JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2019; 08(04): 138-139
DOI: 10.1055/a-0942-0632
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein ganz altes Thema

Heidi Günther
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Publication Date:
07 August 2019 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield/Thieme Gruppe)

„Umgangsformen sind Formen, die zunehmend umgangen werden.“

Oliver Hassencamp (1921–1988), dt. Kabarettist, Schauspieler und Autor

Sommerzeit ist Reise- und Urlaubszeit, und so wollte ich eigentlich in dieser Kolumne über meine Urlaubsreise nach New York berichten. Ich wollte darüber schreiben, wie anstrengend der Flug, wie erstaunlich einfach die Einreise, wie – entgegen meiner Erwartungen – sauber die Stadt und wie freundlich die Leute waren. Auch darüber, wie wir in sieben Tagen mit täglich mehr als 33.000 Schritten und insgesamt mehr als 157 Kilometern (zu Fuß!) die Stadt erkundet haben. Und mein Bezug zu unserem Beruf und unserer Arbeit sollte eigentlich werden, wie ich in den diversen kleinen Parks der Stadt erlebt habe, wie neben natürlich jeder Menge Touristen auch Businessleute und offensichtlich Krankenschwestern und Ärzte – gut zu erkennen an der Dienstkleidung mit Stethoskop um den Hals – ihre Mittagspause auf dem super gepflegten Rasen sitzend oder gar in der Sonne liegend verbrachten. Wohlgemerkt in ihrer Dienst- oder Funktionskleidung! Unsere Hygienefachkraft im Haus würde hyperventilieren, wenn sich auch nur eine oder einer von uns in seiner Mittagspause mal kurz an die Isar in die Sonne legen würde! Unvorstellbar und sicherlich gegen Hunderte von Hygienevorschriften verstoßend. Aber darüber schreibe ich ja heute nicht. Zumal sich die Möglichkeit, meine mir zustehende Pause außerhalb des Krankenhauses zu verbringen, in meinem Krankenschwesternleben noch nie ergeben hat.

Mein Thema soll nun aber „Professionelle Distanz zwischen Pflegenden und Patienten“ sein. Der Grund dafür ist folgender: Ich beobachte schon seit geraumer Zeit, wie sich der Umgang zwischen Patienten und Pflegenden verändert und dass ich oft nicht weiß, wie ich das finden soll. Im Team meiner Station arbeiten relativ viele junge Leute. Ich bin mit Abstand die Älteste. Das Durchschnittsalter dürfte um die 28 Jahre liegen, und etwa die Hälfte des Teams besteht aus Mitarbeitern aus verschiedenen europäischen Ländern. Unsere Patienten kommen aus allen sozialen Gruppen und Altersstrukturen. Bedingt durch unsere Spezialisierung begleiten wir die Patienten oft jahrelang. Soweit die Fakten.

Nun erlebe ich zunehmend, eigentlich fast täglich, wie sich vor allem der Umgang zumindest eines Großteils der Patienten mit unserem Pflegepersonal verändert. Manch einer würde es lässig oder kumpelhaft nennen. Ich nenne es respektlos oder distanzlos. Duzen ist an der Tagesordnung. Da wird ganz selbstverständlich der junge Pfleger oder die junge Krankenschwester nur mit Vornamen und mit „Du“ angesprochen. Wünsche werden nicht als Wünsche, sondern als anspruchsvolle Forderungen in allgemeinen vertraulich wirkenden Formulierungen vorgebracht. „Macht ihr mal …“ oder „Könnt ihr mal …“. Und „bitte“ und „danke“? Selten, sehr selten.

Erst gestern kam während der Übergabe des Frühdiensts an den Spätdienst die Mutter eines Patienten in unseren Aufenthaltsraum und „wünschte“, dass wir das Essen ihres Sohnes aufwärmen: „Könnt ihr mal das Essen aufwärmen?“ Ende der Ansage. Dabei hatten wir dieses Mal noch ein bisschen Glück. Es gibt auch Patienten oder Angehörige, die dann selbstbewusst an uns vorbeimarschieren und sich in unserer Küche zu schaffen machen.

Oder ein anderes Beispiel: Ich sitze am Computer am Tresen im Stützpunkt. Es kommt ein junger Mann auf mich zu und sagt, er wäre jetzt da. Kein „Guten Tag“ (meinetwegen auch „Grüß Gott“) oder „Meine Name ist …“. Nichts! Patienten, die zum wiederholten Mal auf unsere Station kommen, scheinen allen Ernstes zu glauben, dass wir ihre Freunde, mindestens aber gute alte Bekannte sind, und halten sich mit gar keinen Umgangsfloskeln mehr auf.

Auffällig ist für mich auch, dass gerade den Kollegen, die offensichtlich nicht aus unserem Land kommen, besonders unhöflich begegnet wird. Außerdem beobachte ich, dass Patienten, die sich uns gegenüber so aufführen, durchaus wissen, wie man sich im allgemeinen Umgang benimmt. Denn bei der ärztlichen Visite und erst recht bei Chefvisiten wissen die Patienten sehr wohl, wie ein höflicher Umgang miteinander sein kann. Ich staune dann oft sehr und treffe auf einen gewissen Unglauben oder auf Unverständnis, wenn ich diesen Ärzten vor der Tür des Patientenzimmers erzähle, wie dieser Patient mit uns umgeht. Die Krönung des Ganzen ist aber: Wenn ich bestimmte Umgangssituationen lange genug beobachtet habe, die mir irgendwann eindeutig zu weit gehen, und ich mich dann in meiner Funktion als Stationsleitung einmische und ein bisschen Respekt gegenüber meinen Kollegen einfordere – dann bin ich die Böse und Unfreundliche.

Sicherlich ist dieses ganze Thema alt. Umso trauriger, dass es überhaupt noch ein Thema ist. Und sicherlich werden auch einige mit den Augen rollen und denken, ob ich nicht andere Sorgen habe. Ja, habe ich. Aber trotzdem ärgert es mich ungemein und lässt mich auch darüber nachdenken, was viele Menschen von uns und unserem Beruf halten.

Mir ist durchaus bewusst, dass der Umgang miteinander einem gewissen Zeitgeist unterliegt. Ich erwarte kein aufgesetztes Gehabe. Aber ein bisschen was muss schon drin sein! Daher werde ich auch weiter versuchen, meine Kollegen dazu zu bewegen, sich dieser Situationen selbstbewusst, aber auch respektvoll und höflich zu erwehren.

In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de