Z Sex Forsch 2003; 16(4): 285-298
DOI: 10.1055/s-2003-44853
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sexualität und Beziehungen in realen und virtuellen Räumen

Arne Dekker
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Publication Date:
12 May 2004 (online)

Übersicht

In den Diskussionen über Cybersex wird fast durchgehend eine scharfe Trennungslinie zwischen dem Realen und dem Virtuellen gezogen. Virtuelle Räume werden folglich als von realen Räumen klar abgrenzbare und beide als weitgehend voneinander unabhängige Entitäten behandelt. Das aber sei, so der Autor, weder empirisch noch theoretisch haltbar. Cybersex könne angemessen nur verstanden werden, wenn die komplexen Wechselwirkungen zwischen realen und virtuellen Räumen zur Grundlage der Analyse gemacht werden und zudem die Materialität der realweltlichen Körper in diese einfließt. Im Anschluss an soziologische Raumtheorien und Foucaults Theorem über Machträume bestreitet der Autor die Annahme, Virtualisierung sei immer mit Entkörperung verbunden. Auch empirisch lässt sich zeigen, dass die Frage, wer realweltlich im Chat anwesend ist, diesen in erheblichem Maße prägt. Länger andauernde soziale Kontakte im Netz werden von den im Rahmen der Hamburger Studie über Beziehungsbiographien Befragten nicht selten als Geschichten zunehmender Nähe und Intimität erzählt. Und nicht selten ereignet sich das, was der Autor einen Medienwechsel nennt, womit eine zunehmende Bedeutung der materiellen Körper einhergeht.

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1 Dies liegt einerseits an fehlenden Übertragungskapazitäten im Internrnet, andererseits aber vor allem am mangelnden Entwicklungsstand einer Reihe notwendiger Peripheriegeräte (vom Datenhelm bis zum mit Sensoren und Vibratoren bestückten Cybersex-Anzug), für die Howard Rheingold in seinem gleichnamigen Text schon 1991 den Begriff „Teledildonik” prägte.

2 Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Für Einzelheiten zur Methode und erste Ergebnisse vgl. Schmidt et al. 2003; aktuelle Veröffentlichungen unter http://www.beziehungsbiographien.de.

3 Die offenen Antworten wurden von den Interviewern rn vor Ort mittels eines Computers protokolliert - dies erlddärt geringfügige Abweichungen vom gesprochenen Wort.

Dipl.-Soz. Arne Dekker

Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie Universitätsklinikum Hamburg

Eppendorf Martinistr. 52

20246 Hamburg

Email: dekker@uke.uni-hamburg.de

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