Diabetologie und Stoffwechsel 2014; 9(6): 401-402
DOI: 10.1055/s-0034-1397459
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Ein halbes Jahrhundert Diabetologie – Diabetes und Führerschein

Hellmut Mehnert
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Publication Date:
29 December 2014 (online)

Es ist sicherlich ein immer wieder anzutreffendes Vorurteil, dass Diabetiker ein zusätzliches Risiko für die Sicherheit im Straßenverkehr darstellen. Im Gegensatz hierzu haben Untersuchungen, wie sie schon Geritzen aus Holland vor Jahrzehnten durchgeführt hatte und später bestätigt wurde, gezeigt, dass Diabetiker sogar weniger Verkehrsunfälle verursachen als Nichtdiabetiker. Und dies trotz des zweifellos vorhandenen Risikos von Hypoglykämien bei insulin- oder sulfonylharnstoffbehandelten Patienten. Allerdings sollte diese Aussage zuckerkranke Kraftfahrer nicht dazu verleiten, sich ohne Vorkehrung und sorglos in den Straßenverkehr zu begeben. Sonst gibt es wirklich Ärger mit dem Führerschein.

In einer Gruppe I mit der Fahrerlaubnis für die Führerscheinklassen A, A 1, B, BE, C 1 kann eine Fahrerlaubnis vorbehaltlich des Gutachtens einer zuständigen ärztlichen Stelle und einer regelmäßig für den betreffenden Fall geeigneten Kontrolle durch den Hausarzt oder Diabetologen erstmals erteilt oder aber erneuert werden. Schließlich ist Mobilität eines der Grundbedürfnisse des Patienten in der modernen Gesellschaft und zwar im privaten Bereich wie auch im Berufs- und Arbeitsleben.

Hinsichtlich der Fahrerlaubnis für die Führerscheinklassen C, C1E, D, D1, DE, D1E (Gruppe 2), also für das Führen von Kraftfahrzeugen wie Omnibussen oder Fahrzeugen, die dem Personentransport dienen, sowie von LKWS, die für den Warentransport einschließlich des Transports gefährlicher Güter verantwortlich sind, müssten natürlich in gesundheitlicher Hinsicht unter höhere Verantwortung gestellt werden, die einer entsprechenden ärztlichen, fachärztlichen und verkehrsmedizinischen Untersuchung und Beurteilung unterliegen. Dies entspricht auch einer gerade aktualisierten Begutachtungsrichtlinie der Bundesanstalt für Straßenwesen.

Es ist festzuhalten, dass die Mehrzahl der Diabetiker durchaus die Anforderungen an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 erfüllen. Bei der Gruppe 2 sind vor allem das Therapieschema und die Fahrzeugbenutzung zu berücksichtigen. Die Fahreignung muss jedoch auch eingeschränkt oder ausgeschlossen werden können, nämlich immer dann, wenn durch unzureichende Behandlung, durch Nebenwirkungen der Behandlung oder durch Komplikationen im Sinne von verkehrsgefährdenden Folgeschäden entstehen oder womöglich in nächster Zukunft zu erwarten sind. Immer wieder ist zu betonen, dass alle Fahrzeugführer mit Diabetes der individuellen Beurteilung unterliegen im Hinblick auf die Frage, ob ihre Fähigkeiten der Mindestanforderung zum Führen von Kraftfahrzeugen entsprechen.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Hauptproblem für entsprechend medikamentös behandelte Diabetiker in der Hypoglykämie liegt. Nach verkehrsmedizinischen Aspekten werden davon drei Gruppen von Diabetikern entsprechend ihrer Behandlungsart und Kontrollbedürftigkeit unterschieden. 1. Allein mit Ernährungstherapie behandelte Diabetiker oder aber Zuckerkranke, die mit nicht insulinotropen Substanzen (Biguanide, Acarbose, Glitazon, SGLT2-Rezeptoren) oder mit DPP4-Inhibitoren behandelt werden, können uneingeschränkt am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen. 2. Solche Patienten, die mit oralen Antidiabetika vom Sulfonylharnstofftyp, insbesondere Glibenclamid und Glimepirid, therapiert werden, sind bei entsprechender Schulung und Aufmerksamkeit des Patienten durch Hypoglykämien nicht so weit gefährdet, daß sie nicht den generell gestellten Anforderungen beim Führen eines Kraftfahrzeuges gerecht werden können. 3. Mit Ernährungstherapie und Insulin, auch mit Insulin und oralen Antidiabetika behandelte Diabetiker bilden eine Gruppe für sich. Hierbei spielt die Höhe der erforderlichen Insulindosis keine Rolle, ja man muss sogar sagen, dass insulinresistente Typ-2-Diabetiker mit hoher Insulindosis weniger hypoglykämiegefährdet sind als Typ-1-Patienten. Sie sind deswegen in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen gerecht zu werden, Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 zu führen. Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 können sie jedoch durchaus benutzen, wenn bei den Patienten davon auszugehen ist, dass sie auftretende Hypoglykämien und Hyperglykämien bemerken und erfolgreich behandeln (s. u.).

Folgende Auflagen für die Stoffwechselkontrolle werden in einem Gutachten „Krankheiten und Kraftverkehr“ gemacht: Gefahrengruppe 1: regelmäßige Stoffwechselkontrollen, Beratung durch den Arzt im Abstand von etwa 12 Wochen, Stoffwechselselbstkontrollen mit Dokumentation der Befunde. Gefahrengruppe 2: regelmäßige Stoffwechselkontrollen und Beratung durch den Arzt im Abstand von etwa 8 Wochen, Stoffwechselselbstkontrollen mit Dokumentation der Befunde. Gefahrengruppe 3: regelmäßige Stoffwechselkontrollen und Beratung durch den Arzt im Abstand von etwa 6 Wochen, Stoffwechselselbstkontrollen mit Dokumentation der Befunde.

Im übrigen sollte bedacht werden, dass die Sehfunktion (Retinopathie!) und der Allgemeinzustand (kardiovaskuläre Komplikationen!) regelmäßig überprüft werden. Ein genereller teurer Eignungstest für Diabetiker, nicht selten auch als „Depperltest“ bezeichnet, muß nicht mehr abgelegt werden. Hingegen liegt die Empfehlung vor, dass zusätzlich eine Kontrollkarte wie der Diabetiker-Ausweis mit Untersuchungsdaten mitgeführt werden soll, ebenso wie die Richtlinien für kraftfahrzeugführende Diabetiker. Diabetische Führerscheinbewerber müssen ein Zeugnis ihres behandelnden Arztes vorlegen, in dem besonders die Klassifikation des Diabetes, die Güte der Stoffwechselführung, die Häufigkeit der Selbstkontrollen sowie die Hypoglykämiegefährdung beleuchtet werden. Unter Umständen sind solche Zeugnisse in regelmäßigen Abständen erforderlich. Es besteht im Übrigen keine Meldepflicht bei nachträglichem Diabetes. Ausnahmen sind aber solche speziellen Führerscheingruppen, die regelmäßigen Untersuchungen unterzogen werden und dabei den Diabetes angeben müssen, sowie Autofahrer, die wegen des Diabetes am Steuer auffällig geworden sind. Jeder zuckerkranke Patient muss, wenn er Insulin spritzt oder Sulfonylharnstoffe nimmt, sich darüber im Klaren sein, dass beim Auftreten einer Hypoglykämie nicht nur er, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet sind. Er wird dann wie ein Gesunder strafrechtlich voll verantwortlich behandelt, obwohl während der Untersuchung sein Bewusstsein getrübt gewesen sein kann, es sei denn, er kann nachweisen, dass er alle nur erdenklichen Vorkehrungen dagegen getroffen hat, dass er in ständiger ärztlicher Überwachung stand und dass er gut eingestellt war. Aufzeichnungen über die Selbstkontrolle sind dabei unentbehrlich. Kommt es trotz aller Vorsichtsmaßregeln zu einer schweren Unterzuckerung mit Rückfallfolge wird dem Betreffenden vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit oder verminderte Zurechnungsfähigkeit zugebilligt. Sinngemäß wird auch bei anderen, eher seltenen Delikten verfahren, die während einer Unterzuckerung unter Bewusstseinseinschränkung begangen worden sind. Im Falle eines Verkehrsdelikts kann der Führerschein einbehalten werden, damit einer Wiederholung vorgebeugt wird. Wenn der behandelnde Arzt feststellt, dass sein Patient nicht kooperativ ist und wiederholt durch Hypoglykämien im Straßenverkehr auffällt, gilt es abzuwägen was stärker wiegt, die ärztliche Schweigepflicht und der Datenschutz oder die Gefährdung der Allgemeinheit durch den hypoglykämisierten Patienten. Im Zweifelsfall soll der Arzt in einer solchen Situation den Richter am zuständigen Amtsgericht anrufen und sich – bei entsprechendem Vermerk im Krankenblatt – beraten lassen.

Einem Merkblatt für Regeln für einen autofahrenden Diabetiker ist folgendes zu entnehmen: In erster Linie garantiert eine ausgeglichene Stoffwechsellage, dass Hypoglykämien möglichst vermieden werden. Vor jedem Antritt einer längeren Autofahrt muss der Blutzucker kontrolliert werden und, wenn er zu niedrig ist, muss durch zusätzliche Kohlenhydrate einer Hypoglykämie vorgebeugt werden. Wir empfehlen, dass grundsätzlich jeder Diabetiker vor Antritt einer Autofahrt 2–3 Broteinheiten zu sich nehmen soll, um bei entsprechenden Medikamenten einer Hypoglykämie vorzubeugen. Keinesfalls soll vor Antritt einer Fahrt mehr als die übliche Insulinmenge gespritzt werden. Keinesfalls darf eine Autofahrt angetreten werden, wenn der hinreichende Verdacht auf eine beginnende oder abklingende Hypoglykämie besteht. Neben der erwähnten Kohlenhydratzufuhr soll die gewohnte Ernährung eingehalten werden und zwar sowohl im Hinblick auf Haupt-, als auch auf Zwischenmahlzeiten. Nach jeder Stunde sollte eine „Kleinigkeit“ gegessen werden und alle zwei Stunden eine Bewegungspause gemacht und eine bestimmte Menge an Kohlenhydraten zu sich genommen werden. Die vorbereiteten Zwischenmahlzeiten sollten stets im Auto mitgeführt werden. Aber auch schnell wirkende Kohlenhydrate z. B. in Form von Traubenzucker müssen griffbereit sein. Mitreisende sollen informiert werden, wo dieser Reservezucker im Notfall zu finden ist. Wenn auch nur der geringste Verdacht auf eine Unterzuckerung besteht muss sofort angehalten werden. Schnell verfügbare Kohlenhydrate (Traubenzucker, Cola, Fruchtsäfte) müssen eingenommen, und es muss gewartet werden, bis die Hypoglykämie überwunden ist. Auch nachdem die Unterzuckerung vorbei ist, soll sicherheitshalber noch 15 Minuten bis zur Weiterfahrt abgewartet werden. Keinesfalls sollte vor oder während der Fahrt Alkohol getrunken werden, nicht nur wegen der bekannten verderblichen Folgen des Überschreitens der Promillegrenze, sondern auch wegen der Bremsung der Glukoneogenese durch den Alkohol, vor allem bei Diabetikern. Wahrscheinlich sind die günstigen Zahlen für Unfälle von Diabetikern im Straßenverkehr (siehe oben) auch darauf zurückzuführen, dass zuckerkranke Patienten besonders vorsichtig und wahrscheinlich vorsichtiger als Nichtdiabetiker mit Alkohol umgehen. Nachtfahrten oder sehr lange Autofahrten, die den gewohnten Lebensrhythmus und damit die gewohnte Diabetes-Einstellung irritieren, sollen vermieden werden. Eine Begrenzung der eigenen Geschwindigkeit gibt im Übrigen den Diabetikern und anderen mehr Sicherheit im Straßenverkehr.