Klinische Neurophysiologie 2004; 35 - 2
DOI: 10.1055/s-2004-831914

Ereignis-korrelierte Potentiale und „Cerebellares kognitiv-affektives Syndrom“

M Adamaszek 1, A Hamm 2, C Willert 3
  • 1Greifswald
  • 2Greifswald
  • 3Greifswald

Fragestellung: Dem Kleinhirn wird allgemein als wesentliche Funktion die Bewegungskoordinierung zugeschrieben, demgegenüber gibt es klinische Hinweise für zusätzliche höhere zerebellare Funktionen wie u.a. der Affektmodulation. Fallbeschreibung: Ein 63-jähriger Patient wurde aufgrund eines rechtsseitigen kardioembolischen Kleinhirninfarktes in der Greifswalder Stroke Unit aufgenommen. Neben einer Hemiataxie rechts bestanden schwere Defizite in Gedächtnisbereichen, Raumorientierung, verbaler Assoziationsleistungen und Exekutivfunktionen. Affektiv war der Patient distanzgemindert und impulskontrollgestört. Nach initialem cCT zeigte sich im SPECT eine deutliche Minderperfusion der rechten Kleinhirnhemisphäre mit umschriebenem Perfusionsausfall zentral. Methodik: Zur Erfassung der Ereignis-korrelierten Potentiale (ERP) erfolgte eine Monitorpräsentation von Bildern aus dem International Affective Picture System (IAPS) mit einer unterschiedlichen affektiven Valenz. Es wurden 702 Bilder in einer kontinuierlichen Abfolge (Bildfrequenz 3Hz) während rein impliziter als auch zusätzlich expliziten Aufgabenstellungen (oddball-Paradigma) präsentiert. Zur Erfassung der späten positiven Potentiale (late positive potentials; LPP) wurden 699 Bilder (Bildfrequenz 1Hz) dargeboten. Das EEG wurde mit 129 Sensoren aufgezeichnet, die Prozessierung der ERP aus den Roh-EEG-Daten erfolgte mit dem BrainVision-Analyzer. Ergebnisse: Emotional erregende Bildinhalte waren in der impliziten Aufgabenstellung mit einer verstärkten posterioren Negativierung (N260) verbunden. Bei zusätzlicher randomisierter Darbietung akustischer Stimuli kam es während der seltenen Ziel-Stimuli zu einer Abschwächung der N260 im Falle emotional erregender Bilder, die sich bei Darbietung seltener visueller Stimuli akzentuierte. In der Präsentation emotional unterschiedlich erregender Bilder für 1 Sekunde ergaben sich keine Unterschiede der Amplitudenmaxima der LPP. Schlussfolgerungen: Als neurophysiologische Korrelate einer beeinträchtigten Affektmodulation des cerebellaren kognitiv-affektiven Syndroms wurden Störungen der frühen sensorischen Prozessierung im temporo-parietalen Cortex (posteriore Negativierung) als auch der höhergeordneten Prozessierung im parieto-centralen Cortexbereich (LPP) bei affektiv erregenden Stimuli als Zeichen der gestörten selektiven Enkodierung emotionaler Reize als auch der top-down-Aufmerksamkeitskontrolle festgestellt.