Fortschr Neurol Psychiatr 2019; 87(05): 282-283
DOI: 10.1055/a-0878-2573
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tiergestützte Therapie

Animal-assisted therapy
Janina Schreiber
,
Jens Kuhn
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Publication Date:
24 May 2019 (online)

Tiergestützte Therapieangebote erfreuen sich im Bereich der psychiatrischen Versorgung zunehmender Beliebtheit und insbesondere großer Patientenakzeptanz [1]. Einem DGPPN-Posterbeitrag aus dem Jahre 2014 zu Folge, setzen 90 von 392 befragten psychiatrischen Kliniken tiergestützte (Psycho-)Therapieangebote ein, wobei in 12 % der Fälle mit Hunden gearbeitet wird [2].

Bei dem Einsatz von Tieren im therapeutischen Setting handelt es sich jedoch keineswegs um eine ausschließlich moderne Idee. Der amerikanische Kinder- und Jugendpsychotherapeut Boris Levinson veröffentlichte 1969 das Buch „pet-oriented child psychotherapy“. Dieses basiert auf einer zufälligen Begegnung zwischen Levinsons Hund „Jingles“ und einem seiner jungen Patienten. Der Hund habe einen kommunikationsfördernden Einfluss auf den sonst sehr verschlossenen Jungen gehabt und habe so den therapeutischen Prozess unterstützt. Ähnliche Beobachtungen soll auch bereits Sigmund Freud bei Anwesenheit seiner Hunde während der Psychotherapie gemacht haben [3].

Nicht zuletzt mit Aufkommen des „One-Health“ Konzepts scheint die angeborene Neigung der Menschen, sich dem Lebendigen und der Natur zuzuwenden („Biophilie“ nach Edward O. Wilson 1984 [4]), zunehmend wieder an Bedeutung zu gewinnen. „One Health“ besagt u. a., dass die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen, Tieren und Umwelt eng miteinander verbunden sind [5]. Eine aktuelle hochrangige Studie aus Dänemark unterstützt diese These. Engemann et al. stellten in ihrer Arbeit eine positive Assoziation zwischen den Variablen „Ausmaß der Exposition zur Natur“ und „Mentaler Gesundheit“ fest, wohingegen städtischer Wohnsitz in der zitierten Studie mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung psychiatrischer Störungsbilder assoziiert war [6]. Der in den letzten Jahren vielfach thematisierte negative Einfluss urbanen Wohnens auf die Entwicklung psychischer Störungen wird -sehr reduktionistisch betrachtet- vor allem auf übermäßigen sozialen Stress zurückgeführt. Dass sozialer Stress, zumindest vorübergehend, im Beisein eines Tieres gesenkt werden kann, belegt u. a. eine Studie von Beetz et al.: Führten Kinder mit unsicherem oder desorganisiertem Bindungsmuster den „Trier Social Stress Test for Children“ in Anwesenheit eines Hundes durch, wurden im Vergleich zur Kontrollgruppe, die den Test ohne Beisein eines Hundes löste, geringere Kortisolkonzentrationen im Speichel gemessen [7]. Vor diesem Hintergrund scheint es denkbar, dass nicht nur regelmäßige Expositionen in der Natur, sondern gerade auch der dauerhafte Umgang mit (Haus-)Tieren, einen längerfristig positiven, vielleicht sogar protektiven Einfluss auf die mentale Gesundheit haben kann. Dies unterstreichend zeigt sich, einem systematischen Review zufolge, dass das Aufwachsen von Kindern mit Haustieren positive Auswirkungen auf deren emotionale Gesundheit (insbesondere hinsichtlich des Selbstwertgefühls), sowie auf deren kognitive und soziale Kompetenzen mit sich bringt (8). Experimentelle Studien konnten ferner zeigen, dass die Interaktion mit Tieren positive neurophysiologische Veränderungen beim Menschen bewirkt. Neben der bereits erwähnten verminderten Ausschüttung von Kortison zeigten sich auch Reduktionen von Blutdruck und Herzfrequenz. Ferner stieg die Ausschüttung von Oxytocin, einem Neuropeptid, das affiliatives Verhalten befördert [9].

Dabei erscheinen nicht alle Tiere gleichermaßen geeignet, solche spezies-übergreifenden Beziehungsaspekte zu verwirklichen. Vor allem Hunden werden besondere soziale Kommunikationsfähigkeiten zugesagt [10]. Generell sind jedoch auch andere domestizierte Spezies (hierbei insbesondere Pferde) zu bedenken. Sogar der therapeutische Einsatz von Nutztieren ist möglich und kann so im Zeitalter der Massentierhaltung zu tierethischen Diskussionen anregen.

Im therapeutischen Kontext fördert die Anwesenheit eines Tieres u. a. durch die oben genannten neurophysiologischen Veränderungen die Offenheit im Gespräch und scheint auch die Aufnahme- und Teilnahmebereitschaft für etablierte Therapieformen seitens der Patientinnen / Patienten zu verbessern [11], [12]. Des Weiteren übertragen Menschen mit einem unsicheren oder desorganisierten Bindungsmuster dieses nicht auf Tiere, wohingegen eine Übertragung auf den Therapeuten durchaus geschieht [13]. Insgesamt eröffnet die Einbindung eines Hundes in das psychotherapeutische Setting die Möglichkeit zur Kommunikation und Interaktion in der Triade (Patient – Hund – Therapeut), statt nur in der Dyade [14].

Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass es im Kontext tiergestützter Interventionen von großer Bedeutung ist, qualifizierte Fachkräfte für tiergestützte Interventionen bzw. Therapiebegleithunde-Teams einzusetzen, die sich an einheitlichen Qualitätsstandards orientieren. Um dieses Ziel international zu erreichen gründeten sich u. a. die ESAAT (European Society of Animal-assisted Therapy) und die ISAAT (International Society of Animal-assisted Therapy), welche entsprechende Ausbildungsgänge zertifizieren.

So erfreulich der zunehmende Einsatz von tiergestützter Therapie in psychiatrischen Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems für die Patientinnen / Patienten ist, so scheint es aber „ein eklatantes Missverhältnis zu den wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen“ bezüglich der Wirkung und Wirkfaktoren von Hunden, und Tieren allgemein, zu geben [15]. Bei genauerer Analyse fällt auf, dass es bisher viel zu wenige Daten aus Interventionsstudien und noch weniger Publikationen mit methodisch hochwertigem Design gibt (wie z. B. randomisierte Gruppenzuteilung, Vorhandensein einer Kontrollgruppe etc.) So fanden z. B. Souter und Miller in der Vorbereitung ihrer Metaanalyse zum Effekt der tiergestützten Therapie in der Behandlung von Depressionen zunächst 165 Artikel. Hiervon enthielten jedoch 105 Manuskripte keine primären Daten, sondern waren Übersichtsarbeiten oder theoretische Abhandlungen [16].

Vor diesem Mangel an Untersuchungen ist es umso erfreulicher, dass Uhlmann et al. in diesem Heft der Fortschritte ihre Pilotstudie zur tiergestützten Therapie auf einer Suchtstation veröffentlichen [17]. Wir hoffen, dass diese Originalarbeit bei Ihnen als Leser die Neugierde auf tiergestützte Therapien weckt, aber auch an sich die Motivation für verstärkten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in diesem Themenfeld generiert.

 
  • Literatur

  • 1 Hartfiel C, Bodatsch M, Klosterkötter J. et al. Etablierung tiergestützter Therapie an einer psychiatrischen Universitätsklinik Ergebnisse der Vorstudie und Ausblick. Psychiatr Prax 2017; 44: 36-40 doi: 10.1055/s-0035-1552731
  • 2 Walloch J, Feuerstake M, Richter-Schmidinger T, Kornhuber J. Zur Situation der tiergestützten (Psycho-) Therapie in Deutschland. Posterbeitrag DGPPN 2014
  • 3 Coren S. Foreword. In: Fine A. (ed). Handbook on Animal-Assisted Therapy. 4. Aufl.. New York: Academic Press: , 2015: xix-xxii
  • 4 Wilson EO. Biophilia. Cambridge: Harvard University Press; , 1984
  • 5 International Association of Human-Animal Interaction Organizations (IAHAIO). IAHAIO Weissbuch 2014 Definitionen der IAHAIO für Tiergestützte Interventionen und Richtlinien für das Wohlbefinden der beteiligten Tiere (2014). Im Internet: http: / /iahaio.org/wp/wp-content/uploads/2017/05/iahaio-white-paper-2014-german.pdf; Stand 28.03.2019.
  • 6 Engemann K, Pedersen CB, Arge L. et al. Residential green space in childhood is associated with lower risk of psychiatric disorders from adolescence into adulthood. Proc Natl Acad Sci U S A 2019; 116: 5188-5193 . doi:10.1073/pnas.1807504116
  • 7 Beetz A, Kotrschal K, Turner DC. et al. The effect of a real dog, toy dog and friendly person on insecurely attached children during a stressful task. An exploratory study. Anthrozoös 2011; 24: 349-368 . doi: 10.2752 / 175303711X13159027359746
  • 8 Purewal R, Christley R. Kordas K. et al. Companion Animals and Child / Adolescent Development: A Systematic Review of the Evidence. Int J Environ Res Public Health 2017; 14: 234 . doi: 10.3390 / ijerph14030234
  • 9 Cirulli F, Borgi M, Berry A. et al. Animal-assisted interventions as innovative tools for mental health. Ann Ist Super Sanita 2011; 47: 341-348 . doi:10.4415/ANN_11_04_04
  • 10 Hare B, Tomasello M. Human-like social skills in dogs? Trends Cogn Sci 2005; 9: 439-444 . doi: 10.1016 / j.tics.2005.07.003
  • 11 Lass-Hennemann J, Holz E, Michael T. Tiergestützte Therapie in der Behandlung von Angsstörungen -Spielerei oder wirksame Unterstützung? PiD 2015; 16 (02) : 40-43 . doi: 10.1055 / s-0041-101051
  • 12 Wohlfarth R, Mutschler B, Beetz A. et al. Dogs motivate obese children for physical activity: key elements of a motivational theory of animal-assisted interventions. Front Psychol 2013; 4: 796 . doi: 10.3389 / fpsyg.2013.00796
  • 13 Julius H, Beetz A, Kotrschal K. Psychologische und physiologische Effekte einer tiergestützten Intervention bei unsicher und desorganisiert gebundenen Kindern. Empirische Sonderpädagogik 2013; 2: 160-166
  • 14 Ganser G. Hundegestützte Psychotherapie – Einbindung eines Hundes in die psychotherapeutische Praxis. Stuttgart: Schattauer; , 2017
  • 15 Wohlfarth R, Mutschler B. Praxis der hundegestützten Therapie – Grundlagen und Anwendung. 2. Aufl.. München: Ernst Reinhardt; , 2017
  • 16 Souter MA, Miller MD. Do animal-assisted activities effectively treat depression? A meta-analysis. Anthrozoös 2007; 20: 167-180 . doi:10.2752/175303707X207954
  • 17 Uhlmann C, Nauss C, Worbs A. et al. Effekte einer tiergestützten Intervention in der stationären psychiatrischen Suchtbehandlung – eine Pilotstudie. Fortschr Neurol Psychiatr 2019; 87: 305-311