftliche Fachgesellschaft Zeitschrift mit unabhängigem Gutachterwesen

Literatur

  • 1 Schwartz F W. Forschung und Allgemeinmedizin: Grundlagen und Forderungen.  Prakt Arzt. 1983;  9 665-673
  • 2 Braun R N. Die gezielte Diagnostik in der Praxis. Schattauer, Stuttgart 1957
  • 3 Braun R N. Wege und Ergebnisse einer Systematischen Erforschung der Allgemeinpraxis. In: Brandmeier P, Krüsi G (Hrsg). Der Praktische Arzt heute. Huber, Bern, Stuttgart 1968
  • 4 NN . Is Primary-care research a lost cause?.  Lancet. 2003;  361 977
  • 5 De Maeseneer J M, van Driel M L, Green L A. et al . The need for research in primary care.  Lancet. 2003;  362 1314-1319
  • 6 De Maeseneer J M, De Sutter A. Why research in family medicine? A superfluous question.  Ann Fam Med. 2004;  2 (Suppl 2) S17-S22
  • 7 Mant D, Del Mar C, Glasziou P. et al . The state of primary care research.  Lancet. 2004;  364 1004-1006
  • 8 Lam C L. The 21st century: the age of family medicine research.  Ann Fam Med. 2004;  2 (Suppl 2) S50-S54
  • 9 Tunis S R, Stryer D B, Clancy C M. Practical clinical trials: increasing the value of clinical research for decision making in clinical and health policy.  JAMA. 2003;  290 1624-1632
  • 10 Ovhed I, van Royen P, Hakansson A. What is the future of primary care research? Probably fairly bright, if we may believe the historical development.  Scand J Prim Health Care. 2005;  23 248-253
  • 11 van der Zee J, Kroneman M, Bolibar B. Conditions for research in general practice. Can the Dutch and British experiences be applied to other countries, for example Spain?.  Eur J Gen Pract. 2003;  9 41-47
  • 12 Kochen M M. Excellence in primary care research: which requirements are needed?.  Eur J Gen Pract. 2003;  9 39-40
  • 13 Szecsenyi J, Engelhardt N, Wessel M. et al . A method for determining the denominator in general practice - results of a pilot study.  Gesundheitswesen. 1993;  55 32-36
  • 14 Ballast M. Versorgungsforschungskongress. Ludwigshafen, Vortrag 2006
  • 15 Macfarlane F, Shaw S, Greenhalgh T. et al . General practices as emergent research organizations: a qualitative study into organizational development.  Fam Pract. 2005;  22 298-304
  • 16 Wissenschaftsrat .Stellungnahme zu den Perspektiven des Fachs Allgemeinmedizin an den Hochschulen. http://www.wissenschaftsrat.de/texte/3848-98.pdf. (Zugriff am 1.7.2006)
  • 17 Kochen M M, Himmel W. A critical assessment of the impact factor.  Eur J Gen Pract. 1998;  4 159-163
  • 18 The PLoS Medicine Editors . The impact factor game.  DOI: DOI: 10.1371/journal.pmed.0030291 PLoS Medicine. 2006;  3 e291
  • 19 Mendis K, Solangaarachchi I. PubMed perspective of family medicine research: where does it stand?.  Fam Pract. 2005;  22 570-575
  • 20 Himmel W, Kochen M M. Zwischen Habilitation und Juniorprofessur: Alternativen für Allgemeinmedizin und Klinische Medizin.  Z Arztl Fortbild Qualitatssich. 2003;  97 157-161
  • 21 Dreibholz K J. Morbidität in der Allgemeinmedizin.  Prakt Arzt. 1979;  10 1412-1422

Prof. Dr. med. E. Hummers-Pradier

Abteilung Allgemeinmedizin · Medizinische Hochschule Hannover

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30625 Hannover

Email: Hummers-Pradier.Eva@mh-hannover.de