Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P646
DOI: 10.1055/s-0028-1086900

Neuritis der Nervi optici im Sekundärstadium einer Syphilis

S Bohlen 1, F Kästner 1, I.W Husstedt 1
  • 1Münster

Gegenstand: Wir berichten über einen 42-jährigen Mann, der wegen einer über zwei Wochen langsam progredienten Sehverschlechterung beidseits mit nahezu vollständiger Erblindung zur Diagnostik und Therapie stationär aufgenommen wurde.

Hintergrund: Nach der Entdeckung des Penicillins sank die Inzidenz der Infektion mit Treponema pallidum in Deutschland und war mit 1–2/100.000 Einwohnern lange Zeit auf niedrigem Niveau stabil. Seit Anfang dieses Jahrtausends ist sie erneut auf 4–5/100.000 angestiegen. Die Erkrankung verläuft in mehreren Stadien. Das Sekundärstadium zeichnet sich durch eine ausgeprägte klinische Variabilität aus.

Aufnahmebefund: Der Patient beklagte einen zunehmenden Sehverlust beider Augen mit wechselnd auftretenden Lichtblitzen, zeitweise vorhandenem Bulbusdruckschmerz sowie -bewegungsschmerz. Es zeigte sich eine Anisokorie li>re und keine Lichtreaktion der Pupillen. Der weitere klinisch-neurologische Status war unauffällig. Anamnestisch wurde eine Syphilis zehn Jahre zuvor angegeben, die antibiotisch behandelt worden war.

Untersuchungsergebnisse:

  • Ophthalmologie: Visus 0,1 li, 0,4 re, Stauungspapille li>re.

  • Dermatologie: Untersuchung der Haut unauffällig.

  • Neurophysiologie: VEP links nicht ableitbar, rechts P 100 bei 112ms.

  • Radiologie: Schwere Neuritis der Nn. Optici bds. (Abb.1,2).

  • Laborchemie (Serum): TPHA 1:5120; FTA-Abs. IgG 1:640, IgM 1:20; VDRL 1:4. HIV-Test: negativ

  • Liquor: 5 Lymphozyten, patholog. Albuminquotient (7,5×106), keine intrathekale Ig-Synthese. TPHA 1:128, FTA-Abs. IgG 1:32

Klinischer Verlauf: Unter einer dreiwöchigen intravenösen antibiotischen Behandlung mit Penicillin und Ceftriaxon sowie kurzfristig Decortin H besserte sich der Visus zunächst auf 0,6 links und 0,7 rechts, nach insgesamt 6 Monaten auf 0,8 bzw. 1,0. Auch bildmorphologisch zeigte sich ein Rückgang der Optikusscheidenentzündung beidseits (Abb.1,2). Neurophysiologisch waren die VEP im Verlauf normwertig. Der VDRL war bei Kontrolluntersuchungen im Serum und Liquor negativ.

Diskussion: Die Syphilis kann sich v.a. im Sekundärstadium auch mit ungewöhnlichen und ausgestanzten klinischen Symptomen – auch ohne jegliche dermatologische Manifestation – präsentieren. Der isolierte Befall der N.optici bds. stellt eine seltenere Neuromanifestation dar. In diesem Stadium ist eine vollständige Ausheilung durch antibiotische Behandlung möglich. Aufgrund der gestiegenen Inzidenz muss die Differentialdiagnose einer Neuromanifestation der Syphilis häufiger bedacht werden.