Der Klinikarzt 2007; 36(11): 652-653
DOI: 10.1055/s-2007-992912
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Oraler Faktor-Xa-Inhibitor in klinischer Entwicklung - Fortschritte bei der Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Komplikationen

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20 December 2007 (online)

 
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Neue, einfach zu handhabende Medikamente könnten schon bald die herkömmlichen Antikoagulanzien bei der Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Komplikationen weitgehend ersetzen. Dazu gehört Rivaroxaban, dessen Effektivität derzeit in einem großen Studienprogramm geprüft wird. Den ersten Daten zufolge zeigt der orale, direkte Faktor-Xa-Inhibitor gegenüber einer Standardmedikation mit niedermolekularem Heparin eine überlegene Wirksamkeit bei gleicher Blutungsrate.

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RECORD 3: Rivaroxaban, gute Wirksamkeit

Dies zeigt die Phase-III-Studie RECORD-3[1] [3]. Darin wurden 2531 Patienten, die sich einer Kniegelenksersatzoperation unterzogen, doppelblind randomisiert entweder mit Rivaroxaban 10 mg einmal täglich oder mit Enoxaparin 40 mg einmal täglich behandelt. Enoxaparin wurde vor der Operation zum ersten Mal gegeben, Rivaroxaban sechs bis acht Stunden danach.

"Die Studie zeigt eine signifikante Überlegenheit von Rivaroxaban beim primären Endpunkt, der sich aus der Rate tiefer Venenthrombosen, nicht tödlicher Lungenembolien und der Gesamtmortalität zusammensetzt", sagte Dr. Patrick Mouret, Frankfurt. Der Endpunkt trat bei 9,6 % in der Rivaroxaban- und bei 18,9 % der Patienten in der Enoxaparingruppe auf. Dies entspricht einer statistisch signifikanten relativen Risikoreduktion um 49 % (p < 0,001).

Auch beim sekundären kombinierten Wirksamkeitsendpunkt, bestehend aus proximaler tiefer Venenthrombose plus Lungenembolie plus Tod durch eine venöse Thromboembolie, war eine signifikante Überlegenheit von Rivaroxaban zu sehen. Diesen Endpunkt erreichten 1% der Patienten unter der oralen Rivaroxabantherapie, während im Enoxaparinarm 2,6 % der Patienten betroffen waren - das entspricht einer relativen Risikoreduktion von 62% (p = 0,01). Ein weiterer Vorteil für Rivaroxaban ergab sich hinsichtlich der Rate an symptomatischen venösen Thromboembolien: Diese traten bei 1 bzw. 2,7 % der Patienten auf. Die relative Risikoreduktion betrug in diesem Fall 64 %.

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Rivaroxaban-Studienprogramm

Derzeit ist Rivaroxaban der am besten untersuchte orale direkte Faktor-Xa-Inhibitor in klinischer Entwicklung. Über 15000 Patienten wurden im Rahmen des - inzwischen abgeschlossenen Phase-II-Studienprogramms - evaluiert bzw. nehmen an den derzeit laufenden Phase-III-Studien teil. Die wichtigsten Phase-III-Studien des Studienprogramms sind die RECORD-Studien (Prävention venöser Thromboembolien nach elektivem orthopädischen Eingriff), die Einstein-Studien (Behandlung venöser Thromboembolien), die ROCKET-AF-Studie (Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern) und die ATLAS-Studie (Sekundärprävention bei akutem Koronarsyndrom). Insgesamt werden an dem Rivaroxaban-Studienprogramm voraussichtlich 40000 Patienten teilnehmen.

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Bessere Wirkung nicht durch erhöhtes Blutungsrisiko erkauft

Die Inzidenz schwerer Blutungen lag bei 0,5 % in der Enoxaparin- und bei 0,6 % in der Rivaroxabangruppe. Bei 4,9 bzw. 4,8% der Patienten trat überhaupt eine Blutung auf. Zudem gab es im Rahmen der Studie keine Hinweise auf Sicherheitsbedenken bezüglich der Leberverträglichkeit von Rivaroxaban. "Die Studie belegt erstmals die Sicherheit und Wirksamkeit eines oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitors zur antithrombotischen Therapie bei einem festgelegten Dosierungsschema ohne Überwachung der Gerinnungsparameter", kommentierte Mouret die Studiendaten.

Das Phase-II-Studienprogramm umfasste vier Studien mit insgesamt 2857 Patienten, die einmal und zweimal täglich verabreichtes orales Rivaroxaban mit einer gesamten Tagesdosis von 5-60 mg über fünf bis neun Tage gegenüber subkutanem Enoxaparin bei Patienten mit elektiven Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen untersuchten.

Wie Mouret ausführte, ergab sich für die Therapie mit Rivaroxaban ein weites therapeutisches Fenster und eine vergleichbare Sicherheit und Wirksamkeit wie Enoxaparin über den gesamten Dosisbereich. Aufgrund der Phase-II-Daten wurde Rivaroxaban 10 mg einmal täglich zur Untersuchung in den Phase-III-Studien des noch weiter geführten RECORD-Programms ausgewählt.

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Erster Entwicklungsschritt für die orale Faktor-Xa-Hemmung ist erfolgreich

Warum Studien zur thromboembolischen Prophylaxe vor allem nach größeren orthopädischen Eingriffen vorgenommen werden, erläuterte Mouret so: Sie gelten bei der Entwicklung von Gerinnungshemmern als anerkanntes Prüfkonzept für ein neues therapeutisches Prinzip. Denn zum einen ist die postoperative Antikoagulation mit einem hohen therapeutischen Nutzen verbunden, da die Risikoreduktion tiefer Venenthrombosen etwa 50 % beträgt. Zum anderen lässt sich der Therapieerfolg durch validierte Methoden überprüfen.

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Auch zur Therapie venöser Thromboembolien gibt es vielversprechende Daten

Eine andere potenzielle Indikation für Rivaroxaban ist die Therapie venöser Thromboembolien. In einem entsprechenden Studienprogramm wird die klinische Wirksamkeit und Sicherheit des Faktor-Xa-Inhibitors derzeit geprüft. Die Daten von zwei Phase-II-Studien - zwei Dosisfindungsstudien - liegen bereits vor, berichtete Prof. Sebastian Schellong, Dresden.

Sowohl in der ODIXa-DVT[2]- als auch in der EINSTEIN-DVT[3]-Studie [1], [2] nahmen Patienten mit proximaler Beinvenenthrombose teil, die Rivaroxaban in unterschiedlichen Dosisregimen erhielten. Die Patienten der Vergleichsgruppe wurden dagegen entweder mit einem niedermolekularen Heparin oder einem Vitamin-K-Antagonisten behandelt. Die Behandlungsdauer betrug jeweils drei Monate.

Ein Unterschied zwischen den beiden Dosisfindungsstudien bestand allerdings: So wurde in ODIXa-DVT der primäre Endpunkt anhand eines Ultraschallscores bereits nach drei Wochen bestimmt. In der EINSTEIN-DVT-Studie dagegen war der primäre Endpunkt als Kombination aus einer Ultraschalluntersuchung der Beinvenen plus des Ergebnisses der Lungenszintigrafie nach drei Monaten definiert.

Wie Schellong ausführte, dokumentierten beide Studien übereinstimmend die klinische Wirksamkeit des oralen Faktor-Xa-Inhibitors. Rivaroxaban zeigte sowohl unter der einmal als auch unter der zweimal täglichen Gabe eine vergleichbare Wirksamkeit zum Komparator. Rivaroxaban reduzierte unter zweimal täglicher Applikation die Thrombuslast während der initialen Behandlungsperiode (bis zu drei Wochen).

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Daten zur Akutbehandlung und Sekundärprophylaxe werden bald folgen

Das sich jetzt anschließende Phase-III-EINSTEIN-Programm unterteilt sich in eine Akutbehandlungsstudie an Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose und akuter Lungenembolie. Sie erhalten Rivaroxaban in einer Dosierung von initial zweimal täglich 15 mg und nach drei Wochen einmal täglich 20 mg. Im nachfolgenden Extensionsprogramm (nach abgeschlossener) Therapie wird die Sekundärprophylaxe von Rivaroxaban versus Placebo für sechs bis zwölf Monate untersucht. Das Prüfprogramm soll zirka 7500 Patienten umfassen, die ersten Studienteilnehmer sind bereits eingeschlossen.

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Auf dem Weg zum "idealen" Antithrombotikum

Warum neue antithrombotische Wirkstoffe benötigt werden, erklärte Prof. Rupert Bauersachs, Darmstadt. Zwar sind die herkömmlichen Antikoagulanzien effektive Medikamente, sie weisen jedoch zahlreiche Limitationen auf. Zum Beispiel gehören bei den niedermolekularen Heparinen Dosisanpassungen, eine einmal tägliche subkutane Injektion sowie das Risiko einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) zu den Problemen.

Bei den Vitamin-K-Antagonisten wiederum sind laut Bauersachs vor allem der enge therapeutische Bereich und die hohe inter- und intraindividuelle Variabilität, die zahlreichen Arznei- und Nahrungsmittelinteraktionen und das Blutungsrisiko insbesondere in der Initialphase der Therapie Faktoren, die eine engmaschige Überwachung notwendig machen.

Deshalb wird nach dem "idealen" Antikoagulans gesucht, das oral verfügbar ist, eine große therapeutische Breite besitzt, spezifisch wirkt und eine zuverlässige Bioverfügbarkeit aufweist. Weitere Anforderungen sind eine kurze Halbwertzeit und somit eine gute Steuerbarkeit der Therapie, eine gute Verträglichkeit und kein aufwendiges Überwachen der Laborparameter.

Wie Bauersachs betonte, kommt Rivaroxaban diesen Anforderungen sehr nahe. Der Wirkstoff greift an einer wichtigen Schaltstelle der Blutgerinnung, dem Faktor Xa, an (Abb. [1]) - und ist dabei sehr effektiv. Denn ein Molekül Faktor Xa generiert rund 1000 Thrombinmoleküle. Die Hemmung des Blutgerinnungsfaktors kann demnach frühzeitig und nachhaltig die Thrombinbildung unterbinden. "Deswegen ist der Faktor Xa ein effektives Ziel für eine Antithrombose", sagte Bauersachs.

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Abb.1 Rivaroxaban greift an einer wichtigen Schaltstelle der Gerinnungskaskade ein

Rivaroxaban ist oral verfügbar und hat eine hohe Affinität zum Faktor Xa. Die Wirkung tritt schnell ein. Die maximale Wirkstoffkonzentration wird 2,5-4 Stunden nach der Applikation erreicht. Eine geschlechts- oder eine gewichtsadaptierte Dosisanpassung ist nicht erforderlich.

Quelle: Symposium: "Innovationen durch orale Antikoagulation mit Rivaroxaban - Neues aus der Bayer-Forschung", im Rahmen der 36. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie, unterstützt von der Bayer Vital GmbH, Leverkusen

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Literatur

  • 01 Agnelli G . Gallus A . Goldhaber SZ . et al . Treatment of proximal deep-vein thrombosis with the oral, direct Factor Xa inhibitor, rivaroxaban (BAY 59-7939): the ODIXa-CVT (Oral Direct Factor Xa Inhibitior BAY 59-7939 in Patients With Acute Symptomatic Deep-Vein Thrombosis) study.  Circulation. 2007;  116: (2) 180-187
  • 02 Büller  HR . Once-daily treatment with an oral, direct Factor Xa inhibitor - rivaroxaban (Bay 59-7939) in patients with acute, symptomatic deep vein thrombosis. The EINSTEIN-DVT dose-finding study.  Eur Heart J. 2006;  27: (Abstract Suppl) 761
  • 03 Lassen MR . Turpie AGG . Rosencher N . et al . Rivaroxaban - an oral, direct Factor Xa inhibitor - for the prevention of venous thromboembolism in total knee replacement surgery: results of the RECORD3 study. Oral presentation at the XXIst Congress of the International Society on Thrombosis and Haemostatis, Geneva, Switzerland, 6-12 Juli 2007. 

1 REgulation of Coagulation in major Orthopaedic surgery reducing the Risk of DVT and pulmonary embolism

2 Oral Direct Factor Xa Inhibitor BAY 59-7939 in patients with acute symptomatic Deep-Vein Thrombosis

3 Oral direct factor Xa inhibitor rivaroxaban in patients with acute symptomatic deep-vein thrombosis without symptomatic pulmonary embolism

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Literatur

  • 01 Agnelli G . Gallus A . Goldhaber SZ . et al . Treatment of proximal deep-vein thrombosis with the oral, direct Factor Xa inhibitor, rivaroxaban (BAY 59-7939): the ODIXa-CVT (Oral Direct Factor Xa Inhibitior BAY 59-7939 in Patients With Acute Symptomatic Deep-Vein Thrombosis) study.  Circulation. 2007;  116: (2) 180-187
  • 02 Büller  HR . Once-daily treatment with an oral, direct Factor Xa inhibitor - rivaroxaban (Bay 59-7939) in patients with acute, symptomatic deep vein thrombosis. The EINSTEIN-DVT dose-finding study.  Eur Heart J. 2006;  27: (Abstract Suppl) 761
  • 03 Lassen MR . Turpie AGG . Rosencher N . et al . Rivaroxaban - an oral, direct Factor Xa inhibitor - for the prevention of venous thromboembolism in total knee replacement surgery: results of the RECORD3 study. Oral presentation at the XXIst Congress of the International Society on Thrombosis and Haemostatis, Geneva, Switzerland, 6-12 Juli 2007. 

1 REgulation of Coagulation in major Orthopaedic surgery reducing the Risk of DVT and pulmonary embolism

2 Oral Direct Factor Xa Inhibitor BAY 59-7939 in patients with acute symptomatic Deep-Vein Thrombosis

3 Oral direct factor Xa inhibitor rivaroxaban in patients with acute symptomatic deep-vein thrombosis without symptomatic pulmonary embolism

 
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Abb.1 Rivaroxaban greift an einer wichtigen Schaltstelle der Gerinnungskaskade ein