Aktuelle Ernährungsmedizin 2003; 28 - 105
DOI: 10.1055/s-2003-816398

Entwicklung der Adipositas bei Melanocortin-4-Rezeptor-defizienten Mäusen unter Umweltbedingungen, die für Menschen in entwickelten Ländern typisch sind

K Weide 1, B May 1, E Simon 1, I Schmidt 1
  • 1Max-Planck-Institut für physiologische und klinische Forschung, Bad Nauheim, Deutschland

Etwa 2–4% der extrem adipösen Patienten sind heterozygote Träger eines funktionellen Melanocortin-4-Rezeptor-Gen (MC4-r) Defektes. Das entsprechende Knockout-Mäusemodell bietet einen wichtigen Ansatzpunkt, um die Ursachen dieser Form der Adipositas zunächst im Tiermodell zu analysieren. Unter Standardlaborbedingungen (d.h. bei aktivierter thermoregulatorischer Thermogenese und kalorienarmem, faserreichen Futter) ist der Körperfettgehalt von heterozygoten (+/-) Tieren erst nach 56 Lebenstagen klar gegenüber Wildtypgeschwistern (+/+) erhöht (Weide et al. Physiol. Genomics 13, 2003). Dabei beruht der Beginn der exzessiven Fettdeposition im Jungtier auf Hyperphagie und nicht auf Hypometabolismus. Um die menschliche Lebensweise in entwickelten Ländern im Tiermodell zu simulieren, wurde Mäusen im Alter von 21–35 Lebenstagen unter thermoneutralen Bedingungen ein hochkalorisches Zusatzfutter angeboten. Bereits im Alter von 35 Tagen haben weibliche und männliche +/- Tiere und noch ausgeprägter die -/- Tiere unter thermoneutralen Bedingungen mit hochkalorischem Zusatzfutter einen höheren Körperfettgehalt als +/+ Tiere; wobei selbst die +/+ Tiere fetter sind als -/- Tiere unter Standardbedingungen. Besonders weibliche Tiere zeigen unter hochkalorischer Ernährung bei Thermoneutralität eine starke Fetteinlagerung, und -/- Weibchen erreichen einen doppelt so hohen Körperfettgehalt wie -/- Weibchen unter Standardbedingungen. Die Plasmaleptin-Konzentration der MC4-r-defizienten Mäuse ist unabhängig von Genotyp und Umgebungsbedingung mit dem Körperfettgehalt der Mäuse korreliert. Ergänzend wurde mit der Untersuchung der Expression hypothalamischer orexigener und anorexigener Peptide begonnen (s. Abstract Arens et al.). Der nachgewiesene starke Einfluss von Umweltfaktoren auf die Ausprägung der Adipositas bei diesem Tiermodell muss neben möglichen Einflüssen des Genotyps berücksichtigt werden, um dieses Modell sinnvoll zur Untersuchung der Auswirkungen eines funktionellen MC4-r-Defektes einsetzen zu können.