Z Sex Forsch 2005; 18(1): 62-66
DOI: 10.1055/s-2005-836438
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur pädosexuellen Objektwahl

H. Gschwind
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Publication Date:
14 April 2005 (online)

In den „Drei Abhandlungen” wird die pädosexuelle Objektwahl unter der Überschrift „Geschlechtsunreife und Tiere als Sexualobjekte” kurz und bündig als ein Objektgebrauch bezeichnet, als Ersatz für das eigentliche Objekt oder als dessen impulsive Bemächtigung faute de mieux und weniger als eine Wahl. Das Individuum nimmt in der Not das, was sich ihm bietet, zum Objekt und erweist damit, dass der Sexualtrieb nahezu jede Herabsetzung seines Objektes zulässt, um Triebbefriedigung zu erreichen. Das Kind ist also ein entwertetes Triebobjekt, nur ausnahmsweise kann es für ein Individuum das ausschließliche Sexualobjekt sein.

Individuelle Faktoren wie Feigheit oder Impotenz und der Mangel eines geeigneteren Objekts bei impulsivem Trieb resp. geringer Impulskontrolle sind es, die Freud zunächst als ursächlich für die „vereinzelten Verirrungen” benennt, um wenige Zeilen später zu ergänzen, „sexueller Missbrauch von Kindern [findet sich] mit unheimlicher Häufigkeit bei Lehrern und Wartepersonen, bloß weil sich diesen die beste Gelegenheit dazu bietet” [1: S. 47 f]. Ob die Gelegenheit dazu verführt, Kinder zum Sexualobjekt zu nehmen, oder ob die Berufswahl bereits eine unbewusste, in manchen Fällen vielleicht auch eine bewusste Suche nach Gelegenheiten ist, lässt Freud offen. Er führt indes ein neues Motiv in die pädosexuelle Objektwahl ein: So wie die „Gelegenheit” Diebe machen kann, kann sie auch zum sexuellen Missbrauch (ver)führen. Angedeutet ist ferner die Möglichkeit, dass es eine Disposition zur pädosexuellen Objektwahl gibt, die sich zeigt, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.

Freud spricht von Individuen (z. B. Lehrer und Wartepersonen) und schränkt damit den pädosexuellen Objektgebrauch nicht auf Männer ein. Spricht er jedoch vom Reiz des Sexualobjekts Kind/Knabe, so geschieht dies explizit im Hinblick auf die invertierten Männer: „Bei den Griechen, wo die männlichsten Männer unter den Invertierten erscheinen, ist es klar, dass nicht der männliche Charakter des Knaben, sondern seine körperliche Annäherung an das Weib sowie seine weiblichen seelischen Eigenschaften, Schüchternheit, Zurückhaltung, Lern- und Hilfsbedürftigkeit die Liebe des Mannes entzündeten. Sobald der Knabe ein Mann wurde, hörte er auf, ein Sexualobjekt für den Mann zu sein” [1: S. 43 f]. Vom invertierten „Weibe” führt er dagegen aus, dass sie „das Weibliche von ihrem Sexualobjekt” verlange [1: S. 45], womit ein Mädchen als Objekt für „das Weib” auszuscheiden scheint.

Eine pädosexuelle Objektwahl kann demnach, außer von Feigheit und Impotenz und von der „besten Gelegenheit”, auch durch die Inversion bei Männern motiviert sein, „die in diesem Falle […] nicht das gleiche Geschlecht, sondern die Vereinigung beider Geschlechtscharaktere, das Kompromiss etwa zwischen einer Regung, die nach dem Manne, und einer, die nach dem Weibe verlangt, mit der festgehaltenen Bedingung der Männlichkeit des Körpers (der Genitalien)” begehren, sondern „sozusagen die Spiegelung der eigenen bisexuellen Natur” [1: S. 44].

Die narzisstische Objektwahl der Invertierten findet ihr Ziel im Knaben. Das Mädchen aber bleibt, obgleich es am häufigsten zum pädosexuellen Objekt gemacht wird, als Sexualobjekt eine Leerstelle.

Wer indes Männer mit einer pädosexuellen Objektwahl aus der psychoanalytischen Praxis kennt, weiß, dass ihre Objektwahl in den meisten Fällen spezifisch ist. Nicht das Kind, sondern das Mädchen oder der Junge sind das Objekt ihres Begehrens. Es lässt sich diese Objektwahl auch nicht entlang der sexuellen Orientierung des Erwachsenen mit pädosexueller Objektwahl beschreiben. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die sexuelle Orientierung nur scheinbar hetero- oder homosexuell ist. Soweit der Erwachsene auch zu Erwachsenen eine sexuelle Beziehung eingeht, ist diese meist nicht mit einer Besetzung des Partners/der Partnerin als Liebes- und Sexualobjekt verbunden. Das Objekt des Begehrens ist das kindliche Sexualobjekt, das Mädchen oder der Junge, auch wenn auf der Ebene der Realität eine Frau oder ein Mann dafür „eingesetzt” werden kann. Die „Großen” sind dann Ersatz für die „Kleinen”, die „Kleinen” aber repräsentieren in der pädosexuellen Objektwahl die „Großen”.

  • 1 Freud S. Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905). Gesammelte Werke, Bd. 5. London: Imago, 1942; 27-145