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DOI: 10.1055/s-2002-30689
Stroke Units in Deutschland - gestern, heute und morgen
Stroke Units in Germany - Yesterday, Today and in the Future Festvortrag anlässlich der Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Neurologische Intensivmedizin (ANIM) Kassel, 21. - 23. Februar 2002Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. Mai 2002 (online)
Der Aufbau von Stroke Units in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen und vollzog sich in den 90er Jahren in der „Decade of the Brain”, als die Neurologen wissenschaftlich besonders stimuliert waren. Eindrucksvoll an der Entwicklung der Stroke Units ist aber, dass es hier weniger um wissenschaftlichen Fortschritt ging als um das dringende Bedürfnis, einem absoluten Versorgungsmangel, dem die Schlaganfallpatienten unterlagen, abzuhelfen. Wenn überhaupt, so ist die Erfolgsgeschichte Stroke Unit mit der Entwicklung der Anästhesiologie in den 50er und 60er Jahren zu vergleichen.
Am Anfang meines Beitrags steht die chronologische Entwicklung der Stroke Units in Deutschland. Es folgt eine Bestandsaufnahme der Versorgung von Schlaganfallpatienten mit Hilfe von Stroke Units in Deutschland. Dabei werde ich auch andeuten, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, zumal man sich derzeit des Eindrucks einer gewissen Sättigungsphase nicht erwehren kann und man sich damit zufrieden zu geben scheint, was bereits erreicht werden konnte. Schließlich versuche ich, ein mögliches Bild für die Zukunft zu entwerfen. Mein Beitrag wird sich gemäß dem vorgegebenen Thema vorwiegend an der Stroke Unit ausrichten; es geht aber natürlich darüber hinaus immer um die gesamte Schlaganfallversorgungskette, in der die Stroke Unit nur ein einziges, aber wichtiges und zentrales Glied darstellt.
Wer bis Mitte der 80er Jahre am Schlaganfallthema weniger interessiert war, dürfte erst relativ spät von Stroke Units etwas gehört haben. Üblicherweise wurden Schlaganfallpatienten auf Allgemeinstationen betreut, die älteren Patienten und solche mit Hemisphäreninfarkten und scheinbar unkomplizierten Halbseitenlähmungen in einer internistischen Klinik, jüngere Patienten und solche mit vertebrobasilären Infarkten und oft komplexer Symptomatik in neurologischen Kliniken.
Nur ganz allmählich setzte sich damals durch, dass schwerstbetroffene Schlaganfallpatienten wie Herzinfarktkranke auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Doch noch bis zu Beginn der 90er Jahre war es eher ein positives Qualitätsmerkmal für neurologische Intensivstationen, wenn dort relativ wenige Schlaganfallpatienten lagen, sondern mehr Kranke mit Enzephalitiden, Myasthenien, Guillain-Barré-Syndrom, Status epilepticus usw.
In Nordamerika allerdings wurden bereits im Laufe der 70er Jahre nach dem Vorbild von Herzinfarktstationen Intensiveinheiten zur Akutbehandlung von Schlaganfallpatienten eingerichtet. Der erhoffte Effekt blieb aber aus, so dass der intensivstationäre Ansatz zunächst nicht weiterverfolgt wurde. Norris u. Hachinsky aus Toronto resümierten im Jahre 1986 in der Zeitschrift Stroke, dass ein multidisziplinärer, rehabilitativer Ansatz essenziell sei, nicht aber eine Intensiv- oder eine Akutbehandlung, weil diese lediglich die Letalität senke, aber nicht das Ausmaß der Behinderung. Zur selben Zeit allerdings berichteten dann Strand u. Asplund aus Schweden, dass Schlaganfallfolgen günstig beeinflusst werden, wenn die Behandlung auf einer hierfür spezialisierten Station stattfindet.
Mitte der 80er Jahre wurde erstmals in Deutschland, und zwar in München-Harlaching, eine Stroke Unit errichtet, die aber bei den deutschen Schlaganfallexperten so gut wie keine Beachtung fand.
In Deutschland wendete sich Anfang der 90er Jahre plötzlich das Blatt, und es kam zu einem regelrechten Stroke-Unit-Boom. Das Feld war zuvor insofern abgesteckt, weil sich im Gegensatz zu früher in den letzten drei Jahrzehnten überwiegend Neurowissenschaftler um den Schlaganfall gekümmert hatten und viele neue pathophysiologische und klinische Erkenntnisse erreicht worden waren. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Penumbrakonzept, welches sich in den 80er Jahren zunehmend durchgesetzt hat, ein ganz entscheidender Meilenstein für die Stroke Units gewesen ist. Hierdurch wurde es nämlich offenkundig, dass ein therapeutischer Ansatz beim ischämischen Hirninfarkt nur dann gegeben ist, wenn die Patienten in den allerersten Stunden in die Klinik kommen.
Dabei sind es eigene Erfahrungen, die mich veranlasst haben, mich intensiv für die Stroke Units mit den Möglichkeiten eines kontinuierlichen apparativen Monitorings einzusetzen. Nicht nur einmal habe ich erlebt, dass ein vermeintlich stabiler, leicht betroffener Patient nachts auf der Allgemeinstation verblieb und morgens wegen eines nicht erkannten Blutdruckabfalls mit einer Hemiplegie erwachte. Außerdem habe ich gelernt, seitdem die Patienten früh in die Klinik kommen, dass es sich beim Schlaganfall nicht immer um ein akutes, einmaliges Ereignis handeln muss, sondern um einen dynamischen Prozess, der sich nicht selten stundenlang in einem Auf und Ab der neurologischen Symptomatik zeigt. Aus diesen Erfahrungen heraus kam es dann zur Renaissance der früher meist sträflich vernachlässigten Basismaßnahmen, also der kontinuierlichen Überwachung und Therapie gestörter vitaler Parameter wie Blutdruck, Herzrhythmus, Sauerstoff, Temperatur und Zuckerstoffwechsel.
Es ging dann Anfang der 90er Jahre Schlag auf Schlag. Stimulierend war die Arbeit von Peter Langhorne im Lancet im Jahre 1993 mit dem Titel: „Do Stroke Units save lifes?” Mittels einer Metaanalyse wurde gezeigt, dass Stroke Units mit einem kombinierten akuten und rehabilitativen therapeutischen Ansatz ohne kontinuierliches Monitoring unter Zuhilfenahme eines professionellen, multidisziplinären Behandlungsteams weitaus bessere Ergebnisse aufwiesen als Allgemeinstationen. Im gleichen Jahr wurde die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe gegründet, die sich ebenso für den flächendeckenden Aufbau von Schlaganfallstationen in Deutschland einsetzte wie wenig später auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Von beiden Organisationen wurden Stroke-Unit-Kommissionen gebildet und im Wesentlichen gleichlautende Empfehlungen für die Errichtung von Stroke Units erstellt.
Im Jahre 1995 wurden dann zwei Stroke Units in Essen eröffnet, 1996 kamen Saarbrücken und unsere Klinik hinzu. Die von der Schlaganfall-Stiftung ernannten Regionalbeauftragten begannen, in ihren Bereichen ein Schlaganfallversorgungsnetz aufzubauen, in deren Mitte eine Stroke Unit stand. Ende 1997 gab es dann bereits 21 Stroke Units in Deutschland.
Die Grundzüge des Stroke-Units-Konzepts in Deutschland seien noch einmal kurz zusammengefasst: Eine 4 - 8-Bettenstation mit multiprofessionellem ärztlichen, pflegerischen und so genanntem paramedizinischen Personal in ausreichender Anzahl mit semiintensivem Versorgungsansatz, d. h. apparatives kontinuierliches Monitoring, aber keine maschinelle Beatmung. Hauptprinzip ist die Aufnahme innerhalb eines Zeitfensters von etwa 24 Stunden bzw. bei Instabilität der Symptome. Aufenthalt im Allgemeinen nicht länger als 3 - 5 Tage, wobei dies kein Dogma sein darf, sondern sich nach dem Verlauf richtet. Die deutschen Stroke Units unterscheiden sich von den skandinavischen und britischen Schlaganfalleinheiten. Hier handelt es sich um einen kombinierten akuten und rehabilitativen Ansatz ohne kontinuierliches, apparatives Monitoring, wobei der Schwerpunkt auf der Frühmobilisation liegt. Zum deutschen Konzept gehört auch die Durchführung essenzieller klinischer Studien auf der Stroke Unit, was von internistischer Seite einmal mit dem unsinnigen Vorwurf verbunden wurde, dass Stroke Units nur zu diesem Zweck errichtet würden.
Ein fast unglaublicher und bedeutsamer Erfolg für die Neurologen war die Tatsache, dass das Gesundheitsreformgesetz Mitte der 90er Jahre eine Budgetausweitung untersagte mit einer einzigen Ausnahme, wenn an der jeweiligen Krankenanstalt Stroke Units eingerichtet wurden. Dementsprechend fand das Stroke-Unit-Konzept auch bei den Krankenkassen Anklang, und diese waren in vielen Fällen auch bereit, zusätzliche Kosten dem Gesamtbudget zuzurechnen.
Schon bald wurden in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Mehrstufenmodelle für Stroke Units entwickelt, weil eine maximale Ausstattung aus logistischen und ökonomischen Gründen nicht realisiert werden konnte. In vielen Bundesländern wurden von Medizinern, Sozialpolitikern und Krankenkassenvertretern flächendeckende Konzepte entwickelt. Andere Sozialministerien, z. B. in Niedersachsen, nehmen hingegen bis heute zur Entwicklung und Einrichtung von Stroke Units so gut wie keine Stellung.
Geplant waren für die Bundesrepublik ursprünglich einmal 80 Schlaganfallstationen maximaler personeller und apparativer Ausstattung, fast ausschließlich in neurologischen Kliniken. Bald erkannten wir aber, dass diese Zahl nicht ausreicht, dass ein mehrgliedriges Versorgungssystem wie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sinnvoll ist und dass wir auf absehbare Zeit nicht komplett auf die Schlaganfallversorgung durch Internisten verzichten können. Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Neurologie im Jahre 2000 ein 2-Stufen-Konzept entwickelt, welches eine überregionale von einer regionalen Stroke Unit trennt.
Beiden Typen von Stroke Units ist gemeinsam, dass alle Betten mit einem Patientenmonitoring ausgestattet sind und ein speziell ausgebildetes Pflegeteam in 24 Stunden tätig ist. Die regionale Stroke Unit muss nicht das gesamte diagnostisch-therapeutische Spektrum wie MRT-Technologie, lokale Lyse, interventionelle Techniken, gefäßchirurgische und neurochirurgische Eingriffe zur Verfügung haben. Patienten, die von solchen Maßnahmen profitieren oder mit diagnostischen Unklarheiten, sollen in die assoziierte überregionale Stroke Unit verlegt werden. Überregionale Stroke Units befinden sich ausschließlich an einer neurologischen Klinik in einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Die 24-stündige Präsenz eines Neurologen mit Schlaganfallerfahrung ist obligat, in Zukunft auch eine eigene neurologische Intensivstation. Regionale Stroke Units können an neurologischen oder internistischen Fachabteilungen eingerichtet werden. Auch hier ist die 24-stündige Verfügbarkeit eines Neurologen mit Schlaganfallexpertise, z. T. aber in Rufbereitschaft, notwendig. Die überregionale Stroke Unit übernimmt die Funktion eines Kompetenzzentrums für eine große Region und ist verantwortlich für die Sicherstellung der Qualität auch in den umgebenden regionalen Schlaganfallstationen.
Mittlerweile zertifizieren Schlaganfallexperten der Stroke-Unit-Kommissionen der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zusammen mit Vertretern der Krankenkassen und der Sozialpolitik die Stroke Units in Deutschland nach den o. g. Kriterien. Neben der Struktur- und Prozessqualität wird auch anhand von Visiten die fachliche Kompetenz der auf der Stroke Unit Tätigen beurteilt. Die Qualität der Stroke Units ist nach unseren Erfahrungen durch die Zertifizierungen kontinuierlich besser geworden. Das Interesse, das Zertifikat zu bekommen, ist beim Krankenhausträger und dem jeweiligen Leiter der Stroke Unit gleichermaßen groß, hat es doch auch große Bedeutung bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen. Nicht so selten haben unsere Zertifizierungsgutachten auch bewirkt, dass die Stroke Unit personell aufgestockt werden konnte.
Nach dem letzten Stand existieren in Deutschland an 93 Kliniken zertifizierte Stroke Units. Man kann davon ausgehen, dass etwa 25 - 30 % aller Schlaganfallpatienten Deutschlands in Kliniken mit zertifizierten Stroke Units versorgt werden. Es sind 49 überregionale Stroke Units, 27 an Universitätskliniken und 22 an Krankenhäusern der Maximalversorgung. Regionale Stroke Units existieren ausschließlich an kommunalen Krankenhäusern, 40 in neurologischen Kliniken und nur vier in einer medizinischen Klinik. Aber wir wissen, dass nicht wenige medizinische Kliniken eine nicht zertifizierte Stroke Unit betreiben. Vielleicht möchten die Internisten hier „ihr eigenes Süppchen” in der Schlaganfallbehandlung kochen. Möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, ist aber auch, dass unsere vorgegebenen Standards nicht erfüllt werden können. Für die Zukunft wäre es wichtig, solche internistischen Kliniken zu kennen, nicht weil wir ihr Bedürfnis, die Schlaganfallversorgung zu verbessern und eine Stroke Unit zu errichten, bremsen wollen, sondern vielmehr, um ihnen zu helfen und ggf. die Bedingungen für eine regionale Stroke Unit zu erfüllen.
Zurück zu den zertifizierten Stroke Units! Stroke-Unit-Erhebungen, Datenbanken und Qualitätssicherungsprojekte zeigen durchweg eine relativ homogene Strukturqualität der zertifizierten Stroke Units; die Prozessqualität ist aber vielfach unterschiedlich. Besonderheiten infrastruktureller Voraussetzungen sind aber dabei zu berücksichtigen. Die Daten zeigen z. T. erhebliche Unterschiede in den Aufnahmeintervallen, der Liegedauer, des Schweregrades des Schlaganfalls bei der Aufnahme, in der Zahl der jeweils aufgenommenen Patienten sowie bemerkenswerterweise auch im diagnostischen und therapeutischen Spektrum. Auch Aufnahmemodus und Aufnahmekriterien sind oft unterschiedlich. Ich plädiere nach wie vor für definierte Aufnahmekriterien, und in Minden nehmen wir in der Regel nur Patienten auf, wenn sie einen akuten Schlaganfall erlitten haben, der nicht länger als 24 Stunden zurückliegt oder wenn über diesen Zeitraum hinaus die Symptome noch fluktuierend oder progredient sind. Wir legen Wert darauf, dass auch Patienten mit TIAs und hohem Schlaganfallrisiko dort überwacht werden. Solche Auswahlkriterien sollten wir unbedingt auch nach außen vertreten. Merkwürdigerweise hat sich ein Druck von außen entwickelt, der dahin geht, dass - entgegen der ursprünglichen Absicht des Stroke-Unit-Konzepts - alle Schlaganfallpatienten mit einem Schlaganfall auf die Stroke Unit aufgenommen werden sollen. Dies wird mittlerweile häufig praktiziert, was organisatorisch einfacher sein mag. Dennoch beinhaltet ein solches Vorgehen aber auch die Gefahr, dass die pflegerische und ärztliche Versorgung zur Routine wird, wenn der größte Teil der Patienten sowieso stabil ist. Wenn wir nur Risikopatienten auf die Stroke Unit aufnehmen, so ist die Herausforderung wesentlich größer; wir können diese Patienten aber auch etwas länger dort betreuen, was vielfach unbedingt notwendig ist.
Ideal ist es meines Erachtens, wenn man die Schlaganfallpatienten nach dem Aufenthalt in der Stroke Unit auf einer Allgemeinstation nach Art einer Recovery-Unit konzentriert, wo sie mit Hilfe eines erweiterten professionellen Teams für einige Tage weiterversorgt werden, bis die endgültige Entscheidung getroffen ist, in welcher Institution weiterbehandelt wird oder ob der Patient nach Hause entlassen werden kann.
Das deutsche Stroke-Unit-Konzept wird vielfach kritisiert, was in Anbetracht der hohen Kosten auch verständlich ist. Unverständlich allerdings ist der Vorwand vieler Kritiker, dass das deutsche Stroke-Unit-Konzept nicht evidenzbasierten Kriterien entspricht, und man versteigt sich sogar dazu, die aus unserer Sicht unbedingt erforderlichen Basismaßnahmen für die Behandlung der instabilen Phase des Schlaganfalls nicht zu akzeptieren, weil überzeugende Studien zur Wirksamkeit fehlen. Alle diese Maßnahmen sind pathophysiologisch aber gut begründet, tierexperimentell belegt und in der täglichen klinischen Routine, nicht nur beim Schlaganfall, sondern in der Akutmedizin schlechthin, selbstverständlich.
Zum Beispiel die Blutdruckbehandlung. Niedrige Blutdruckwerte führen oft zu einer Verschlechterung der Schlaganfallsymptomatik, die konsekutive Anhebung des Blutdrucks wieder zur Verbesserung. Keine einzige Studie belegt diese therapeutische Maßnahme, dennoch werden wir die niedrigen Blutdruckwerte nicht tolerieren, sondern behandeln. Indredavik, einer der Protagonisten der skandinavischen, kombinierten Akut- und Rehabilitations-Stroke-Units, berichtete kürzlich, dass die Vermeidung diastolischer Blutdruckabfälle als unabhängige Variable für den Behandlungserfolg anzusehen ist; dabei misst er den Blutdruck selbst in der Akutphase nur viermal täglich. Das Ergebnis muss jeden, der Schlaganfallpatienten in der Akutphase behandelt, geradezu dazu zwingen, den Blutdruck kontinuierlich zu überwachen, um die prognostisch relevanten Blutdruckveränderungen zu registrieren und ggf. zu behandeln. Mittlerweile erfolgt auch in Skandinavien bei Hochrisikopatienten ein kontinuierliches apparatives Monitoring, so dass wir gar nicht mehr so weit von einander entfernt und viele Diskussionen müßig sind.
Wenn andere Kritiker uns immer wieder unterstellen, dass die frühe Mobilisierung der Schlaganfallpatienten im Gegensatz zu dem skandinavischen Konzept in dem intensivmedizinisch geprägten kontinuierlichen Monitoring unserer Stroke Units untergehen könnte, so ist dies Unsinn. Die frühe Mobilisierung des Schlaganfallpatienten ist ausdrücklich in das deutsche Stroke-Unit-Konzept integriert.
Dann erschallt immer wieder der Ruf nach wissenschaftlicher Begründung des deutschen Stroke-Unit-Konzepts, und es werden randomisierte Studien gefordert. Eine solche Forderung ist realitätsfern und ethisch nicht zu vertreten. Wissenschaftlichkeit darf nicht zum Vorwand werden, wenn es realiter um ökonomische Zwänge geht! Man stelle sich folgende Situation vor: Ein Patient mit einem akuten Schlaganfall muss in der Notambulanz zustimmen, dass per Losverfahren darüber entschieden wird, ob er auf einer speziell ausgestatteten Stroke Unit mit einem besonders ausgebildeten Schwestern- und Ärzteteam und besonderem Stellenplan behandelt wird oder auf einer Allgemeinstation. Jeder Kritiker muss sich selbst fragen, ob er an einer solchen Studie teilnehmen möchte.
In Großbritannien, wo unser Stroke-Unit-Konzept besonders heftig kritisiert wird, wurde kürzlich eine randomisierte Studie für Schlaganfallpatienten auf einer Stroke Unit nach deutschem Konzept versus Allgemeinstation durchgeführt. Auf der Stroke Unit wurden häufiger pathologische vitale Parameter registriert, therapeutische Interventionen waren dementsprechend öfter notwendig, und eine Progression der Symptome war seltener. Nach 90 Tagen fand sich ein Trend zugunsten eines besseren Langzeitergebnisses der kontinuierlich überwachten Patienten. Dies ist meines Wissens erstmals ein Hinweis, dass kontinuierliches Monitoring im Akutstadium einen günstigen Effekt hat.
Über die Zertifizierung der Stroke Units hinaus existieren in Deutschland in den einzelnen Bundesländern Qualitätssicherungsprojekte mit Erhebung von Daten eines jeden Schlaganfallpatienten. Hierdurch wird ein Vergleich von Kliniken untereinander mit Beurteilung von definierten, anerkannten Leistungsstandards und Qualitätsindikatoren vorgenommen. Es hat sich gezeigt, dass beispielsweise der Gebrauch von Antikoagulantien oder die Häufigkeit der Echokardiographie im institutionellen Vergleich höchst unterschiedlich sind. Diskussionen der Ergebnisse, gezielte Beratungs- und Fortbildungsmaßnahmen, ggf. mit Modifizierung der Qualitätsindikatoren, verbessern die jeweilige Qualität, so dass ein weitgehend homogener Leistungsstandard erreicht werden kann. Eine Bündelung der vielfachen Aktivitäten in einzelnen Bundesländern erfolgte kürzlich in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlaganfallregister, was ich für sehr sinnvoll halte.
Insgesamt sind wir bei unserem Stroke-Unit-Konzept mit dem überaus hohen Anspruch angetreten, dass uns möglicherweise höhere Versorgungsqualität mit besserem Outcome zu sogar günstigen Preisen gelingen könnte. Obwohl wir dies den Sozialpolitikern und Krankenkassenvertretern plausibel machen konnten, handelte es sich zweifellos um ein relativ gefährliches Spiel. Dem Drängen der Kritiker und Kostenträger folgend, hatten wir den Mut, in den Jahren 1998 und 1999 mit Hilfe der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe eine aufwändige Kosten-Nutzen-Analyse für Kliniken mit Stroke Units durchzuführen. Das Ergebnis ist enttäuschend, denn beim Vergleich von Kliniken mit und ohne Stroke Unit sowie internistischen Abteilungen ergab sich kein Unterschied im Behandlungsergebnis bei allerdings höheren Kosten für die Kliniken mit Stroke Unit. Wir dürfen gespannt sein, wie die Öffentlichkeit auf die in diesem Heft erfolgende Publikation reagiert. Die Studie hat aber so viele Mängel, dass sie gar nicht repräsentativ sein kann. Beispielhaft seien nur die extremen Unterschiede in den Patientenzahlen und der Altersverteilung in den verschiedenen Gruppen genannt, wodurch eine statistische Analyse kaum möglich ist. Viele andere Faktoren, die hier nicht genannt werden sollen, machen das Ergebnis der Studie insgesamt unbrauchbar.
Im dritten Teil geht es um die Zukunft der Stroke Units in Deutschland. Unsere Wünsche und Hoffnungen sollen nur stichwortartig aufgezeigt werden: flächendeckende Versorgung mit Stroke Units, bessere Personalausstattung, mehr neuroradiologische Kompetenz, bessere Organisation des Rettungswesens, Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte in das Versorgungsnetz und letztendlich eine Alles-aus-einer-Hand-Versorgung, wobei ambulante und stationäre rehabilitative Einrichtungen an das Akutkrankenhaus ebenso wie eine Tagesklinik für die Diagnostik und rehabilitative Versorgung angebunden sein sollten. Dies erscheint aber bei dem derzeitigen Gesundheitssystem als Utopie, zumal unsere Rehabilitationskliniken mit einem anderen Kostenträger meistens auf der grünen Wiese stehen.
Nur in wenigen Bundesländern gibt es flächendeckende Versorgungskonzepte mit Stroke Units, so dass in vielen Gegenden die Stationen regellos verteilt sind. Manche Stroke Units versorgen eine Bevölkerung von 100 000 - 200 000 Einwohnern, manche zwischen 700 000 und 1 000 000. Man könnte versuchen, das Konzept überregionale - regionale Stroke Units so zu verwirklichen, dass Flächeneinheiten definiert werden, die je nach Größe mit einer oder zwei überregionalen und mehreren regionalen Stroke Units versorgt sind. Das könnte dazu führen, dass einige kleine Kliniken von der Schlaganfallversorgung ausgeschlossen werden müssen, wenn entsprechende Voraussetzungen fehlen. Der Ehrgeiz vieler Kliniken, unbedingt eine überregionale Stroke Unit zu besitzen, ist einer sachgerechten und kostengünstigen, flächendeckenden Schlaganfallversorgung nicht dienlich.
Notwendig erscheint ein bundesweites Qualitätssicherungsprojekt, weil eine durchgängige Erfassung der wichtigsten Ein- und Ausgangsdaten der Schlaganfallpatienten das Leistungsprofil der Stroke Units bzw. des Case-Managements in Deutschland abbilden kann. Standards in Diagnostik und Therapie können besser durchgesetzt, das Behandlungsergebnis durch kontinuierliche Überprüfung der Struktur- und Prozessqualität zunehmend verbessert und ggf. sogar die Kosten der Behandlung gesenkt werden. Eine finanzielle Unterstützung für ein solches Projekt zu bekommen, war bisher leider noch nicht möglich.
Neben der Fortführung der Zertifizierung, vor allem auch regelmäßiger Audits zur Rezertifizierung, bin ich für regelmäßige Ausbildungscurricula, nicht nur für Stroke-Ärzte, sondern auch für das Pflegepersonal. Im Klinikum Nürnberg sowie in unserer Klinik werden bereits Stroke-Unit-Pflegekurse mit gutem Erfolg durchgeführt. Hier sehe ich auch eine Aufgabe der neuen Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft zusammen mit den Stroke-Unit-Kommissionen. Vielleicht könnte man im Zuge der neuen Weiterbildungsordnung nicht schon jetzt, aber später einen Befähigungsnachweis Schlaganfallmedizin beantragen.
Zwei Probleme kommen schwerpunktmäßig in Zukunft auf uns zu. Es ist die demografische Entwicklung und das DRG-Konzept, wodurch die Schlaganfallversorgung und auch das Stroke-Unit-Konzept möglicherweise vollkommen verändert werden. Wir müssen in Zukunft mit mehr Schlaganfallpatienten rechnen. Der Anteil in der Bevölkerung der über 65-Jährigen, der Hauptbetroffenen, lag im Jahre 2000 bei 16 %, im Jahre 2030 wird er bei 33 %, also bei einem Drittel liegen. Wir müssen nicht nur rechtzeitig Strukturen für eine umfangreichere Schlaganfallakutversorgung schaffen, sondern auch für eine menschenwürdige Nachsorge bei zunehmend mehr pflegebedürftigen Schlaganfallpatienten.
Zum guten Schluss: Was wird aus den Stroke Units nach Einführung der DRGs? Auf jeden Fall wird es zunächst keine Zuschläge für den Schlaganfall geben, wenn er auf der Stroke Unit oder der Intensivstation behandelt wird. Es ist zwar möglich, dass nach Übernahme der australischen Relativgewichte im Vergleich zu den heutigen Pflegesätzen bei optimaler Kodierung eine Kostendeckung erreichbar ist, was aber nur für den vollendeten Schlaganfall gilt, keinesfalls aber für TIAs. Die DRG-Fallpauschale bildet den Kostenaufwand für die Maßnahmen bei einer TIA nicht annäherungsweise ab, und die Erlöse aus den bisherigen Pflegesätzen werden bei Umsetzen dieses Vergütungssystems weit unterschritten. Wir werden uns in Zukunft nicht leisten können, eine TIA auf der Stroke Unit zu behandeln, und wahrscheinlich müssen noch strengere Auswahlkriterien vorgenommen werden.
Die fallbezogene Pauschalierung zwingt uns in Zukunft zu einem ausgewogenen Fallmix. Bei den DRG-Pauschalen handelt es sich um eine Mittelwertbildung, so dass es problematisch wird, wenn in einem Krankenhaus nur leichte, billige oder vorwiegend komplizierte, teure Fälle behandelt werden. Vielleicht brauchen wir in Zukunft sogar einen Stroke-Manager, der auf den Case-Mix und die Wirtschaftlichkeit achtet. Es ist anzunehmen, dass unter diesen Bedingungen eine Schlaganfallbehandlung nur noch in Zentren mit großen Patientenzahlen stattfinden wird, die einen angemessenen Case-Mix gewährleisten. Es ist auch zu erwarten, dass Krankenhäuser, die den Schlaganfall behandeln wollen, einen Pflichtleistungskatalog vorlegen müssen. Problematisch unter DRG-Bedingungen dürfte das 2-Stufen-Konzept werden. Eine überregionale Stroke Unit bekommt definitionsgemäß schwerer betroffene Schlaganfallpatienten; dies wird sich ein Krankenhaus unter DRG-Bedingungen kaum mehr leisten können.
Die Verweildauer muss kurz gehalten werden, um die Fallpauschale so schnell wie möglich zu erwirtschaften. Time ist nicht nur Brain, sondern jetzt auch Geld. Das wird vielen unserer Schlaganfallpatienten nicht besonders gut tun.
In der weiteren Zukunft ist aber mit einer regelmäßigen Anpassung der DRG-Systematik zu rechnen. Darauf müssen wir uns allerdings schon jetzt vorbereiten, damit der Schlaganfall in Zukunft möglicherweise günstiger bewertet wird. Nur ein bundesweites Qualitätssicherungsprojekt wird in der Lage sein, durch eine konsequente Leistungserfassung Standards für die Schlaganfallbehandlung durchzusetzen, die dann auch entsprechend vergütet werden. Wenn uns dies nicht gelingt, verlieren wir Neurologen den Anspruch auf eine adäquate Schlaganfallbehandlung, den wir uns ja gerade erworben haben. Wenn in Zukunft die DRG-Fallpauschale möglicherweise für die gesamte Behandlung einschließlich der Rehabilitation gilt, müssen sich die Schlaganfallzentren mit Stroke Units die Behandlungshoheit für den Patienten im gesamten Verlauf einschließlich der Rehabilitation sichern.
Abschließend komme ich zu einem kurzen Resümee. Womit ich angefangen habe, höre ich auf. Die Entwicklung der Stroke Units in Deutschland ist meines Erachtens eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Für nahezu alle europäischen Länder sind die deutschen Stroke Units ein Vorbild, und man strebt fast überall die Umsetzung unseres Konzepts an. Unkenrufen, sogar aus den eigenen Reihen, das Stroke-Unit-Konzept in Deutschland sei schon jetzt nicht mehr zeitgemäß, sollten wir mit aller Deutlichkeit begegnen. Auch wenn der Beweis der Effektivität schwer zu erbringen ist, so bin ich durch meine tägliche Arbeit in der Schlaganfallversorgung auf der Stroke Unit fest davon überzeugt, dass diese Einrichtung als zentrales Glied der Versorgungskette einen hohen Nutzen hat und auch die Kosten rechtfertigt. Die Mühen beim Aufbau der Stroke Units in Deutschland im letzten Jahrzehnt haben sich gelohnt, und wir sollten unseren Weg auch unter noch so erschwerten Bedingungen weitergehen, zum Wohle unserer Schlaganfallpatienten.
Prof. Dr. Otto Busse
Neurologische Klinik · Klinikum Minden
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