Aktuelle Neurologie 2004; 31 - P496
DOI: 10.1055/s-2004-833357

Migraine mit visueller Aura oder Epilepsie des Okzipitallappens – differentialdiagnostische Probleme

R Sparing 1, T Wessels 1, IG Meister 1, J Schiefer 1, T Krings 1, J Noth 1
  • 1(Aachen, Gießen)

Migraine mit visueller Aura ist eine häufige neurologische Erkrankung bei jungen Erwachsenen. In seltenen Fällen kann eine idiopathische oder symptomatische Okzipitallappen-Epilepsie durch eine ähnliche Symptomatik auffällig werden und zunächst als Migraine fehldiagnostiziert werden.

Wir schildern den 10jährigen Krankeitsverlauf einer jungen Frau, bei der erstmalig im Alter von 16 Jahren starke, halbseitige Kopfschmerzen mit Flimmerskotomen und Hemianopsie auftraten, die zunächst auf eine Migraine zurückgeführt wurden. Das cerebrale MRT zeigte mit 19 Jahren ein auffälliges schrankengestörtes Areal rechts-okzipital sowie multiple unspezifische punktförmige Signalveränderungen im parieto-okziptalen Marklager. Der Befund blieb in den Verlaufskontrollen unverändert und es wurde die Diagnose einer okzipitalen Ulegyrie gestellt. Das EEG zeigte in diesem Bereich Hinweise auf eine epileptische Erregungssteigerung. Im weiteren Verlauf traten zu den Migraine-typischen schwarz/weissen Flimmerskotome gelegentlich auch Störungen der visuellen Orientierung und farbige, phosphen-artige Illusionen auf. Der halbseitige Gesichtsfeldausfall konnte über Tage anhalten. Unsere Verdachtsdiagnose einer symptomatischen Epilepsie wurde bestätigt durch die Tatsache, dass die Patientin im Alter von 22 Jahren einen generalisierten epileptischen Anfall erlitt.

Wir nehmen an, dass bei der Patientin wahrscheinlich im Rahmen eines abortiven Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom (SWKS) ein überlappendes Migraine/Epilepsie-Syndrom vorliegt, dessen unterschiedliche Symptomatik möglicherweise über den Pathomechanismus der Spreading-Depression getriggert wird. Die idiopathische oder symptomatische Okziptallappen-Epilepsie stellt bei Patienten mit visueller Migraine-Aura zwar eine seltene, dennoch wichtige Differentialdiagnose dar. Insbesondere sollte auf Migraine-atypische visuelle Wahrnehmungen und atypische zeitliche Symptomverläufe geachtet werden. Das SWKS kann in der Mehrzahl der Fälle in den ersten Lebensjahren zumeist anhand seiner typischen kutanen und okulären Manifestationen sicher diagnostiziert werden. In einigen, abortiv-verlaufenden oder klinisch-asymptomatischen Fällen kann es jedoch erst im Erwachsenenalter durch verschiedene neurologische Komplikationen manifest werden und in diesen Fällen auch den Erwachsenen-Neurologen vor differentialdiagnostische Probleme stellen.