Z Sex Forsch
DOI: 10.1055/a-2215-9152
Bericht

Bericht über das 18. Pornfilmfestival vom 24. bis 29. Oktober 2023 in Berlin

Nicola Döring
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Ilmenau
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Gegründet wurde das Pornfilmfestival Berlin (PFFB) im Jahr 2006 von dem Filmemacher/-produzent Jürgen Brüning (https://pornfilmfestivalberlin.de/). Seitdem wird es ehrenamtlich durch ein internationales Team von Filmemacher*innen, -theoretiker*innen, -produzent*innen und Journalist*innen organisiert. 2023 fand das PFFB zum 18. Mal statt. Hauptspielstätte ist seit jeher das älteste Kino Deutschlands, das Moviemento in Berlin-Kreuzberg (https://moviemento.de/). Ein Teil der Filme wird zudem im ebenfalls traditionsreichen Babylon (https://babylonberlin.eu/) gezeigt. Erreicht werden im Schnitt rund 8000 Zuschauer*innen in den Live-Vorführungen sowie über das Online-Streaming-Angebot des Festivals.

Das sorgfältig kuratierte, internationale Festivalprogramm umfasst jedes Jahr etwa 30 Langfilme und 100 Kurzfilme rund um das Thema Sexualität. Dabei werden nackte Körper und sexuelle Aktivitäten oftmals explizit und in Großaufnahme gezeigt, wie es dem Genre der Pornografie entspricht. Das zweite definierende Kriterium der Gattung Pornografie, die sexuelle Erregung des Publikums, bleibt eher auf der Strecke. Denn viele Filme im Festivalprogramm verfolgen das Ziel, mit den tradierten Darstellungsmustern von Sexualität zu brechen. Diese kritischen, ästhetischen und politischen Ambitionen alternativer Pornos sowie die öffentliche Rezeption bei einem Festival konterkarieren offenbar das Aufkommen schnöder Geilheit.

Dementsprechend herrschte im Kinosaal bei den Vorführungen auch in der Regel keine knisternde, erotisch aufgeladene Atmosphäre, wie Außenstehende vielleicht vermuten mögen. Vielmehr war die Stimmung in dem hinsichtlich geschlechtlicher und sexueller Identitäten, Altersgruppen und Nationalitäten bunt gemischten Auditorium eher sachlich und konzentriert. Alle Filme hatten genaue Inhaltskennzeichnungen wie beispielsweise B (Bisexuell), D (Dokumentarfilm), FT (Fetisch), H (Hetero), L (Lesbisch) und/oder X (Explizite Sexszenen). Aufkommendes Unbehagen angesichts besonders herausfordernder sexueller Details entlud sich gelegentlich in Gelächter. Szenen, die einen stärkeren Lust- als Kritikfokus hatten, ernteten enthusiastischeren Applaus. Ansonsten fokussierte man sich auf den intellektuellen Austausch: Zu fast allen Filmen waren Produzent*innen, Regisseur*innen und/oder Darsteller*innen vor Ort für aufschlussreiche Frage- und Antwortrunden. Hier kam u. a. zur Sprache: Wie gut wurden die Darsteller*innen bezahlt? Verliefen die expliziten Sexszenen gemäß Skript oder improvisiert? Hatte die Produktionsfirma Cum Shots eingefordert? Gab es bei Food-Sex-Szenen mit Sahnetörtchen vegane Optionen?

Für den Kurzfilmwettbewerb hatte die Jury neun Filme aus neun Ländern ausgewählt. Eröffnet wurde er mit dem brasilianischen Film „Grindhouse Pussycat“. Gezeigt wird die sexy gestylte Protagonistin, wie sie im Oldtimer durch die Stadt cruist und immer wieder junge Anhalterinnen mitnimmt, die sich dann gefesselt und geknebelt im Kofferraum wiederfinden, bevor sie in einer Werkstatt sexuell missbraucht und gemessert werden. Am Ende wirft die Protagonistin ein blutgetränktes Bündel an den Straßenrand und steigt wieder in ihren Wagen. Der mit aggressiver Musik unterlegte Schwarzweiß-Stummfilm treibt sexuelle Gewaltfantasien auf die Spitze, ohne dass Männer mitspielen.

Es folgte der chilenische Film „Estrellarse“. Er zeigt in Großaufnahme ineinander verschlungene Seesterne und überblendet sie mit farblich harmonierenden Aufnahmen ineinander verschlungener nackter menschlicher Körper. Ruhige, friedliche, kreatürliche Bilder, die sich zwölf Minuten lang hinziehen. Man fragt sich derweil, ob hier womöglich selbstironisch der Film seinerseits „den Seestern macht“, entsprechend der Slang-Bezeichnung für passiv-langweiliges Verhalten im Bett.

In der französischen Produktion „Wrong Holes Only“ werden ausgiebig und ausschließlich Nasenlöcher mit Wattestäbchen und Zahnzwischenräume mit Zahnsteinkratzern penetriert, untermalt von hysterischem Gelächter der beiden Protagonistinnen. Das Publikum reagierte auf dieses Angebot, den traditionellen Sex in Richtung Coronatest-Sex und Zahnreinigungs-Sex weiterzuentwickeln sichtlich körperlich gequält, nicht ohne jedoch intellektuell anzuerkennen, wie wichtig es sei, die Komfortzone der bisherigen Sehgewohnheiten auch einmal zu verlassen.

Die deutsch-spanische Koproduktion „Asphyxia“ dagegen bleibt beim guten alten Analsex und präsentiert ihn in einer Variante mit erotischer Atemkontrolle. Zu sehen sind zwei Männer, wobei der eine erstmals Atemkontrolle mittels um den Kopf gewickelter Frischhaltefolie ausprobiert. Der Film zeigt unverkrampft und selbstverständlich, wie vor dem Sex Konsens ausgehandelt wird, was am Ende der Leidenschaft beim Ficken keinen Abbruch tut. Der Film ist durch seine Explizitheit und Dynamik geeignet, das Publikum zu erregen und zu berühren, und liefert dabei gleichzeitig Handlungsempfehlungen für die sichere Umsetzung von Kinks. Damit hebt er sich vom Mainstream-Porno ab, in dem Konsensaushandlungen, körperliche Vorbereitungen und Sicherheitsmaßnahmen meist ausgeblendet bleiben.

Diese vier Beispiele aus dem Kurzfilm-Wettbewerb illustrieren das Spektrum der Bemühungen, pornografische und sexuelle Konventionen im alternativen Pornofilm zu überwinden. „Wrong Holes Only“ gewann am Ende den Kurzfilmpreis für seine Neuinterpretation der Penetration. Die Lang- und Kurzfilme im Programm griffen eine Vielzahl von Themen und Motiven auf. Es gab Vorführungen von „Horror Porn Shorts“ ebenso wie von „Sex Work Shorts“, „Generations Shorts“, „Fetish Porn Shorts“, „Eco Porn Shorts“ oder „Art & Experimental Porn“. Bei den Langfilmen waren Parodien auf Superheldenfilme („Captain Faggotron Saves the Universe“) ebenso vertreten wie pornografische Varianten britischer Adelsserien („Ashton Manor“).

Der Dokumentarfilm „Artem & Eva“ ist eine deutsch-französisch-estländische Koproduktion unter Beteiligung von arte und daher bis Januar 2026 in der arte-Mediathek verfügbar (https://www.arte.tv/de/videos/105449–001-A/artem-eva/). Der Film begleitet über ein Jahr hinweg die junge russische Amateurdarstellerin Eva Elfie. Zusammen mit ihrem Freund Artem dreht sie einen Amateurporno, um ihr Studium in Moskau zu finanzieren. Doch dann wird sie zum Star unter den Amateur*innen, gewinnt einen Award für ihren auf der Mainstream-Plattform PornHub ausgespielten Content (https://de.pornhub.org/pornstar/eva-elfie), sammelt Millionen von Fans auf Instagram (https://www.instagram.com/theevaelfie) und TikTok (https://www.tiktok.com/@theevaelfie). Der Dokumentarfilm verfolgt ihren Aufstieg von der Hobbyistin zum Profi. Dieser Aufstieg wird begleitet vom wachsenden Unmut ihres Freundes, der sich – wie in heterosexuellen Beziehungen nicht selten – am Erfolg seiner Partnerin und ihrer damit wachsenden Unabhängigkeit stört. Der bei der Vorführung anwesende Produzent erläuterte dem vollbesetzten Kinosaal, warum der Film letztlich auch ein „Anti-Putin-Film“ sei, denn er spiegele den Ausbruch aus patriarchalen Traditionen und auch die Abwendung von Putins Russland. Vor allem aber gibt der Film der Darstellerin Eva Elfie eine Stimme, indem er unaufgeregt ihr Leben und ihre Persönlichkeit zeigt, ohne sie als Sexdarstellerin zum Opfer oder zum Vamp zu stilisieren.

Interessante kulturelle Einblicke vermittelte weiterhin das Format „Filmemacher*in/Darsteller*in im Fokus“, in dem unter anderem das Label „Instanbul Life“ präsentiert wurde. Als Sub-Label des Filmstudios Trimax im Jahr 1998 gegründet, verfolgte Istanbul Life das Konzept, erstmals in der Türkei Hardcore-Filme mit türkischen Darsteller*innen zu drehen. Der in Deutschland lebende Gründer Sevket Şahin erklärte dem Publikum, wie sie es vor einem Vierteljahrhundert schafften, in Istanbuler Sexclubs Darsteller*innen zu rekrutieren und heimlich schnell am Strand zu drehen, bevor sie erwischt werden konnten. Denn Porno-Drehs waren und sind in der Türkei verboten. Diese Produktionsbedingungen mögen erklären, warum in manchen der gezeigten Szenen die Protagonist*innen sich ausgerechnet auf steinigen Klippen räkeln und die Tonspur gänzlich von Möwenschreien dominiert ist. Şahin beschrieb dem amüsierten Publikum das Management seines Porno-Labels als erfolgreichen Familienbetrieb. Er selbst werde weitermachen, bis er 80 Jahre alt sei, das Geschäft halte ihn jung. Neue Porno-Drehs fänden allerdings seit Jahren nicht mehr statt. Es sei nicht mehr rentabel, mit der Filmcrew in die Türkei zu fliegen, Darsteller*innen zu engagieren, zu drehen und zu schneiden – für rund 5000 Euro pro Film. Die könne man heutzutage nicht mehr einspielen. Es sei wirtschaftlicher, für 1000 Euro die Lizenz eines US-Pornos zu erwerben und diesen online zu vermarkten. Die Zeiten, in denen er seine fertigproduzierten Instanbul-Life-Filme auf DVD von Deutschland an Restaurants in Istanbul versendete, wo sie unter dem Ladentisch weiterverkauft wurden, seien vorbei. Inzwischen vermarktet Trimax vor allem Hentai-Online-Pornos.

Alternative Porno-Labels, wie sie beim Pornfilmfestival präsentiert wurden, müssen sich auf die Digitalisierung einstellen, haben aber zunehmend kommerziellen Erfolg. Das zeigt sich daran, dass das Festival ohne staatliche Zuschüsse auskommt und von finanzkräftigen Sponsoren aus der Branche finanziert wird. Das Sponsoren-Verzeichnis (https://pornfilmfestivalberlin.de/sponsoren/) kann als Sprungbrett dienen, um alternative Pornografie-Angebote zu explorieren, die jedoch im Unterschied zum Mainstream-Angebot meist kostenpflichtig sind. Ein Beispiel ist das Label HardWerk (https://www.hardwerk.com/), das unter ethischen Produktionsbedingungen und mit filmisch hohem Anspruch Gruppensex-Szenarien dreht – vom 2Bang (klassisch bekannt als Dreier) bis zum Gangbang. HardWerk unterstützte das Pornfilmfestival 2023 als Sponsor, war aber auch mit einer eigenen Produktion vertreten, nämlich dem pornografischen Musikvideo „Träume“. Die witzige Parodie auf Schlagermusik mitsamt den lustvoll-fröhlichen 2Bang-Sexszenen begeisterte das Publikum. Zu erwerben sind die einzelnen HardWerk-Produktionen für rund 20 Euro pro Film. Dass alternative Pornografien wirtschaftlich Fuß fassen, zeigte auch das parallel zum Pornfilmfestival stattfindende Branchen-Event „Adult Industry Only“, bei dem sich Produzent*innen und Darsteller*innen vernetzten und über Zukunftsperspektiven austauschten, etwa den Einfluss von Social-Media-Plattform-Algorithmen und Künstlicher Intelligenz auf den Wirtschaftszweig.

Für die Sexualforschung und auch die Sexualpädagogik ist es wichtig, die Entwicklungen des Genres im Auge zu behalten und nicht bei der altbekannten Kritik am Mainstream-Porno stehen zu bleiben. Gleichzeitig regt das Festival an, die in der Forschung vernachlässigte Produktionsseite stärker zu fokussieren. Hier gibt es noch viele Mythen zu den Arbeitsbedingungen am Pornofilm-Set und zur Organisation der gesamten Porno-Industrie. Beobachtungs- und Befragungsstudien unter den Beteiligten wären somit aufschlussreich. Das Pornfilmfestival bietet ein Forum, um mit Pornodarsteller*innen und -produzent*innen zu sprechen anstatt nur über sie. Einzelheiten zum Programm sowie zahlreiche Film-Trailer sind der eingangs genannten Festival-Website zu entnehmen, die in ihrem Archiv auch frühere Jahrgänge des PFFB dokumentiert. Zudem wird zum Weiterrecherchieren eine nützliche Zusammenstellung von Pornfilm-Festivals in aller Welt bereitgestellt (https://pornfilmfestivalberlin.de/pornfilmfestivals-auf-der-welt/).



Publication History

Article published online:
18 December 2023

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