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DOI: 10.1055/s-0032-1319683
Zum Tod von Graham Hill
Publication History
Publication Date:
20 August 2013 (online)
Zu den beeindruckendsten Momenten eines Stoffwechselforschers gehörten die Vorträge von Graham Hill. Zu einer Zeit, in der andere nur darüber mutmaßen konnten, was im Körper schwer kranker Patienten genau geschah, nannte Hill Zahlen. Zahlen, die die Körperzusammensetzung zum Inhalt hatten und die exakt Quantität und zeitliche Dynamik metabolischer Veränderungen reflektierten. Erst seit Hills Pionierarbeiten weiß man verlässlich, wieviel Eiweiß ein Patient nach chirurgischer Homöostasestörung verliert, in wieweit sich dieser Eiweiß-Verlust durch künstliche Ernährung modifizieren lässt, und wie lange es dauert, bis dieser Verlust wieder ausgeglichen ist.
Hills Wunderkammer war sein einzigartiges Body Composition Laboratory, praktischerweise gleich neben einer Intensivstation gelegen und mit bis heute geradezu magischer Technik ausgestattet. Dort wurden Patienten mit Neutronen beschossen, es wurde tritiumhaltiges Wasser verabreicht, und es gab körpertaugliche Strahlungsdetektoren; heraus kamen präzise Zahlen zum Wasser-, Eiweiß- und Fettbestand eines Patienten – Informationen, die bis heute Referenzstandard besitzen.
Hill wurde am 24.10.1939 in Neuseeland geboren und studierte ab 1964 Medizin an der Universität von Otago. Dort begann auch seine chirurgische Laufbahn unter Gus Fraenkel, Alan Clarke and Stanley Wilson. Es war die Zeit, in der die Chirurgie die Grenzen der Medizin erweiterte. Vor allem Abdominal-Chirurgen sahen durch ihre neue Kunst plötzlich Patienten, die zwar erfolgreich operiert, jedoch postoperativ aufgrund der operativen Besonderheiten nicht sofort „normal“ ernährt werden konnten. Dass chirurgische Traumata mit einem Eiweiß-Verlust verbunden waren, wusste man bereits seit Cuthbertson. Diesen Verlust genau zu quantifizieren und dann auch zu manipulieren, war zur Verbesserung der postoperativen Prognose unumgänglich. Es war die Geburtsstunde der künstlichen Ernährung, und Graham Hill war einer der wichtigsten Geburtshelfer.
Wer in den frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mehr über die Stoffwechselphysiologie und -pathophysiologie des Menschen wissen wollte, musste nach England gehen. Erfahrungen in ihren Kolonien hatten die Engländer früh mit Mangelernährung und deren Ursachen bzw. Therapien vertraut gemacht. Hill ging nach Leeds zu John Goligher, einem der bekanntesten Ulkuschirurgen seiner Zeit; im General Infirmary arbeitete auch Lewis Burkinshaw als Physiker, der als einer der ersten den Nutzen der atomaren Analyse als Instrument zur Messung der Körperzusammensetzung erkannte. Damit begann für Hill eine doppelte Laufbahn als Chirurg und als Stoffwechselforscher; eine Karriere, die als Rollenmodell noch für viele Nachfolgende beispielhaft werden sollte. Ohne diese spezifischen „doppelten“ Karrieren wäre die heutige Ernährungsmedizin nicht denkbar. In Leeds entstanden – unterbrochen durch Abstecher nach Texas und Indonesien – Schlüsselarbeiten der modernen künstlichen Ernährung [1]–[4].
Der wissenschaftliche und klinische Erfolg wurde belohnt. 1980 wurde Hill als Direktor der Chirurgischen Klinik an die Universität in Auckland, Neuseeland, berufen. Die Morgengabe war das Body Composition Laboratory, welches er seiner neuen Wirkungsstätte abgerungen hatte. Es begann nun seine große Zeit als Hochschullehrer, kolorektaler Chirurg, Ernährungsmediziner und Stoffwechselforscher in einer Person. Das Kondensat seiner wissenschaftlichen Aktivitäten ist in mehreren Übersichtsarbeiten [5]–[7] nachzulesen und ist bis heute maßgebend. Parallel zum wissenschaftlichen Erfolg kamen internationale Preise, und der Erfolg als gefragter Referent und Redner auf zahllosen internationalen Kongressen. Grundfeste von Hills Persönlichkeit war dabei immer eine tiefe Religiosität und Philanthropie.
Am Ende seiner Laufbahn standen die Reflexion und der Dank des Vaterlandes. 2006 fasste Hill sein bemerkenswertes Leben als wissenschaftlicher Chirurg / chirurgischer Wissenschaftler in einem äußerst lesenswerten Buch zusammen [8]. Im gleichen Jahr bekam er den bis dahin erst einmal vergebenen Premier Research Award of the Royal Australasian College of Surgeons für seine herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der chirurgischen Forschung zugesprochen. Nach der Emeritierung 2008 wurden seine Verdienste um die Reputation des Landes 2009 mit der Verleihung des Titels „Officer of the New Zealand Order of Merit“ gewürdigt. Jetzt ist Graham Hill nach längerer Krankheit am 28. Februar 2013 im Alter von 73 Jahren gestorben. Damit endet auch die Ära der klassischen chirurgischen Stoffwechselforschung.
Wolfgang H. Hartl
Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Thoraxchirurgie der LMU München
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Literatur
- 1 Hill GL, Blackett RL, Pickford I, Burkinshaw L, Young GA, Warren JV, Schorah CJ, Morgan DB. Malnutrition in surgical patients. An unrecognised problem. Lancet 1977; 1 (8013) 689-692
- 2 Collins JP, Oxby CB, Hill GL. Intravenous aminoacids and intravenous hyperalimentation as protein-sparing therapy after major surgery. A controlled clinical trial. Lancet 1978; 1 (8068) 788-791
- 3 Hill GL, King RF, Smith RC, Smith AH, Oxby CB, Sharafi A, Burkinshaw L. Multi-element analysis of the living body by neutron activation analysis-application to critically ill patients receiving intravenous nutrition. Br J Surg 1979; 66 (12) 868-872
- 4 Hill GL. Surgically created nutritional problems. Surg Clin North Am 1981; 61 (3) 721-728
- 5 Hill GL, Jonathan E. Rhoads Lecture. Body composition research: implications for the practice of clinical nutrition. JPEN J Parenter Enteral Nutr 1992; 16 (3) 197-218
- 6 Hill AG, Hill GL. Metabolic response to severe injury. Br J Surg 1998; 85 (7) 884-890
- 7 Plank LD, Hill GL. Sequential metabolic changes following induction of systemic inflammatory response in patients with severe sepsis or major blunt trauma. World J Surg 2000; 24 (6) 630-638
- 8 Hill GL. Surgeon Scientist: Adventures In Surgical Research. Random House New Zealand Ltd.; 2006