Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(3): 125
DOI: 10.1055/s-2006-939774
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue Akzente in der Hochdrucktherapie

Jürgen Scholze
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Publication Date:
03 April 2006 (online)

Die moderne Hypertonietherapie orientiert sich einerseits an evidence basierten Ergebnissen und Aussagen, die sich explizit an der Beeinflussung der Prognose orientieren, andererseits sollte in der Praxis die individuelle Betrachtung jedes einzelnen Patienten Ausgangspunkt für die Therapieplanung sein. Dabei spielen nicht nur Alter, Geschlecht, Rasse, Risikofaktoren, Begleit- und Folgeerkrankungen eine Rolle, sondern auch hämodynamische Besonderheiten wie Herzfrequenz oder Pulsdruck, und zudem eigene Erfahrungen sowie ökonomische Zwänge.

Das herausragende gesundheitsmedizinische Problem unseres Jahrhunderts stellt die rasch zunehmende Inzidenz von Übergewicht und Adipositas über alle Altersklassen dar. Eng damit verknüpft ist die Blutdruckregulation - „Jeder zweite Adipöse hat einen Bluthochdruck, jeder zweite Hypertoniker ist adipös ... ” Daher gilt für jeden Hypertoniker, gleich welchen Alters und Schweregrades, dass dem nichtmedikamentösen Therapieansatz mit Umstellung auf eine hypo- beziehungsweise normokalorische Kost unter signifikanter Reduktion des Fett- und rasch aufschließbaren Kohlehydratanteils (Zucker und KH mit hohem glykämischen load) plus Bewegung in jeder Form, absolute Priorität eingeräumt werden sollte - sei es in der Praxis auch noch so frustrierend. Im Beitrag von Jacob et al. wird nochmals explizit darauf hingewiesen, dass diese Änderung des Lebensstils, noch ergänzt durch eine kochsalzarme Ernährungskomponente, „ ... das beste Therapeutikum für die Gefäße” darstellt.

Apropos Gefäße - ich möchte nochmals in Erinnerung rufen, dass die Hypertonie im Prinzip eine vaskuläre Erkrankung darstellt in der Form, dass die Druckerhöhung vorwiegend über funktionelle und strukturelle Veränderungen des Gefäßbettes realisiert wird. Darüber hinaus sind, angefangen vom frühen Endothelschaden fast alle hypertoniebedingten Endorganschäden vaskuläre Komplikationen, wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Niereninsuffizienz. Dabei wirken schon mittlere Blutdruckerhöhungen über 120/80 mmHg pathogen, was mittlerweile zweifelsfrei nachgewiesen wurde.

Was bedeutet das für die Therapie? Im Mittelpunkt muss in jeder Situation die Drucknormalisierung stehen, also durchschnittliche Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg beziehungsweise 130/80 mmHg, wenn zusätzliche Risiken, wie Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz bestehen. Dabei sollte man sich als Arzt nie nur auf die in der Praxis gemessenen Werte verlassen, sondern die Selbstmessung und idealerweise noch die 24-h-ABDM-Messwerte heranziehen, da neben den Mittelwerten der nächtliche Blutdruckabfall (dipper, non dipper, inverse dipper, extrem dipper), der morgendliche Blutdruckanstieg (> 55 mmHg) und Blutdrucksteigerungen in einzelnen Tagesabschnitten von Bedeutung sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei Patienten bis zum (55.) 60. Lebensjahr weiterhin der diastolische Wert weitgehend die kardio- und zerbrovaskuläre Komplikationsrate bestimmt, bei älteren Patienten dagegen der systolische Druck in Kombination mit dem Pulsdruck (> (65) 70 mmHg) von überragender Bedeutung ist. Daten aus der Framingham-Studie haben erstmals das „Paradoxon” aufgezeigt, dass bei einem erhöhten systolischen Wert das Risiko für Patienten immer größer wurde, je niedriger sein diastolischer Wert war, was mittlerweile in vielen Studien Bestätigung fand, aber in der Praxis noch häufig unbekannt ist oder ignoriert wird. Grundlage dieses Phänomens ist die Gefäßalterung mit einer sukzessiven „Versteifung” des arteriellen Gefäßbaumes, auch messbar mittels einer beschleunigten Pulswellengeschwindigkeit.

Die Deutsche Hochdruckliga empfiehlt analog der Europäischen Hypertonie/Kardiologie-Gesellschaften für die Initialtherapie Diuretika, Beta-Blocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB oder auch AT1-Antagonisten) als primär gleichwertige Alternativen. In den USA stehen dagegen Diuretika an erster Stelle, die zwar äußerst preiswert sind aber definitiv zu einer höheren Diabetesneuerkrankungsrate führen und bei allen Erhebungen zur Patientencompliance und -adhärenz am schlechtesten abschneiden.

Auch Beta-Rezeptoren-Blocker werden seit dem vergangenen Jahr im Ergebnis verschiedener Studien, wie LIFE und ASCOT-BPLA und einer aktuellen Metaanalyse in der Primärprävention von Hochdruckpatienten zunehmend kritisch gesehen, da sie besonders die Schlaganfallrate weniger senken, als die übrigen Antihypertensivaklassen. Ausdrücklich soll jedoch angemerkt werden, dass von diesem möglichen Paradigmenwechsel nicht die feststehenden Indikationen für Beta-Blocker post Infarkt, bei Herzinsuffizienz oder tachykarden Rhythmusstörungen betroffen sind und eventuell auch zwischen den einzelnen Medikamenten stärker differenziert werden müsste.

Je höher das individuelle vaskuläre Risiko des Patienten ist, desto wichtiger ist die Implementierung eines Hemmstoffes des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems in das medikamentöse Therapiemanagement, wobei in aller Regel, das heißt in mehr als zwei Drittel, eine Kombinationstherapie notwendig ist. Bei diesen „schweren” Hypertonikern erweist sich meist die „Primärkombination” mit HCT in Form der handelsüblichen Fixkombinationen als ökonomisch und pathophysiologisch sinnvoll. Überwiegen metabolische, renale und/oder vaskuläre Risiken, ist die weitere Kombination mit einem langwirksamen Kalziumantagonisten zu empfehlen, bei kardialen Problemen in aller Regel ein Beta-Blocker.

In den folgenden Artikeln wird explizit auf die Differentialtherapie bei konkreten Krankheitszuständen eingegangen und die verschiedenen Vorgehensweisen bei Notfällen erläutert.

Ein gründliches Studium der Beiträge, ergänzt durch jeweilige MC-Fragen zur Lernerfolgskontrolle, wird es Ihnen ermöglichen, auf die wichtigsten Probleme in der alltäglichen Hypertoniebehandlung eine adäquate Antwort zu finden. Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Freude beim Lesen und zufriedene Hypertoniepatienten.

Prof. Dr. med. Jürgen Scholze

Berlin