Z Sex Forsch 2020; 33(03): 175-177
DOI: 10.1055/a-1213-9185
Bericht

Berufsethische Standards für sexualpädagogisch Tätige in der Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp)

Maika Böhm
1   Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur, Hochschule Merseburg
,
Bernd Christmann
2   Institut für Erziehungswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
,
Andreas Gloël
3   pro familia Landesverband Hamburg e. V.
,
Anja Henningsen
4   Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, Fachhochschule Kiel
,
Tom Scheel
5   Centrum für Sexuelle Gesundheit, Rostock
,
Uwe Sielert
6   Institut für Pädagogik, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
,
Stefan Timmermanns
7   Fachbereich Arbeit & Gesundheit, Frankfurt University of Applied Sciences
› Author Affiliations

Sexualpädagog*innen begleiten Kinder, Jugendliche und Erwachsene als professionell Handelnde bei der Entwicklung ihrer möglichst selbstbestimmten sexuellen und geschlechtlichen Identität. Sie unterstützen zudem Eltern, Lehrkräfte und andere professionell Tätige bei der sexuellen Bildung und bewegen sich damit in einem persönlichkeitsrelevanten und sensibel zu handhabenden Themenbereich. Die Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp) hat in einem intensiven Prozess unter Beteiligung ihrer inzwischen fast 300 Mitglieder berufsethische Standards erarbeitet, die zur Qualifizierung einer professionsethischen Haltung der Vereinsangehörigen beitragen und für Konfliktfälle Kriterien für transparente Entscheidungen innerhalb der gsp bereitstellen. Sie dienen der Schärfung des Bewusstseins für ethische Fragestellungen als Voraussetzung für eine situationsangemessene ethisch verantwortbare Praxis.

Die Entwicklung der berufsethischen Standards ist vor dem Hintergrund der Bestrebung der gsp zu sehen, Kriterien für die Sicherung der Qualität und Professionalität in der sexualpädagogischen Arbeit zu schaffen. Dazu zählt beispielsweise die seit 2008 gut etablierte Vergabe des Qualitätssiegels als Ausweis einschlägiger Qualifizierung ([Sielert 2007]: 75). Das Siegel bildet allerdings eher den Umfang von absolvierten Qualifizierungen ab und verpflichtet damit nicht ausreichend zu einer berufsethischen Grundhaltung. Mit Blick auf ethische Standards und Kodizes etwa in der Sozialen Arbeit (z. B. Berufsethik des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit (DBSH), der auf internationalen Standards des Dachverbands International Federation of Social Workers (IFSW) beruht) oder Psychologie (Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen) wurde im Rahmen der gsp-Mitgliederversammlung 2017 durch den Vorstand die Entwicklung eigenständiger Richtlinien initiiert. Damit wurde auch der zunehmend gesteigerten Bedeutung professionsethischer Prinzipien im Rahmen des Schutzes von Adressat*innen Rechnung getragen ([Misamer 2018]; [Retkowski und Thole 2012]).

Weiterhin sollen die Standards die gsp als Berufsverband stärken, indem sie einen Bezugspunkt für die verbandlichen Funktionen der Konfliktmoderation und – im Extremfall – auch der Sanktionierung bei entsprechenden Verstößen oder Missachtungen bilden. Ebenso ist damit eine Stärkung des gesellschaftspolitischen Ansehens, vor allem im sensiblen Bereich sexueller Bildung, intendiert. Damit verbunden ist der erklärte Wunsch, dass die Standards auch über die Mitgliederschaft der gsp hinaus für sexualpädagogisch Tätige Orientierung stiften. Dabei geht es weniger darum, unmittelbare Vorgaben für sexualpädagogisches Handeln zu vermitteln, als vielmehr um eine Schärfung des Blicks dafür, was ethische Fragen sind, und die damit verbundene Erweiterung der professionellen Kompetenz zur Analyse ethischer Problemsituationen und der Suche nach adäquaten Lösungen. Professionelle Autonomie sexualpädagogisch Tätiger soll auf diese Weise eine Stärkung erfahren.

Neben dem Vorstand der gsp war an der Erarbeitung der Standards maßgeblich eine Konzeptgruppe beteiligt, in der hauptsächlich gsp-Mitglieder aus unterschiedlichen fachlichen Kontexten und Handlungsfeldern zusammenkamen. In drei inhaltlichen Bereichen adressieren die Standards Aufgaben und Selbstverständnis sexualpädagogisch Tätiger, sexualpädagogische Praxis sowie die sexualpädagogische Profession. Auf diese Weise sollen möglichst umfänglich relevante persönliche Kompetenzen, praxisbezogene Aspekte und fachliche Rahmenbedingungen abgebildet werden.

Der Entwicklungsprozess und das teils sehr ausführliche Ringen um die jeweils angemessensten Formulierungen wurden von den Beteiligten als sehr intensiv empfunden. Darin spiegelt sich wider, dass der vorliegende Text einen Fluchtpunkt für die Vielfalt der in der gsp vertretenen Positionen und Haltungen darstellt. Kontroverse Diskussionen, wie beispielsweise um die Frage nach dem adäquaten Umgang mit institutionellen Rahmenbedingungen wie etwa der Pflicht zu Teilnahme am schulischen Sexualkundeunterricht, stehen beispielhaft für die zahlreichen Ambivalenzen, die für die Sexualpädagogik prägend sind. Dass mit den berufsethischen Standards der gsp ein konsensfähiger Text entstanden ist, ist daher auch nicht mit einer Auflösung dieser Ambivalenzen gleichzusetzen. Vielmehr sind Sexualpädagog*innen dazu aufgefordert und dazu eingeladen, sich vor dem Hintergrund dieser Standards bewusst und reflektiert mit Ambivalenzen auseinanderzusetzen.

Die Ethikstandards wurden im Rahmen der Mitgliederversammlung der gsp im September 2019 in Merseburg vorgestellt, nochmals diskutiert und zum Jahresende schließlich vorläufig finalisiert. Im Sinne eines prozesshaften Verständnisses von Professionsethik ist eine regelmäßige Revision vorgesehen. Weiterhin wurde die Einrichtung eines Ethikausschusses beschlossen, dessen Mitglieder zentrale Ansprechpersonen für ethisch grundierte Fragestellungen sein sollen. Dieser Auftrag wird aus Gründen der Mitbestimmung vermutlich auf einer der nächsten Mitgliederversammlungen umgesetzt werden. Bis dahin übernimmt der Vorstand die Aufgaben des Ethikausschusses.

Bernd Christmann und Uwe Sielert
(für den Vorstand)

Der hier vorgelegte Ethikkodex formuliert ethische Maßgaben für das professionelle Handeln von Sexualpädagog*innen der gsp, wohl wissend, dass durch Selbstverpflichtung nur eine Annäherung nach bestem Können, Wissen und Gewissen gelingen kann. Der Text dient der kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit der sexualpädagogischen Berufspraxis und wird aufgrund neuer Erfahrungen und Erkenntnisse kontinuierlich weiterentwickelt.

Mit der Mitgliedschaft erkennen die Sexualpädagog*innen der gsp diese Standards als handlungsleitend an. Sie werden alle drei Jahre auf der Mitgliederversammlung anlässlich der Wahl der Mitglieder des Ethikausschusses diskutiert und ggf. aktualisiert.



Publication History

Article published online:
16 September 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

 
  • Literatur

  • Misamer M. Machthandeln und professionsethische Prinzipien in der Kinder- und Jugendhilfe. Soziale Passagen 2018; 10: 231-244
  • Retkowski A, Thole W. Professionsethik und Organisationskultur. Sozialpädagogische Professionalität und sexuelle Gewalt – Erkundungen zu einem vernachlässigten Thema. In: Thole W, Baader M, Helsper W. et al., Hrsg. Sexualisierte Gewalt, Macht und Pädagogik. Opladen: Barbara Budrich; 2012: 291-315
  • Sielert U. Sexualerziehung und Sexualpädagogik in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2007; 50: 68-77