Klinische Neurophysiologie 2004; 35 - 99
DOI: 10.1055/s-2004-832011

Beurteilung ambulanter Physiotherapie bei Hereditärer Spastischer Spinalparalyse (HSP) aus der Sicht Betroffener

B Heimbach 1, S Kraft 2, H Behrens 3, G Winkler 4, M Sach 5, U Koch 6, C Weiller 7
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Die neurodegenerative Erkrankung HSP geht funktionell mit einer Gehverschlechterung bzw. Verlust der Gehfähigkeit einher. Eine kurative Therapie gibt es derzeit nicht. Im symptomatischen Therapieansatz steht die tonussenkende Therapie mit Spasmolytika, Botox und Physiotherapie (PT) im Vordergrund. PT ermöglicht durch das individuelle Training darüber hinaus, Funktionen zu erhalten, zu verbessern und HSP-typische Symptome, wie Rückenschmerzen und Kontrakturen, zu lindern. In dieser deskriptiven Querschnittstudie wurde zur Erfassung der Betroffenensicht in Deutschland bei 90 Patienten mittels eines standardisierten Fragebogens untersucht, wie der Einfluss der PT auf den Funktionserhalt und auf HSP-typische Beschwerden beurteilt wird. Zur Differenzierung des klinischen Schweregrades wurde eine Einteilung in vier Krankheitsstadien vorgenommen: I. Spastik – keine Hilfsmittel; II. Spastik – abhängig von Gehstock/orthopädischen Schuhen; III. Spastik – und Rollator; IV. Spastik – und Rollstuhl. Die Messung des subjektiven Empfindens der therapeutisch relevanten Veränderungen bzgl. HSP-typischer Symptome und der Alltagsfunktionen, auf der Grundlage des Barthel-Indexes, erfolgte über eine Rangskala von 0–100%. 64 von 90 verschickten Fragebögen sind ausgewertet. 81% (52 Patienten: 38 Männer, 26 Frauen) erhalten PT; im Stadium I. 8/9; II. 9/14; III. 8/11; IV 27/30. Hinsichtlich des Krankheitsschwerpunktes geben die PT erhaltenden Patienten bzgl. der Funktionen: 1. „Gehen in der Ebene“, 2. „Treppe steigen“ und 3. „Einfluss auf die HSP-typischen Beschwerden“ folgende Veränderungen an: I. 1. 5/8 + 22% (SD 23,61), 2. 7/8 + 23,57% (SD 19,09) 3. 8/8 + 40,63% (SD 27,57); II. 1. 8/9 + 48,13% (SD 24,29), 2. 9/9 + 38,89% (SD28,70) 3. 9/9 + 55,56% (SD 24,29); III. 1. 8/8 + 40% (SD 18,13) 2. 8/8 + 35,63% (SD 19,54) 3. 8/8 + 49,38% (SD 20,43); IV. 1. 27/27 + 36,29% (SD 33,07) 2. 27/27 + 30% (SD 31,32) 3. 26/27 + 39,62% (SD 27,13). Aus Patientensicht führt PT sowohl zu einer Linderung der krankheitsbedingten Beschwerden als auch zu einer Funktionsverbesserung. Dabei profitieren Patienten im Stadium II und III mehr als in I und IV. Dies könnte daran liegen, dass in Stadium I PT als noch nicht unbedingt erforderlich erachtet wird, dagegen in Stadium IV wegen der fortgeschrittenen Symptomatik eine funktionelle Besserung nur noch begrenzt möglich ist (ceiling-effect). Inwieweit die Veränderungen abhängig von verschiedenen Methoden der PT sind, wird diskutiert.