Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P442
DOI: 10.1055/s-0028-1086696

Retardiertes Pyridostigminbromid (Mestinon® retard) in der Myasthenie-Behandlung – Ergebnisse einer nicht-interventionellen Beobachtungsstudie

J.P Sieb 1, W Köhler 1
  • 1Stralsund, Wermsdorf

Fragestellung: Der Cholinesterase-Inhibitor Pyridostigminbromid ist seit Jahrzehnten das Medikament der Wahl zur symptomatischen Therapie der Myasthenie. Probleme beim Einsatz von Pyridostigmin können sich aus der individuell sehr unterschiedlichen enteralen Resorption und muskarinergen Nebenwirkungen, wie Muskelcrampi und epigastrischen Krämpfen, ergeben. Uneinheitlich wird der Nutzen der Retardformulierung von 180mg Pyridostigminbromid (Mestinon® retard) im Vergleich zur nicht-retardierten Form beurteilt. Ziel dieser Untersuchung war es, Informationen zur Verträglichkeit und Wirksamkeit von retardiertem Pyridostigmin im Rahmen eines individuellen Therapiekonzepts bei Myasthenie-Patienten zu sammeln.

Methoden: Prospektive Datenerhebung bei 72 immunologisch stabilen Patienten (medianes Alter: 59,8) mit Myasthenia gravis an 34 Zentren deutschlandweit, bei denen eine Umstellung auf retardiertes Pyridostigminbromid erfolgte.

Ergebnisse: Die initiale Tagesdosis von retardiertem Pyridostigmin betrug durchschnittlich 288,1±171,0mg. Die Umstellung erfolgte problemlos und es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf. Die Einnahmefrequenz war deutlich geringer als unter der Vortherapie mit nicht-retardiertem Pyridostigminbromid (3,6 vs. 4,3, p=0,011). Die Symptomatik der Myasthenie quantifiziert mit dem Besinger-Myasthenie-Scores (0=keine Symptomatik bis 3=schwere Ausprägung) verbesserte sich in 8 von 9 Einzelparametern. Der Gesamtscore ging von 0,9±0,5 auf 0,6±0,4 zurück (p<0,001). Damit einhergehend verbesserte sich die Lebensqualität signifikant. Der Gesamtscore ermittelt anhand des EuroQoL verbesserte sich von 1,7±0,3 auf 1,3±0,3 (p<0,001). Insgesamt traten unter der Ausgangstherapie 68 Nebenwirkungen bei 36 Patienten auf. Am häufigsten wurden Schwitzen (16 Patienten), Durchfälle (12 Patienten) und Muskelkrämpfe (11 Patienten) genannt. Unter retardiertem Pyridostigmin traten 28 Nebenwirkungen gar nicht mehr und 24 Nebenwirkungen seltener oder schwächer auf. Nach Therapieumstellung wurden 17 neu aufgetretene Nebenwirkungen dokumentiert. Die Verträglichkeit von retardiertem Pyridostigmin wurde von 47,2% der Patienten als gut und von 29,2% als sehr gut beurteilt.

Schlussfolgerung: Die Untersuchung bestätigt den Nutzen der Retardformulierung bei der Myasthenie im Rahmen eines individuellen Therapiekonzepts, um die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Pyridostigmin zu verbessern.