Aktuelle Neurologie 2004; 31 - P222
DOI: 10.1055/s-2004-833085

Antizipatorische Griffkräfte beim Erlernen eines neuen Lastverlaufs nach Schädigungen des Kleinhirns

J Hermsdörfer 1, K Rost 1, C Marquardt 1, D Timmann 1, DA Nowak 1
  • 1(München, Essen)

Bei alltäglichen Objektmanipulationen müssen die Griffkräfte externe Lasten kompensieren, wie etwa das Gewicht des Objekts. Die Lasten können selbst-generiert oder extern generiert sein. Die Griffkräfte gesunder Probanden antizipieren diese Lasten mit hoher Präzision, sofern die Lasten vorhersehbar sind. Es wird vermutet, dass die Fähigkeit zur Prädiktion auf erlernten internen Repräsentationen der Last basiert, und dass diese „internen Modelle“ im Kleinhirn lokalisiert sind.

Um die Rolle des Kleinhirns bei der Etablierung eines neuen internen Modells zu untersuchen, wurden acht Patienten mit Erkrankungen des Kleinhirns (5 global und 3 fokal geschädigt) bei einer Störungsaufgabe untersucht. Die Patienten sollten ein in der Hand gehaltenes Objekt gegen eine zeitlich variable Widerstandskraft (Last) stabilisieren. Das Lastprofil hatte einen flüssigen aber unregelmäßigen Verlauf in einem 3-s Intervall, das über 4 Min. ständig wiederholt wurde. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, die Position des Objekts konstant zu halten. Analysiert wurde jedoch die Griffkraft, die zum Halten des Objekts eingesetzt wurde.

Gesunden Probanden gelang es, die zunächst neue Last innerhalb weniger Sekunden präzise zu antizipieren, wie hohe Korrelationskoeffizienten zwischen der Last und der Griffkraft nahe legten. Dagegen waren die Korrelationen der Kleinhirnpatienten deutlich schlechter und zeigten auch nach einigen Minuten keine Tendenz zu einer Verbesserung. Die von den Patienten ausgeübte Griffkraft war initial im Vergleich zu den gesunden Probanden stark überhöht, zeigte im weiteren Verlauf aber eine Tendenz zur Normalisierung.

Unser Befund lässt auf eine wesentliche Rolle des Kleinhirns beim Aufbau eines neuen internen Modells für externe destabilisierende Lasten schließen. Strukturelle Schädigungen der neuronalen Strukturen für interne Modelle, Defizite der sonsomotorischen Verarbeitung und/oder Ataxien können zu den Störungen der Patienten beigetragen haben. Defizite in der Regulation des Kraftniveaus sind möglicherweise unabhängig von einem gestörten internen Modell und können durch kortikale Strukturen kompensiert werden.