Rofo 2013; 185(8): 768-769
DOI: 10.1055/s-0033-1335435
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Infantile aufsteigende hereditäre spastische Paralyse (IAHSP): MRT-Befunde bei einem 15-jährigen Mädchen

K. Goller
,
C. Reihle
,
S. Meckel
Further Information

Publication History

11 January 2013

03 April 2013

Publication Date:
21 May 2013 (online)

Einleitung

Die infantile aufsteigende hereditäre spastische Paralyse (IAHSP, auch „Infantile-onset Ascending Hereditary Spastic Paralysis with bulbar involvement“) ist eine relativ neu definierte, seltene Form der motoneuronalen Erkrankungen des Kindesalters, die in den ersten zwei Lebensjahren durch eine aufsteigende Spastik der unteren Extremität auffällt (Yang Y et al. Nat Genet 2001; 29: 160 – 165; Lerman-Sagie T et al. J Child Neurol 1996; 11: 54 – 57). Typisch sind die langsame Progredienz und Ausdehnung auf die oberen Extremitäten und motorischen Hirnnerven, welche in eine spastische Tetraparese, Anarthrie, Dysphagie und langsame Augenbewegungen bei allgemein erhaltener Intelligenz münden. Bei einem Teil der Patienten ist eine Mutation im ALS-2-Gen (Alsin-Protein) nachweisbar, das gehäufte Auftreten bei Kindern von konsanguinen Eltern lässt eine autosomal rezessive Vererbung vermuten (Eymard- Pierre E et al. Am J Hum Genet 2002; 71: 518 – 527).

Wir berichten über ein jugendliches Mädchen mit einer progredienten spastischen Gangstörung. Typische klinische und zerebrale MRT-Befunde ermöglichten trotz negativen Nachweises einer ALS-2-Gen-Mutation die Diagnose der IAHSP. Wir werden nachfolgend die bildgebenden Befunde und Differenzialdiagnosen dieser seltenen Erkrankung diskutieren.

Fallbericht

In unserem neuropädiatrischen Zentrum wurde ein 15-jähriges Mädchen mit einer progredienten Tetraspastik und Sprechstörung zur Abklärung einer neurodegenerativen Erkrankung vorgestellt. Nach unauffälliger Schwangerschaft und normaler Geburt hatte das Mädchen zunächst eine Phase mit normaler psychomotorischer Entwicklung durchlaufen. Sie konnte mit 7 Monaten ohne Unterstützung sitzen und mit 12 Monaten frei gehen, erste Worte sprach sie mit 11 Monaten. Im Alter von 18 Monaten kam es zu vermehrten Stürzen. Es entwickelte sich eine progrediente aufsteigende Spastik zunächst der unteren, dann der oberen Extremitäten. Im 7. Lebensjahr hatte das Mädchen die Gehfähigkeit verloren und ist seither an den Rollstuhl gebunden.

Klinisch bestand aktuell eine ausgeprägte Tetraspastik mit Hüft- und Kniebeugerkontrakturen und Kyphoskoliose, sensible Ausfälle fanden sich nicht. Es lag auch eine Sprechstörung mit sehr leiser und verwaschener Sprache im Sinne einer Dysarthrie vor – Kommunikation war nur noch in Form von Ein- Wort- Sätzen möglich – bei allgemein erhaltenem Sprachverständnis. Die kognitive Testung ergab einen normalen IQ. Das Seh- und Hörvermögen war normal, ebenso das EEG. In der zerebralen MRT-Untersuchung fielen langstreckige bilaterale Signalanhebungen in den FLAIR- und T2-Sequenzen im Centrum semiovale auf, welche über die Corona radiata in den hinteren Kapselschenkel bis in den pontomesencephalen Übergang reichen ([Abb. 1]). Diese Signalanhebungen zeigten sich isointens in der T1-Sequenz und es fand sich ein T2-Shine-through-Phänomen in der diffusionsgewichteten Sequenz. Eine Hirnvolumenminderung oder Atrophie des Hirnstamms wurde nicht beobachtet. Eine spinale Bildgebung erfolgte nicht. In der sagittalen T1-Sequenz wurde das zervikale Myelon bis HWK 4 abgebildet, ohne hier sichtbare Auffälligkeiten ([Abb. 1 d]). Die molekulargenetische Diagnostik konnte keine Mutation im ALS-2-Gen nachweisen.

Zoom Image
Abb. 1 Bilaterale hyperintense Darstellung des Tractus corticospinalis (Pfeile) im koronaren FLAIR-Bild a, analog hyperintense Darstellung des Tractus corticospinalis beidseits im Bereich des Crus posterior der Capsula interna im axialen T2-gewichteten Bild (Pfeile in b). Das diffusionsgewichtete Bild c zeigt ein T2-Shine-through-Phänomen (Pfeile in c) mit hyperintensem ADC-Korrelat (Bild nicht gezeigt) der Pyramidenbahn. Das sagittale T1-gewichtete Bild d zeigt eine normale Anatomie von Hirnstamm und oberen zervikalen Myelon ohne auffällige Atrophie.

#