Dialyse aktuell 2007; 11(4): 44-47
DOI: 10.1055/s-2007-985030
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nierenkranke und geriatrische Patienten profitieren von pleiotropen Effekten - Einsatz von Vitamin-D-Hormon-Analoga bei renaler Osteopathie

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11 July 2007 (online)

 
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Die renale Osteopathie ist eine komplexe Erkrankung (Abb. [1]), die nahezu obligat bei allen Formen der chronischen Niereninsuffizienz auftritt. Sie führt zu einem breiten Spektrum an Knochenerkrankungen, mit erheblichen Folgen für die betroffenen Patienten. Ursache ist der gestörte Kalzium-Phosphat- und Vitamin-D3-Stoffwechsel. Diese Stoffwechselveränderungen führen zu einem verminderten Kalzium- und Vitamin-D-Spiegel im Blut sowie zu einem Überschuss an Phosphat und Parathormon. Konsequenz ist eine histologisch nachweisbare Störung der Knochenmineralisierung und Knochenformation sowie Weichteilverkalkungen, die auch die Koronargefäße betreffen. Neben der Phosphatkontrolle und der Pufferung der metabolischen Azidose gehört daher auch der Ausgleich des Vitamin-D-Mangels durch die Gabe von aktiven Vitamin-D-Hormon-Analoga zur klassischen Therapie der renalen Osteopathie.

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Abb. 1 Syndrom der renalen Osteophatie

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Osteoporosetherapie mit Zusatznutzen für Niereninsuffiziente

Alfacalcidol, Prodrug des aktiven Vitamin-D-Hormons, ist durch seine in vielen Studien belegten positiven pleiotropen Wirkansätze ein wichtiger Therapiebaustein in der Osteoporose und der renalen Osteopathie. "Alfacalcidol wirkt nicht nur am Skelett, sondern verfügt über pleiotrope Effekte, die sich synergistisch positiv auf die Osteopathie auswirken", betonte Prof. Johann D. Ringe, Leverkusen. Alfacalcidol setzt auf verschiedenen Ebenen an: Zum einen steigert es in den osteoporosetypischen Dosierungen die für den Knochenaufbau wichtige Kalziumresorption aus dem Dünndarm, gleichzeitig reduziert es die PTH-Ausschüttung aus der Nebenschilddrüse und senkt somit auch die Knochenresorption. Es führt zu einer verbesserten Mineralisierung der Knochen und gleichzeitig zu einer Verstärkung der Knochenneubildung. Zum anderen werden die Muskelkraft, die Balance und die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten verstärkt, was zusammen genommen das Sturzrisiko und folglich auch das Frakturrisiko mindert.

Neben diesen knochenbezogenen Wirkungen hat Alfacalcidol außerdem einen Einfluss auf nichtossäre Bereiche: So wird zum Beispiel die Immunsuppression gefördert und die Mortalität durch kardiovaskuläre Erkrankungen gesenkt. Speziell bei Menschen mit Niereninsuffizienz wirkt sich die Einnahme von Alfacalcidol positiv auf die Anämie aus. Die aktuelle Datenlage gibt erste Hinweise darauf, dass die pleiotropen Wirkungen ganz unabhängig von Parathormon, Kalzium und Phosphat das Leben von Dialysepatienten verlängern [1], [18].

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Vitamin-D-Analoga wirken unabhängig von Nierenfunktion und Vitamin-D-Status

Das native Vitamin D (Cholecalciferol) wird durch Sonneneinstrahlung in der Haut hergestellt oder durch die Nahrung aufgenommen. Seine physiologische Aktivität als Vitamin-D-Hormon erlangt es jedoch erst nach zwei Hydroxylierungsschritten - von denen einer bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz signifikant erniedrigt oder total blockiert ist.

Im Gegensatz zum Cholecalciferol, das bei eingeschränkter Nierenfunktion nur noch bedingt in die Wirkform überführt werden kann, wirkt Alfacalcidol unabhängig von der Nierenfunktion und dem Vitamin-D-Status. Der richtige Zeitpunkt für den Beginn der Gabe von aktivem Vitamin D hängt Prof. Peter Jehle, Wittenberg, zufolge von mehreren klinisch-chemischen Laborparametern ab, Grenzwerte sind

  • Kreatininwerte > 256 µmol/l

  • eine Kreatininclearance < 49 ml/min/ KOF

  • Phosphatwerte < 1,54 mmol/l

  • eine alkalische Phosphatase < 89 IU

  • intaktes Parathormon > 5,4 pmol/l [10].

Die nephrologisch bedingte Progression des Parathormonanstiegs kann durch den Einsatz von aktivem Vitamin D3 deutlich verlangsamt werden (Abb. [2]; [4], [12]). Bei milder bis moderater Niereninsuffizienz zum Beispiel verbessert die Therapie mit bis zu 1 µg Alfacalcidol eine latent vorhandene Osteomalazie und den Hyperparathyreioidismus in einem Zeitraum von nur zwei Jahren auf Normalwerte bei anfänglich 4 auf 42% der Patienten. Auf die Nierenfunktion hat die Behandlung dabei keine negativen Auswirkungen. Hyperkalzämische Episoden sind selten und verschwinden bei Dosisreduktion [9]. Eine vergleichende Therapiestudie an nierentransplantierten Männern zeigte in der Alfacalcidolgruppe einen höheren Zuwachs an Knochenmineraldichte als in den Alendronat- und Calcitoningruppen [7].

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Abb. 2 Parathormonverlauf mit und ohne aktives Vitamin D3

Die Gabe des bereits aktiven Vitamin-D-Hormons (Calcitriol) bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion kann laut Ringe problematisch sein, da durch Wirkstoffspitzen die Gefahr der Hyperkalzämie und Hyperkalzurie erhöht ist. Aufgrund der physiologischen Wirkspiegel können diese Probleme bei der Alfacalcidol-Therapie nicht auftreten.

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Dialysepatienten und Nierentransplantierte profitieren in mehrfacher Hinsicht

Die Vorteile von Alfacalcidol werden bereits seit langem für Dialysepatienten und Nierentransplantierte genutzt, betonte Jehle. Natives Vitamin D wirkt nur sehr lokal am Knochen und ein Effekt auf die Parathormonsuppression im Rahmen der Therapie eines mehr oder weniger fortgeschrittenen Hyperparathyreoidismus ist nicht zu erwarten.

Demgegenüber profitieren Dialysepatienten und Nierentransplantierte von einer Alfacalcidol-Gabe in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird dem Hyperparathyreoidismus aktiv entgegengewirkt, was zu einem Absinken des Kalzium-Phosphat-Produkts führt. Zum anderen sinkt das Frakturrisiko, weil normalisierte Parathormonspiegel den osteoporotischen Prozess der verstärkten Osteoklastenstimulierung unterbinden.

Zudem kann der Einsatz von Alfacalcidol zum Zeitpunkt einer beginnenden Nierenfunktionseinschränkung einen krankhaften Anstieg der Parathormonausschüttung und somit die Ausbildung eines sekundären Hyperparathyreoidismus (sHPT) verhindern. Letztlich, so Jehle, trage die pleiotrope Wirkung des Vitamin-D-Hormons über die Regulation von PTH und Renin wahrscheinlich auch zu einer Verbesserung der linksventrikulären Hypertrophie und damit letztlich zu einer Senkung der kardiovaskulären Mortalität bei. Eine aktuelle Studie an Hämodialysepatienten zeigte, dass die linksventrikuläre Hypertrophie im Laufe einer Vitamin-D-Therapie zurückgeht [13].

Durch eine systemische Aktivierung der Vitamin-D-Rezeptoren haben Vitamin-D-Analoga auch einen direkten Einfluss auf das kardiovaskuläre System und können dadurch helfen, die Mortalität bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zu reduzieren [1]. Diese Einschätzung bestätigte Ringe und bilanzierte, dass Alfacalcidol aufgrund seines pleiotropen Wirkprofils "eine sehr interessante Therapieoption sowohl bei Osteoporosen als auch bei renaler Osteopathie" sei.

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Dem altersbedingten Knochenverlust entgegenwirken

Besonders ältere Patienten sind häufig von einem niedrigen D-Hormonspiegel betroffen. Grund kann eine Hemmung der 1α-Hydroxylase in den Nieren, aber auch ein Mangel an D-Hormon-Rezeptoren oder eine geringe Rezeptoraffinität für das Vitamin-D-Hormon in den Zielorganen sein. Dass mit zunehmendem Alter neben der Kreatininclearance auch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und damit die Nierenfunktion stark abnimmt, zeigt Prof. Peter Pietschmann, Wien, zufolge die sogenannte Rancho-Grande-Studie aus diesem Jahr [11].

Der altersbedingte Knochenverlust ist multifaktoriell begründet, neben dem im Alter auftretenden Mangel an Vitamin D sind auch ein Sexualhormonmangel sowie eine gesteigerte Monozytenproliferation und Osteoklastenaktivierung hierfür verantwortlich. In einer Studie mit älteren Frauen konnte Pietschmann zudem mehrere Veränderungen des Knochenstoffwechsels beobachten: Osteocalcin, ein Marker für den Knochenaufbau, war reduziert, das Parathormon dreifach erhöht und gleichzeitig die 25-OH-Vitamin-D-Spiegel sehr niedrig [17].

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Osteoporosemedikamente bei Niereninsuffizienz häufig kontraindiziert

Die gängigen verfügbaren oralen Osteoporosemedikamente, wie Bisphosphonate, sind bei einer deutlichen Nierenfunktionseinschränkung (GFR < 30 ml/ min) kontraindiziert. Geriatrische Patienten profitieren daher besonders von einer Therapie mit Alfacalcidol: Pietschmann hob hervor, dass sich "die aktiven Vitamin-D-Metaboliten für solche Patienten als Alternative anbieten". Und so sind im österreichischen Konsensus-Papier "Osteoporoseprävention und -therapie" [16] die aktiven Vitamin-D-Metabolite bei speziellen Indikationen wie etwa der Niereninsuffizienz für ältere Patienten vorgesehen.

Der Nutzen der Therapie mit aktiven Vitamin-D-Metaboliten ist in mehreren Studien belegt. Mit 9,9 versus 31,5 Frakturen pro 100 Patientenjahren lag die Rate in einer dreijährigen Studie bei postmenopausalen Frauen, die mit dem Vitamin-D-Hormon therapiert worden waren signifikant niedriger als in der Gruppe, die mit Kalzium behandelt worden war [19]. In einer Metaanalyse schneidet aktives Vitamin D (-37%) hinsichtlich der Vermeidung vertebraler Frakturen im Vergleich mit den Osteoporosetherapien Etidronat (-37%), Raloxifen (-40%) und Risedronat (-36%) vergleichbar, besser als Calcitonin (-21%) und etwas schlechter als Alendronat (-48%) ab [2].

In einer multivariablen kontrollierten Studie bei Männern und Frauen über 70 Jahre war eine Kreatininclearance < 65 ml/min signifikant assoziiert mit niedrigen Vitamin-D-Hormon-Spiegeln. Diese Patienten hatten ein um den Faktor vier signifikant erhöhtes Sturzrisiko im Vergleich zu Studienteilnehmern mit normaler Kreatininclearance [5]. Eine neunmonatige Therapie mit täglich 1 µg Alfacalcidol bei älteren Patienten mit einer Kreatininclearance < 65 ml/min konnte die mit niedriger Kreatininclearance verbundene erhöhte Sturzrate um 71% reduzieren [6].

Da fast alle älteren Patienten an einer mit steigendem Alter zunehmenden Nierenfunktionsstörung und häufig gleichzeitig an renaler Osteopathie leiden, ist die Therapie mit Alfacalcidol hier besonders geeignet. "Alfacalcidol ist eine interessante Option für die Osteoporosebehandlung bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion", konstatiert Pietschmann.

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Rationale für den Einsatz von Cholecalciferol (Vitamin D3)

  • niedrige 25-OH-Vitamin-D-Spiegel (< 50 nmol/l) sind ein Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines sHPT [8]

  • essenziell für Mineralisation und Skelettwachstum [15]

  • Calcitrioltherapie → Vitamin-D-Mangel

  • protektiver Effekt bei Osteoporose

  • Induktion der extrarenalen Bildung von Calcitriol und 24,25-Vitamin-D3 [3]

  • nur 18% der Nierentransplantierten haben normale Vitamin-D-Spiegel [14])

lokale Calcitriolsynthese → parakrine Effekte

Kl

Quelle: Symposium "Stellenwert der Alfacalcidoltherapie bei Osteoporose und renaler Osteopathie" im Rahmen des Osteologiekongresses in Wien, veranstaltet von LEO Pharma

Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der LEO Pharma GmbH, Neu Isenburg

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Literatur

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