Gesundheitswesen 2013; 75(11): 721-725
DOI: 10.1055/s-0033-1355366
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Extreme Typen – Die öffentlichen Gesundheitsdienste in Thüringen und im Warthegau im Vergleich[*]

Extreme Types – A Comparison of Public Health Systems in Thuringia and the Warthegau
J. Vossen
1   Thomaeum, Gymnasium, Kempen
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Publikationsdatum:
18. Oktober 2013 (online)

Zusammenfassung

Die Durchführung gesundheitspolitischer Maßnahmen im nationalsozialistischen Deutschland erforderte eine Neuordnung des Gesundheitswesens, die durch das „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ im Jahre 1934 erreicht wurde. Die zentrale Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes war die Durchführung einer erbgesundheitlich und rassenhygienisch geprägten Gesundheitspolitik. Zahlreiche Gesetze trugen zur Implementierung einer spezifisch nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik auf der Basis der Rassenhygiene bei und gaben den Medizinalbeamten große Macht. Vor allem das 1933 erlassene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sanktionierte bis 1945 etwa 400 000 Zwangssterilisationen. Zentrale Behörde in diesem neuen Gesundheitssystem war das Gesundheitsamt. Eine extreme Variante dieses NS-Gesundheitsdienstes wurde in Thüringen aufgebaut, wo Medizinalbeamte und staatliche Autoritäten einen höchst effektiven institutionellen Apparat errichteten, der die NS-Bevölkerungspolitik in fast perfekter Weise umsetzte. Nach der Eroberung Polens errichteten die Deutschen dort ein unmenschliches Regime, verfolgten und ermordeten polnische Bevölkerungsgruppen und versuchten, die jüdische Bevölkerung auszurotten. Die Medizinalbeamten des Warthegaus unterstützten diese Politik, indem sie eine rigorose Segragationspolitik auch im Gesundheitswesen verwirklichten.

Abstract

Special policing measures in Nazi Germany required centralisation in the public health service which was mainly achieved through the Law for the Unification of Municipal and State Health Administration in 1934. The long-term aim for public health officers was now hereditary and racial welfare. Several following legal regulations contributed to the implementation of a specific national-socialist health and social policy on the basis of racial hygiene and gave immense power to the health officers. Especially with the Law for the Prevention of Hereditarily Sick Offspring, compulsory sterilisation was legalised and resulted in about 400 000 victims up to 1945. The central force in this new system was the public health office. The most extreme variation of public health administration was launched in Thuringia, where professional powers and state authority implemented an extensive institutional machinery which managed to reinforce Nazi population policy almost to perfection. After the invasion of western Poland the Germans built up an inhumane regime in the annexed and occupied regions, persecuted and murdered the Polish population and tried to exterminate the Jewish people. Here the health officers of the Warthegau could promote a rigorously racial dominated population policy of segregation.

* Vortrag gehalten auf dem BVÖGD-Kongress vom 25.–27. April 2013 in Berlin.


 
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  • 8 Bundesarchiv Berlin NS 19, 2397, Bl. 16-19: Conti an Himmler, 18.3.1942, Zitat Bl. 16
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  • 10 Vossen J Gesundheitsämter: 424
  • 11 Vossen J Gesundheitsämter: 448
  • 12 Das folgende Kapitel fasst zentrale Ergebnisse meiner Doktorarbeit zu Thüringen zusammen: Vossen J. Gesundheitsämter: 434-452
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  • 17 Jensen B. Karl Astel. „Ein Kämpfer für die deutsche Volksgesundheit“. In: Danckwortt B. et al. Hrsg Historische Rassismusforschung. Ideologen – Täter – Opfer. Hamburg: Argument-Verlag; 1995: 152-178
  • 18 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (=ThHSTAW), MdI, E 1721: Astel an ThMdI, 14.8.34
  • 19 ThHSTAW, MdI, E 641, Bl. 49 (Zahlen für 1934); ThHSTAW, PA MdI, Nr. 498, Bl. 112-115: ThMdI an ThRStH, 16.2.37 (Zahlen für 1937)
  • 20 Das folgende Kapitel gibt zentrale Ergebnisse meiner bisherigen Forschungen zum öffentlichen Gesundheitsdienst im Warthegau wieder und beruht auf . Vossen J. Der öffentliche Gesundheitsdienst im „Reichsgau Wartheland“ und die Durchführung der nationalsozialistischen „Volkstumspolitik“, 1939-1945. In: Hüntelmann A, Vossen J, Czech H. Hrsg Gesundheit und Staat. Studien zur Geschichte der Gesundheitsämter in Deutschland, 1870-1950. Husum: Matthiesen Verlag; 2006: 237-254
  • 21 Vgl . dazu die grundlegenden Forschungen von Broszat M. Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt; 1961. Madajczyk C. Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Köln: Pahl-Rugenstein; 1988; Mallmann K-M, Musial B, Hrsg. Genesis des Genozids: Polen 1939-41, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; 2004; Alberti M. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag; 2006
  • 22 Archiwum Państwowe w Łodzi, Regierung Litzmannstadt, 676, Bl. 6-8: Liste der für die Medizinalverwaltung in den besetzten polnischen Gebieten eingesetzten Medizinalbeamten, o.D.
  • 23 Jaroszewski Z. Zaglada chorych psychicznie w Polsce 1939-1945/Die Ermordung der Geisteskranken in Polen. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe PWN; 1993. 115. 119-123
  • 24 Vgl die Sammlung der Erlasse zu Fragen des Gesundheitswesens im Archiwum Państwowe w Poznaniu (=APP), Reichsstatthalter, 148, Bl. 22-33: Zusammenstellung der im Reichsgau Wartheland bis zum 30.4.43 erschienenen und noch gültigen Erlasse, Verordnungen, Vorschriften usw. auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheitsdienstes, 30.4.43.
  • 25 Erfassung der gesundheitsgefährdeten und erbkranken Bevölkerung . Ärzteblatt für den Reichsgau Wartheland 1 1940; 289
  • 26 APP, Reichsstatthalter, 1862, Bl. 238-239: Auszug aus dem Erl. v. 19.5.42 betr. die kriegs- und lebenswichtigen Aufgaben der Gesundheitsämter