Der Klinikarzt 2007; 36(3): 174-175
DOI: 10.1055/s-2007-973928
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Pharmakokinetische Aspekte einer wirksamen Antimykotikatherapie - Ausreichende Aktivität und Konzentration am Infektionsort sind Voraussetzung

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03 April 2007 (online)

 
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Invasive oder systemische Pilzinfektionen wie sie bei neutropenischen oder schwer immungeschwächten Patienten auftreten, zeichnen sich auch heute noch durch eine hohe Sterblichkeitsrate aus. Um gegen eine solche Pilzinfektion wirksam zu sein, muss das zur Behandlung gewählte Antimykotikum nicht nur Aktivität gegen den Erreger besitzen, sondern auch in ausreichender Konzentration an den Ort der Infektion gelangen.

Die beiden in Europa zuletzt zugelassenen Triazol-Antimykotika Voriconazol (Vfend®) und Posaconazol, die sich in ihrer antimyzetischen In-vitro-Aktivität durchaus ähneln, eignen sich gut für eine Betrachtung der möglichen pharmakokinetischen Probleme und der großen Unterschiede, die auch zwischen Substanzen derselben Stoffklasse bestehen können.

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Orale Resorption mit erheblichen Substanzunterschieden

Voriconazol wird nach oraler Einnahme nahezu vollständig resorbiert, die Bioverfügbarkeit beträgt 96 %. Bei Einnahme mit sehr fettreicher Nahrung verringert sich die AUC ("area under the curve") um 24 %, weshalb die Gabe der Substanz erst nach einem mindestens einstündigen Abstand von Mahlzeiten empfohlen wird. Die orale Resorption von Posaconazol ist komplizierter. Manche Autoren bezeichnen sie sogar als "problematisch" [6]. Mangels einer intravenösen Formulierung lässt sich seine absolute Bioverfügbarkeit bislang nicht bestimmen. Im Tiermodell wurden Werte von 7-12 % [14] beobachtet, aus Phase-I-Studien wurden Werte von 10-20 % [11] berichtet.

Paradox erscheint, dass höhere Posaconazol-Tagesdosen als 800 mg die Exposition verringern. Nach Einnahme von zweimal täglich 600 mg waren Plasmaspiegel und AUC im Gleichgewichtszustand ("steady state") ein Drittel niedriger als nach Einnahme von zweimal täglich 400 mg. Wird die 800-mg-Tagesdosis auf zwei Gaben aufgeteilt, steigt der Plasmaspiegel im Vergleich zur Einmalgabe auf mehr als das Doppelte [18]. Deshalb muss Posaconazol trotz im Mittel 35-stündiger Halbwertszeit zwei- bis viermal täglich eingenommen werden.

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Was kann die orale Resorption beeinträchtigen?

Für eine adäquate Resorption ist bei Posaconazol die Einnahme mit einer fetthaltigen Mahlzeit erforderlich, da die Bioverfügbarkeit bei nüchternem Magen um fast 75 % reduziert ist. Mykosegefährdete Patienten sind jedoch meist schwer krank und können zum Beispiel aufgrund einer Mukositis keine feste Nahrung zu sich nehmen.

Tatsächlich beobachteten Müller et al. [11] gerade bei Patienten nach Chemotherapie oder Knochenmarktransplantation eine besonders geringe Bioverfügbarkeit von Posaconazol, dessen Plasmaspiegel in dieser Hauptrisikogruppe für invasive Mykosen meist unter 0,4 mg/l lag - trotz Aufteilung auf drei Dosen. Auch bei den besonders mykosegefährdeten neutropenischen Patienten fanden Ullmann [18] und Langston [7] hoch signifikant niedrigere Posaconazolplasmaspiegel als bei Patienten ohne diesen Risikofaktor.

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA weist deshalb im Beipackzettel zu Posaconazol ausdrücklich darauf hin, dass bei Patienten, die weder eine volle Mahlzeit zu sich nehmen können noch einen fetthaltigen Nahrungsersatz vertragen, ein "anderes Antimykotikum erwogen werden" oder eine engmaschige Überwachung auf Durchbruchinfektionen erfolgen soll [13].

Damit nicht genug: Auch die mit 20 % relativ häufigen gastrointestinalen Nebenwirkungen von Posaconazol können dessen Bioverfügbarkeit herabsetzen. Tatsächlich war der Plasmadurchschnittsspiegel (Cav) bei Patienten mit beschleunigter Darmpassage im Rahmen einer populationspharmakokinetischen Analyse signifikant niedriger als bei Patienten mit normaler Darmpassage [4]. Sowohl die amerikanische als auch die europäische Zulassungsbehörde (FDA und EMEA) empfehlen deshalb, Patienten mit schwerem Durchfall oder Erbrechen unter Posaconazol engmaschig auf Durchbruchinfektionen zu überwachen [12], [13].

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Schnellstmöglich "steady state" erreichen

Jede Verzögerung einer wirksamen Therapie nach Diagnose einer systemischen Pilzinfektion verschlechtert die Überlebenschancen, beispielsweise bei Candidämiepatienten [10]. Deshalb sollte nach Therapiebeginn möglich rasch ein ausreichend hoher Plasmaspiegel vorliegen. Nach Verabreichung einer oralen Dosis erreicht Voriconazol binnen ein bis zwei Stunden [19] den maximalen Plasmaspiegel, Posaconazol in Abhängigkeit von der Magenfüllung in 3-24 Stunden [2], [12], [14], [18].

Um den für eine optimale Wirksamkeit erwünschten Gleichgewichtszustand schneller zu erreichen, wird von manchen Antimykotika am ersten Tag eine höhere Sättigungsdosis ("loading dose") verabreicht, was die sonst mehrere Tage währende Zeitspanne deutlich verkürzt, beispielsweise im Fall von Voriconazol auf 24 Stunden. Bei Posaconazol lassen sich die sieben bis zehn Tage bis zur Einstellung des "steady state" infolge der limitierten Resorption jedoch nicht abkürzen [18].

Angesichts der unsicheren Resorption gerade bei den Patienten, die ein hohes Risiko haben, eine Mykose zu erleiden, und der späten Einstellung des Gleichgewichts wird das Fehlen einer parenteralen Darreichungsform als ein Hauptnachteil von Posaconazol bei der Behandlung schwer kranker Patienten angesehen [6].

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Niedrige Plasmaspiegel = niedrigere Ansprechrate

Die klinische Relevanz der Resorptionsverhältnisse wird dadurch untermauert, dass klinische Studien bei Posaconazol einen engen Zusammenhang zwischen der erreichten Exposition und dem Ansprechen aufzeigen. Bei Voriconazol dagegen war keine solche Beziehung festzustellen [19], [20], [21]. Analysen der klinischen Daten durch FDA und EMEA zufolge besteht eine statistisch signifikante Beziehung zwischen niedrigen Posaconazolplasmaspiegeln und einer erhöhten Inzidenz von klinischem Therapieversagen [4], [14].

Patienten, die nicht auf die Behandlung ansprachen ("non-responder"), hatten einen deutlich niedrigeren Plasmadurchschnittsspiegel als solche, die auf die Therapie ansprachen ("responder") (Cav: 500 versus 750 µg/l; 14). In einer Prophylaxestudie war die klinische Versagerrate bei Patienten, deren Posaconazolplasmaspiegel unter 0,557 mg/l blieb, höher als unter Fluconazol [4]. Walsh et al. fanden in ihrer Studie zur Salvagetherapie [22] eine optimale Wirksamkeit der antimykotischen Therapie nur bei den Patienten, die einen Plasmaspiegel (Cav) von im Mittel 1,25 mg/l aufwiesen. Dies war im Studienkollektiv trotz Gabe von viermal 200 mg Posaconazol aber nur bei knapp einem Viertel der Patienten der Fall.

Die Experten der FDA empfehlen deshalb, die Dosierung von Posaconazol anhand der am zweiten Tag gemessenen Plasmaspiegel individuell anzupassen, da keine andere demografische Variable Unterdosierungen vorhersagen könne [4].

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Welche Plasmaspiegel braucht man?

Für die Prophylaxe invasiver Pilzinfektionen sollte der FDA zufolge im "steady state" ein Plasmadurchschnittsspiegel von Posaconazol von mehr als 0,7 mg/l erzielt werden, um die Versagerrate unter 25 % zu halten [4]. Bei Patienten, die dies auch nach siebentägiger Posaconazolgabe nicht erreichen, rät die FDA, auf andere Antimykotika auszuweichen [4].

Für die Behandlung invasiver Aspergillosen erscheint der Studie von Walsh et al. [22] zufolge ein Plasmaspiegel (Cav) von 1,25 mg/l erstrebenswert, um eine optimale Ansprechrate zu erhalten. EMEA-Analysen zufolge sollte für ein erfolgversprechendes Ergebnis bei Aspergillus-Infizierten das Verhältnis zwischen AUC und minimaler Hemmkonzentration (MHK) Werte von mindestens 200 erreichen [12], [14].

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Welche Plasmaspiegel sind realistisch?

Tatsächlich erreicht wurde in der Studie von Müller et al. [11] nach der Gabe von 600-800 mg Posaconazol pro Tag - verteilt auf drei Dosen - ein mittlerer Plasmaspiegel von 0,582 mg/l. Allerdings lagen die Spiegel bei Patienten mit hämatologischen Erkrankungen meist unter 0,4 mg/l. Ullmann et al. [18] beobachteten in einem Mischkollektiv von Patienten mit refraktärer Pilzinfektion und febriler Neutropenie nach zehn Tagen unter zweimal 400 mg Posaconazol pro Tag einen Plasmadurchschnittsspiegel von 0,723 mg/l.

Diese breite Streuung zeigt, dass viele Patienten diesen Mittelwert nicht erreichten. In der Studie von Walsh et al. [22] blieb sogar die Hälfte der in die Analyse eingeschlossenen, hospitalisierten Patienten mit refraktärer Aspergillose, die viermal täglich 200 mg Posaconazol erhielten, deutlich unter dem Plasmaspiegelschwellenwert von 0,7 mg/l. In der untersten Quartile lag der mittlere Plasmaspiegel bei 0,134 mg/l, in der obersten bei 1,25 mg/l.

Auffällig war in allen pharmakokinetischen Studien die enorme Schwankungsbreite der beobachteten Posaconazolplasmaspiegel, sowohl inter- als auch intraindividuell [12], [14], [22]).

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Was bestimmt die Gewebepenetration?

Da invasive Pilzinfektionen sich nicht nur in der Blutbahn abspielen, muss das Antimykotikum auch im Gewebe der befallenen oder gefährdeten Organe in einer ausreichend hohen Konzentration vorhanden sein. Dies sind bei Aspergillen vor allem Lungen, Nasennebenhöhlen und zentrales Nervensystem (ZNS). Wichtige Determinanten der Gewebepenetration sind Maschmeyer [9]zufolge

  • die Molekülgröße, da große und sperrige Moleküle schlechter diffundieren

  • die Lipophilie, da eine starke Fettlöslichkeit im Allgemeinen eine gute Membranpenetration erlaubt, jedoch auch meist mit einer hohen Proteinbindung verbunden ist

  • die Proteinbindung, welche die Verfügbarkeit an freier Substanz vermindert.

Die extrem hohe Proteinbindung (98 versus 58 %), große Molekülmasse (701 versus 349 Da) und sperrige chemische Struktur von Posaconazol lassen im Vergleich zu Voriconazol eine geringere Gewebepenetration und Diffusionsfähigkeit erwarten. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist derzeit nicht zu beurteilen, da bislang keine Daten zur humanen Gewebepenetration von Posaconazol verfügbar sind. Veröffentlicht ist lediglich der mit 0,3-2,1 mg/kg angegebene Gewebespiegel in der Kaninchenlunge [5], der deutlich unter den 15 mg/kg bzw. 19 mg/l liegt, auf die Voriconazol in der Lunge bzw. im Alveolarfilm beim Menschen angereichert wird [1], [3].

Unbekannt ist bislang auch, ob Posaconazol im ZNS-Gewebe ähnlich hohe Spiegel erreicht wie Voriconazol (35 mg/kg; 3, 16). Während Letzteres im Liquor 22-100 % des Plasmaspiegels erreicht [8], [16], wird die Liquor-Penetration von Posaconazol mit gering ("poor") angegeben [17]. Pitisuttithum et al. [15] beobachteten unter Posaconazol immerhin bei einem von vier refraktären Patienten mit Aspergillus-fumigatus-Infektion des zentralen Nervensystems einen Teilerfolg, der jedoch nicht von Dauer war.

Prof. Dr. Kuno Rommelsheim, Bonn

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Literatur

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Literatur