Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(6): 283
DOI: 10.1055/s-0029-1233538
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ulla Schmidt zieht Schweinegrippe dem Deutschen Ärztetag vor

Peter Knuth
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Publication Date:
30 June 2009 (online)

Der 112. Deutsche Ärztetag 2009 in Mainz musste ohne Anwesenheit und Rede der Gesundheitsministerin auskommen. Ulla Schmidt zog es vor, zur Diskussion über die Schweinegrippe zu eilen. Eine schöne Reise zum Ende einer Politkarriere oder das Eingeständnis, mit der durch sie langjährig verantworteten Gesundheitspolitik endgültig gescheitert zu sein?

Im Moment erscheint das Deutsche Gesundheitswesen als ein durch die Politik – unter gelegentlicher tatkräftiger Mithilfe der ärztlichen Berufspolitik – systematisch angerichteter Trümmerhaufen. Zurzeit beginnt verstärkt die in der Politik übliche Phase der Dementis glasklarer Sachverhalte und der vermehrten Schuldzuweisungen an die Ärzteschaft. Angeblich haben wir Ärzte durch die vermehrte Einbestellung von Patienten die Kostenspirale nach oben in Gang gesetzt.

Dass aber die völlig verfehlte Gesundheitspolitik der letzten beiden Jahrzehnte diese Entwicklung zwangsläufig herbeirufen musste, bleibt im Propagandalärm der Parteien uneingestanden. Politiker aller Couleur haben jedem Bürger eine maximale gesundheitliche Versorgung versprochen – ohne zu sagen, welch gigantische Kostenfolgen dies wegen der demografischen Entwicklung der Bevölkerung und des medizinischen Fortschrittes haben musste. Konsequenterweise wollte die Bevölkerung die politischen Versprechungen auch mit häufigeren Arztbesuchen einlösen. Und dass die Politiker lernunfähig sind, zeigen die Versprechen aller Parteien versehen mit ungedeckten Schecks, die wir ja derzeit wieder an allen Fronten erleben.

Parallel zu den politischen Versprechungen presste man die niedergelassenen Ärzte und die Krankenhäuser in irrwitzige Abrechnungssysteme, die weder Hand noch Fuß, vor allem aber keinen Verstand haben. Milliardenbeträge fließen derzeit in die Gesundheit und keiner weiß genau, wo sie eigentlich angekommen oder abhandengekommen sind. Bei Patient oder Arzt jedoch sucht man die Mittel vergeblich. Daran zeigt sich die Perversität des Systems.

Sicherlich legen die ärztlichen Standesvertreter nun offensiver als früher den Finger in die Wunde der nicht wahrgenommenen politischen Verantwortung. Nur sind die ärztlichen Vorschläge teilweise genauso planlos wie das politische Agieren in Bund und Ländern. Welchen Sinn macht es, ein primärärztliches Steuerungssystem beim Hausarzt zu installieren, aber viel zu wenige Hausärzte zur Bedienung dieser neuen Philosophie zu haben. Könnten wir heute das System komplett umsteuern, würde es wohl rund 10 Jahre dauern, bis wir den ersten größeren Output an Hausärzten hätten, um ein solches primärärztlich orientiertes System zu steuern. Viel schlimmer noch: Die Bundesärztekammer hat in ihrer neuesten Arztzahlstatistik berichten müssen, dass die Anerkennungszahlen für den Facharzt Innere und Allgemeinmedizin um 50  % eingebrochen sind.

Hilfe verspricht nur eine radikale Reform des Parlamentarismus – nicht der Demokratie. Alle Parlamentarier müssen direkt vom Volk gewählt und auch wieder abberufen werden können. Eingeführt werden muss auch die persönliche Haftung für angerichtetes Unheil. Wir benötigen im Volk ein Verständnis des deutschen Parlamentarismus, das sieht, dass darin nur Zeitvertragsangestellte tätig sind, deren Vermittlungsagentur die Parteien sind, und dass der Hauptzweck des Abgeordneten ist, Stimmvieh für die Parteien zu sein und permanent an der Verlängerung des Zeitarbeitsvertrages zum eigenen Überleben zu arbeiten. Ob wir so einen Ruck in Deutschland noch erleben werden?

Prof. Dr. Peter Knuth

Flörsheim