Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie 2019; 51(03): 165-167
DOI: 10.1055/a-0961-6174
Sehen und verstehen – KFO im Video
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Piezochirurgische kortikale Entlastung bei Borderline-Patienten mit transversalem Defizit

Brigitte Wendl
1   Klinische Abteilung für Orale Chirurgie und Kieferorthopädie, Universitätsklinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit, Medizinische Universität Graz, Graz, Österreich
,
Martin Koller
2   Klinische Abteilung für Zahnerhaltung, Parodontologie und Zahnersatzkunde, Universitätsklinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit, Medizinische Universität Graz, Graz, Österreich
,
Norbert Jakse
1   Klinische Abteilung für Orale Chirurgie und Kieferorthopädie, Universitätsklinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit, Medizinische Universität Graz, Graz, Österreich
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Publication Date:
17 September 2019 (online)

Im Video wird das Vorgehen einer kortikalen piezochirurgischen Entlastung zur transversalen Expansion bei Patienten mit leichtem bis mittelschwerem transversalen Defizit vorgestellt. Dieser chirurgische Eingriff kann ambulant in Lokalanästhesie durchgeführt werden.

Die zunehmende Verknöcherung der midpalatinalen Sutur, die einer starken Variabilität unterliegt, und die zunehmende Rigidität der Umgebungssuturen erschweren mit fortschreitendem Alter die Expansion, wobei Ausmaß und Stabilität limitierende Faktoren sind [1] [2] [3] [4]. Laut Vanarsdall [5] [6] nimmt mit dem Alter die dentale Kippbewegung, mit einem damit verbundenen höheren Risiko für entstehende Zahnfleischrezessionen, zu. Dies steht im Einklang mit der Arbeit von Northway und Meade [7], die festgestellt haben, dass durch die chirurgisch unterstützte Expansion, weniger Zahnbewegungen und größere skelettale Veränderungen in der transversalen Dimension erreicht werden können. Andererseits konnten Cureton und Cuenin [8] eine parodontale Schädigung der zentralen Schneidezähne nach chirurgisch unterstützter Expansion zeigen. Dennoch gilt die chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung (surgically assisted rapid maxillary expansion – SARME) als sicherer und stabiler Eingriff mit nur minimalem parodonalen Risiko [9]. Neue Möglichkeiten erbrachten skelettale Verankerungssysteme, die mit und auch ohne chirurgische Unterstützung eine erfolgreiche transversale Expansion ermöglichen [10] [11] [12]. Piezochirurgische Kortikotomien [13] sind eine weitere weniger invasive Möglichkeit, transversale Defizite im Oberkiefer zu korrigieren.

Standard-Expansionsapparatur: Hybridexpansionsapparatur ([Abb. 1]), Power Screw Hexagonalschraube (Tiger Dental, Artikelnummer: 10968). Die Abstützung erfolgt auf 2 Minischrauben (Jet screw: Länge 12–14 mm, Durchmesser 2,5 mm, Jeil Medical, South Korea), die palatinal in der sogenannten M4-Position nach Winsauer ([Abb. 2]) gesetzt werden, und auf den ersten Molaren in zementierter Form (im Video: Haas-Apparatur mit Bändern auf den Prämolaren und Molaren).

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Abb. 1 Hybridexpansionsapparatur.
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Abb. 2 M4-Position (Footprint-Region) palatinal nach H. Winsauer (Quelle: Wendl B, Winsauer H. et al. Borderline-Behandlung bei Patienten mit transversalem Defizit. Inf Orthod Kieferorthop 2017; 49: 262–270).

Anschließend erfolgt der ambulante piezochirurgische Eingriff ([Video 1] und [Abb. 3]). Dabei wird über 5 vestibuläre vertikale Inzisionen tunnelierend der gesamte bukkale Anteil des Oberkieferalveolarfortsatzes dargestellt und piezochirurgisch von median bis zum Processus ptyerygoideus beidseits, über den Apices, die bukkale Kortikalis horizontal im LeFort-I-Niveau osteotomiert. Dazu kommen beidseits vertikale Osteotomien distal der Region der dritten Molaren und eine mediane sagittale Osteotomie im Verlauf der verknöcherten Gaumennaht, um in der Folge die kieferorthopädische Expansion zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Bereits intraoperativ wird das Expansionsgerät aktiviert.

Video 1 Piezochirurgische Kortikotomie zur Unterstützung der transversalen Expansion bei erwachsenen Patienten (Chirurg: Univ.-Prof. Dr. N. Jakse) (http://dx.doi.org/10.1055/a-0961-6174).


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Abb. 3 Darstellung der piezochirurgischen Inzisionen.

Das Protokoll der piezochirurgisch unterstützten Expansion ist, wie folgt, festgelegt:

  1. Einbau der Apparatur

  2. Multizyklisches Drehprotokoll der Schraube: Expansion und Konstriktion bis zum Erreichen der Spannungsgrenze (bis zum geplanten chirurgischen Eingriff)

  3. Piezochirurgische-Kortikotomie: bukkal und median

  4. Danach wird die Apparatur bis zu dem festgelegten Soll aufgedreht

  5. 2–3 mm Überkorrektur

Bei den behandelten Patientenfällen im Erwachsenenalter wird eine piezochirurgische Kortikotomie unterstützend durchgeführt, um den Stress und die Spannung auf den Kiefer geringer zu halten [14] und eine Öffnung der medianen Sutur zu ermöglichen. Insgesamt ist dieses Vorgehen, im Vergleich zu einer kompletten LeFort-I-Osteotomie mit Gaumennahtsprengung und Down-Fracture in Intubationsnarkose, ein geringeres invasives ambulantes Vorgehen in Lokalanästhesie. Bezüglich der Pterygoidseparation gibt es unterschiedliche Untersuchungen. Während Zandi und Coworker [15] mit und ohne Pterygoidseparation ähnliche Ergebnisse erreichen konnten, haben Möhlhenrich und Mitarbeiter [16] eine eher V-Förmige Expansion bei fehlender Durchtrennung der pterygomaxillären Sutur festgestellt. Deshalb wird bei unseren Patienten auch am Pterygoid eine Kortikotomie durchgeführt. Die 3D-Modellanalyse sowie die DVT-Befunde zeigten eine körperliche Expansion mit nur minimalen dentalen Kippbewegungen ([Abb. 4]).

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Abb. 4 a Situation nach der Expansion mit provisorischer Kunststoffverbreiterung der Oberkieferinzisivi und Vollbogenbehandlung; b–d Die DVT-Aufnahmen zeigen die gute alveoläre Position der Zähne.

Durch die Verwendung von knochengetragenen Expandern können, bei parodontaler Vorschädigung, die Entstehung von Dehiszenzen, Rezessionen vermieden [17] und mehr skelettale Expansion erreicht werden. Insbesondere sind skelettal getragene Expansionsapparaturen bei vertikalem Wachstum von Vorteil [18] [19]. In einer chinesischen Arbeit [20] wurde bei einem ähnlichen ambulanten chirurgischen Vorgehen zur Korrektur der transveralen Oberkieferbreite in Bezug auf Schmerz-, Geräusch- und Vibrationsempfindung nur eine leichte Beeinträchtigung des Patienten festgestellt. Das deckt sich auch mit der perioperativen Wahrnehmung unserer Patienten, die durch die verabreichte antiphlogistische Medikation eine gute Akzeptanz und Toleranz zeigten. Die mäßige postoperative Schwellung wird mit kühlenden Umschlägen therapiert, wobei eine systemische Antibiose für 4 Tage prophylaktisch durchgeführt werden soll. Die Hauptvorteile der Piezochirurgie sind der Weichgewebeschutz, die optimale Sicht auf den chirurgischen Bereich, der verminderte Blutverlust, weniger Vibrationen und Lärm, erhöhter Komfort für den Patienten und der Schutz von Zahnstrukturen, obgleich die Operationsdauer im Vergleich zur herkömmlichen Rotationstechnik verlängert ist [21]. Entsprechend den Literaturrecherchen zur Langzeitstabilität der Expansion ist mit Rezidiven nach der Expansion zu rechen. Daher ist es wesentlich, die aktive Expansion zu überkompensieren und das Ergebnis entsprechend lange zu retinieren [22]. Bei unseren Patienten wird das Tragen einer Oberkieferschiene als Retentionsgerät für ein Jahr nach der Bracketabnahme empfohlen, zumal das Erreichen der ursprünglichen Knochendichte in der Sutur über ein halbes Jahr dauert.

 
  • Literatur

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