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DOI: 10.1055/a-2246-1506
Kommentar zu: Chronische Lumbago: Welche Ursachen liegen Modic I-Läsionen zu Grunde?
Rückenschmerzen stellen eine weit verbreitete gesundheitliche Belastung dar, was bei der zunehmend alternden Bevölkerung eine zusätzliche Belastung für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem bedeutet. Häufig können keine spezifischen Ursachen für die Rückenschmerzen identifiziert werden, was die Behandlung erschwert. Die traditionellen Behandlungsansätze greifen noch zu wenig weit, um eine gezielte Therapie forcieren zu können. Mit der vorliegenden Studie werden die Weichen gestellt für einen möglichen neuen fokussierten Therapieansatz, zumindest für eine bestimmte Patientenpopulation.
Um den Rückenschmerz spezifisch nennen zu können, muss eine entsprechende Wirbelsäulenpathologie identifiziert werden können. Ein Erklärungsansatz stellen die von Herrn Modic 1988 radiologisch definierten Modic Veränderungen der Endplatten (Typ 1–3 plus Mischformen) dar [1] [2]. Typ 1 zeigt inflammatorische Veränderungen, Typ 2 entspricht einem fettigen Umbau des Knochenmarkes und Typ 3 beinhaltet sklerosierte Endplatten. Von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen haben etwa 22% (12–37%) Modic 1 oder gemischte Modic 1/2 Veränderungen. Der Haupttyp Modic 2 isoliert kommt weniger häufig vor. Der Haupttyp Modic 3 wird nicht mit Rückenschmerzen assoziiert [3]. Die genaue Aetiologie bleibt jedoch noch unklar. Auch bleibt offen, ob die unterschiedlichen Typen ein Kontinuum eines Krankheitsbildes sind oder ob es sich tatsächlich um unterschiedliche Typen handelt. Ätiologisch kommen zwei Hypothesen infrage: einerseits eine Dysbiose einer intial gesunden Mischflora und andererseits opportunistische pathogene (Haut-)keime, welche sich im sauren Milieu einer degenerierten Bandscheibe-/Endplatte einnisten.
In dieser aufwendigen Studie aus dem Grundlagenforschungsbereich wird vom Grundprinzip einer möglichen bakteriellen Ursache für zumindest einen Teil dieser Veränderungen ausgegangen. Die Autoren haben zwei Subtypen von Modic-Typ-1-Veränderungen identifiziert, die radiologisch nicht zu unterscheiden sind: einen bakteriellen und einen nicht-bakteriellen Subtyp. Für den bakteriellen Subtyp konnte eine erhöhte Menge an Cutibacterium acnes in den untersuchten Bandscheiben nachgewiesen werden. Diese Unterscheidung ermöglicht eine bessere Patientenstratifizierung für eine gezieltere Behandlung. Drei randomisierte kontrollierte Studien haben in der Vergangenheit eine Antibiotikatherapie bei Modic-Veränderungen untersucht, wobei Patienten mit Modic-Veränderungen statistisch signifikant besser abschnitten als die Placebo-Gruppe [4] [5] [6]. Allerdings variierte die Effektstärke aufgrund fehlender Stratifizierung in diesen Studien und eine signifikante klinische Verbesserung (MCID = minimal clinically important difference) wird nicht bei allen erreicht. Zudem erscheint eine 100-tägige Antibiotikatherapie nicht zielgerichtet und bei nicht-bakteriellem Subtyp eher kontraproduktiv (vermehrte Nebenwirkungen und Resistenzen).
Die aktuelle Studie zeigt, dass nicht alle Patienten mit Modic-Typ-1-Veränderungen von einer Antibiotikatherapie profitieren können, was die mögliche Notwendigkeit einer gezielten Antibiotikatherapie bei bakteriellen Subtypen unterstreicht.
Eine weitere klinische Implikation dieser Studie ist die Reevaluation einer der gängigen Therapien für Modic-Typ-1-Veränderungen, welche Applikation von intradiskalen Steroiden umfasst. Diese sollte gemäß den vorliegenden Studienergebnissen erst nach Ausschluss des bakteriellen Subtyps in Betracht gezogen werden, um potenzielle Infektionen zu vermeiden.
Die Wichtigkeit der Erkenntnisse dieser Studie für den Wirbelsäulenchirurgen ist evident. Sollte tatsächlich ein bakterieller Subtyp existieren, müsste vor einer allfälligen Spondylodese ein bakterieller Subtyp ausgeschlossen bzw. auch antibiotisch therapiert werden.
Zur klinischen Identifikation der Subtypen bringen die Autoren einen Lösungsansatz mit: Es wurden potenzielle Blutbiomarker (Interleukine) zur Unterscheidung der Subtypen festgestellt, welche durch einen simplen Labortest zukünftig bei der Diagnose eingesetzt werden könnten.
Trotz der Stärken der Studie gibt es einige Limitationen, die berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören Stichprobengröße und die fehlende Stratifikation der Studienpopulation nach den assoziierten Biomarkern. C. acnes wurden mittels genome copy numbers (GCN) identifiziert. Zu beachten ist, dass GCNs jedoch keinen direkten Rückschluss auf die Pathogenität der Bakterien zulässt.
Hervorzuheben ist auch, dass aktuell sicherlich noch zu wenig Evidenz vorliegt, um Patienten bei Rückenschmerzen bereits jetzt antibiotisch zu behandeln.
Die Studie zeigt jedoch einen neuen potenziellen Behandlungsansatz auf und macht Hoffnung für Patienten, welche an chronischen Rückenschmerzen leiden. Sie sensibilisiert für das Verständnis der Modic-Veränderungen und eines möglichen bakteriellen Subtyps. Sie hebt die Bedeutung der Identifikation von Biomarkern hervor, die auch im hausärztlichen Umfeld bestimmt werden könnten, was den Behandlungsalgorithmus maßgeblich beeinflussen könnte.
Die zukünftige Forschung sollte sich auf die Validierung der identifizierten Biomarker und die Optimierung der Behandlungsstrategien konzentrieren und mittels einer randomisierten Studie die Effektivität einer Antibiotikabehandlung für diesen bakteriellen Subtyp evaluieren.
Publication History
Article published online:
13 August 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Modic MT, Steinberg PM, Ross JS. et al. Degenerative disk disease: assessment of changes in vertebral body marrow with MR imaging. Radiology 1988; 166: 193-199
- 2 Modic MT, Masaryk TJ, Ross JS. et al. Imaging of degenerative disk disease. Radiology 1988; 168: 177-186 DOI: 10.1148/radiology.168.1.3289089. (PMID: 3289089)
- 3 Czaplewski LG, Rimmer O, McHale D. et al. Modic changes as seen on MRI are associated with nonspecific chronic lower back pain and disability. J Orthop Surg Res 2023; 18: 351
- 4 Albert HB, Sorensen JS, Christensen BS. et al. Antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and vertebral bone edema (Modic type 1 changes): a double-blind randomized clinical controlled trial of efficacy. Eur Spine J 2013; 22: 697-707
- 5 Bråten LCH, Rolfsen MP, Espeland A. et al. Efficacy of antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and Modic changes (the AIM study): double blind, randomised, placebo controlled, multicentre trial. BMJ 2019; 367: l5654
- 6 Al-Falahi MA, Salal MH, Abdul-Wahab DM. Antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and vertebral bone edema (Modic type I changes): A randomized clinical controlled trial of efficacy. IPMJ 2014; 13: 390-397