Aktuelle Ernährungsmedizin 2003; 28(5): 275-283
DOI: 10.1055/s-2003-42513
Originalbeitrag
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ergänzende bilanzierte Diät - eine Alternative zu Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln?

Nutritionally Incomplete Formula Diet - An Alternative to Drugs and Dietary Supplements?R.  Großklaus1
  • 1Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Fachgruppe Ernährungsmedizin, Berlin
Modifiziert nach einem Vortrag auf dem Intensivseminar des FORUM-Instituts für Management GmbH am 7. Oktober 2002 in Berlin
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Publication Date:
23 September 2003 (online)

Zusammenfassung

Die zunehmende Vermarktung von diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) spiegelt einerseits deren wachsende Bedeutung bei der enteralen Ernährungstherapie wieder, andererseits wird öffentlich verstärkt Kritik geäußert an dem Anzeigeverfahren, da offensichtlich auch viele unseriöse Produkte, insbesondere ergänzende bilanzierte Diäten, auf dem Markt ohne vorhergehende Prüfung angeboten werden. Zweck des Beitrags ist es, aus ernährungsmedizinischer Sicht die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen für bilanzierte Diäten, insbesondere aber auch Zweck und Grenzen des Einsatzes von ergänzenden bilanzierten Diäten in Abgrenzung zu Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln aufzuzeigen. Bei einem Großteil der Hersteller und Inverkehrbringer ist die Bedeutung speziell der „ergänzenden” bilanzierten Diäten nicht klar, zumal der Text der derzeitigen Diätverordnung offensichtlich unterschiedlich interpretiert wird, so dass eine missbräuchliche Nennung von Krankheiten gefördert wird. Wünschenswert wäre eine effektivere Überwachung. Die für den angegebenen Ernährungszweck erforderliche Eignung (Indikation) wie auch die Werbeaussagen müssen dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen. Dabei sollte der Krankheitenkatalog nach § 3 DiätVO nach evidenzbasierten Kriterien überarbeitet werden. Die Leitlinie für die enterale Ernährung bietet hierzu eine gute Basis.

Abstract

On the one hand, the increasing commercialisation of foodstuffs for special medical purposes (medical foods) reflects their increased importance for enteral nutrition therapy. On the other hand, there has been public concern regarding notification procedure, because too many fraudulent products are being put on the market, especially nutritionally incomplete medical foods. The aim of this contribution is to describe the new legal framework of medical foods, especially also the purpose and limits of use of nutritionally incomplete formula diets in contrast to drugs and dietary supplements. Most manufacturers and marketing managers don't quite understand the meaning of these specific nutritionally „incomplete” medical foods, since the text of the actual regulation regarding dietetic food can obviously be interpreted differently, leading to an improper naming of diseases. An effective control is desirable. The required qualification (indication) for a given nutritional purpose as well as any health claims must be based on the actual state of the scientific and technical knowledge. The catalogue of diseases according § 3 of the regulation of dietetic food should be revised by evidence-based criteria. The guideline „enteral nutrition” offers a good base for this.

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